Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die weitreichenden Veränderungen im Bereich der Europäischen Union in den letzten zehn bis 15 Jahren - wie z. B. die Vollendung des Binnenmarktes und die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion - haben zu gravierenden Auswirkungen auf die Verteilung der politischen Verantwortlichkeiten in Europa geführt. So werden viele Entscheidungen, die früher auf der regionalen oder nationalen Ebene getroffen wurden, heute von der Europäischen Union entschieden. Schon heute werden etwa 50 % aller innenpolitisch wichtigen Entscheidungen nicht mehr in Hannover oder Berlin gefällt, sondern mit stark steigender Tendenz in Brüssel.
Europapolitik hat somit immer mehr den Charakter europäischer Innenpolitik gewonnen - mit erheblichen Auswirkungen für Länder, Regionen und Kommunen. Aus den genannten Gründen ist daher auch die Landespolitik stärker als noch vor Jahren
Meine Damen und Herren, der politische und ökonomische Erfolg des europäischen Integrationsmodells hängt wesentlich davon ab, dass die Handlungsspielräume der Länder, Regionen und Kommunen nicht nur erhalten bleiben, sondern vielmehr erweitert werden. Notwendig ist eine sorgfältige Balance zwischen gemeinschaftlichen Rahmenbedingungen, Flexibilität und Freiraum gerade auf der regionalen Ebene. Daher muss Niedersachsen mit seinen Regionen und Kommunen auch in Zukunft über substanzielle eigene Entscheidungsspielräume verfügen. Es darf nicht so weiter gehen, dass die Europäische Union z. B. aufgrund von unklaren Kompetenzregelungen einer Binnenmarktklausel, durch die vor allem im wirtschaftlichen Bereich nahezu jedes Tätigwerden gerechtfertigt werden soll, sowie aufgrund verschiedener Zielsetzungen des EG-Vertrages Regelungen trifft, die sinnvoller und angemessener viel besser auf der einzelstaatlichen oder sogar regionalen oder kommunalen Ebene getroffen werden können.
Als Beispiel ist die Verordnung zum öffentlichen Personennahverkehr zu nennen, die von der Europäischen Kommission im letzten Jahr vorgelegt wurde. Sie enthält zum Teil bis ins Detail gehende Regelungen dafür, wie der öffentliche Personennahverkehr vor Ort einheitlich geregelt werden soll.
Solche Regelungen, meine Damen und Herren, greifen massiv in die Selbstverwaltungsrechte und die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen und Regionen ein, die besser als jede andere Ebene mit den Verhältnissen vor Ort vertraut sind.
Dieses Beispiel macht deutlich, dass es sowohl die rot-grüne Bundesregierung als auch die SPD-Landesregierung in den letzten Jahren versäumt haben, dieser Tendenz der EU-Organe, gewissermaßen eine Allzuständigkeit der EU zu beanspruchen, konsequent entgegenzuwirken.
Meine Damen und Herren, im Rahmen der EU-Reform sind Regelungen zur Stärkung der Regionen insbesondere bei Rechtssetzungen notwendig. So sollen die Vorschläge der Kommission, die Regionen frühzeitig bei der Ausarbeitung von Rechtssetzungsentwürfen anzuhören, umgesetzt werden. Zudem soll der Ausschuss der Regionen als Ganzes gestärkt werden. Der Ausschuss der Regionen, der bislang lediglich ein beratendes Gremium ist,
muss ein stärkeres Gewicht im institutionellen Gefüge der EU bekommen und ein eigenständiges Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof erhalten.
Meine Damen und Herren, das Selbstverwaltungsrecht der Städte und Gemeinden ist bisher in keinem europäischen Vertragswerk verankert.
Da das künftige Europa eine föderative und subsidiäre Struktur haben muss, ist ein Aufbau der europäischen Integration auf der Basis der kommunalen Selbstverwaltung notwendig.
Ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen. Wir haben im Rahmen der Ausschussberatungen Gelegenheit genug, diese Dinge zu vertiefen, Herr Kollege Rabe.
Aus diesem Grunde sollte bei der Definition des Subsidiaritätsprinzip in Artikel 5 des EG-Vertrages der Hinweis aufgenommen werden, dass vor dem Erlass von EG-Regelungen die Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten einschließlich ihrer Regionen und Kommunen berücksichtigt werden müssen. Subsidiarität und Demokratie gehören zusammen. Subsidiarität bedeutet, die Entscheidungsebene möglichst unten anzusetzen, meine Damen und Herren.
Die Staats- und Regierungschefs haben in Laeken im Dezember 2001 die Einrichtung eines Konvents beschlossen, der bis zum Sommer 2003 den Entwurf eines neuen EU-Vertrages vorlegen soll. Nach der Regierungskonferenz von Nizza vor eineinhalb Jahren, die allgemein die Erwartungen nicht erfüllte, ist der Konvent eine neue Chance für Europa.
Umfragen beweisen, dass die europäischen Bürger die großen Ziele der Europäischen Union bejahen, der europäische Alltag aber oft nicht den Zusammenhang mit diesen großen Zielen widerspiegelt. Sie fordern daher von den Institutionen weniger Schwerfälligkeit und vor allem Transparenz. Viele Bürger verlangen zu Recht, dass sich die EU mehr um ihre konkreten Sorgen kümmern sollte, ohne
Es war daher richtig, dass mit der Einsetzung des Konvents abweichend von den üblichen Regierungskonferenzen ein neues Format gewählt wurde, um mehr Transparenz durch öffentliche Debatten zu erreichen. Erfreulich ist auch, dass sich der Konvent zum Ziel gesetzt hat, das Verhältnis zwischen europäischer und nationaler Ebene neu zu definieren, den Gedanken der Subsidiarität und dessen wirksame Kontrolle stärker auszuprägen.
Nach seiner Plenarsitzung am 12. und 13. September 2002 hat der Konvent nunmehr die Phase des Prüfens abgeschlossen. Nun beginnt die eigentliche konzeptionelle Arbeit des Konvents. In den bisherigen Beratungen des Konvents bestand zwar Einigkeit über eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und der EU; umstritten ist jedoch die Kontrolle der Kompetenzabgrenzung.
Im Mittelpunkt der Kompetenzregelungen im Verfassungsentwurf muss daher das Subsidiaritätsprinzip stehen. Nach Auffassung der CDU-Fraktion muss das Subsidiaritätsprinzip klarer als bisher definiert werden. Daher sollte eine Tätigkeit der EU nur dann zulässig sein, wenn erstens eine Maßnahme auf nationaler Ebene nicht ausreichend ist und zweitens nachgewiesen ist, dass diese Maßnahme wirksamer von der EU realisiert werden kann.
Der Vorschlag der Bundesregierung, meine Damen und Herren, einen politischen Kompetenzausschuss einzurichten, ist unseres Erachtens politisch verfehlt. Die Bundesregierung geht offenbar davon aus, Kompetenzfragen im Einzelfall zu einem späteren Zeitpunkt durch ein politisches Gremium klären zu lassen. Damit würden zwangsläufig Probleme geschaffen, die vermieden werden können, wenn von vornherein klare Vorgaben zur Kompetenzabgrenzung im Verfassungsvertrag formuliert werden.
Darüber hinaus ist eine intensive rechtliche Kontrolle notwendig. Danach müssen die Institutionen der EU, aber auch jede Regierung und jede Region der EU-Mitgliedstaaten mit Gesetzgebungskompetenz das Recht haben, vor Erlass einer Maßnahme ein Gutachtenverfahren beim Europäischen Gerichtshof einzuleiten, in dem noch während des Gesetzgebungsverfahrens die Einhaltung der Kompetenzregelungen der Verfassung überprüft wird.
