Protocol of the Session on November 22, 2002

Jetzt hat Frau Kollegin Litfin das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich müsste die Landesregierung dafür gelobt werden, dass sie 700 neue Lehrer und Lehrerinnen, junge Menschen vollere Schwung und Elan für den niedersächsischen Schuldienst gesichert hat. Wenn man genau hinschaut, dann muss man auch sagen: Es war dringend erforderlich, diese 700 Leute zu dem absolut unüblichen Zeitpunkt 1. November einzustellen, um zu verhindern, dass der Lehrerklau aus anderen Ländern mal wieder zuschlägt. Diese Menschen sind also für den niedersächsischen Schuldienst gerettet worden.

Wenn man dem Thema aber weiter nachgeht, dann muss man sagen, dass nicht ausreichend ausgebildet worden ist, dass wir im Lehrerberuf eine Mangelsituation haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Das hat diese Landesregierung zu vertreten. Die Opposition hat die Landesregierung seit mindestens neun Jahren, seitdem ich dem Parlament angehöre, darauf hingewiesen, dass an den niedersächsischen Universitäten und in den Ausbildungsseminaren nicht ausreichend ausgebildet wird und dass wir insbesondere fachspezifisch gigantische Probleme bekommen werden.

(Zustimmung von Frau Vockert [CDU])

Jetzt haben wir die Probleme.

Man kann - an dieser Stelle hat die CDU-Fraktion Recht - leider nicht von einer seriösen Absicherung dieser 700 Stellen im Landeshaushalt sprechen.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Nun ist das aber auch schwierig zu bewerkstelligen; denn es ist ja nicht so, dass es Haushaltslöcher gäbe, sondern dieser Haushalt ist ein einziges Loch.

(Beifall bei der CDU)

Es ist sehr schwierig, in einem Loch, das keine seitlichen Begrenzungen hat und dessen Tiefe niemand absehen kann, etwas zu verankern. Ich frage mich, wie die Landesregierung versuchen kann, seriös zu sein, wenn sie gleichzeitig behauptet, neben den 700 Stellen, die sie abbauen will, weil sie das Arbeitszeitkonto, nämlich die von den

Lehrkräften geliehene Arbeitszeit, zurückgeben muss, weitere 700 Stellen, also insgesamt 1 400 Stellen abbauen zu können, und dies mit einem Rückgang der Schülerzahlen begründet, obwohl dieser niemals hergibt, dass im Jahre 2004 1 400 Stellen abgebaut werden können. Das kann man nur tun, wenn man - was ja gerne gemacht wird wieder neu definiert, was 100 % Unterrichtsversorgung sind.

In ihrer ganzen Kalkulation vergisst die Landesregierung, dass sie die Folgekosten einbeziehen muss, die sie durch ihre seltsame Schulgesetzreform verursacht hat. Förderstufen, pädagogisch absolut unsinnig,

(Zustimmung von Busemann [CDU])

werden nach dem Willen der Landesregierung in Niedersachsen eingerichtet werden müssen. - Nach der Wahl wird sich da aber alles ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU - Busemann [CDU]: Danke! Kluges Mädchen!)

Diese Förderstufen werden dazu führen, dass es in Niedersachsen 300 zusätzliche Klassen gibt und dass trotz zurückgehender Schülerzahlen nur für Lehrerstellen 75 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich ausgegeben werden müssen, um diese zusätzlichen Klassen mit Lehrkräften zu versorgen. Das kommt in der Planung der Landesregierung natürlich nicht vor. Aber wahrscheinlich geht sie, weil sie ja doch ein bisschen klug ist, davon aus, dass sie nach der Wahl hier nicht mehr die absolute Mehrheit haben wird, und verlässt sich darauf, dass ein Koalitionspartner sie schon aus der Bredouille retten wird.

(Frau Vockert [CDU]: Die Umfragen ergeben das nicht! - Plaue [SPD]: Das trieft ja geradezu vor Hochmut!)

Meine Damen und Herren, für dringend erforderliche Maßnahmen ist in den künftigen Haushalten kein zusätzlicher Cent vorgesehen.

