Protocol of the Session on September 24, 2002

(Beifall bei der CDU)

Sie sind zu scheu, um nach vorne zu kommen und die Verantwortung zu übernehmen. Mehrere Tage nach dem Unfall, als es gar nicht mehr darum ging, in die erste Verantwortung einzusteigen, haben Sie versucht, sich zu exkulpieren. Das ist das Schlimmste, was passieren kann. Es wurde herausgestellt, dass Sie nicht zuständig seien, sondern dass auf Bundesbahngleisen die Bundesbahn zuständig sei. Das ist natürlich so. Aber was interessiert es die Menschen im Umfeld, die sich einer Gefahr ausgesetzt sehen, wenn Sie sich über Zuständigkeiten unterhalten?

(Zustimmung von Frau Körtner [CDU] - Zurufe von der SPD)

Sie sind für das Umfeld verantwortlich. In den ersten Stunden fehlten klare Ausbreitungsbetrachtungen. Es nützt überhaupt nichts, wenn man nach einer Explosion irgendwo herumrennt und mit irgendwelchen Explosimetern misst. Man muss wissen, wo man zu messen hat. Sie haben Fachleute in Ihrem Ressort, die sich mit Ausbreitungs

betrachtungen auskennen. Die haben Sie nicht eingesetzt. Das ist ein ganz erheblicher Mangel.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt vor Ort keine tiefgreifende Fachkunde. Es ist etwas anderes, wenn es sich um einen ICE-Unfall wie in Eschede handelt. Dabei kann die Katastrophenschutzbehörde aus eigenem Wissen, eigenem Verständnis und eigener Schulung heraus eingreifen. Bei einem Chemieunfall braucht man Fachleute, die mit dem Stoff umgehen können und die Aussagen über die Ausbreitung dieses Stoffes in besonderen Eskalationsfällen machen können. Das haben Sie alles nicht beachtet. Sie haben sich aus diesem Vorgang herausgehalten. Das ist zu verurteilen. An dieser Stelle muss angesetzt werden. Die Fachleute wissen, dass die Entscheidungen, die in solch einem Fall in den ersten Minuten und Stunden getroffen werden, die entscheidenden sind. Tage danach brauchen wir diese Entscheidungen nicht mehr.

Herr Minister, ich rate Ihnen, endlich einmal die Verantwortung zu übernehmen und - da wir örtlich keine Fachkunde für solche Vorgänge aufbauen können - für Niedersachsen einen zentralen Pool zu schaffen, der beim Auftreten solcher Vorfälle eingesetzt wird. Nur so kommen wir zu einer Lösung, die der Bevölkerung gerecht wird und die vor allen Dingen Gefahren von der Bevölkerung abwendet. Die Sorge um die Menschen muss unser aller Interesse sein. Morgen haben Sie die Bodenproben auf dem Tisch. Sie haben schon vorher die Freigabe des Geländes verfügt. Sie wissen gar nicht, wo die Aerosole, wo die Tröpfchen nach der Explosion gelandet sind, ob sie z. B. auf einem Kinderspielplatz oder im Wald, an einer Stelle, an der kein Mensch spazieren geht, liegen. Das können Sie gar nicht beurteilen, weil Sie die Betrachtungen nicht angestellt haben. Das ist verwerflich, Herr Minister. Wir erwarten in Zukunft eine wesentlich andere Strategie.

(Beifall bei der CDU - Adam [SPD]: Unmöglich ist das!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ich habe Ihnen noch gar nicht das Wort erteilt, Herr Minister. - Meine Damen und Herren, Herr Minister Jüttner hat sich jetzt für die Landesregie

rung zu Wort gemeldet. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass dadurch die Fraktionen, die, wie die CDU, die Redezeit überschritten haben, wieder Ansprüche bekommen, weiter zu reden. - Herr Minister Jüttner!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens. Es ist ein schwerwiegender Unfall geschehen. Viele Leute machen sich Sorgen um ihre Gesundheit. Diese Sorgen sind sorgfältig abzuarbeiten. Aber dass politische Fraktionen das als Chance für kleinkarierte Zuständigkeitsdebatten nutzen, ist eine Unverschämtheit. Das sage ich in aller Deutlichkeit.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU und von den GRÜNEN)

Herr Schünemann hat den Weg nach Bad Münder gefunden, als er augenscheinlich mitbekommen hat, dass dort am Freitagnachmittag eine Pressekonferenz stattfindet, auf der er vielleicht glänzen kann. Das ist der zweite Teil des Problems. Ihre örtlichen Abgeordneten haben das bis Freitag vollständig ignoriert.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das ist ungeheuerlich! - Dr. Stratmann [CDU]: So nimmt die Landesregierung ihre Verantwortung wahr! Das ist nicht zu fassen!)

