Protocol of the Session on August 30, 2002

Die gesetzlichen Grundlagen sind aber längst vorhanden und müssen nicht erst zusätzlich gefordert werden. Eine bloße Verdachtsausweisung wird und darf es in Deutschland nicht geben. Spätestens das Bundesverfassungsgericht wird das zu verhin

dern wissen. Ich darf aus der Süddeutschen Zeitung vom 19. Juli zitieren:

„Beckstein lässt sich nicht vom Bundesverfassungsgericht beeindrucken, das soeben deutlich darauf hingewiesen hat, dass der Grundrechtsschutz auch für Ausländer gilt.“

Meine Kolleginnen und Kollegen von der CDUFraktion, gilt das auch für Sie? - Sie sollten Ihre Position noch einmal überdenken.

Die CDU-Fraktion sagt, dass die Landesregierung bisher keinen Gesetzentwurf zur landesrechtlichen Umsetzung des im Januar 2002 in Kraft getretenen Terrorismusbekämpfungsgesetzes vorgelegt hat. Sie verschweigt, dass eine solche Umsetzung - in den vorhergehenden Reden ist darauf hingewiesen worden - bisher auch in den anderen Bundesländern nicht geschehen ist. Sie wissen - der Minister hat darauf hingewiesen -, dass daran gearbeitet wird. Sie wissen, dass wir gerade mit unserem Gefahrenabwehrgesetz längst eine ganze Reihe von Instrumentarien für eine wirksame Bekämpfung zur Verfügung gestellt haben. Sie wissen, dass wir allein aus diesem Grunde nicht hektisch an neuen Gesetzen basteln müssen.

Gleiches gilt für den Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist bei uns aus guten Gründen Aufgabe der Polizei und nicht des Verfassungsschutzes. Ab und zu sollten Altvordere auch einmal auf ihre Jugendorganisationen hören. Ich zitiere aus einer Presseerklärung der Jungen Union vom 13. Dezember 2001. - Herr Busemann, ich weiß nicht, ob Sie diese Erklärung kennen. Die Junge Union steht Ihnen ein bisschen näher als mir. - Die Junge Union schreibt am 13. Dezember 2001:

„Die Junge Union Niedersachsen hat in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus für eine ausgewogene Strategie plädiert. Notwendig seien sowohl rechtsstaatliche Mittel gegen gewalttätige Extremisten als auch ein größeres Bemühen um eine Verständigung mit dem Islam als Religion und Kulturkreis von Millionen in Deutschland Lebenden.“

(Beifall bei der CDU - Biallas [CDU]: Besser kann man es nicht sagen!)

Meine Damen und Herren, wenn Sie das von Ihrer Jungen Union hören, sollten Sie darauf Ihre eigenen Anträge in diesem Plenum noch einmal durchlesen.

(Beifall bei der SPD - Biallas [CDU]: Wissen Sie eigentlich, dass McAl- lister noch in der Jungen Union ist?)

- Schade für die Junge Union.

(Heiterkeit bei der SPD)

Die Presseerklärung hat zwei Schwerpunkte, welche ich deutlich machen möchte. Terrorismusbekämpfung hat im Rahmen des Rechtsstaates mit rechtsstaatlichen Mitteln zu erfolgen. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wenn es eine Selbstverständlichkeit ist, frage ich mich, warum Sie derartige Anträge stellen.

Meine Damen und Herren, mir drängt sich noch eine Frage auf. Nach Ihren heutigen Anträgen soll die Religionszugehörigkeit im Ausländerzentralregister erfasst werden. Was ist der nächste Schritt, meine Damen und Herren? - Ich habe wahrlich Angst, wenn ich darüber nachdenke.

(Beifall bei der SPD - Biallas [CDU]: Welches ist denn der nächste Schritt?)

