Protocol of the Session on December 12, 2002

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Sie haben doch gerade gesagt: 250 Millionen Euro Gewinn!)

- Vor Steuern, ja. Und wenn Sie davon 600 bis 700 Millionen Euro Rabatt gewähren wollen - -

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Sie haben „6 bis 7“ gesagt! - Nein, 600 bis 700 Millionen. Vizepräsident Gansäuer: Können Sie bitte Ihre Unterhaltung einstellen! Frau Kollegin Zachow, setzen Sie bitte Ihre Rede fort. Wenn Sie, Frau Pothmer, reden möchten, dann melden Sie sich mit diesem kleinen weißen Zettel; dann bekommen Sie das Wort. So machen wir das. Frau Zachow (CDU):

Wenn man das alles ausrechnet, meine Damen, meine Herren, wird - diese Berechnung ist sehr solide - sich das Einkommen einer Apotheke im günstigsten Fall um 24 000 Euro pro Jahr reduzieren, im schlimmsten Fall - das richtet sich danach, wie der Großhandel weiterreicht - werden es bis zu 50 000 Euro werden können.

Wenn man dann weiß, dass bei einer durchschnittlichen Apotheke der Apotheker ein Einkommen von rund 80 000 Euro vor Steuern hat, dann kann man sich ausrechnen, was das bedeutet. Es wird massive Personalreduzierungen geben. Das betrifft vor allem natürlich Frauenarbeitsplätze. Es wird Apothekenschließungen geben. Auf dem flachen Land wird das zu großen Problemen bei der Arzneimittelversorgung führen. In Großstädten sieht das etwas anders aus, aber auf dem flachen Land wird es große Probleme geben.

(Zustimmung von Biestmann [CDU])

Das, was Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, mit Ihrem Antrag erreichen wollen, nämlich die Arzneimittelsicherheit zu stärken und die Arzneimittelversorgung zu verbessern, wird aufgrund dessen nicht eintreten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Gesundheitspolitik auf schlichte Sparpolitik reduziert wird, die nur Kostendämpfung im Blick hat, verfehlen politisch Handelnde ihre wahre Gestal

tungsaufgabe. - Dieser Satz stammt aus dem Buch von Herrn Gabriel, und ich muss sagen: Wo er Recht hat, hat er Recht.

Nur, der Ministerpräsident sollte nicht nur Bücher schreiben und dort irgendwelche Gedanken fabrizieren, sondern er sollte auch ein wenig danach handeln. Hier möchte ich nur an einen großen Posten erinnern, nämlich an den Investitionsstau bei den niedersächsischen Krankenhäusern, der immerhin 1 Milliarde Euro beträgt. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Das mit dem „erstunken und erlogen“ geht haarscharf an einem Ordnungsruf vorbei. - Ich glaube, wir verstehen uns.

Der Kollege Schwarz hat das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Zachow, ich will vorwegschicken: Die Niedersächsische Apothekenkammer hat ausdrücklich bestätigt, dass sie mit den Inhalten dieses Antrags voll übereinstimmt. Warum das auf Bundesebene etwas anders aussieht, wissen Sie, glaube ich, auch: Es hat relativ gute Gespräche mit der Bundestagsfraktion der SPD gegeben. Das Gespräch mit der Gesundheitsministerin haben die auf Bundesebene agierenden Apotheker-Verbandspräsidenten jedoch mit der Feststellung begonnen: „Es macht gar keinen Sinn, mit Ihnen zu reden. Sie sind im April sowieso weg.“ Das ist die Ausgangslage und Eröffnung des Gesprächs gewesen. Ich kann nur sagen: Wer strategisch so beglückend Gespräche eröffnet, in denen es darum geht, Positionen auszuhandeln, der braucht gar nicht erst weiter zu machen. Da ist schon im Vorfeld viel kaputtgemacht worden. Damit gelingt es natürlich nicht schneller, sich auf einer vernünftigen Basis wiederzufinden. Trotzdem glaube ich, dass die Gespräche noch geführt werden; denn das, was die Apotheker vorgelegt haben, ist in der Sache durchaus vernünftig. Die Aussage, dass es nicht möglich sei, das Einsparziel zu erreichen, halte ich zwar für falsch, aber das, was vorgelegt worden ist, ist in Ordnung. - Aber, wie gesagt, die Probleme haben auch etwas damit zu tun, wie man in die Gespräche rein menschlich hineingegangen ist.

