Protocol of the Session on August 28, 2002

Sie öffnen hier etwas, Herr Gabriel überholt Gerhard Schröder rechts. Das kann ich nicht begreifen, das ist ein Punkt, der dieses Gesetz in dieser Form für mich persönlich - im Gegensatz zu den Grünen - nicht zustimmungsfähig macht. Ich werde mich deshalb bei dieser Abstimmung heute der Stimme enthalten.

(Mühe [SPD]: Jetzt müssen wir aber Angst haben! - Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, jetzt hat sich Herr Ministerpräsident Gabriel zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Ministerpräsident!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst einige Dinge richtig stellen, bevor ich noch einmal etwas zur Gesetzesbegründung sage.

Erstens. Warum geht es im Bund darum, „repräsentativ“ im Gesetz zu definieren, und bei uns nicht? - Sie müssten wissen, dass der Bundesgesetzgeber in das Tarifvertragsgesetz eingreifen kann, wir nicht.

Zweitens. Wir haben in diesem Gesetz den Begriff „repräsentativ“. Wir haben nur geregelt, was ein repräsentativer Tarifvertrag ist.

Nun will ich Ihnen einmal erklären, warum Ihre Definition nicht funktioniert. Es gibt im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs drei Tarifverträge von DGB-Gewerkschaften. - Aber es gibt ja wohl keine gelbe Gewerkschaft im DGB, Herr Schwarzenholz, bei allem folkloristischen Verhältnis zur Arbeiterbewegung, das man manchmal haben kann! - Also, es gibt drei Tarifverträge. Und nun soll der Gesetzgeber Niedersächsischer Landtag sagen, welcher dieser drei Tarifverträge Anwendung findet? - Das kann doch wohl nicht wahr sein. Das hat mit Tarifautonomie nichts mehr zu tun. Das geht doch nicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin seit fast 25 Jahren Mitglied der Gewerkschaft, die mit uns eine Debatte geführt hat. Insofern staune ich, wer so alles, der nicht in der Gewerkschaft ist, uns inzwischen Ratschläge gibt. Aber das sei ja jedem unbenommen.

Nur klar ist - und das wollen wir doch einmal festhalten -: Wir haben jetzt eine Regelung, die sagt, was ein repräsentativer Tarifvertrag ist. Das schreiben die auf, die dafür zuständig sind, nämlich Gewerkschaften und Arbeitgeber. Wir werden sie dazu bringen, dass sie das machen. Das ist doch ein vernünftiger Vorschlag. Da gelten natürlich erst einmal alle DGB-Tarifverträge als repräsentativ, und jeder Arbeitgeber, egal ob Kommune oder Land, muss erst einmal kommen und sagen, warum er einen anderen Tarifvertrag anwenden will. - Es ist doch vernünftig, das so zu regeln. Ich weiß gar nicht, wo das Problem ist. Diejenigen, die das am besten können - die das seit 50 Jahren in Deutschland am besten können -, nämlich freie Gewerkschaften und freie Arbeitgeberverbände, regeln, was ein Tarifvertrag ist und welcher repräsentativ ist. Ich weiß gar nicht, was man dagegen haben kann, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Und dann nehmen Sie doch bitte einmal zur Kenntnis, dass nach den Debatten, die wir geführt haben, sowohl Klaus Wiesehügel, der Bundesvorsitzenden der IG BAU, als auch der DGB in Niedersachsen gesagt haben, dass das ein exzellentes Gesetz ist. Herr Wiesehügel hat sogar gesagt, es sei das beste in ganz Deutschland, er würde sich freuen, wenn das auch andere übernähmen.

(Beifall bei der SPD - Mühe [SPD]: Arbeitgeberverbände auch!)

Ich lasse mir ja in vielen Dingen der Politik eine Menge Ratschläge geben, und bei den Grünen gibt es ja auch kluge Leute, keine Frage. Aber ich kann Ihnen versichern: Bei der Frage der Vertretung der Arbeitnehmerrechte in Niedersachsen brauche ich von niemandem in diesem Saal irgendwelche Ratschläge.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Dinklage, Sie können es nicht wissen, weil Sie nicht dabei gewesen sind. Ich sage Ihnen einmal, was wir der Union im Vermittlungsausschuss angeboten haben. Wir wären bereit ge

wesen, auch über den Begriff „repräsentativ“ zu diskutieren. Das war aber nicht mehr möglich, weil die Union im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag gesagt hat, mit uns könnt ihr überhaupt nur reden, wenn der ÖPNV rausfliegt. Das war die conditio sine qua non. Wir aber wollten die Busfahrerinnen und Busfahrer nicht alleine lassen. Im Gegensatz zu Ihnen! Das ist der Grund, warum das nicht funktioniert hat.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in jeder Frage, die die Union in der Sache angesprochen hat, Kompromissbereitschaft signalisiert; übrigens gegen den Widerstand der niedersächsischen Arbeitgeber. Denen war das, was wir in Bundesrat und Bundestag aus niedersächsischer Sicht verhandelt haben, bereits ein zu weit gehender Kompromiss. Wir waren, um der guten Grundlage willen, weil wir ein Bundesgesetz gebraucht hätten, zu einem Kompromiss bereit. Sie sehen im Zusammenhang mit der Beseitigung der Flutschäden, dass es gut wäre, wenn sich niedersächsische Handwerksbetriebe daran beteiligen könnten.