Die Ministerin hat bei der letzten Tagung des Schulleitungsverbandes gesagt, sie wisse erst seit PISA, wie wichtig Lesekompetenz sei. Es ist ja schön, dass sie diese Erkenntnis nun auch gewonnen hat. Sie kündigte Leseförderprogramme an; die Leseförderung würde ein Schwerpunkt. Im Haushalt bildet sich das aber nicht ab. Die Ressortgespräche haben ergeben, dass es für Leseförderung,

die absolut erforderlich ist, nicht eine einzige zusätzliche Lehrerstunde und nicht einen einzigen zusätzlichen Cent gibt, auch nicht für die Fortbildung von Lehrkräften aus diesem Bereich, damit garantiert ist, dass wir irgendwann von der Zahl von 25 % der Jugendlichen, die kein ausreichendes Leseverständnis haben, herunterkommen.

Diese Landesregierung ist unseriös.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Unseriös ist die Finanzierung, die Absicherung der Stellen. Ich hoffe, die nächste Landesregierung wird sich alle Mühe geben, diese 700 Stellen langfristig für den Kultushaushalt zu sichern. Wenn die Grünen dabei sind, wird das auch gelingen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der CDU)

Frau Ministerin, Sie haben noch einmal das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So redet eine Abgeordnete, die im letzten Landtag einen Antrag zur pädagogischen Grundversorgung eingebracht hat,

(Unruhe bei der CDU)

der allein 3 500 Lehrerstellen und 169 Millionen Euro erfordert. Wir sind gespannt darauf, Herr Golibrzuch, von den Grünen bei den nächsten Haushaltsberatungen zu hören, wie Sie diesen Antrag unterlegen, um Ihre Seriosität einmal zu überprüfen. Das würde mich schon sehr interessieren.

(Beifall bei der SPD)

Es kommt immer die gleiche Geschichte: Wir hätten nicht genügend ausgebildet. Frau Litfin, die Leute sind da. Sie sind eingestellt worden. Sie kommen übrigens nach wie vor auch aus anderen Bundesländern. Wir haben immer noch mehr Bewerbungen und mehr Ausgebildete als die 700, die wir eingestellt haben. Wir hatten allein in den Seminaren zum 30. Oktober über 1 000. Auch damit sollten Sie sich einmal auseinander setzen.

(Zuruf von Frau Litfin [GRÜNE])

Ihre Behauptung - das behaupten Sie ständig -, die Landesregierung sei dafür verantwortlich, was junge Leute studieren, ob sie das Lehramt wählen oder nicht, ist falsch. Eine Möglichkeit, die Studienwahl zu steuern, gibt es in der Bundesrepublik nicht, leider nicht.

Was unsere Kampagne angeht - da müssen Sie aufpassen -, habe ich mich gerade mit meinem Kollegen Oppermann darauf verständigt, dass wir den jungen Leuten auch sagen müssen: In ein paar Jahren wird das wieder weniger. Durch die Kampagne haben wir derart steigende Zahlen, dass das jetzt deutlich wirkt. Wodurch kommt das? Das will ich Ihnen auch sagen: Das kommt daher, dass wir so hohe Einstellungsraten haben, weil die jungen Leute wissen, dass sie in Niedersachsen eine Chance haben.

(Busemann [CDU]: Die setzen auf den Regierungswechsel!)

Lassen Sie mich noch einen Satz, was Seriosität angeht, zu Ihrem Schulgesetz sagen. Sie fordern die sechsjährige Grundschule. Sie werfen uns vor, dass wir Mehrkosten haben. Durch die von Ihnen geforderte sechsjährige Grundschule würden wesentlich mehr Kosten verursacht als durch unser Konzept. Auch das hätten wir beim nächsten Mal gerne etatisiert gesehen.

(Beifall bei der SPD - Plaue [SPD]: Alles Schaum! - Dr. Stratmann [CDU]: Warum die Ministerin so schreit, verstehe ich nicht! - Gegenruf von Plaue [SPD]: Weil bei Ihnen das Hörvermögen nachlässt!)

Frau Kollegin Körtner, bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Litfin, natürlich haben wir uns alle in diesem Hause gefreut. Wir freuen uns immer, wenn es um die Einstellung von zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrern geht, die dann wirklich dafür sorgen, dass die miserable Unterrichtsversorgung verbessert wird. Aber wir haben natürlich auch eines getan, Frau Ministerin - das war ja dann das etwas Peinliche -: Wir haben das nicht nur geglaubt, sondern wir haben auch kontrolliert. Nach der Sitzung des Haushaltsausschusses, in der die Grünen und die CDU das geprüft haben, mussten

Sie erst einmal wieder zurückfahren. Wir ärgern uns doch überhaupt nicht, Frau Jürgens-Pieper. Die Eltern ärgern sich auch nicht. Das ist eine völlig falsche Terminologie. Vielmehr sind wir erschüttert über das, was Sie uns hier bieten.

