Protocol of the Session on June 14, 2002

(Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

- Ich habe mir das in Ruhe angehört. Vielleicht schaffen Sie das auch. Ein Redner der CDUFraktion hat vorhin gesagt, Zuhören gehöre zur Bildung. Das ist für Sie heute eine echte Chance.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

In der PISA-Studie ist ganz Deutschland zu Recht vorgeworfen worden, wir würden im Bildungssystem oben zu viel und unten zu wenig Geld investieren. Wir haben das alte Sprichwort missachtet, dass das, was Hänschen nicht lernt, Hans nimmermehr oder viel schwieriger lernen wird. Das haben wir in Niedersachsen geändert.

Geht man in den Schülerjahrgängen zurück, findet man im Jahre 1980 die ungefähr gleiche Schülerzahl wie heute. Damals hatten wir 14 000 Vollzeitlehrer. Heute sind es 16 900. Wir steigern deren Zahl in den kommenden Jahren auf 17 400, und das bei sinkenden Schülerzahlen in der Grundschule. Einen solchen Vergleich kann man auch mit gleichen Preisen anstellen. Dann geben wir heute für unsere Grundschulen über 21 % mehr aus. Bei gleichen Preisen steigern wir mit dem, was wir heute beschließen, die Ausgaben für unsere Schulen von 650 Millionen Euro auf mehr als 800 Millionen Euro.

Meine Damen und Herren, wir reden nicht, sondern wir handeln, und zwar in einem Bereich, in dem - ich wiederhole - Sie sich verweigert haben, in dem Sie nicht mitgemacht haben.

(Beifall bei der SPD)

Diese Investitionen in die ersten Schullaufbahnjahre und in den Kindergartenbereich wollen wir jetzt fortsetzen. Die Untersuchung zur niedersächsischen Orientierungsstufe hat gezeigt, dass die För

derung nicht optimal ist. Deshalb wollen wir die Klassen 5 und 6 zu einer Förderstufe an den weiterführenden Schulen machen. Der Förderauftrag steht dabei im Mittelpunkt. Die Förderstufen erhalten 50 % mehr Förderstunden. Wir wollen Schülerinnen und Schüler fördern und nicht Schulformen. Die Förderstufe bekommt wie die Grundschule verlässliche Unterrichts- und Betreuungszeiten. Sie wird nicht nur fördern, sondern auch fordern; denn das Klassenziel der Klasse 6 muss erreicht werden, um auf eine weiterführende Schule zu kommen. Für die Zeit davor und danach bleibt der Elternwille frei.

Wer das Etikettenschwindel nennt, wie die CDU oder manche wild gewordenen Funktionäre aus einem einzigen Lehrerverband, dessen Lesefähigkeit ist wohl auch ein bisschen unterentwickelt.

(Beifall bei der SPD)

Ersparen Sie mir, Frau Litfin, Anmerkungen zu Ihrem Modell zu machen. Ihr Modell findet bei 16 % der Bevölkerung Zustimmung. Wenn ich richtig rechne, sind also 84 % dagegen. Mit denen müssen Sie sich auseinander setzen und nicht mit uns.

Ich bin froh, dass die SPD-Landtagsfraktion zur dritten Beratung noch zwei wichtige Forderungen umsetzen will, nämlich die des Handwerks, der Eltern und der Kommunen. Schul- und Bildungspolitik braucht die Verständigung. Unsere Kinder brauchen Pragmatismus und keinen Fundamentalismus. Deshalb ist es richtig, die Mitbestimmung der Eltern umfassend zu stärken. Es ist auch richtig, Hauptschule, Realschule und Gymnasium gleich zu behandeln. Eines aber ist auch klar: Wir brauchen mehr Kooperation.

(Beifall bei der SPD)

Das wollen Eltern, und das will auch das Handwerk. Das haben sie uns sogar schriftlich gegeben. Ich sage Ihnen einmal etwas zum Thema Hauptund Realschule, weil Sie die Kooperation da immer diffamieren. Wir wollen niemanden zwingen. Aber ich kann es nicht mehr hören, dass 25 Jahre lang über die Stärkung der Hauptschule geredet wird, aber 25 Jahre das Gegenteil der Fall ist. Ich will es nicht mehr ertragen, dass sich unter einem Dach eine selbständige Hauptschule und eine selbständige Realschule befinden, jede mit zwölf Schulklassen. Es gibt ein Lehrerzimmer mit zwei Tischen, aber jede Schule hat ihre eigene Schulleitung. Ein Mittelständler, der sein Unternehmen

