Protocol of the Session on August 29, 2002

(Zustimmung bei der SPD)

Deshalb geht unser Blick zu den Schulsystemen der Siegerländer Schweden, Finnland, Norwegen, Kanada oder auch Neuseeland und Schottland. Wir haben uns allerdings genau angesehen, was diese erfolgreicheren Ländern anders machen als wir in Deutschland und was auf unsere Bedingungen in Niedersachsen übertragbar ist. Die wichtigste Erkenntnis lautet: In den leistungsstarken PISALändern steht jedes einzelne Kind im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit. Kein Kind wird einfach weggeschickt nach dem Motto: Du bist auf der falschen Schule. Nein, jedes Kind wird individuell betrachtet und gefördert. Und deshalb gibt es in diesen Ländern für jedes Kind ein Lerntagebuch und individuelle Förderpläne.

(Busemann [CDU]: Da ist nichts mehr individuell!)

Regelmäßige Lernstandsanalysen sorgen zusätzlich dafür, dass die Kinder dort abgeholt werden, wo sie beim Lernen gerade stehen. Auf den Schülerund Elternsprechtagen bekommen dann alle Beteiligten das notwendige Feedback, und es wird dann über die weitere Förderung des Kindes und die Forderungen an das Kind gesprochen.

Wenn man sich dieses Verfahren anschaut, dann wird klar, dass Wissen und Bildung nicht etwa eine Art spaßorientiertes Konsumgut wie Fernsehen oder Heidepark ist, sondern dass das mit Anstrengungen nach dem alten Motto „Ohne Fleiß kein Preis“ verbunden ist. Es führt auch dazu, dass alle Eltern, Kinder und Lehrkräfte am gleichen Strang ziehen, um jedes Kind zu fördern.

(Dr. Domröse [SPD]: Und das auch in die gleiche Richtung!)

Bei diesem Konzept der individuellen Förderung ist es auch selbstverständlich, dass vor allem für Migrantenkinder spezielle Sprachfördermaßnahmen angeboten werden, damit die Integration besser funktioniert und die Kinder nicht etwa wegen mangelnder Sprachkenntnisse in den Bildungschancen benachteiligt werden.

Vieles von diesen Dingen haben wir von der SPDFraktion vor der Sommerpause mit unserem neuen Schulgesetz schon beschlossen!

(Busemann [CDU]: Gar nichts!)

Ich nenne nur die Sprachförderung. - Herr Busemann hat offensichtlich niemals zugehört und hat dieses Schulgesetz noch nicht einmal gelesen.

(Busemann [CDU]: Ich kann noch nicht einmal lesen!)

In diesem Zusammenhang nenne ich auch die individuellen Förderpläne. Leider wurde das alles von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, abgelehnt. Es zeigt sich aber, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind. Schon während der Debatten zur Schulgesetznovelle haben wir angekündigt, dass dies nur ein erster Schritt ist und dass weitere Schritte folgen müssen, um die Qualität unserer Schulen weiterzuentwickeln.

Der Vergleich mit den PISA-Ländern bestätigt uns in unserem Vorhaben. Die Siegerländer haben neben der verstärkten individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler und der größeren Chancengleichheit auch für Kinder aus bildungsferneren

Schichten zwei weitere gemeinsame Unterschiede zu unserem System:

Erstens. Die Schulen dort sind viel selbständiger und haben mehr Gestaltungsfreiheit. Sie sind längst nicht so stark durch Erlasse oder Verordnungen in ihrem pädagogischen Handeln eingeschränkt. Statt unserer umfangreichen Rahmenrichtlinien gibt es dort Mindeststandards.

Zweitens. Die Ergebnisse des schulischen Handelns werden stärker durch Qualitätssicherung, Leistungsorientierung und Vergleichsarbeiten kontrolliert. Jede Schule ist für die Ergebnisse ihrer Arbeit auch der Öffentlichkeit gegenüber verantwortlich. Da diese anderen Prinzipien einer selbständigeren Schule ganz offensichtlich ursächlich für die größere Leistungsfähigkeit sind, wollen wir diese Veränderung hin zu einer selbständigeren Schule in der nächsten Legislaturperiode in Angriff nehmen.

