Wir haben eine Situation - hier bin ich anderer Meinung als Sie, Herr Ministerpräsident -, die nicht unvorhergesehen gekommen ist. Es war kein Jahrhunderthochwasser, wenn man das neue Jahrhundert nimmt, sondern dieses Hochwasser hat das Jahrhundert der Hochwasser eingeleitet. Die Warnungen, die es gab, sind häufig in den Wind geschrieben worden. Es gab viele wissenschaftliche Studien, die genau diese Entwicklung aufgezeigt haben. Die Politik hat offensichtlich diese wissenschaftlichen Warnungen, diese Erkenntnisse nicht ernst genug genommen, allerdings natürlich mit Unterschieden zwischen den verschiedenen Parteien. Aber man kann nicht sagen, dass das aus heiterem Himmel kam, sondern das kam aus einer politisch und wissenschaftlich vorhersehbaren Situation. Ich sage allerdings nicht, dass es dort eine Kraft gibt, die die Verantwortung dafür trägt, dass das nicht ausreichend bekämpft worden ist. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren in diesem Landtag und auf Bundesebene heftige Auseinandersetzungen darüber geführt, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Es gibt eine ganze Reihe von landespolitischen und kommunalpolitischen Auseinandersetzungen dazu. Ich erinnere - Herr Kollege Wenzel hat sich dort ja engagiert - z. B. an die Roßdorfer Straßenbauprojekte mitten im Überschwemmungsgebiet. Dort wird weiter gemacht. Wo sind die Konsequenzen? – Zu der Presseerklärung von Frau Dr. Knorre, die ich am Montag erhalten habe, ist mir überhaupt nichts mehr eingefallen. Frau Dr. Knorre sagt zum Thema Verkehrsprojekte:
„Noch sind die Kosten der Flutkatastrophe nicht abzusehen. Dennoch müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Der Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen ist in Niedersachsen weiterhin ein Muss.“
Das ist die Konsequenz. Das Gleiche - Frau Harms hat darauf verwiesen - haben wir im Juli erlebt. Das Bundeskabinett hat ein Programm zur Reduzierung des Flächenverbrauchs beschlossen. In der gleichen Woche, Frau Harms, kam allerdings das ehrgeizigste Autobahnausbauprogramm, das die Bundesrepublik Deutschland je gesehen hat. Das
ist natürlich eine Politik, bei der sich die Leute fragen, wie so etwas möglich ist. Auf der einen Seite will die Bundesregierung den Flächenverbrauch reduzieren, und auf der anderen Seite gibt es ein Rekordausbauprogramm.
- Frau Harms, diese Frage müssen Sie sich doch einmal stellen. Schließlich hat auch Herr Trittin das mitgetragen, was Herr Bodewig vorgetragen hat. Herr Bodewig kann so etwas nicht umsetzen, ohne dass auch der Koalitionspartner das mitträgt. Die Glaubwürdigkeit von Politik in dieser Frage ist massiv angegriffen. Das gilt für den Elbausbau in ähnlicher Weise.
Es hat in diesem Jahr schon eine Wahlauseinandersetzung und eine Landtagswahl mit dem Thema Elbausbau als einem der Schwerpunkte gegeben. Das war im Nachbarland Sachsen-Anhalt. Dort hat als einzige Landtagspartei die PDS das Programm kritisiert und die Wissmann‘sche Elbvereinbarung verteidigt. Die SPD und die CDU - Herr Böhmer hat sich ganz massiv geäußert - haben uns damals vorgeworfen, diesen Elbausbau infrage zu stellen, sei ein Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. Und was ist jetzt? Jetzt stellt sich Herr Wulff hin und sagt, das sei so, und Herr Ministerpräsident Gabriel erklärt das ähnlich. Ich frage aber: Hat das nun endlich Konsequenzen? Wird die Bundesregierung jetzt endlich davon Abstand nehmen? Werden wir in Niedersachsen jetzt ähnlich handeln, wie man es seinerzeit in der DDR mit den Havel-Poldern gemacht hat, die ja vor ca. 30 Jahren, als bei uns alles dicht gemacht worden ist, eingerichtet wurden? Wir man bei uns über Ähnliches auch einmal nachdenken, damit wir in der Lage sind, auch Vorsorge gegen Hochwasser zu treffen?
Und ich frage im Automobilland Niedersachsen auch nach der Klimapolitik. Können wir es uns allen Ernstes erlauben, weiterhin die Position zu vertreten, dass es bei uns keine Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Autobahnen gibt, obwohl klar ist, dass wir damit sofort den CO2-Ausstoss ganz erheblich senken könnten? Warum wird die politische Kraft, dies sofort zu machen, nicht gefunden?
