Protocol of the Session on June 14, 2002

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Weil es eine Ganztagsschule ist!)

Dass Sie einzelne Schulformen immer wieder an den Pranger stellen, Herr Wulff, macht Ihre Schulpolitik von gestern bestimmt nicht besser. Aber lassen wir das.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das geht so auch nicht, dass Sie sagen: Lassen wir das!)

Ich bin von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, in ähnlicher Weise enttäuscht. Auch Sie ignorieren leider, was in den Schulen, die Sie, als noch Schule reformiert wurde, aufgebaut haben, an Qualität herausgekommen ist.

(Plaue [SPD]: Nein, überhaupt nicht!)

Ich muss doch nur Namen nennen, dann wissen die Schulpolitiker unter Ihnen, was ich meine.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wo sind all die Reformideen von einem Hartmut von Hentig oder einem Peter Petersen, die von Peter von Oertzen und Rolf Wernstedt umgesetzt worden sind, geblieben? Dieses Fummeln an der Struktur des Schulsystems in Niedersachsen ist keine Sache, die den Titel „Reform“ verdient hätte.

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich muss nur die kleine Schultour durch die Stadt Hannover anführen: Die Fridtjof-Nansen-Schule, die Glockseeschule, die IGS Roderbruch - nur diese drei Beispiele - sind hervorragende Schulen, die zum Teil in EXPOZeiten vorgeführt und vorgestellt wurden. Wo ist denn die Umsetzung der Erfahrungen dieser tollen Pädagogen aus den letzten Jahren in diesem neuen Schulgesetz für Niedersachsen? - Meine Damen und Herren, das, was früher Reformen gewesen sind, gibt es heute in Niedersachsen leider nicht mehr.

Wir haben es in allen Debatten in den letzten Monaten immer wieder gesagt: Chancengerechtigkeit, Solidarität, gute Ergebnisse für Schüler sind die wichtigen Ziele, die wir mit moderner Schule verbinden. Wir glauben, dass das alles durch diese Schulstrukturreform, die Sie heute sicherlich verabschieden werden, schwieriger zu erreichen sein wird.

Herr Ministerpräsident, es ist immer schön, in diesem Hause gelobt zu werden. Ich kann mit diesem Lob für die Arbeit meiner Fraktion nur leider so wenig anfangen. Gerade den Pädagogen, die ich in den letzten Monaten getroffen habe, wäre es lieber, Sie würden endlich zur inhaltlichen, zur wirklichen Reform der Schule kommen und sich nicht mit dieser überflüssigen Strukturänderung aufhalten.

Ich kann, so ähnlich wie meine Kollegin Litfin, eigentlich nur auf die Wahlen setzen und hoffen, dass unsere aufklärerischen Ideen Bestand haben und wir wieder mit fähigen Schulpolitikern der SPD, die die PISA-Studie richtig gelesen haben, eine andere Schulpolitik machen werden. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt Frau Litfin. Es stehen Ihnen noch sieben Minuten zur Verfügung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versuche, es kurz zu machen. - Frau Ministerin, wahrscheinlich habe ich mich tatsächlich missverständlich ausgedrückt, als ich das Wort „Marginalien“ verwendet habe. Aber richtig ist, dass es nicht

der Kern des Schulgesetzes ist, um den es bei diesen Geschichten, bei denen wir uns alle einig sind, geht.

(Vizepräsident Jahn übernimmt den Vorsitz)

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass meine Fraktion leider deshalb nicht die Möglichkeit hat, Maßnahmen, denen sie zugestimmt, also z. B. der integrierten Eingangsstufe oder der frühen Sprachförderung für Kinder, zustimmen zu können, weil sich alle diese Regelungen in Artikel 1 des Gesetzentwurfs befinden. In Artikel 1 befindet sich eben auch die Förderstufe, der wir so nicht zustimmen können. Wir müssen deshalb insgesamt gegen Artikel 1 stimmen. Frau Ministerin, ich meine deshalb, dass Ihr Vorwurf, die Opposition sei gegen alles und würde alles ablehnen, ins Leere geht. Uns bleibt nichts anderes übrig, weil die Abstimmung so organisiert ist.

