Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat zur heutigen Sitzung diesen Entschließungsantrag eingebracht. Man will die Einstufung als Weltnaturerbe.
Eines vorweg: In der Tat ist das Wattenmeer eine einzigartige Landschaft, die durch Ebbe und Flut geschaffen wurde und für die es auf dieser Erde nichts Vergleichbares gibt. Sicherlich sind wir alle einer Meinung, dass dieses Wattenmeer schützenswert ist. Dennoch habe ich gegen den Antrag auf offizielle Ausweisung als Weltnaturerbe Bedenken.
Es geht hier nämlich nicht nur um ein Stück Erde, das durch die UNESCO besonderen Schutz erfahren soll, sondern auch darum, dass in dieser Region viele tausend Menschen leben und arbeiten - nicht gegen, sondern im und mit dem Wattenmeer. Meine Befürchtung ist, dass die Interessen dieser Menschen an der Küste und auf den Inseln wieder einmal zu wenig Berücksichtigung in den Planungen des Ministeriums finden.
Diese Befürchtung nährt sich vor allem durch das Verhalten des Ministeriums selbst. So soll nach den trilateralen Vereinbarungen zwischen Deutschland, den Niederlanden und Dänemark angestrebt werden, die Diskussionen und Abwägungen in dieser Frage bis zum Oktober 2003 zu beenden. Für Niedersachsen ist aber die Marschrichtung angegeben worden, dass die Diskussion bis zum 28. Oktober 2002 beendet werden soll. Oder hat es seitens des Umweltministeriums hier einen Übertragungsfehler gegeben?
Wundern würde es mich nicht, denn schließlich gab es bei der Diskussion über das Nationalparkgesetz gewisse Abstimmungsschwierigkeiten in Jüttners Ministerium. Warum wurde die Frist auf Oktober 2002 - ein Jahr früher, als auf der trilateralen Konferenz beschlossen worden war - festgelegt, und warum nehmen Sie sich nicht die Zeit, den Menschen zuzuhören, ihre Sorgen, Nöte und Ängste ernst zu nehmen und wirklich zu berücksichtigen? Ich kann mir denken, weshalb: Anfang Februar 2003 sind in Niedersachsen Landtagswahlen, und Sie möchten das Thema gerne vom Tisch haben, wenn Sie die Regierungsgeschäfte nach der verlorenen Wahl in die guten Hände der CDU abgeben werden.
Aber das ist kein wirklich guter Grund, Herr Jüttner. Im Gegenteil: Mir erscheint es höchst riskant, die gegebene Zeit nicht zu nutzen und stattdessen eine Entscheidung übers Knie zu brechen.
Mit dem Thema Weltnaturerbe befassen sich derzeit auch die zuständigen Gremien - passen Sie nun gut auf - auf den Ostfriesischen Inseln, die wieder einmal Hauptbetroffene sind. So auch der Verwaltungsausschuss der Stadt Borkum, der sich mit einem umfassenden Fragen- und Forderungskatalog direkt an den Umweltminister Jüttner gewandt hat.
Die Argumentation der Stadt Borkum ist aus meiner Sicht sehr schlüssig und sollte nicht einfach beiseite gefegt werden. Die Stadt Borkum bemän
gelt insbesondere, dass es bislang für das Projekt weder auf Borkum noch auf den anderen Inseln Informationsveranstaltungen gegeben hat.
Dabei sieht doch die UNESCO-Konvention ausdrücklich eine umfassende Beteiligung der Betroffenen vor Ort vor, und zwar bevor ein Gebiet als Weltnaturerbe ausgewiesen wird. Die Stadt Borkum hat deshalb Umweltminister Jüttner gebeten, in einer öffentlichen Informationsveranstaltung auf Borkum die Gesamtproblematik und alle geschilderten Aspekte mit der Möglichkeit einer breiten Beteiligung der örtlichen Bevölkerung und der gesellschaftlich relevanten Gruppen zu erläutern. Aber das ist bislang noch gar nicht vorgesehen!
Der Umweltminister wird in der regionalen Presse folgendermaßen zitiert - nun hören Sie einmal, was unsere Presse berichtet -:
„Mit einer Prädikatisierung seien keine weiteren touristischen Einschränkungen verbunden, da mit den vorhandenen Schutzgebietsausweisungen alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Es seien sogar Nutzungsentwicklungen möglich, wenn sie mit dem Geist des Weltnaturerbes in Einklang stehen.“
Genau das, Herr Minister Jüttner, sollten Sie nicht nur den Zeitungsvertretern sagen, sondern den Menschen vor Ort, aber es ihnen nicht nur sagen, sondern es ihnen auch garantieren!
Zuletzt befassten sich die Wattenmeerländer Dänemark, die Niederlande und Deutschland auf einer trilateralen Regierungskonferenz am 31. Oktober 2001 mit dem Thema. Bis dahin hieß es, dass nur eine Prädikatisierung des gesamten Wettenmeerraumes in den drei Staaten möglich ist. Bei dieser Konferenz vereinbarten die Staatssekretäre und Minister jedoch, dass künftig auch ein Teil des gemeinsamen Wattenmeergebietes unter Berücksichtigung der natürlichen und kulturhistorischen Werte des Gebietes als Weltnaturerbestätte möglich ist.
