Protocol of the Session on December 12, 2002

(Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte hier auf Verfahren und Ergebnisse des Dialogs „Soziales Niedersachsen“ verweisen, der den ersten Schwerpunkt im Bereich „Älter werden in Niedersachsen“ gelegt hat.

Unser wichtigster Wunsch, wenn wir nach unserer Zukunft in zunehmendem Alter gefragt werden, heißt: in Würde alt werden. In den allermeisten Fällen heißt dieser Wunsch übersetzt: Unterstützung beim Wohnen in der eigenen Wohnung zu erhalten. Das Kapitel darüber gibt Nachricht über durchweg positive Entwicklungen in Niedersachsen. Flächendeckend gibt es in Niedersachsen inzwischen Angebote von ambulanten Diensten bei Haushaltsführung und Pflege, in der ambulanten Pflege bis hin zu Stufe III. Sogar Spezialisierungen im ambulanten Bereich, wie z. B. die Modellversuche für gerontopsychiatrische Pflege - ein weiterer Beweis für Aufgeschlossenheit und Problemlösungsbereitschaft der Landesregierung in Niedersachsen.

In Würde alt werden, meine Herren und Damen, dazu gehört aber auch die Möglichkeit, bei Bedarf aus unterstütztem Wohnen in eine stationäre Pflegeeinrichtung umzuziehen. Gott sei Dank gehören im überwiegenden Teil der Angebote die vermehrte Bereitstellung von persönlich zu gestaltenden Einzelzimmern zum Standard. Mit öffentlicher Förderung sind inzwischen über 70 000 Plätze in Pflegeeinrichtungen entstanden - ein Angebot, das Vergleich und Auswahl zulässt.

Zur Sicherung dieser Würde gehört aber auch eine qualitativ hochwertige Pflege durch gut ausgebildetes Personal. Auch hier ist Niedersachsen vorangegangen. Lange vor der Ebene der Bundesregierung haben wir die Ausbildung hier speziell für Berufe der Altenpflege normiert und durchgesetzt.

Der Dialog „Soziales Niedersachsen“ greift mit dem Thema „Älter werden in Niedersachsen“ Chancen und Probleme konzeptioneller Weiterentwicklung der Seniorenpolitik auf. Die Orientierung an Prozessentwicklung im Konsens und partnerschaftlichem Dialog wird wesentliches Merkzeichen der SPD in Niedersachsen bleiben und sicherstellen, dass sich Politik für ältere Menschen in Niedersachsen so gestaltet, dass wir alle sagen können: Älter werden? - Ja, in Niedersachsen! Danke.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Kollegin Elsner-Solar. - Ich gebe jetzt der Ministerin das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Auswirkungen des demografischen Wandels stellen uns alle vor außerordentlich große Herausforderungen: die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft. Die Deutschen werden immer älter, und gleichzeitig sinken die Bevölkerungszahlen. Ein Datum: Nach der neunten koordinierten Bevölkerungsprognose wird sich in Niedersachsen bis 2030 die Zahl der 65-Jährigen von 1,4 Millionen auf 1,9 Millionen Menschen erhöhen. Im gleichen Zeitraum wird sich die niedersächsische Bevölkerung um etwa eine halbe Million Menschen verringern. Das bedeutet in der Konsequenz, dass sich der Anteil der älteren Bevölkerung in diesem Zeitraum verdoppelt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch den medizinischen Fortschritt, durch ein verändertes Gesundheitsbewusstsein, durch Bildung, durch höheren Lebensstandard und Arbeitsschutz verbringen die Menschen mindestens ein Drittel ihres Lebens als ältere Menschen. Die klassische Abfolge Ausbildung, Beruf, Ruhestand ist ebenso in Auflösung begriffen wie die Gleichung „alt = krank = hilfebedürftig“. Es entstehen ganz neue Generationen, die durch Unabhängigkeit, Aktivität, Gesundheit, freie Zeit zur Lebensgestaltung und Erfahrungswissen gekennzeichnet sind. Vier Fünftel der Frauen und Männer im Alter von 70 Jahren und mehr sind zu einer nahezu selbständigen Lebens- und Haushaltsführung in der Lage und wünschen diese auch. Das heißt, dass die meisten Rentnerinnen und Rentner in den ersten 15 bis 20 Jahren ihres Rentenalters unabhängig von Hilfe leben. Ich möchte ausdrücklich betonen: Sie wollen dies auch.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In fast 60 % der Unternehmen und Betriebe in Deutschland arbeitet heute schon niemand mehr, der älter als 50 Jahre ist. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer scheiden vor dem gesetzlichen Rentenalter von 65 Jahren aus dem Erwerbsleben aus, weil Frühverrentung, 58er-Regelung und ähnliche Modelle möglich waren und möglich sind. Diese Menschen stellen mit ihrem beruflichen wie außer