Herr Wulff, mich erstaunt Ihr Glaube daran, dass mehr des Gleichen zu besseren Ergebnissen führen könnte. Wir müssen doch gemeinsam feststellen, dass Kern aller unserer Veränderungsbemühungen der Unterricht und die Lernkultur an den Schulen sein sollte, dass Kern unserer gemeinsamen Bemühungen sein sollte, das Fördern als Grundgedanke von Schule an Schulen zu verwirklichen. Dass Sie immer noch daran glauben, dass schon dann von allein alles besser würde, wenn nur ordentlich obendrauf gepackt und mehr des untauglichen Unterrichts erteilt würde, das verwundert mich dann doch.

Mich verwundert auch, dass Sie, die Sie doch immer beklagen, dass unsere Jugendlichen so alt sind, wenn sie in den Beruf gehen, und so alt sind, wenn sie das Studium abgeschlossen haben, in den ländlichen Bereichen weiterhin darauf setzen wollen, dass junge Menschen über Umwege, die länger dauern, zur Hochschulreife kommen sollen, und nicht einsehen, dass vielen dieser jungen Menschen diese Umwege erspart blieben, wenn - natürlich in kooperativen Systemen - in ländlichen Bereichen mehr erreichbare gymnasiale Angebote für Kinder und Jugendliche vorgehalten würden. Auch das, was die Landesregierung insoweit sagt und macht, ist doch nicht falsch, sondern ist ein Teil der Strukturreform, der wir zustimmen würden.

Aber Kern der jetzt in Rede stehenden Strukturreform ist für uns die Förderstufe, die eindeutig

darauf hinausläuft - das hat der Ministerpräsident hier leider noch einmal bestätigt -, dass Kinder schon sehr früh nach Hauptschule, Realschule und Gymnasium sortiert werden. Er hat hier ausgeführt, dass er Wert darauf lege, dass auch in den kooperativen Schulen der Hauptschulzweig klar von dem Gymnasialzweig und von dem Realschulzweig getrennt sein werde. Wir werden wieder das Phänomen haben, dass an die jeweiligen Kinder nur die Anforderungen der jeweiligen Schulform gestellt werden. Aber sämtliche wissenschaftliche Untersuchungen, die es zu diesem Thema gibt, haben erwiesen, dass an hohe Standards gebundene Leistungserwartungen dazu führen, dass Schulen Kinder sowohl im akademischen Wissensbereich als auch in ihrer sozialen Kompetenz stark machen.

Dazu lesen Sie doch einmal die LAU-Studie aus Hamburg, in der ausgeführt wird, dass Kinder mit gleichen kognitiven Voraussetzungen nach einem zweijährigen Hauptschulbesuch wesentlich niedrigere Leistungsergebnisse erzielen als andere Kinder mit gleichen kognitiven Voraussetzungen, die das Gymnasium besuchen, für die die Körbe höher gehängt werden und die höhere Leistungserwartungen auch an sich selbst stellen, weil sie für sie formuliert werden.

Zum Fördern gehört auch, hohe Erwartungen an unsere Kinder und Jugendlichen zu haben. Sie alle sind es miteinander wert, dass wir diese hohen Erwartungen an sie haben und nicht viel zu früh deckeln, indem wir viel zu niedrige Erwartungen für sie formulieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Seeler hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Frau Litfin, dass die Diskussion jetzt wieder auf eine etwas sachlichere Ebene gerückt worden ist.

(Oh! bei der CDU)

Denn die Beiträge von Herrn Wulff und von Herrn Busemann waren zwar Beiträge mit schneller Zunge, aber mit wenig inhaltlichem Verstand.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU - Biallas [CDU]: Was? Jetzt wird es aber tiefgründig!)

So wollen wir eben nicht Bildungspolitik betreiben. Wir betreiben Bildungspolitik mit heißem Herzen, aber mit kühlem Kopf und vor allem mit konkreten Vorschlägen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte endlich einmal mit dem Vorurteil aufräumen, dass es hier um ein Gesetz zur Strukturveränderung geht. Das ist doch nur ein Punkt des Gesetzes. Vor allem geht es hier um inhaltliche Veränderungen, die aufgrund der PISA-Studie dringend notwendig waren.

