Protocol of the Session on August 28, 2002

Die Vergleichsanalyse hat uns, wie gesagt, jetzt dazu gebracht, dass wir in der Kultusministerkonferenz - das werde ich im kommenden Oktober ansprechen - vor allem eines tun müssen: Wir müssen nationale Standards in den festgelegten Fächern haben, müssen vor allem einheitlich gestaltete Standards von der Grundschule bis in die Klassenstufen 6 bis 8 definieren.

Frau Litfin, Standards sind die Grundlage für Evaluationen. Das haben Sie offensichtlich nicht verstanden. Die Vergleichstests sind ebenfalls die Grundlage für dieses Qualitätskonzept. Das scheint irgendwo noch nicht ganz klar zu sein. Insofern stimmen wir inhaltlich auch nicht mit Ihrem Konzept überein. Es geht nicht nur um Freiheit, sondern es geht auch um die Qualitätssicherung durch den Staat und das Blicken auf die Ergebnisse, die mit dieser Freiheit erreicht werden. Beides muss zusammengehen.

(Beifall bei der SPD)

Die Landesregierung ist davon überzeugt, dass eine Steuerung im Bildungswesen, bei der Schulen weitgehende Selbständigkeit erhalten, nur dann möglich ist, wenn auch Standards gesetzt worden sind. Dies sollte, wie gesagt, in bestimmten Fächern bundeseinheitlich geschehen. Wir werden deshalb in der Kultusministerkonferenz vor allem fordern, dass Experten zur Definition von Standards in den Fächern hinzugezogen werden. Wir werden also die viel beschworene empirische Wende in der Bildungsforschung nutzen und die

Experten, die wir im nationalen Konsortium haben, bitten, bei dieser Definition von Standards zu helfen. Ich werde das als Initiative in die Kultusministerkonferenz einbringen. Ich bin auch der Meinung, dass wir eine wirklich nationale Kraftanstrengung brauchen und diese Standards sehr zügig erarbeiten müssen. Sie sollten am Ende des nächsten Jahres vorliegen und nicht weiter in die Zukunft verschoben werden.

Die CDU-geführten Länder haben offensichtlich so ähnlich wie Sie den Eindruck gewonnen, es reiche, wenn man jetzt die Rahmenrichtlinien ein bisschen kürze und den Schulen vielleicht auch ein bisschen mehr Freiheit gebe, obwohl das eigentlich in den CDU-geführten Ländern nicht das Hauptthema ist. Ich meine, dass wir uns der Mühe unterziehen müssen, festzulegen, welche Leistungen die Schülerinnen und Schüler in der jeweiligen Schulform und für die Abschlüsse erbringen müssen. Die müssen auch in aller Klarheit für Lehrkräfte, Schüler und Eltern beschrieben sein.

Wir haben ein gewaltiges Stück Arbeit vor uns, meine Damen und Herren, sowohl in Niedersachsen als auch bundesweit. Da müssen wir vor allem dafür sorgen, dass der Bildungsföderalismus das ausspielt, was er eigentlich können muss - das zeigt uns Kanada -, nämlich dass wir aus dem Wettbewerb heraus um gute Lösungen wetteifern. Ich finde, da kann sich Niedersachsen mit dem Konzept der selbständigen Schule und dem Konzept der Qualitätsmaßnahmen ausgesprochen sehen lassen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Busemann hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir unsere Landesregierung erst wieder in die bildungspolitische Wirklichkeit zurückholen.

(Beifall bei der CDU)

Bevor wir dann ab 2008 über mehr Eigenverantwortlichkeit und Autonomie an den Schulen und all diese Dinge reden, sollten wir erst einmal die Verhältnisse an den Schulen in Ordnung bringen, Frau Ministerin. Hier muss heute gehandelt werden, für 2002 und 2003, und nicht etwa für die Zeit

ab 2008. Man muss Ihnen auch immer wieder einmal sagen, wo wir denn eigentlich stehen.