Wir wollten das bundesweit, und deswegen waren wir zum Kompromiss bereit. Sie hingegen waren beim Thema Öffentlicher Nahverkehr absolut nicht zum Kompromiss bereit. Und wenn ein Busfahrer in Dresden 11 Euro in der Stunde kriegt und in Tschechien 4, dann würde ich doch gerne einmal wissen, worin sich diese Situation von der des Bausektors unterscheidet.

Wir können die Leute nicht alleine lassen, und das werden wir auch nicht tun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die Menschen geraten unter Druck, und sie erwarten von uns nicht Sicherheit vor dem Wandel, aber Sicherheit im Wandel. Sie wollen von uns, dass Arbeitnehmerrechte noch was gelten, dass man sich auf geschlossene Verträge verlassen kann und dass auch im sich einigenden Europa das soziale Gesicht nicht verloren geht. Und das besteht in unserem Land seit 50 Jahren im Wesentlichen aus Tarifverträgen. Die werden wir doch - verdammt noch mal - in Deutschland nicht aufgeben wollen, so wie die Union das zurzeit tut!

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass Recht und Ordnung nicht nur im Straßenverkehr gelten, sondern auch im Straßenbau, meine Damen und Herren. Wir wollen nicht, dass der anständige Handwerksmeister und das vernünftige kommunale Unternehmen im Wettbewerb vom Markt verdrängt werden durch diejenigen, die Dumpinglöhne zahlen, die keine Sozialabgaben zahlen, die keine Auslöse bezahlen und die im Zweifel sagen: Na klar sind wir tarifvertragstreu und zahlen den europäischen Mindestlohn, aber wir lassen die Jungs und Mädels 12, 13, 14 Stunden auf der Baustelle arbeiten. - Das wollen wir nicht zulassen, in Niedersachsen nicht und eigentlich auch nicht in Deutschland, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Ihr Argument, Herr Dinklage, das Busfahren würde durch ein Tarifvertragsgesetz teurer, stimmt genauso, wie im Zweifel der Bau teurer wird, wenn man keine Dumpingfirmen einlädt. Das Argument gilt für alle Bereiche. Aber ich sage Ihnen: Der billige Jakob kommt uns teuer zu stehen, wenn die Menschen übermorgen arbeitslos sind und als Sozialhilfeempfänger bei den Kommunen anklopfen. Das bringt die Kommunen um, meine Damen und Herren, nicht die Bindung an Tarifverträge.

(Beifall bei der SPD)

Herr Hagenah, wir haben nicht deshalb länger gebraucht, weil wir das nicht wollten, sondern weil es im Bündnis für Arbeit und Ausbildung in Niedersachsen die Verabredung gegeben hat, auf ein Bundesgesetz zu setzen. Ich bedauere sehr, dass das am Widerstand von CDU, CSU und FDP in Deutschland gescheitert ist. Jetzt machen wir die zweitbeste Lösung.

Übrigens: Glauben Sie nicht, ich würde mich darüber freuen, dass wir ein solches Gesetz brauchen. Ich bin nicht dafür, noch mehr Regeln auf dem Arbeitsmarkt einzuführen. Aber dann müssen sich mal ein paar Menschen anständig in Deutschland verhalten. Ich kann es nicht mehr ertragen, dass hier permanent über die neuen Werte geredet wird, die wir brauchen. Dann wird gesagt, wir brauchen eine neue soziale Marktwirtschaft. - Es würde reichen, wir würden uns endlich mal an die alte halten. So heißt es im Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ - Das erwarten wir in Deutschland, und das ist das Gegenteil dessen, was Sie da produziert haben, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ich bin nicht für Überregulierung. Aber ich bin auch nicht der Auffassung, dass Deregulierung sozusagen das Breitbandantibiotikum gegen die Wechselfälle der Globalisierung ist. Das ist nämlich auch nicht der Fall.

Und nun sage ich Ihnen, was unehrlich ist, Herr Dinklage. Da sagen Sie - -

(Zurufe von der CDU)

- Habe ich einen falschen Namen genannt?

(Zurufe von der CDU: Ja!)