Frau Zachow, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, wie sich die Ausgabensituation im Gesundheitswesen darstellt. Ich will das noch einmal deutlich machen. 1990 hatten wir Ausgaben von rund 70 Milliarden Euro. Heute sind wir bei 140 Milliarden Euro angelangt. Wir haben in diesem Sektor eine dramatische Ausgabensteigerung zu verzeichnen. Gleichwohl müssen wir feststellen: Deutschland hat zwar das zweitteuerste Gesundheitssystem, aber was die Qualität betrifft, sind wir leider nur Mittelmaß. Insofern gibt es hier meines Erachtens einen dringenden Handlungsbedarf.

Die Debatte um das Vorschaltgesetz macht eines deutlich - das haben Sie eben auch angeführt -: Es gibt eigentlich keine einzige Interessengruppe in Deutschland, die nicht regelmäßig fordert, dass endlich die dringend notwendige Reform im Gesundheitswesen durchgeführt werden muss und dass dringend strukturelle Veränderungen durchgeführt werden müssten. Das geht allerdings nur so lange gut, bis diese Interessengruppe selber mit 1 oder 2 Promille beteiligt ist. Dann geht das ganze Gejammere schon los.

(Frau Zachow [CDU]: Die Apotheker haben einen Vorschlag gemacht!)

Wenn ich mir die Debatte um das Vorschaltgesetz angucke, dann finde ich es relativ unverschämt, wie die Ärzte zurzeit Patientinnen und Patienten instrumentalisieren, nur weil sie im nächsten Jahr auf 158 Euro Umsatzzuwachs verzichten sollen.

(Beifall bei der SPD)

Dort wird überhaupt nichts weggenommen. Dort geht es um 158 Euro Umsatzzuwachs. Dann werden Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeiter auf die Straße geschickt, weil angeblich tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen. Ich finde, verlogener geht es nicht mehr.

(Beifall bei der SPD)

Man sollte einfach sagen: Ich habe kein Interesse daran, dass sich mein Einkommen nicht entsprechend meinen Erwartungen entwickelt, und deshalb werde ich alles in Bewegung setzen, um nicht zu einer Einsparung im Gesundheitswesen beizutragen. - Leider sind sich die Akteure untereinander auch alles andere als einig.

Das ist übrigens die gleiche Debatte, wie wir sie momentan bei der MHH feststellen können. Das ist

doch unglaublich! Ein Unternehmen mit über 3 000 Beschäftigten

(Frau Elsner-Solar [SPD]: 3 800!)

will den Menschen weismachen, dass es nicht den Ausfall von sechs Personen aufgrund von Schwangerschaft oder Krankheit verkraften kann und dass damit das ganze Gesundheitswesen zusammenbricht. Ich finde es wirklich unmoralisch, wie hier auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten agiert wird.

(Beifall bei der SPD)

Die größten Ausgabensteigerungen gibt es im Arzneimittelsektor. In diesem Jahr wird zum ersten Mal mehr für Arzneimittel als für ärztliche Behandlung ausgegeben. Da stimmt doch etwas im System nicht. Sie als Fachfrau wissen genauso gut wie ich, welches die wirklichen Probleme sind: Wir haben den weltweit unübersichtlichsten Arzneimittelmarkt. Wir brauchen 50 000 Medikamente, während andere europäische Länder mit einem Zehntel davon auskommen. Bei uns gibt es auf dem Markt 10 000 Medikamente, die überhaupt noch nicht zugelassen sind, aber sie werden munter an Patientinnen und Patienten ausgegeben. Für weitere 5 000 Medikamente ist die Zulassung durch die herstellende Industrie zurückgezogen worden, weil man genau weiß, dass die Medikamente nicht wirksam sind; trotzdem werden sie an Patientinnen und Patienten ausgegeben.

Wir wissen, dass wir bei einer vernünftigen Verordnung von Generika 1,5 Milliarden Euro einsparen könnten, dass wir bei Verzicht auf so genannte Pseudo-Innovationen 1,5 Milliarden Euro einsparen könnten, dass wir bei Verzicht auf therapeutisch unsinnige Arzneimittel 1,2 Milliarden Euro einsparen könnten, und allein für 2,5 Milliarden Euro landen jedes Jahr Arzneimittel auf dem Müll. Das heißt, es gibt bei den Medikamenten ein Einsparpotenzial von über 6,5 Milliarden Euro, ohne dass auch nur eine einzige Pille weniger verschrieben werden müsste und ohne dass auch nur an einer einzigen Stelle Einschränkungen für Patientinnen und Patienten eintreten müssten.