- Von wegen! - Die Tatsache, dass künftig auch Teilgebiete des Wattenmeerraumes infrage kommen, weist explizit auf unterschiedliche Auffassungen zwischen Dänemark, Deutschland und den Niederlanden hin. Außerdem scheint Niedersachsen - wie einst bei der Einbeziehung der Inseln in den Nationalpark - erneut die Speerspitze bilden zu wollen. Vor dem, was Sie schon damals vorgeführt haben, kann ich nur warnen.
- Frau Somfleth, es geht auch um die unterschiedlichen Meinungen der Länder innerhalb der Bundesrepublik. Auch Schleswig-Holstein - übrigens auch sozialdemokratisch regiert - ist alles andere als der Meinung, dass der Antrag auf Anerkennung als Weltnaturerbe auf Biegen und Brechen durchgepaukt werden sollte. Dort hat der Minister für Umwelt, Natur und Forsten zugesichert, dass die Nominierung als Weltnaturerbe von der Meinung der Bevölkerung vor Ort abhängt. Außerdem hat er zugesichert, dass er sich gegebenenfalls für eine längere Diskussionszeit als bis zum Oktober 2003 einsetzen werde, falls die Zeit bis dahin nicht ausreicht, um alle Probleme und Fragen zu klären. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran, meine Damen und Herren, und Sie auch, Herr Minister Jüttner!
Nach Meinung des Niedersächsischen Umweltministeriums erfüllt der gesamte Wattenmeerraum fachlich und qualitativ alle Voraussetzungen für eine Anerkennung durch die UNESCO. Die Bedingungen könnten gehalten werden. Dies werde durch eine Machbarkeitsstudie - Sie haben sie vorhin schon angeschnitten - festgestellt, die vor zwei Jahren für den Wattenmeerraum erstellt worden ist.
Aber das war vor zwei Jahren. Seither hat es weitere Entwicklungen gegeben, die überhaupt nicht berücksichtigt wurden. Die Machbarkeitsstudie ist längst überholt, Frau Somfleth. Vor zwei Jahren gab es z. B. das längst nicht ausgereifte Thema der großindustriellen Offshore- und Nearshore-Windenergienutzung überhaupt noch nicht. Die Auswirkungen auf den Vogelzug und das Wattenmeer sind noch nicht begutachtet worden. Auch die zu ziehenden Konsequenzen für eine erhöhte Gefährdung des Wattenmeergebietes durch Schiffshavarien sind nicht gezogen. Ebenfalls wurde nicht
bewertet, dass für die Ableitung der Energie - das haben Sie ja selber letztens zugegeben - die Schutzgebiete und die Inseln in großtechnischem Maß vielfach durchquert werden müssen. Das ist in dieser Machbarkeitsstudie überhaupt nicht berücksichtigt.
Abgesehen davon: Nehmen wir einmal an, der Umweltminister setzt sich durch, und das Wattenmeer wird ohne größere weitere Prüfung zum Weltnaturerbe. Nach Aufnahme eines Gebietes wäre Niedersachsen verpflichtet, in Abständen von sechs Jahren über den Zustand des Gebietes zu berichten,
damit festgestellt werden kann, ob die Bedingungen für die Anerkennung als Weltnaturerbe überhaupt weiterhin erfüllt sind. Was ist, wenn sie dann nicht mehr erfüllt sind? - Dann würde der Titel aberkannt. Das möchte ich nicht. Ich betone hier ausdrücklich: Das hätte dann negative Konsequenzen für den Tourismus.
Um die Inselbewohner und -gemeinden zu beruhigen, hat Umweltminister Jüttner erklärt, dass es durch die Anerkennung keine weiteren rechtlichen Konsequenzen, keine Eingriffe in die Eigentumsrechte, keine neuen Auflagen und keine Einschränkungen geben wird.
Meine Damen und Herren, wir reden über die Ausweisung als Weltnaturerbe und wissen noch nicht einmal
- hören Sie zu, damit Sie wissen, was sich derzeit auf den Inseln zuträgt -, ob das neue Nationalparkgesetz überhaupt rechtens ist
und nicht wie das alte ebenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. - Herr Inselmann, Sie wissen, am 30. Juli 2002 haben drei Inseln beim Staatsgerichtshof erneut Verfassungsbeschwerde gegen das Nationalparkgesetz eingelegt.
Sie befürchten weitere Einschränkungen. Ihre Befürchtung ist begründet. Ich möchte einige Punkte aufzählen. So wurde erst in diesen Tagen bekannt, dass die Nationalparkverwaltung an Vorschlägen zur Änderung der Befahrensregelung des Bundes für den Nationalpark arbeitet.
Darin sind weitere drastische Einschränkungen für Wassersport und Schifffahrt vorgesehen. Insoweit ist fraglich, ob die Aussage von Umweltminister Jüttner stimmt, es gebe keine weiteren Einschränkungen. Auch in der Zwischenzone des Nationalparkes, z. B. im ganzen Borkumer Rückseitenwatt, wo die Wattwanderungen stattfinden, soll ein weiteres Robben- und Vogelschutzgebiet eingerichtet werden.
Ich kann mich daher nur der Forderung der Stadt Borkum anschließen, die vor einer Anmeldung des Wattenmeerschutzgebietes als Weltnaturerbe einen Acht-Punkte-Fragenkatalog beantwortet wissen möchte.
- Sie meinen, das ist erledigt? Wenn Sie meinen, dass der Umweltminister Jüttner diese acht Fragen beantwortet hat, dann liegen Sie falsch. Ich habe die Antwort nämlich gelesen. Ein solches Wischiwaschi hätte jeder antworten können. Von den acht Fragen ist keine einzige Frage beantwortet worden.