Oder denken wir über China nach. Niederachsen ist als Automobilland über VW massiv an der Automobilzuwachsrate in China beteiligt. Warum ist ausgerechnet der VW-Konzern, an dem das Land
Niedersachsen beteiligt ist, einer der defensivsten Konzerne bei der Einführung der Brennstoffzellentechnologie und der Wasserstofftechnologie? Warum können wir hierbei nicht eine Vorreiterrolle spielen? Warum sind wir nicht bereit, in der Verkehrspolitik das, was wir an Umsteuerungsmaßnahmen möglich machen können, auch wirklich einzuleiten?
Herr Ministerpräsident, ich erkenne bei Ihnen zwar Absichtserklärungen, aber die konkreten politischen Schritte sind nicht sichtbar, und zwar sowohl nicht auf Landesebene als auch leider nicht auf Bundesebene.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat alles gesagt, was zur Sache notwendig ist, und zwar in überzeugender Weise. Ich hätte dem nichts hinzuzufügen, wenn nicht durch einige nachfolgende Beiträge noch Aufklärungsbedarf angemeldet worden wäre. Dem will ich gerne nachgehen.
Ich will an der Stelle das aufgreifen, was Herr Schwarzenholz gesagt hat. Mit den Reden heute und den selbstkritischen Bemerkungen, die darin enthalten waren, ist nicht automatisch Politik neu definiert, nach dem Motto: Jetzt wird alles vorrangig durch Hochwasserschutz definiert. Aber ich meine, sehr vielen Menschen und politisch Verantwortlichen ist in den vergangenen Tagen klar geworden, dass bei Nutzungskonkurrenzen die Art der Prioritätensetzung so nicht weitergeht.
Das ist der Lernerfolg. Es wird auch in Zukunft keine Automatik in der Weise geben, dass Hochwasserschutz in allem Vorrang hat. Wir werden übrigens - auch darauf hat Herr Gabriel hingewiesen - in den nächsten Jahren weitere extreme Wetterlagen bekommen. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir nicht vielleicht demnächst wieder die Bundeswehr brauchen, um unsere Deiche zu sichern. Das war nicht singulär, und das müssen wir wissen. Wir sind aber auf diese Situation vorbereitet. In Auswertung der Veranstaltung der vergangenen Woche - da nehme ich das, was Frau Harms gesagt hat, gerne auf - werden wir auch prüfen, wo die Koordinierung verbesserungsfähig ist. Alle haben
mit unglaublichem Engagement gearbeitet. Das noch besser aufeinander zu beziehen, ist mit Sicherheit möglich. Auch das gehört zur Nachbereitung einer solchen Veranstaltung.
Aber ich will auch deutlich machen, was die CDU im Jahre 1997 gefordert hat: Mehr Geld nach Amt Neuhaus! 1998 hatten wir Hochwasser in den anderen Teilen Niedersachsens. Damals haben wir hier die Debatten über andere Schwerpunkte geführt, meine Damen und Herren. Das nächste Hochwasser - ich will nicht prognostizieren, wann es kommt - führt wieder zu anderen Schwerpunkten. Daraus entwickelt sich alleine im Hochwasserschutz ein Investitionsbedarf von 250 Millionen Euro, den ich vor mir herschiebe und den ich nach Gesichtspunkten der Prioritätensetzung - das ist auch vernünftig so - in den nächsten Jahren abarbeiten werde. Das fängt bei der Thülsfelder Talsperre an. Dabei geht es im Zweifel um hunderttausende von Leuten, denen das Wasser sonst in den Keller läuft. Die anderen Flüsse sind genannt: Weser, Aller, Leine.
Der Antrag, den die CDU vorgelegt hat, hat mich außerordentlich gewundert. Darin steht, wir sollten uns jetzt um die Aller kümmern.
Meine Damen und Herren, bei allem Respekt: Ich weiß nicht, wie man drei Tage nach einem solchen Hochwasser an der Elbe aus Sicht der großen Oppositionspartei die Aller in den Mittelpunkt der politischen Debatte im Landtag stellen kann.
- Natürlich steht das da. Ich kann doch noch lesen. - Der Einzige, der klug genug ist, darauf nicht einzugehen, ist Herr Hogrefe. Er hat mir einen persönlichen Brief geschrieben und hat darauf hingewiesen, dass es vor allem auf die Mittelweser ankommt. Da hat er natürlich auch Recht, meine Damen und Herren.
Was sagen mir diese Briefe und diese Anträge? Wir haben ein Problem, das über Amt Neuhaus hinausgeht. Aber richtig ist: Mit der Eingliederung
von Amt Neuhaus haben wir ein wirkliches Problem bekommen, nämlich eine Gemeinde mit 5 700 Einwohnern auf das niedersächsische Niveau der Lebensqualität zu bringen. Allein für diese kleine niedersächsische Gemeinde hat die Landesregierung in den vergangenen Jahren - ich habe in den vergangenen drei Tagen vielleicht nicht alle Zahlen gelesen - mindestens 68 Millionen Euro ausgegeben.