Der PISA-Leistungsvergleich hat ergeben: Platz 10 und 11 von 14 Bundesländern, das ist Niedersachsen. In Bayern wird sogar ein ausländisches Kind besser gefördert und besser integriert, als es z. B. in Niedersachsen ausgebildet wird. Die SPD - das muss man Ihnen auch einmal sagen; das ist eine PISA-Verlierer-Partei - hat noch im Juni gegen allen Sachverstand ein Schulgesetz durchgepeitscht. Dann wundert man sich nicht schlecht, dass unser Ministerpräsident wenige Wochen später völlig neue Vorstellungen zur weiteren Schulreform entwickelt. So bringt man wirklich alles durcheinander! Das muss man Ihnen ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU)

Dann ist ja ganz verwunderlich: Kaum eine Woche später taucht dann der Bildungsrat auf. Mir fiel ein: Was Hartz für Schröder ist, ist offenbar der Bildungsrat für unseren Herrn Ministerpräsidenten. Da werden auch neue Rezepte angeboten. Das sind alles nur Patentrezepte, die den Anschein erwecken sollen, man habe es irgendwie im Griff. Aber Sie haben es nicht im Griff, meine Damen und Herren von der Landesregierung!

Man hat das Schulwesen - das darf man doch wohl ganz deutlich sagen - in den letzten Jahren gegen die Wand gefahren. Man kommt haushaltsmäßig nicht mehr nach. Man ist den Problemen nicht gerecht geworden. Die Schulreform ist nicht finanziert. Niemand will übrigens - fragen Sie einmal die Kommunen - Ihr Schulgesetz wirklich umsetzen.

Dann kommt man auf den Bolzen: Dann entlassen wir doch einfach mal die Schulen in die Selbständigkeit. Sie dürfen dann alles selber entscheiden, sich das Geld selber besorgen. Sie dürfen auch möglichst viel vor Ort entscheiden. Die Eltern bekommen etwas zu sagen. Ich kann hier nur sagen: So fahren Sie das Schulwesen wirklich an die Wand.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe Sie auch im Verdacht, Frau Ministerin und auch Herr Gabriel - den das offenbar nicht so sehr interessiert, wie er immer tut -, dass Sie sagen: Wir werden mit der Sache nicht mehr fertig; wir überlassen die Schule letztlich sich selbst. Dann können Sie aber mal sehen, wie Sie vor Ort das

Schulwesen geregelt bekommen. So darf es nicht gehen. Das werden wir auch nicht zulassen.

(Beifall bei der CDU)

Die Braunschweiger Zeitung hat es am 10. August zu den tatsächlichen Verhältnissen auf den Punkt gebracht:

„Marode Klassenzimmer, Klassenstärken jenseits der 30, beschämender Unterrichtsausfall, immer mehr ausgebrannte, zermürbte Lehrer. Mit diesen Voraussetzungen ohne massive Finanzspritzen wird die selbständige Schule ein Luftschloss bleiben.“

Genau das wird der Fall sein.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben gar nicht die Finanzmittel, um das Schulwesen nach Ihren Vorstellungen wieder in Ordnung zu bringen. Also können Sie die Schulen auch nicht in die Selbständigkeit entlassen. Das ist der Abschied dieser Landesregierung aus der hoheitlichen Verantwortung für das Schulwesen.

(Lachen bei der SPD)

- Ja, Sie lächeln. Diese Debatte werden wir in den nächsten Monaten hier grundsätzlich miteinander führen müssen. Jetzt wollen Sie insgesamt das Landesvermögen abgeben, wahrscheinlich wollen Sie demnächst die Verantwortung für die Schule insgesamt abgeben. Damit werden wir Sie nicht durchlassen.

Eines will ich Ihnen abschließend auch noch sagen. Das Verhältnis dieser Landesregierung zur Lehrerschaft, Herr Kollege, ist wie so ein roter Faden. Das sind die faulen Säcke hier; das sind, wenn PISA kommt, die Schuldigen dort. Dort sind wiederum die Lehrerverbände Schuld. Immer sind es die anderen gewesen. Ich kann Ihnen nur dringend anraten, wenn wir es denn gemeinsam schaffen wollen, wieder vernünftige Verhältnisse an den Schulen herzustellen, dort Ruhe einkehren zu lassen. Sie müssen auch das Verhältnis zur Lehrerschaft wieder in Ordnung bringen. Das ist genau so wichtig wie solche Reformvorstellungen.

(Beifall bei der CDU)

Was wird da alles gesagt! Eigenverantwortung bedeutet gleichzeitig mehr Verwaltung vor Ort. Zugleich werden aber Schulassistentenstellen ge

strichen. Der naturwissenschaftliche Unterricht soll gesteigert werden. Wir stellen selbst bei gutem Willen fest: Die notwendigen Lehrkräfte haben wir gar nicht. Da können wir also gar nicht nachlegen.

Sie sagen, das sei alles falsch. Ja, ja, Sie geben dem Verdurstenden vor Ort den Bohrer in die Hand und sagen: Nun sieh mal in der Wüste zu, wie du selber nach Wasser bohrst und vielleicht auch einmal fündig wirst. Das kann so nicht gut gehen. Alles Lippenbekenntnisse!