Ich sage es noch einmal: Wir haben ein Einsparpotenzial von 6,7 Milliarden Euro bei Medikamenten und streiten uns bei dem Vorschaltgesetz um 3 Milliarden Euro, ob man die im Gesundheitswesen finden kann oder nicht. Ich glaube, allein diese Größenordnung macht deutlich, wie lächerlich diese Debatte ist, die wir zur Zeit führen.

Wir reden darüber, dass angeblich ganze Apotheken zusammenbrechen, wenn es hier darum geht, 1 % bis 2 % von den Gesamtausgaben, die zwischenzeitlich immerhin 22 Milliarden Euro ausmachen, zu reduzieren. Ich finde, wir machen uns alle lächerlich, wenn wir solchen Argumentationen aufsitzen, meine Damen und Herren.

(Frau Zachow [CDU]: Die Zahlen stimmen nicht!)

Ich bin im Übrigen dafür - das macht der Antrag auch deutlich -, die fachliche Qualifikation von Apothekerinnen und Apothekern ausdrücklich stärker in das Gesundheitswesen einzubeziehen. Das habe ich auch im Ausschuss gesagt. Diese Bestrebung wird - das wissen Sie auch - im großen Stil durch die Ärzteschaft unterlaufen, die pausenlos den Apothekerinnen und Apothekern die Kompetenz abspricht, ihren Beruf vernünftig ausüben zu können, und behauptet, dass ihnen die Qualifikation fehlt. Ich finde das ziemlich ungeheuerlich. Wir haben aufgrund von falscher Medikation in Deutschland jedes Jahr 16 000 Todesfälle, 200 000 Schwersterkrankte. Das ist doch ein Sachverhalt, den man nicht beiseite schieben kann. Da kann man nur sagen: Das ist in einem solchen Gesundheitswesen eigentlich unglaublich! Da muss man herangehen. Da braucht man auch die Qualifikation dieser Leute.

(Stratmann [CDU]: Mit einem Vor- schaltgesetz, das man vorher vier Jah- re lang nicht gemacht hat!)

- Nein, Herr Kollege Stratmann, das ist genau das Problem. Ich habe es gerade gesagt. Da wird ein Vorschaltgesetz gemacht, um die Ausgaben nicht weiter explodieren zu lassen, die sich auch zu Zeiten Ihrer Bundesregierung immerhin verdoppelt haben. Sie haben doch nichts getan. Sie haben doch immer den Leistungserbringern nach dem Mund geredet und bei den Patienten draufgeklopft. Jetzt wird zum ersten Mal gesagt: Hier müssen auch die Leistungserbringer einmal ein Ergebnis liefern. Dann machen Sie sich aber zum Cheflobbyisten genau jener Leute, die daran erheblich verdienen. Sie machen sich doch nicht zum Lobbyisten der Patienten!

(Beifall bei der SPD)

Nun lassen Sie mich noch etwas zum Versandhandel sagen. Wir werden den Versandhandel nicht aufhalten können. Die Bundesregierung muss sich zurzeit vor dem Europäischen Gerichtshof dafür

verantworten, dass der Versandhandel in Deutschland nicht zugelassen ist. Weil das aber so ist, bin ich der Auffassung, dass man den Versandhandel qualitätsorientiert steuern muss. Dazu ist meines Erachtens auch der letzte Absatz dieses Antrags notwendig, um deutlich zu machen: Auch den niedergelassenen Apothekerinnen und Apothekern muss die Möglichkeit gegeben werden, nicht nur im Ausnahmefall, sondern im Regelfall Arzneimittel nach Hause bringen zu können. Dann befinden sie sich im fairen Wettbewerb und haben sie auch eine Chance, den Versandhandel nicht nur hervorragend zu bestehen, sondern sie sind dann wettbewerbsfähiger und stärker als bisher, weil die Kunden bzw. die Patientinnen und Patienten kein Interesse daran haben, Medikamente über das Internet zu bestellen, wenn sie in der Hausapotheke eine fachliche Beratung erhalten und wenn ihnen darüber hinaus die Medikamente nach Hause gebracht werden. Insofern können wir, glaube ich, dieser Auseinandersetzung relativ gelassen entgegensehen.