Für die Abwasserbeseitigung - es sah dort nicht gut aus - waren es 15,3 Millionen Euro. Es folgen Straßenbau, Wirtschaft, Landwirtschaft und sonstige Bedarfszuweisungen.
Meine Damen und Herren, mich hat in den vergangenen Tagen ein Journalist mit dem Hinweis konfrontiert, im Amt Neuhaus gebe es eine Debatte, ob es klug gewesen sei, zu Niedersachsen zu kommen; wir hätten sie hängen lassen. Übrigens: Der Bürgermeister spielt in diesem Zusammenhang keine ideale Rolle.
- Vor seinen Gegnern kann man sich schützen, bei den Freunden hat man manchmal mehr Probleme. Das ist absolut richtig. Da stimme ich Ihnen zu.
Ich will Ihnen nur sagen: Was dort hineingeflossen ist, war ohne Beispiel. Und damit auch das klar ist: Das war notwendig. Wir wollen nicht einmal ein Danke dafür haben, aber, bei allem Respekt, beschimpft werden müssen wir doch dafür, dass wir Amt Neuhaus so viel Geld gegeben haben, auch nicht.
Herr Plaue hat schon auf eine ganz sensible Angelegenheit hingewiesen. Wir hätten dort vielleicht schon ein paar Meter mehr verbauen können. Aber im Amt Neuhaus geht es u. a. um die Rückverlagerung von Deichen. 600 ha sollen hierdurch als Retentionsraum gewonnen werden. Dafür braucht man Grundstücke, meine Damen und Herren. Uns fällt es nicht leicht, mit Bürgern des Landes Niedersachsen, die mit dem Thema Grenznähe, Enteignung, zentralistischer Verwaltungsstaat 50 Jahre
- Bei Inge Meysel ist das anders. Sie hat im Zweifel auch eine andere Lobby. - Das führt dazu, dass unsere Beamten an der Stelle vorsichtiger umgehen. Dies finde ich auch sachlich gerechtfertigt. Manchmal dauert es dadurch ein paar Tage länger. Wir werden jetzt aber Gas geben; da bin ich sicher.
Es gibt keinen Vorrang des Naturschutzes vor Hochwasser- und Küstenschutz. Die Beschlusslage des Landeskabinetts ist eindeutig. Wir werden das auch gegenüber allen nachgeordneten Behörden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchsetzen. Davon können Sie ausgehen.
Hierzu gibt es schöne Beispiele. So läuft etwa den Bürgerinnen und Bürgern in Laasche in den Keller. Die Bürgerversammlung in Laasche hat vor wenigen Monaten beschlossen, dass kein Deichverband gebildet werden soll. Hätten sie einen Deichverband gebildet, dann hätten sie das Problem jetzt trotzdem gehabt. Aber für Hitzacker gilt Ähnliches. Das ist ein Abwägungsprozess zwischen touristischen Stärken und Deichsicherheit. Sie nehmen das billigend in Kauf. Das muss man in dem Zusammenhang wissen. Deshalb darf niemand hängen gelassen werden, aber man muss die Situation präzise einschätzen.
Zum Thema Holtorfer Stege will ich Ihnen, Frau Harms, sagen: Das hat damit zu tun, dass die Rückverlagerung letztlich daran gescheitert ist, dass ein relevantes FFH-Gebiet dabei draufgegangen wäre. Mitunter bekommen Sie auch solche Konflikte. Dann darf man nicht verallgemeinern, sondern muss genau hinsehen, was konkreter Gegenstand ist.
Meine Damen und Herren, wir werden in Zukunft Hochwässer in ähnlicher Katastrophenlage hoffentlich nicht bekommen. Wir können sie aber nicht ausschließen. Wir müssen uns darauf einstellen, den technischen Hochwasserschutz zu verstärken und ihn nach Prioritäten abzuarbeiten. Die Koordinierungspotenziale werden wir optimieren. Wir wissen, dass es gesellschaftliche Gruppen und
professionelle Fachkräfte gibt, die eine solche Extremlage beherrschen können. Das macht uns sicherer - überhaupt gar keine Frage! Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Wir haben Glück gehabt, aber aus guten Gründen. Wir haben das begünstigt. Wir werden hart an dem Thema arbeiten, und, um zu zeigen, wie flott die Landesregierung ist, werden wir die Zusage der Deichverstärkung in Horneburg, die wir vor drei Wochen gemacht haben, einlösen. Der nächste Spatenstich wird übernächste Woche vorgenommen werden. Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor. Ich schließe die Besprechung zur Regierungserklärung und komme jetzt zu den Tagesordnungspunkten 4 bis 8:
Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung: Ausbau der Elbe stoppen - kein Ausbau der Elbe-Reststrecke - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/3582