Frau Litfin, wir sind uns ja einig in dem Ziel. Wir wollen, dass jedes einzelne Kind gefördert und gefordert wird, natürlich insbesondere die Sorgenkinder unserer Gesellschaft. Weil wir aber wissen, dass der wichtigste Hinderungsgrund dafür, an unseren Schulen erfolgreich zu sein, mangelnde Deutschkenntnisse sind, bringen wir in § 54 a zum Ausdruck, dass wir die Sprachförderung sowohl im vorschulischen als auch im schulischen Bereich verstärken werden.

(Zustimmung von Plaue [SPD] – Möllring [CDU]: Das habt ihr doch auf 2005 verschoben!) )

Die Kinder, die nicht genügend Deutschkenntnisse haben, sollen durch intensiven Deutschunterricht befähigt werden, in der Grundschule und in den weiterführenden Schulen erfolgreich mitarbeiten zu können. Dazu sollen sie ein halbes Jahr vor Schulbeginn wöchentlich insgesamt 15 Stunden Unterricht bekommen. Alle Verbände begrüßen diese Maßnahme, nur die Kultusausschussmitglieder der CDU-Fraktion lehnen sie ab. Das verstehe ich überhaupt nicht, weil das doch nun wirklich die Grundlage dafür ist, in unserem Schulsystem bestehen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Nun zu der Frage, wie die Eingangsstufe gestaltet wird. Wir alle wissen doch, dass Kinder mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule kommen. Während die einen schon lesen und schreiben können, müssen die anderen durch Schwungübungen überhaupt erst einmal in ihrer Feinmotorik ausgebildet werden. Um diesem startdifferenzierten Wissen und diesen Fähigkeiten vor

der Schule gerecht zu werden, geben wir den Schulen in § 6 die Möglichkeit, die erste und zweite Klasse als so genannte Eingangsstufe zu organisieren.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Dann können die Kinder diese Eingangsstufe je nach ihren persönlichen Fähigkeiten in einem Jahr, in zwei oder in drei Jahren durchlaufen. Das kostet dann übrigens auch wieder zusätzliche Stellen und Geld. Um Ihren Einwand vorwegzunehmen, weise ich darauf hin, dass wir dieses Geld natürlich in der Mipla eingeplant haben.

Auch diese Neuerungen finden alle Verbände - Eltern und Lehrkräfte - gut. Nur die CDU-Fraktion stimmt wieder gegen diese Möglichkeit, die Eingangsstufe einzuführen und damit die Kinder leistungsgerechter zu beschulen.

Lassen Sie uns weitergehen! Was wollen wir noch? - Wir wollen einen Förderplan für die Kinder von der dritten bis zur zehnten Klasse einführen. Wenn eine Untersuchung wie PISA feststellt, dass unsere Lehrkräfte nur bei 11 % der Schülerinnen und Schüler vorhandene massive Schwächen bei der Lesekompetenz bemerkt haben, d. h bei 89 % nicht, dann ist das doch Alarmstufe 1.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen müssen wir einerseits die Diagnosefähigkeit der Lehrkräfte verbessern, andererseits aber auch dafür sorgen, dass jedes einzelne Kind ins Blickfeld der Lehrer kommt. Deshalb der Förderplan ab Klasse 3.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ihn ihm sollen eben die Stärken und Schwächen beschrieben und Fördermaßnahmen benannt werden. Wir in Niedersachsen können und wollen es uns nicht länger leisten, dass Lernschwierigkeiten und -fähigkeiten nicht erkannt und deshalb auch nicht abgebaut oder gefördert werden. Das ist doch die konkrete Hilfe für Kinder mit Schwierigkeiten oder Sorgenkinder, wie Frau Litfin sie nennt.

Nun komme ich zu dem einzigen wirklich strittigen Punkt: Förderstufe und Förderverbundkonferenz. Übrigens ist inzwischen bei allen Fraktionen völlig unstrittig, dass wir die Orientierungsstufe abschaffen wollen. Strittig ist doch nur die Frage, was an ihre Stelle treten soll. Hier zeigen sich die grundsätzlichen Unterschiede sowohl in den pädagogischen als auch in den gesellschaftspolitischen

Ansätzen. Während die CDU-Fraktion nämlich auf dem inzwischen durch alle Studien widerlegten Modell der frühen Selektion nach Klasse 4 beharrt, wollen die Grünen für ein Flächenland wie Niedersachsen ein unbezahlbares Modell, nämlich das der sechsjährigen Grundschule.