Ich fand im Übrigen eine Aussage im Rahmen des Vorschaltgesetzes ganz bezeichnend. Das hat auch etwas damit zu tun, wie sich auch die kassenärztliche Bundesvereinigung momentan positioniert und aufstellt. Ausweislich einer dpa-Meldung von gestern hat der Vorsitzende, Herr Manfred RichterReichhelm, angekündigt, dass die Kassenärzte künftig die Sparvorgaben der Politik strikt umsetzen würden. Ich habe mich gestern den ganzen Tag über gefragt, ob das eigentlich eine Drohung ist, dass nun endlich einmal von den Verbandsfunktionären gesagt wird - wie übrigens schon mehrfach -: Wir werden jetzt dafür sorgen, dass die Ausgaben gedeckelt werden können; wir erbringen unseren Anteil. - Beim letzten Mal war das das Entgegenkommen dafür, dass Frau Schmidt den Regress aufgehoben hat und dass die Budgets aufgehoben worden sind. Dafür haben die Ärzte versprochen, nur eine Ausgabensteigerung entsprechend der Grundlohnsummenentwicklung vorzunehmen. Tatsächlich aber haben sie die Ausgaben erneut um über 11 % gesteigert. Das haben sie auch in diesem Jahr getan. Und nun teilen sie uns wieder mit, sie wollen sich jetzt an Recht und Gesetz halten! Ich fände es toll, wenn sie es endlich einmal täten. Dann hätten wir nämlich diese Auseinandersetzungen nicht zu führen, und dann könnten wir auch die Arzneimittelversorgung im Sinne der Patientinnen und Patienten in diesem Land anständig steuern. Sie wird maßgeblich fehlgesteuert, weil sich die Ärzte nicht an die Vorgaben halten und weil sie in

großem Stil auf Analogpräparate ausweichen, deren neuer therapeutischer Nutzen überhaupt nicht nachgewiesen ist, die aber teilweise das Doppelte kosten. Sie wissen das genauso gut wie ich.

Das sind die Probleme, die, wie ich finde, endlich angegangen werden müssen. Das Vorschaltgesetz ist ein ersten Schritt in diese Richtung. Aber ich bin sehr gespannt, wie Sie sich bei diesen Fragen im Bundesrat positionieren werden, weil allein das Thema der Analogpräparate, die zur stärksten Kostenexplosion im Gesundheitswesen bei den Arzneimitteln führt, von Ihnen im Bundesrat zurzeit blockiert wird. Wenn man es mit einer vernünftigen patientenorientierten Versorgung ernst meint, dann muss man auch dazu beitragen, dass nur diejenigen Arzneimittel bei den Patienten landen, die therapeutisch notwendig sind, aber nicht diejenigen, die in erster Linie der pharmazeutischen Industrie nutzen und die dem Patienten im günstigsten Falle nicht schaden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Zachow! Andere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schwarz, wir sind uns einig, dass im Gesundheitswesen etwas getan werden muss. Es weiß schließlich der Letzte im Lande, dass hier etwas getan werden muss. Es werden auch alle angesprochen werden müssen. Wir hatten das früher auch schon bei den Seehofer‘schen Reformen. Da gab es keine Gruppe, die nicht angesprochen worden ist. Man wird sicherlich auch nicht einzelne Gruppierungen herausgreifen können.

Unser Problem ist, dass dieses Vorschaltgesetz eine Art Notoperation, ein Notgesetz oder eine Erste-Hilfe-Maßnahme - oder wie man das nennen will - ist. Erstens ist es ja keine neue Regierung; Frau Schmidt hat ja ihr eigenes Erbe übernommen. Es ist ein schweres Erbe, das sie übernommen hat, aber es ist immerhin ihr eigenes Erbe. Das muss man wissen. Und dann muss man sehen, dass die Dinge wiederum nicht handwerklich sauber gerechnet worden sind. Das ist das eigentliche Problem hierbei, Herr Schwarz. Ich habe es Ihnen ausgerechnet. Sie kennen die Zahlen ganz genau. Sie wissen doch ebenfalls, dass das mit diesen Groß

handelsrabatten nicht funktionieren kann. Sie kennen genauso diesen irrwitzigen bürokratischen Aufwand, der bei der Abrechnung der Rabatte betrieben werden muss, wenn sich die Apotheken das nachher wieder erstatten lassen müssen, wobei sie ein eigenes Inkasso-Rabattsystem betreiben müssen. Das sind Dinge, die einfach nicht zu Ende gedacht sind.

(Vizepräsidentin Goede übernimmt den Vorsitz)

Erste Hilfe, meine Damen, meine Herren, kann es nur für eine kurze Zeit geben. Aber ein Jahr Erste Hilfe - das hält kein Patient aus.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin Dr. Trauernicht, möchten Sie reden?

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt den Entschließungsantrag des Landtages. Zentrale Steuerungsnotwendigkeiten im Arzneimittelbereich sind mit diesem Entschließungsantrag abgedeckt und werden von der Landesregierung im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren auch in dieser Weise unterstützt werden.