(Zuruf von der CDU: Gott sei Dank!)

Unser Entschließungsantrag eröffnet diese vor uns liegende Debatte, denn natürlich muss es dazu eine umfassende Debatte geben.

Wir fordern in unserem Entschließungsantrag die Landesregierung auf:

Erstens. Sie soll ein Konzept zur Qualitätssicherung und Entwicklung vorlegen, das sowohl die Schulen zur Entwicklung eines Schulprogramms verpflichtet als auch regelmäßige, äußere und interne Evolution vorsieht. Dazu gehört dann auch, dass jedes Kind am Ende der Schullaufbahn eine Abschlussprüfung macht. Um die größere Transparenz und Vergleichbarkeit dieser Abschlussprüfungen zu erreichen, sollen diese Abschlussprüfungen sowohl zentrale Elemente als auch natürlich schulspezifische Prüfungsanteile enthalten. Das ist übrigens in allen Ländern beim Zentralabitur auch der Fall. Wenn wir das nicht machen würden, d. h. wenn wir nur zentrale Elemente hätten, würde das Prinzip der selbständigeren Schule natürlich gar keinen Sinn machen.

Zweitens. Wir wollen, dass diese selbständigere Schule Schritt für Schritt realisiert wird.

Wie bereits gesagt, zeigen die PISA-Länder, dass dieses Konzept erfolgreich ist. Allerdings sind vorher noch Antworten auf mehrere Fragen zu finden.

Erstens. Wenn die selbständigere Schule weitgehende Kompetenzen bei der Budget- und Personalverwaltung bekommt, wie sind dann eigentlich die Gremienstrukturen zu verändern, und welche Entscheidungskompetenzen bekommt wer?

Zweitens. Welche Rolle spielt z. B. die Schulleitung? Muss sie zur Dienstvorgesetzten werden oder nicht?

Drittens. Wie muss eigentlich ein effektives Unterstützungssystem aussehen, das auf die jeweiligen Beratungs- und Fortbildungsbedürfnisse der jeweiligen Schule eingehen kann? Denn natürlich werden wir unsere Schulen bei einem so wichtigen Erneuerungsprozess und ständigen Verbesserungsprozess nicht allein lassen.

Viertens. Wie können Eltern, Schülerinnen und Schüler als gleichwertige Partnerinnen und Partner am Prozess der selbständigen Schule teilnehmen? Wie können auch Vertreterinnen und Vertreter der Region stärker beratend und unterstützend eingebunden werden?

Fünftens. Welche Aufgaben entfallen zukünftig auf das Kultusministerium, auf die Schulabteilungen der Bezirksregierungen und auf das NLI?

Ich halte das für spannende Fragen, die wir in den nächsten Wochen und Monaten im Ausschuss und - das ist für uns selbstverständlich - mit allen Beteiligten diskutieren müssen. Darüber müssen wir selbstverständlich auch mit den Hochschulen diskutieren; denn eine veränderte Schule braucht auch eine veränderte Lehreraus- und -fortbildung.

Warum Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, alle diese Vorschläge einfach nur rundum ablehnen, anstatt sich in diesen Prozess der Weiterentwicklung unserer Schulen einzubringen, ist mir, ehrlich gesagt, völlig unverständlich und ist nur mit Wahlkampftaktik zu begründen. Ich hoffe, dass das nach den Wahlen endlich aufhört. Ich jedenfalls freue mich auf die zukünftige - -

(Zuruf von Busemann [CDU])

- Ich finde, Ihre unqualifizierten Zwischenrufe sollten Sie unterlassen und sich zu Wort melden.

(Zustimmung bei der SPD - Jahn [CDU]: Nein, das war ein qualifizier- ter!)

Ich jedenfalls freue mich auf die zukünftige Diskussion um den richtigen Weg zu mehr Qualität.