Nehmen wir jetzt einmal Ihr so genanntes Sicherheitspaket III. Die Stichworte „Verdachtsausweisung“ und „Ausländerzentralregister“ habe ich schon genannt. Sämtliche Forderungen, die Sie hier stellen, stammen - das wissen Sie - aus einem Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion vom 13. Dezember 2001 zum Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes. Diese Forderungen sind damals aus gutem Grunde sprichwörtlich beerdigt worden. Das, was Sie in Berlin nicht durchgekriegt haben, versuchen Sie uns nun hier durch die Hintertür als Ihre neue herausragende Idee unterzujubeln. Sie wollen den Leuten - diesen Vorwurf mache ich Ihnen - ohne jeden sachlichen Grund allein aus wahltaktischen Gründen eine innere Unsicherheit einreden. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD)

In dem Entschließungsantrag findet sich nach meiner Überzeugung auch ein schwerer handwerklicher Fehler. Warum sollten wir die Befugnis des Landesamtes für Verfassungsschutz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität erweitern, wenn die Bekämpfung der organisierten Kriminalität bei uns in Niedersachsen doch aus gutem

Grund Aufgabe der Polizei und der Staatsanwaltschaften ist? Wir halten nichts von Doppelzuständigkeiten.

(Zuruf von der CDU: Das ist doch keine Doppelzuständigkeit! Der Ver- fassungsschutz hat doch ganz andere Möglichkeiten! Das wissen Sie!)

Wie oft müssen wir Ihnen eigentlich noch erzählen, dass das, was in Bayern passiert und was Sie hier abgeschrieben haben, kein Vorbild für Niedersachsen ist?

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Kollege Biallas und auch Kollege Schünemann haben nicht Unrecht, wenn sie sagen, in einigen Punkten bestehe zwischen uns Konsens, und über diese Punkte könnten wir in den Ausschüssen sachlich diskutieren. In der Grundfrage befinden Sie sich unserer Meinung nach aber auf einem innenpolitischen Crashkurs, der nicht zum Vorteil des Landes, der nicht zum Vorteil der Menschen in diesem Lande ist. Ich bin übrigens auch sehr dankbar für Ihren Antrag betreffend Stärkung der europäischen Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung. Am 21. August forderte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende die Bundesregierung auf, tätig zu werden. Vielen Dank für diesen Appell. Wir werden nach dem 22. September daran weiterarbeiten, Sie auf dieser Seite, wir in der Regierungsverantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Damit alle drei Anträge in dem gebotenen Zusammenhang besprochen werden können, beantrage ich für meine Fraktion, dem Innenausschuss ebenfalls die Federführung bei der Beratung des Antrags betreffend Stärkung der europäischen Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung zu übertragen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Adam, ich danke Ihnen für die Vorlesung.

(Zuruf von der SPD: Das war eine gute Vorlesung!)

Das Wort hat nun der Herr Innenminister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte noch einige wenige Bemerkungen zu dem, was Herr Schünemann zum Ausdruck gebracht hat. Herr Schünemann, Ihrer Bemerkung, wir müssten alles tun, damit sich eine solche Wahnsinnstat wie am 11. September nicht wiederholt, kann ich nur nachdrücklich zustimmen. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass wir mit noch so vielen polizeilichen und gesetzlichen Maßnahmen Wahnsinnstaten nicht verhindern werden. Ich darf einmal an das furchtbare Verbrechen erinnern, das sich in Erfurt abgespielt hat. Sie werden nie sagen können, dass so etwas nicht wieder passiert. Man kann sich allenfalls darum bemühen, dass es nicht wieder passiert. Was unterhalb der Schwelle von polizeilichen und gesetzlichen Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg getan werden kann, ist etwas ganz anderes. Man kann z. B. Informationen über problematische Entwicklungen bei jungen Leuten zueinander bringen. Es darf in dieser Hinsicht kein Spartendenken geben. Vielmehr muss eine Vernetzung erfolgen. Auf diese Weise können Sie Informationen gewinnen, um auch handeln zu können. Ich will Ihnen damit nur ein Argument dafür bieten, nicht immer sofort nach gesetzlichen und polizeilichen Maßnahmen zu rufen. Vielmehr sollte der Blick auch darauf gerichtet werden, wie die gesellschaftliche Entwicklung zu beeinflussen ist.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich möchte nun noch auf einige Dinge eingehen, bei denen ich wirklich der Meinung bin, dass Sie falsch liegen. Vor kurzem hatte ich zu Hause einmal das Vergnügen fernzusehen. In der betreffenden Sendung haben Herr Schily und Herr Beckstein mit anderen diskutiert. Dabei hat Herr Schily Herrn Beckstein genau den Tatbestand, den Sie hier eben kritisiert haben, klar gemacht. Herr Beckstein musste das auch akzeptieren. Wir haben im Ausländergesetz - so wörtlich - die Bestimmung: Wenn Tatsachen belegen, dass jemand Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist oder diese unterstützt, kann er ausgewiesen werden. - Es bedarf also nicht dieser Forderung. Das hat Herr Adam Ihnen eben auch schon gesagt.