Zweitens. Auch in Situationen, in denen Unfälle passieren, gelten die üblichen Zuständigkeitsregelungen. Ich würde gerne die Mitglieder des Landtages auf den Oppositionsbänken hören, wenn sich die Landesregierung in Krisensituationen anmaßt, in kommunale Kompetenzen hineinzuregieren. Dann sind Sie diejenigen, die uns Vorwürfe machen. Das haben wir in den letzten Monaten mehrmals erlebt.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann Sie darüber informieren - aber Sie wissen das natürlich, weil Sie mit Sicherheit sämtliche Vorgänge und Abläufe vor Ort kennen -, dass beispielsweise ein Mitarbeiter aus meiner Gewerbeaufsichtsverwaltung am Dienstag vor Ort war und Hilfe angeboten hat.

(Adam [SPD]: Hört, hört!)

Sie wissen wahrscheinlich auch, dass auch auf Bitten des Gesundheitsamtes des Landkreises das

Landesgesundheitsamt seit spätestens Mittwoch in alle Beratungen einbezogen war.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das reicht doch nicht!)

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Hier den Eindruck zu erwecken, als seien die Landesbehörden abgetaucht, ist rundherum falsch. Wir haben Beratung angeboten, haben Materalien zur Verfügung gestellt und haben dazu beigetragen, dass der Sachverstand des Landes vor Ort vorhanden war.

(Zuruf von Frau Körtner [CDU])

Nun passiert eine Sache, die hochproblematisch ist, und diese möchte ich einmal benennen. Sie können feststellen, dass der Ablauf bis Mittwoch relativ geregelt war und die Feuerwehr mit allen anderen Beteiligten - übrigens unter Ausklammerung der Landes- und Kommunalbehörden - Mittwochmittag festgestellt hat, dass jetzt das Unfallgeschehen abgearbeitet und nichts mehr zu machen sei.

(Frau Körnter [CDU]: Unglaublich! Bis zum heutigen Tag liegen noch nicht die Bodenproben vor!)

Das Problem ist, dass erst anschließend Einzelne aus nachvollziehbaren Gründen zum Arzt gegangen sind und dass von Mittwochmittag bis Freitagmittag - das war meine Einschätzung, als ich Freitag kam -, obwohl sich der eigentliche Vorfall reduziert hatte, die Schadstoffe ihre Gefährdungspotentiale abgebaut hatten - das ist so bei dem Stoff, über den wir reden -, sodass jetzt mögliche Folgewirkungen - ich sage das bewusst im Konjunktiv - erkennbar werden konnten. Dann ist Folgendes passiert: Die Gesundheitsbehörden haben unter dem Gesichtspunkt der Vorsorge dafür gesorgt, dass möglichst viele zum Arzt gehen, um zu gewährleisten, dass man auf jeden Fall keine Dauergesundheitsbelastungen bekommt.

Was Sie machen, ist, aus der ungeklärten Situation der Folgen und der Durchsetzung des Vorsorgeprinzips heraus zu konstruieren, als gäbe es riesige Gefährdungen. Das ist wirklich problematisch. Durch Sie wird in Zukunft eine vorsorgende Politik schwieriger; das sage ich Ihnen. Es ist nämlich Folgendes passiert: Es ist umfassend gemessen und festgestellt worden, dass keine konkreten Gefährdungsdaten vorhanden sind. Gleichwohl haben wir aus Vorsorgegründen geraten, zum Arzt zu gehen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Es ist un- glaublich! - Was ist in der Hamel pas- siert?)