Erlassfreie Schule: Das ist ja ganz bekannt. Das wurde kürzlich auch vom Herrn Ministerpräsidenten angedeutet. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie von solchen Dingen wie Entrümpelung, Entbürokratisierung usw. etwas halten, dann hören Sie erst einmal auf mit Ihrer Förderverbundkonferenz laut Schulgesetz vom Juni. Das ist ein bürokratischer Moloch, den niemand versteht. Wir sollten den Schulen nicht zumuten, das alles umzusetzen.

Meine Damen und Herren, bevor wir über die Wolkenkuckucksheime der Zukunft ab 2008 miteinander diskutieren, bringen wir doch einmal die Verhältnisse der Gegenwart in Ordnung. Schauen Sie hinüber zu den PISA-Siegerländern, Frau Minister, nämlich Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und auch andere, wie es da gemacht wird. Dann bringen wir das Schritt für Schritt in Ordnung. Aber wir lassen Sie nicht damit durch, dass Sie mit irgendwelchen wohlfeilen Modellen, Sprüchen und Projektionen ab 2008 sagen: Wir geben ein paar Leitlinien vor. Am Ende haben wir mit der Schule nichts mehr zu tun. Dann sollen die das vor Ort regeln. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Wulf hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Busemann, wenn Sie Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen als so genannte PISA-Siegerländer bezeichnen, dann haben Sie wirklich von der PISA-Untersuchung überhaupt nichts verstanden.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei und Zurufe von der CDU)

Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang einmal deutlich machen, was z. B. in der PISAUntersuchung steht. Da wird ausdrücklich gesagt - ich zitiere -: „In allen“ - wohl gemerkt, in allen! „Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist ein ungewöhnlich enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und der am Ende der Sekundarstufe I erworbenen Lesekompetenz nachweisbar. Ein überdurchschnittliches Niveau der Lesekompetenz eines Landes“ - eines Landes! -„der Bundesrepublik Deutschland bedeutet im internationalen Vergleich eher Mittelmaß.“

Herr Kollege Busemann, das gilt genau so auch für Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen, wie aber natürlich auch für Niedersachsen.

(Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, es hilft nichts, wenn Sie auf Bayern und Baden-Württemberg verweisen. Die PISA-E-Studie sagt nämlich auch: Bayern und Baden-Württemberg bleiben trotz ihrer Spitzenleistung im bundesdeutschen Vergleich von der internationalen Spitzengruppe noch weit entfernt und müssen sich auf internationalem Niveau profilieren, müssen auch von den Spitzen-Ländern im OECD-Vergleich lernen. Das ist der entscheidende Punkt.

Niedersachsen hat sicherlich auch positive Werte. Dass Sie das nicht sagen, ist auch typisch für Sie. Bei den naturwissenschaftlichen Leistungen z. B. liegen unsere Gymnasiasten weit vorn. Aber auch damit sind wir international nur Mittelmaß.

Alle bundesdeutschen Länder müssen zugeben: Die Erkenntnisse aus PISA bedeuten für Deutschland: Wir haben ein Bildungssystem, das zu sehr von der sozialen Herkunft geprägt ist. Gerade Bayern ist das entsprechende Beispiel. Ein Kind aus der Oberschicht hat sechsmal bessere Chancen, auf das Gymnasium zu gehen, als ein Kind aus einem Facharbeiterhaushalt. PISA sagt dazu: Das ist das krasseste Beispiel für soziale Selektion in Deutschland überhaupt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben mit dem Schulgesetz die ersten Schlussfolgerungen aus der PISA-Untersuchung gezogen. Wir stellen dabei die Förderung der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt. Wir machen Sprachförderung vor der Grundschule. Wir wollen gerade auch mit zusätzlichen Förderstunden, insbesondere in der neuen

Förderstufe, etwas vorwärts Weisendes leisten. Wir haben uns als Musterbeispiel Ganztagsbetreuung in der Fläche vorgenommen. Wir wollen mehr gymnasiale Angebote in der Fläche herstellen.

All dies sind die ersten Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schlussfolgerungen aus PISA zu ziehen.

Aber damit dürfen wir nicht stehen bleiben, sondern wir müssen weitergehen. Das Ministerium hat die Ansätze der wirklichen Siegerländer, die da z. B. Finnland, Schweden, Kanada, Neuseeland oder Vereinigtes Königreich heißen