(Beifall bei der CDU)

Das sind Täuschungen und Tricks. Es werden Dinge als zusätzlich definiert, obwohl man einen Flickerlteppich macht. Darum geht es.

Lieber Kollege Wulf, so etwas Unglaubliches haben Sie von mir noch nicht gehört? - Das verstört mich richtig. Es gab schon viel Schlimmeres. Ich bin für knackige Formulierungen gut und ich liebe sie auch sehr. Sie legen mir da aber etwas in den Mund. Ich wiederhole: „Beispielloses wahltaktisches Täuschungsmanöver“ - Originalton der niedersächsischen Lehrerverbände. „Rosstäuscherei“ Originalton der niedersächsischen Lehrerverbände. Das sagen sie zu Recht.

Frau Ministerin, es geht um das, was die Kollegin Litfin sagte - ich möchte das nicht wiederholen, sondern nur noch ergänzen -, nämlich dass Sie sehr öffentlichkeitswirksam vor der Bundestagswahl und vor der Landtagswahl diese desolate Unterrichtsversorgung verschleiern wollten. Sie wollten sie verbessern. Das, was wir hier anmahnen, ist das Problem. Ich darf darauf hinweisen - da habe ich mich heute Morgen auf den Ministerpräsidenten bezogen; das ist wirklich schlimm -, dass wir durch den Abbau des Lehrer-Mehrarbeitskontos ab 2004 in Höhe von durchschnittlich 700 Stellen jetzt noch einmal 700 Stellen zusätzlich abbauen müssen. Über 20 Jahre lang müssen wir jedes Jahr als Folge dieses Lehrer-Mehrarbeitskontos ab 2004 diese 700 Lehrerstellen einstellen.

Ich will noch etwas zu der abenteuerlichen Formulierung zur Vermögensteuer sagen, lieber Herr Kollege Wulf. Ein bisschen nachdenken hätten Sie müssen. Die Vermögensteuer, die wir bekommen könnten, macht ungefähr 310 Millionen Euro aus. Die Finanzierungslücke durch das Schulgesetz macht etwa 250 Millionen Euro aus. Nun sagen Sie mir, wie Sie für diese restlichen 60 Millionen Euro den „Bildungshimmel“, den Sie immer versprechen, erreichen wollen, wenn Sie diese Vermögensteuerregelung für Niedersachsen schaffen. Es ist nichts damit zu machen. Das ist das Problem.

Dieser dreiste Coup ist Ihnen misslungen. Ich bin schon sehr enttäuscht, dass Ihr Haus das heute auf eine Anfra

ge des Kollegen Busemann zur Streichung von 700 Lehrerstellen zum 31. Juli 2004 wieder in den Text aufgenommen hat. Frau Kollegin Liftin ist darauf eingegangen. Ich bin darauf eingegangen. Wir meinen, dass bei sinkenden Schülerzahlen nach 2004 wieder die Finanzierung des Altersteilzeitzuschlages durch Sperrung dieser Stellen erfolgen sollte.

Frau Ministerin, nehmen Sie zur Kenntnis: die Schülerzahlen sinken nicht. Ich habe Ihnen das gerade vorgetragen. Ich muss es nicht noch einmal erläutern. Sie sagen, die Schülerzahlen sinken. Das stimmt aber nicht. Das ist eine erneute Täuschung.

(Zustimmung bei der CDU - Buse- mann [CDU]: Bei der Berufsschule geht es ja noch bis 2008 hoch!)

Es tut mir Leid, Kollege Wulf, wenn Sie sich so der Lebenswirklichkeit verweigern. Das, was hier abgegangen ist, belastet die Politik insgesamt. Das reiht sich nahtlos in das ein, was wir zurzeit in Berlin erleben. Das zerstört das Vertrauen, Frau Ministerin, noch mehr. Ich wiederhole mich ungern. Wir sprechen uns aber am 2. Februar 2003 wieder.