beruflichen Erfahrungswissen ein bedeutendes gesellschaftliches Potenzial dar: als kompetente Ratgeber, als engagierte Vereinsmitglieder, als politisch Versierte, Interessierte und sich Einmischende. Auf dem Freiwilligensektor nutzen insbesondere Seniorenbüros, Freiwilligenagenturen sowie generationsübergreifende Jung/Alt-Projekte diesen reichen Erfahrungsschatz für unsere Gesellschaft. Ich füge hinzu: Wir können und dürfen auf diese reichhaltigen Kenntnisse und Erfahrungen nicht verzichten. Deshalb fördern wir die Ausweitung dieser Angebote als landespolitischen Schwerpunkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Neben diesen jungen Alten wächst auch die Gruppe der so genannten Hochbetagten. Ab 80 - das wissen wir steigt die Anfälligkeit für Krankheiten und damit auch für das Risiko, pflegebedürftig zu sein. Heute ist jeder und jede Vierte ab 75 Jahren auf Pflege angewiesen. Neben der Pflege durch Familienangehörige - dies sind zumeist Frauen - stehen damit Politik, Pflegeversicherung und Altenpflege ebenfalls vor großen Herausforderungen für die Zukunft.

Die Gruppe der ausländischen Seniorinnen und Senioren ist die prozentual am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe in Deutschland, weil neben den in den 60er-Jahren angeworbenen Arbeitsmigrantinnen und -migranten der ersten Generation in zunehmendem Maße auch Menschen im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen sind, die erst im Alter ihr Herkunftsland verlassen haben. Nicht zu vergessen ist die ältere Spätaussiedlergeneration mit ganz spezifischen Problemlagen. Hier war in Niedersachsen in den letzten Jahren ein Zuwachs um 22 % auf knapp 35 000 Personen zu verzeichnen.

Meine Damen und Herren, in der Antwort auf die Große Anfrage präsentiert die Landesregierung ihre Ziele einer zukunftsorientierten und einer aktivierenden Seniorenpolitik. In ihrem Zentrum stehen die Aktivierung des Erfahrungsschatzes und der Potenziale älterer Menschen sowie die zukunftsfähige Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme. Seniorenpolitik in diesem Sinne ist aktive und integrative Gesellschaftspolitik. Wir begreifen sie nicht als Aufgabe einzelner Politikbereiche. Wir brauchen eine politische Allianz aus Seniorenpolitik, Gesundheitspolitik, Wirtschaftspolitik - ich meine hier z. B. den Verbraucherschutz und die altersgerechten Produkte -, Gesellschaftspolitik - hier im Bereich Kultur und Bildung -, Woh

nungsbau- und Verkehrspolitik sowie Frauenpolitik; denn wir alle wissen, unter den Hochaltrigen befinden sich vor allem Frauen.

Erst eine politische Allianz wird den komplexen Anforderungen gerecht, die sich in modernen Gesellschaften mit der Gestaltung der Altersphasen stellen. Unsere Antworten als Landesregierung lauten daher:

Erstens: Teilhabe und Gestaltung. Mit der Offensive „Bürgerschaftliches Engagement für Niedersachsen“ gibt die Landesregierung Gelegenheit für vielfältige Teilhabe und Gestaltungswillen der Seniorinnen und Senioren.

Zweitens: Solidarität der Generationen. Generationsübergreifende Projekte werden von uns gefördert, weil sie Solidarität stiften. Sie geben Sicherheit und Orientierung, und sie sichern den sozialen Zusammenhalt im Kleinen wie auch in der Gesellschaft insgesamt.

Drittens: Qualität in der Pflege. Mit einer umfassenden Offensive zur Qualitätssicherung in der Pflege älterer Menschen wollen wir die Lebensbedingungen älterer Menschen auch für die Zukunft sichern und nachhaltig auch die Qualitätsstandards in der Pflege.

Viertens: Selbstbestimmung im Alter. Wir wollen die Bestrebungen älterer Menschen, möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben und im gewohnten Umfeld bleiben zu können, unterstützen.

Fünftens: Altern in der Fremde. Es ist ein Akt der Solidarität, wenn wir uns bewusst machen, dass im Mittelpunkt der Versorgung der Migrantinnen und Migranten die soziale Integration steht und dass wir uns mit Blick auf die Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren ausländischer Herkunft spezifizieren müssen. Deshalb ist insbesondere im Niedersächsischen Integrationsplan die interkulturelle Grundversorgung und die von Institutionen und Diensten als wichtiges Handlungsprogramm aufgenommen worden.