Nach Erlass einer Maßnahme soll eine Nichtigkeitsklage wegen Kompetenzverletzung beim Europäischen Gerichtshof erhoben werden können. Solche Kompetenzstreitigkeiten sollten von einer spezialisierten Kompetenzkammer des Europäischen Gerichtshofs entschieden werden.
Zudem sollen im Konvent die Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände stärker berücksichtigt werden. So haben die kommunalen Spitzenverbände ein eigenes Kapitel über Kommunen und Regionen im Verfassungsentwurf vorgeschlagen sowie eine Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, eine Aufwertung des Ausschusses der Regionen und eine regelmäßige Prüfung der finanziellen Auswirkungen von Vorschlägen auf kommunale Gebietskörperschaften gefordert. Die Umsetzung dieser Vorschläge ist notwendig, um die rechtliche Position gegenüber der europäischen Ebene zu stärken und auszubauen.
Weder die rot-grüne Bundesregierung noch die Landesregierung in Niedersachsen haben bisher in ausreichendem Maße Initiativen für eine Stärkung der Länder und Kommunen im Rahmen des Verfassungskonvents entwickelt.
Die bisherigen Aktivitäten von Bundes- und Landesregierung machen vielmehr deutlich - Herr Rabe, auch wegen Ihres Widerspruchs -, dass im Verfassungskonvent die Interessen der Länder und Kommunen nicht mit dem nötigen Nachdruck vertreten werden.
Aus den genannten Gründen halten wir es für notwendig, dass der Niedersächsische Landtag die Landesregierung in einer Entschließung auffordert, im Hinblick auf die anstehenden Beratungen des Konvents endlich eine konsequente Vertretung föderativer und kommunaler Interessen wahrzunehmen. Wir stellen uns einer konstruktiven Beratung im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. Wir sollten den Versuch unternehmen, in den substanziellen Teilen zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen. Wir sind in dieser Frage zu Kompromissen bereit. Die politische und rechtliche Einbindung der Kommunen und Regionen im zukünftigen Europa muss unsere gemeinsame Aufgabe sein, meine Damen und Herren. - Schönen Dank.
Vielen Dank. - Herr Kollege Rabe, da Sie es schon nicht gestattet bekamen, eine Zwischenfrage zu stellen, bekommen Sie jetzt wenigstens das Wort. Bitte schön!
- Herr Kollege Rabe hat vor einer Stunde und fünf Minuten seinen Wortbeitrag angekündigt. Deshalb kommen Sie nach ihm dran. - Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir Leid, Herr Kollege Wenzel; das war nicht so geplant.
Ich meine, dass die CDU-Fraktion mit diesem Antrag grundsätzlich einen wichtigen Schritt gemacht hat, den wir alle begrüßen. Der Ansatz ist richtig. Ihre Rede, Herr Kollege Biestmann, war ja auch sehr moderat. Insofern ist das Ziel klar, glaube ich, nämlich einen gemeinsamen Antrag zu verabschieden. Ich muss Ihnen jedoch ehrlich sagen, dass Ihr Antrag in gravierender Weise überarbeitungsbedürftig ist. Er enthält zum Teil grobe Fehler.
- Das ist nicht Besserwisserei, Herr Kollege Oestmann, sondern es ist tatsächlich so. Ich werde Ihnen das auch nachweisen. Wenn der Kollege Biestmann beispielsweise sagt, dass das kommunale Selbstverwaltungsrecht in keinem europäischen Vertragswerk verankert ist, dann ist das einfach nicht richtig. Es gibt seit elf Jahren die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung.
Sie ist von allen EU-Staaten unterzeichnet worden. Wenn Sie die nicht kennen, dann tut mir das Leid. Ich kann Ihnen gerne ein Exemplar zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, der Antrag ist auch insofern zumindest überarbeitungsbedürftig, weil Sie darin die Bundesregierung als Adressaten in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung ist im Konvent überhaupt nicht vertreten; vertreten wird sie durch Herrn Professor Peter Glotz, und zwar sehr gut.