Am Ende dieses Diskussionsprozesses werden wir nicht einfach nur ein neues Schulgesetz, sondern wirklich eine neue Schulverfassung konstituieren. Unser Ziel ist es dabei, jedem Kind unabhängig von seiner Herkunft die optimalen Entwicklungschancen zu bieten. Ich lade Sie alle zur Mitarbeit ein.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Klare!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist jetzt, glaube ich, sieben oder acht Wochen her, dass wir hier über das neue Schulgesetz gestritten haben.

(Meinhold [SPD]: Und dass wir ge- wonnen haben!)

Damals hieß es hier von diesem Mikrofon aus: Das ist der große Wurf, der unsere Schulen so richtig voranbringt. - Frau Ministerin hat hier noch am Schluss gesagt: Das ist ein wunderschöner Tag für Niedersachsen. - Das Gesetz ist noch gar nicht in Kraft, da kommt schon das Neue, das ja auch in Gesetzesfassung gebracht werden muss.

Frau Seeler, wenn Sie die optimale Förderung nicht mehr einfordern und das über Jahre gemacht haben: Sie sind seit zwölf Jahren an der Regierung. Wenn Sie jetzt diese Dinge neu entdecken, dann tut es mir Leid, und dann kann ich nur sagen: Armes Niedersachsen, wenn es eine solche Regierung hat!

(Zustimmung bei der CDU)

Im Moment wird die Debatte auf die kommunalen Schulträger verlagert. Dort gibt es zum Teil abenteuerliche Diskussionen, weil viele mit dem Gesetz im Moment noch gar nichts anfangen können. Kaum einer der Beteiligten kann logisch nachvollziehen, warum es einen riesigen organisatorischen und sächlichen Aufwand geben muss, um am Ende festzustellen, dass die Orientierungsstufe nur einen anderen Namen bekommen soll. Je mehr die Schulträger und die Eltern in die Thematik einsteigen, umso deutlicher merken sie, dass sie getäuscht werden. Die Orientierungsstufe wird eben nicht abgeschafft. Sie wird nur durch eine pädagogisch schlechtere Förderstufe ersetzt. Gymnasiale Schul

zweige sind gar nicht möglich - jedenfalls vom Gesetz her gibt es da nichts Neues -, obwohl die SPD etwas anderes versprochen hat. Der Verwaltungsaufwand für die Schulen wird größer. Der freie Elternwille wird eingeschränkt.

(Frau Seeler [SPD]: Sie reden zum falschen Tagesordnungspunkt!)

- Warten Sie mal! Ich komme noch darauf zu sprechen. Das muss man in einen Zusammenhang stellen, Frau Seeler. - Auch pädagogische Prinzipien werden über den Haufen geworfen, weil z. B. ein Kind mit Einser-Noten durch Losverfahren nicht im Gymnasium landet, sondern möglicherweise in der Hauptschule landet. Das versteht kein Mensch.

Meine Damen und Herren, das Gesetz ist noch nicht mal in Kraft getreten, da beginnen Sie die Diskussion. Ich muss das wiederholen. Es kommt wieder etwas Neues. Sie können keinem Menschen erklären, warum Sie das nicht zusammengebunden haben, was sinnvoll gewesen wäre.

(Zustimmung bei der CDU)

Diese Irrungen und Wirrungen, dieses Hin und Her, das es da gibt, haben doch mit einer verantwortlichen Schulpolitik nichts zu tun. Sie verunsichern zurzeit. Sie bringen durcheinander. In einer Zeit, in der Verlässlichkeit gebraucht wird, schaffen Sie Unsicherheit und schüren Panik.

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Das machen Sie, nicht wir!)

Ich werfe Ihnen vor, Frau Ministerin, dass Sie die reale Situation an den Schulen nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Ich habe das heute Morgen schon in einer Frage angesprochen. Die Leute verstehen Sie nicht mehr und wenden sich von dieser Schulpolitik ab. Sie können im Grunde gar nicht mehr vernünftig arbeiten. Das ist die Realität.

Meine Damen und Herren, Sie haben unter Zeitdruck das Schulgesetz durchgehauen.