Sechstens: der bereits genannte Dialog Soziales Niedersachsen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vielschichtigkeit der Herausforderungen erfordert den Dialog mit allen maßgebenden Akteuren. Er ist unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg. Kooperative und ressortübergreifende Lösungen sind gefragter denn je zuvor. Der von mir im Jahr 2001 initiierte Dialog Soziales Nieder

sachsen ist ein solches Instrument der gegenseitigen Verständigung, des Austausches, der Identifikation von Problemen und der gemeinsamen Arbeit an zukünftigen Problemlösungsstrategien und Projektierungen. Es ist kein Zufall, dass sich der Dialog angesichts der Herausforderungen, die aufgrund der demografischen Wandels auf uns alle zukommen, als Erstes das Thema „Älter werden in Niedersachsen“ auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Meine Damen und Herren, das Land, die Kommunen, das Gesundheitswesen, die Pflegeeinrichtungen, die Wohnungswirtschaft, die freien Träger, Kultur- und Bildungseinrichtungen und viele andere mehr haben in den vergangenen Jahren, wie Sie der Antwort auf die Große Anfrage entnehmen können, ein gutes Fundament für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben geschaffen. Wir sind, wie man so schön sagt, gut aufgestellt. Wichtige Ziele und Maßnahmen habe ich genannt. Es liegt aber noch ein langer und steiniger Weg vor uns, wenn wir das sichern wollen, was wir uns gemeinsam wünschen, nämlich ein Altern in Würde und ein solidarisches Miteinander der Generationen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Schönen Dank, Frau Ministerin. - Frau Kollegin Jahns, jetzt haben Sie das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat eine Große Frage zum Thema „Älter werden in Niedersachsen“ gestellt - seltsamerweise zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem sich der Dialog „Soziales Niedersachsen“ gerade dieses Aufgabenfeld als Erstes vorgenommen hat. Es gibt schon merkwürdige Zufälle. Dazu später aber mehr.

Meine Damen und Herren, mehr als 70 Seiten umfasst die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage.

(Frau Elsner-Solar [SPD]: Fleißig!)

- Ja. - 70 Seiten innerhalb von zwei Monaten sind schon eine ganz beachtliche Leistung. Das fällt natürlich auf. Wir sagen: Das ist eine Meisterleistung. Wir haben ja erst gestern über das Thema Gleichstellung gesprochen. Wenn man bedenkt, wie lange die Landesregierung für den Entwurf des

Gleichstellungsgesetzes gebraucht hat, das in fast allen Passagen vom Bundesgesetz abgeschrieben worden ist, dann ist das wirklich schon eine tolle Geschichte.

Meine Damen und Herren, es ist müßig, zu den vielen statistischen Daten Stellung zu nehmen. Ich möchte aber einige Ausführungen aufgreifen. Zunächst zur demografischen Situation in Niedersachsen. Der Politik ist insgesamt seit langem bekannt, dass es in Niedersachsen künftig bedeutend mehr ältere Menschen geben wird, aber auch in ganz Deutschland. Die damit verbundenen Aufgaben zu lösen und somit das Älterwerden sicher zu gestalten, wird durch 70 Seiten Statistik nicht erreicht. Die Begründung der demografischen Entwicklung hinsichtlich der veränderten Familienstrukturen ist durch die Ideologie der SPD heraufbeschworen worden. Für die SPD gilt Familie nur noch da, wo der Staat eingreifen kann. Eltern haben auf die Erziehung ihrer Kinder keinen Einfluss mehr; man will ja die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ haben.

(Beifall bei der CDU - Frau Elsner- Solar [SPD]: Oh nein!)

Mit diesem ideologischen Wahnsinn „Lufthoheit über den Kinderbetten“ wird man der negativen demografischen Entwicklung nie begegnen können.

(Frau Elsner-Solar [SPD]: Das ist Mottenkiste!)

So wird die Geburtenrate nie steigen.

Meine Damen und Herren, in der Antwort steht:

„Mit zunehmendem Alter wird das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit“

- das sind Ihre eigenen Bezeichnungen

„in der unmittelbaren eigenen Lebenswelt, aber auch in der Gesellschaft durch das Erleben eines überschaubaren Regelwerks gesellschaftlicher und politischer Bezüge des Einzelnen in der Gemeinschaft geprägt. Verlässlichkeit bildet dabei eine Schlüsselfunktion und Grundvoraussetzung für Vertrauen im Alter sowohl in die Gesellschaft, die den alten Menschen umgibt, als auch indirekt

dadurch in die eigenen Kräfte und Wirkmöglichkeiten.“

Meine Damen und Herren, was glauben Sie eigentlich, welche Stimmung hier in Niedersachsen herrscht? Gehen Sie unter die Menschen? Schauen Sie sich an, welche Sorgen und Ängste die Menschen in Niedersachsen haben? - Die Menschen in Niedersachsen haben Angst. Sie haben Angst, in einem Land älter werden zu müssen, das ihnen jegliche Sicherheit für ihren letzten Lebensabschnitt nimmt.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt ja gar nicht!)

Nicht nur eine fatale und falsche Wirtschaftspolitik, die für eine katastrophale Infrastruktur im ländlichen Raum sorgt,

(Frau Elsner-Solar [SPD]: Wahr- scheinlich Paranoia!)

sondern auch die beabsichtigten Steuer- und Abgabenerhöhungen bringen die Menschen zur Verzweiflung.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

In den Dörfern gibt es keine Banken, keine Post und keine Lebensmittelgeschäfte. Die Menschen können dort nicht einmal mehr ihren täglichen Lebensbedarf decken.

(Zurufe von der SPD)

Der öffentliche Personennahverkehr ist in einigen Gebieten so schlecht, dass die Menschen langsam Versorgungsängste bekommen.