(Adam [SPD]: Das wissen die doch auch!)

Insoweit ist das nicht ganz richtig, was Sie gesagt haben.

Zu Ihrer Forderung zum Verfassungsschutzgesetz hat Herr Adam auch schon Stellung genommen. Die einzigen Länder, die bisher entsprechend gehandelt haben, sind Thüringen und Hessen, weil sie darauf verzichtet haben, umfassender zu novellieren. Wir wollen das aber umfassend und sorgfältig regeln.

Die Behauptung, es habe kein Vereinsverbot gegeben, ist schlicht falsch. Die Vereinigung Kalifatsstaat ist verboten worden. Wenn die Türkei dabei bleibt, dass die Todesstrafe abgeschafft ist, kann Kaplan abgeschoben werden, und das wird auch passieren. Insoweit ist das, was Sie gesagt haben, nicht richtig. Wir sind z. B. mit Bayern dabei zu prüfen, ob Milli Görüs verbotswürdig ist. Wir finden aber keinen Aufhänger, um mit Aussicht auf Erfolg ein Verbot aussprechen zu können. Bei allen Diskussionen über solche Fragen sollte man eine sorgfältige Prüfung vornehmen, sich aber nicht mit Vorwürfen überziehen, die einfach nicht gerechtfertigt sind.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Stokar von Neuforn hat bis zu zwei Minuten zusätzliche Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal ist eine Auseinandersetzung im Detail auch sportlich. Herr Innenminister, ich muss Ihnen leider sagen, dass auch Sie das Gesetz falsch zitiert haben. Die Grünen wollten die „konkreten Tatsachen“ als hohe Hürde darin festschreiben. Man hat sich dann auf „konkrete Anhaltspunkte“ geeinigt. Das ist noch etwas niedriger angesetzt. In diesem Punkt hat sich Herr Schily durchgesetzt. Die CDU wird das aber eines Tages auch verstehen, meine Damen und Herren.

(Plaue [SPD]: Lesen Sie einmal vor, was darin steht!)

- Ich habe nur zwei Minuten.

Der nächste Punkt dieser Auseinandersetzung ist das Werben für eine terroristischen Vereinigung. Wir haben einen guten Anwalt, nämlich den Bundesanwalt Nehm. Was - das war seine Fragestellung - soll der Begriff des Werbens, wenn es in 20 Jahren nicht gelungen ist, ihn zu definieren? - Es

hat noch nie eine Verurteilung wegen Werbens gegeben. Man hat diesen Begriff bei der Novellierung und bei der Ausweitung auf ausländische terroristische Vereinigungen herausgenommen, weil er nicht praktikabel und ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, mit dem in der Realität niemand etwas anfangen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte zu gerne noch einen Punkt ansprechen: Sie verlangen in Ihrem Antrag, dass sich jeder Ausländer, der aus diesen 22 Problemstaaten zu einem Kurzbesuch nach Deutschland kommt, generell einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat.

(Möllring [CDU]: Richtig!)

Wissen Sie, was das für die internationale Autoausstellung in Hannover bedeuten würde? - Jeder Messeaussteller und jeder Messebesucher wird auf dem Flughafen in Hannover erkennungsdienstlich behandelt. Das macht unseren Rechtsstaat nicht sicher.

(Biallas [CDU]: Das ist in Amerika gang und gäbe! - Gegenruf von Plaue [SPD]: Was ist in Amerika gang und gäbe? - Unruhe - Glocke des Präsi- denten)

Das macht unseren Rechtsstaat kaputt, meine Damen und Herren. So können wir nicht mit einem internationalen Messestandort umgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)