Teilweise ist Ihr Antrag auch polemisch und gleichzeitig falsch, so, wenn Sie, wie auch vorhin, behaupten, die Bundesregierung vernachlässige die deutschen Interessen. Davon kann sicherlich keine Rede sein. Andererseits ist er aber auch irreal und gleichzeitig falsch, etwa dann, wenn Sie mit Aussicht auf Erfolg fordern, föderale Strukturen in Gesamteuropa zu errichten. Dazu werden Ihnen die britischen und skandinavischen Kollegen einiges sagen. Ich meine, dass es keine ernsthafte Position ist, die wir verfolgen sollten.
Meine Damen und Herren, ich will es nicht auf die Spitze treiben. Der Ansatz ist richtig. Das Ziel muss ein gemeinsamer Antrag sein. Ich sage Ihnen auch, warum: Die Position aller deutschen Bundesländer ist über die Europaministerkonferenz und die Ministerpräsidentenkonferenz bereits abgestimmt. Da hat sich natürlich nur die Exekutive geäußert. Deshalb ist es gut, dass auch die Legislative versucht, sich dazu zu äußern. Es gibt einen Bundesratsbeschluss vom 12. Juli 2002, dessen Kernaussagen sind: Anerkennung der Regionen, Präzisierung der Zuständigkeiten, Klagerecht für den AdR und für die Länder und eine stärkere Legitimation der EU-Kommission. Dahinter wollen wir sicherlich nicht zurück bleiben.
Insofern ist Ihr Antrag auf einige Momente konzentriert, die sicherlich zu berücksichtigen, die aber nicht umfassend sind. Es gibt noch ganz wichtige Punkte, zu denen auch die Landesparlamente Stellung beziehen müssen.
Auch die Frage der Repräsentanz von Länderparlamentariern in Gremien, in denen wir die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit haben, ist zu stellen. Ich denke in diesem Zusammenhang an die EU-Kammer des Bundesrates. Darüber müssen wir uns noch einmal unterhalten.
Meine Damen und Herren, wir wollen uns hier nicht konträr zu Ihrem Antrag festlegen. Wir wollen ihn in der Tat sehr sorgfältig beraten. Ich schlage Ihnen vor, dass wir, auch um dieses wichtige Thema weiter von Instanz zu Instanz zu transpor
tieren, im Ausschuss eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema machen. In dieser öffentlichen Anhörung sollten wir sämtliche wichtigen gesellschaftlichen Organisationen und Verbände anhören und sie auch durchaus dazu nötigen, die niedersächsische Sicht zu diesem wichtigsten Verfassungsfindungskomplex offenzulegen. Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt übereinkommen - ich meine, dass wir uns darin alle einig sind -, dass es hochinteressant wäre, die Positionen der Kirchen, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, der Europa-Union und anderer kennen zu lernen. Ich meine auch, dass wir diese Frage in der öffentlichen Auseinandersetzung, die hier aus meiner Sicht sehr notwendig ist, weiter erörtern sollten.
Ich möchte noch etwas zum Zeitrahmen sagen. Der Konvent will im Januar 2003 den ersten Vertragsentwurf vorlegen und seine Beratung im Juni 2003 beenden. Wir wissen alle, dass in der Regierungskonferenz noch darüber entschieden werden muss, bis es zu einem rechtlich bindenden Vertragswerk kommen kann. Das heißt, dass wir spätestens in den Plenarsitzungen im Januar nächsten Jahres einen gemeinsamen Antrag verabschieden müssten. Das wäre auch insofern sehr spannend, weil ich befürchte, dass sich im Plenum im Januar nicht mehr sehr viele gemeinsame Anträge werden durchsetzen lassen. In diesem Punkt können wir als Europapolitiker einen positiven Akzent setzen.