- Sorry! Ich entschuldige mich. Das war keine Absicht. Ich ärgere mich auch immer, wenn Sie meinen Vornamen mit „ie“ schreiben.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zur Redlichkeit in der Argumentation sagen. Wenn das stimmen würde, was Sie vorgetragen haben, was würden Sie dann eigentlich tun, wenn wir Ihrem Änderungsantrag zustimmen würden? Dann müssten Sie ja dem Gesetz zustimmen. Sie haben in dem Redebeitrag vorhin aber gesagt, das Gesetz sei verfassungswidrig; das alles sei nicht tragbar.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen einmal, was Ihnen hier passiert ist. Zuerst hat der Vorsitzende der niedersächsischen CDU erklärt, wir bräuchten eine bundesweite Regelung. Dann haben Sie sich in Berlin bei Ihren Truppen nicht durchsetzen können. Ich muss ganz offen sagen, dass ich es auch nicht in Ordnung finde, dass ein solches Tariftreuegesetz in Bayern gilt, in anderen Ländern aber nicht gelten soll. Das ist nicht in Ordnung. Am 6. Juli haben Sie dann gegenüber dpa - Herr Wulff, Sie haben das sogar den IHKs geschrieben - gesagt: Wir werden das vorliegende Gesetz mit verabschieden. Der ÖPNV stand schon darin. Ich sage Ihnen: Entweder Sie haben den Gesetzentwurf nicht gelesen, oder Sie haben die Leute nicht über die Wahrheit in Kenntnis gesetzt, oder Sie haben sich wieder nicht durchsetzen können. Manchmal haben wir den Eindruck: Das ist kein Wulff im Schafspelz, sondern es ist eher umgekehrt.

(Beifall bei der SPD)

Sie müssen sich bei bestimmten Positionen auch durchsetzen. Es geht nicht an, den Menschen Si

cherheit zu vermitteln und dann hinterher die Positionen nicht durchzusetzen. Wo ist Ihre Alternative in diesem Bereich?

Meine Damen und Herren, nun zu dem Thema, wie wir in Deutschland weiter verfahren wollen. Wenn wir beim Umgang mit den Menschen in unserem Lande nicht aufpassen, werden wir zunehmend Probleme bekommen, ihnen zu erläutern, warum sie eigentlich bei der weiteren europäischen Einigung noch mitmachen sollen. Wenn das Ergebnis ausschließlich immer so ist, dass für die einen die Wettbewerbsbedingungen auf dem Weltmarkt besser werden und für die anderen - nämlich für die Menschen in Deutschland oder in den Ländern mit bestimmten sozialen Standards - die Wettbewerbsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt immer schlechter werden, wird irgendwann keiner mehr mitmachen. Dann kommen Rattenfänger, die die Leute aufhetzen. Das wollen wir nicht. Wir wollen den Menschen Sicherheit geben. Deshalb werden wir dieses Gesetz durchsetzen. Wir haben die Hoffnung, dass es uns gelingt, es irgendwann in ganz Deutschland durchzusetzen. Es gibt auch für Sie die Chance, nach dem 22. September im Bundesrat endlich zuzustimmen. Ich bin absolut sicher: Ohne die Bundestagswahl hätte die CDU oder hätten jedenfalls Teile der Länder im Bundesrat zugestimmt. Bei Ihnen gibt es doch Leute, die die Zielsetzung mittragen. Herr Wulff - das nehme ich Ihnen ausdrücklich ab -, Sie tun das auch. Lassen Sie uns heute hier entsprechend handeln, und lassen Sie uns nach dem 22. September versuchen, dies in Verantwortung vor den Menschen, die echte Sorgen haben, durchzusetzen.

Zum Abschluss möchte ich Ihnen nur ein Beispiel nennen. Der Bauarbeiterstreik in Berlin hat mich ziemlich nachdenklich gemacht. Wissen Sie, was dort passiert ist? Sie müssen sich einmal mit den Kumpels unterhalten, die dort gestanden haben. Dort sind die Leute aus dem Rotlichtmilieu gekommen und haben die osteuropäischen Arbeitskräfte mitgebracht; sie haben versucht, mit Baseballschlägern und Kampfhunden Zutritt zu den deutschen Baustellen zu bekommen. So weit sind wir hier in Deutschland. Das wollen wir nicht zulassen, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Wulff hat jetzt das Wort. Er hat zusätzliche Redezeit beantragt. Ich gebe ihm sechs Minuten Redezeit.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Ich glaube, das mit der Redezeit kann nicht sein!)

- Ich gebe Ihnen sechs Minuten Redezeit, Herr Kollege Wulff.

Frau Präsidentin, wenn die Regierung ihre Redezeit verfünffacht, stellt sich schon die Frage, ob es dem parlamentarischen Brauch gemäß ist, dass die Redezeit der Opposition bei einem solchen für Land und Bund zentralen Thema auf wenige Minuten begrenzt wird.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Sie hätten ja gleich reden kön- nen!)