Das war die Situation. Richtig ist, dass es bei den Arbeitern dort augenscheinlich Probleme gegeben hat. Richtig ist, dass es in der Hamel ein Fischsterben gegeben hat. Das ist überhaupt keine Frage. Das ist sofort festgestellt und hinsichtlich der Folgen beschrieben worden. Wir wissen heute, dass die Schadstoffe dort zerfallen sind. Es wird dauern, bis sich eine Fischpopulation wieder aufbaut; das ist überhaupt keine Frage. Sie wissen natürlich auch, dass noch Bodenuntersuchungen stattfinden und dass es eher darum geht, das jetzt abzusaugen, als den Boden dort abzutragen. Das alles sind Bearbeitungen, die im Nachgang zu vollziehen sind, und zwar genauso wie die langfristigen Beobachtungen der Personen, die dort unmittelbar im Einsatzgeschehen tätig waren.

Den Eindruck, dass sich möglicherweise in der ersten Stunde kein Optimum im Verfahren hinsichtlich der Information ergeben hat, kann man haben; dies wird ja durch die Staatsanwaltschaft gegenwärtig verfolgt. Dann werden wir sehen, welches Verhalten der Bahn vorliegt. Ich räume ein, dass ich dazu kritische Anmerkungen gemacht habe. Am Freitag war ich in Bad Münder. Ich sage Ihnen, was geschehen ist. Wir haben - der Ministerpräsident und andere - seit Donnerstagabend einige Schreiben des Inhalts erhalten, dass sich die Lage dort dramatisiert. Das war der Grund für uns, zu intervenieren. Ich hatte am Freitagmittag den Eindruck, dass es, anstatt sich vorrangig und ausschließlich um die Sache zu kümmern, Kompetenzprobleme und Zuständigkeitsdefizite zwischen der Bahn und dem Eisenbahnbundesamt auf der einen Seite und dem Landkreis auf der anderen Seite gegeben hat.

Herr Minister, ich war schon sehr großzügig, aber Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Diese sind zügig aus der Welt geschafft worden. Probleme gab und gibt es. Diese werden zu klären sein. Die Art und Weise, wie das hier zum Landespolitikum gemacht werden soll, ist eher peinlich.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Ich möchte für alle Beteiligten sagen - ich weiß nicht, was zu machen ist -, dass die Tontechnik grausam ist.

(Frau Harms [GRÜNE]: Lieber ab- schalten!)

Man kann das eigene Wort kaum verstehen. Es klingelt auch ungeheuerlich. Ich bitte darum, dass sich in der Mittagspause ein Techniker einmal ansieht, was man verbessern kann. Das ist im Übrigen auch ein Argument dafür, dass wir hier etwas Neues machen müssen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Ich würde es wieder gerne ohne Mikrofon versuchen, wenn das geht.

Die Journalisten haben in den Presseräumen natürlich ein Interesse daran, die Reden zu hören. Wir können es ja einmal versuchen. Im Fernsehen waren Sie laut genug. Ich weiß aber nicht, ob es uns hier gelingt.

Ohne Mikrofon wäre es wahrscheinlich hilfreicher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was sich jetzt hier abspielt, hat natürlich - das müssen wir miteinander einräumen - zwei Seiten. Es hat die Seite der Sachklärung, aber es ist natürlich auch eine politische Debatte. Ich finde das, was Sie, Herr Schünemann, gemacht haben, in der Tat verwerflich.

(Möllring [CDU]: Was?)

Ich sage Ihnen auch, was ich glaube, wo die eigentlichen Probleme liegen.

Erstens. Wir haben in Deutschland alle Zuständigkeiten geregelt, und zwar auch für einen solchen Fall. Außerhalb des Katastrophenschutzes ist die Feuerwehr für die Brandbekämpfung nach dem Brandschutzgesetz zuständig. Wird der Katastrophenfall ausgerufen, ist der Oberkreisdirektor oder der Landrat - je nachdem - Leiter des Katastrophenschutzstabes. Und für die Umweltnachsorge auf den Bahngleisen ist die Bahn AG zuständig.

Das Problem ist doch, meine Damen und Herren, dass diese Regelungen in der Praxis nicht funktioniert haben. Das müssen wir doch miteinander festhalten. Es ist doch nicht so - -

(Zuruf von Frau Körtner [CDU])

- Jetzt reden Sie doch nicht ständig dazwischen. Ich versuche, weil die Leute dort Angst haben, in der Sache etwas zu klären.

(Beifall bei der SPD)