so organisiert, ist übermorgen pleite. Einen solchen Unfug können wir nicht mehr mitmachen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden niemanden zwingen, aber wir werben um Mitarbeit. Das ist natürlich eine Chance für die Hauptschüler - genau das wollen wir -, und es ist keine Gefahr für die Realschüler, weil deren Schulzweig erhalten bleibt. Wir machen keine Leistungsnivellierung. Der Unterricht findet in den meisten Fächern getrennt statt. Aber es besteht für die Schüler die Chance, zwischendurch zu wechseln. Wir machen ein attraktives Schulangebot vor Ort. Das wollen wir erhalten, auch bei einer zurückgehenden Zahl der Hauptschülerinnen und -schüler. Das ist das Ziel unserer Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe eine Bitte an die Realschullehrerinnen und Realschullehrer, die dieser Debatte vielleicht intensiv folgen oder sie nachvollziehen. Ich weiß, wie gut diese Schule ist. Ich bin selbst Realschüler gewesen und habe erst später die Chance zum Abitur gehabt. Ich weiß, wie gut dort gearbeitet wird. Aber ich weiß auch, dass sich die Realschulen geändert haben. Ich weiß, dass viele zur Hauptschule Empfohlenen längst zur Realschule gehen, dass die Realschullehrerinnen und Realschullehrer sie aber Gott sei Dank trotzdem zu einem guten Abschluss führen. Es ist eine tolle Arbeit, die da geleistet wird.

(Beifall bei der SPD)

Diejenigen, die Realschullehrer geworden sind, sind zuerst Lehrer und dann Realschullehrer geworden. Sie haben doch auch ein Herz und Verständnis für die Hauptschülerinnen und Hauptschüler. Deswegen habe ich die Bitte, dass wir uns nicht von zum Teil wirklich radikalen Forderungen der Verbandsfunktionäre vereinnahmen lassen. Uns geht es nicht um Verbände. Uns geht es um die Kinder und Jugendlichen in unserem Land. Um die müssen wir uns kümmern!

(Beifall bei der SPD)

Herr Busemann, die Zusammenarbeit ist eine Riesenchance für die ländlichen Räume. Sie ist eine Riesenchance, um angesichts zurückgehender Schülerzahlen vor Ort überhaupt noch ein vollständiges Angebot erhalten zu können. Wir haben doch gemerkt, dass wir unsere Kinder auf dem Lande - u. a. im Emsland - benachteiligen, weil es

dort zu wenig Gymnasialangebote gibt. Die Abiturquote liegt in den Großstädten bei mehr als 40 %, in den ländlichen Regionen unseres Landes, jedenfalls in einigen, jedoch bei weniger als 20 %. Wir müssen sie nicht erst zur Berufsschule schicken. Sie sollen auch eine Chance haben, das vorher zu machen. Deswegen beantragen viele Kommunen, Gymnasialangebote zu schaffen. Die Klugen von denen diskutieren jetzt schon darüber, ob sie das als Kooperative Gesamtschule machen; denn da haben sie einen klaren Hauptschulzweig, einen klaren Realschulzweig und einen klaren Gymnasialzweig.

(Klare [CDU]: Das ist doch gar nicht mehr drin!)

Das sollten Sie nicht diskreditieren, wie Herr Busemann es hier getan hat. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Busemann?

Ja, obwohl das dazu führt, dass die Redezeit länger wird. Bitte schön, Herr Busemann!

Nur eine kurze Frage, Herr Ministerpräsident: Ist Ihnen denn bekannt, dass wir im Emsland - das haben Sie angesprochen - unter Einbeziehung der Fachgymnasien eine Abiturientenquote von fast 30 % haben?

Herr Busemann, unter Einbeziehung der berufsbildenden Schulen. Warum wollen Sie die Schülerinnen und Schüler erst auf diesen Weg verweisen? Warum weigern Sie sich, zuzugeben, dass wir alle miteinander auch ortsnahe gymnasiale Angebote brauchen?

(Beifall bei der SPD - Busemann [CDU]: Fachgymnasium ist doch was Tolles!)

Warum weigern Sie sich, zuzugeben, dass wir dafür kooperative Systeme gut gebrauchen können, wenn die Eltern und die Schulträger sie wollen?

(Klare [CDU]: Wir haben sie doch!)

- Nein. - Sie ziehen durch die Lande und versuchen, mit Debatten aus den 70er-Jahren über Gesamtschulen und was weiß ich Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie müssen sich einmal Ihre Sprache anschauen. Ich wollte darauf eigentlich nicht näher eingehen. Wir haben das alles gelesen. Da erklärt Herr Wulff, man müsse zu einer seriösen Schulpolitik kommen.

(Zustimmung bei der CDU)

Aber zwei Jahre lang gibt es von Herrn Busemann ausschließlich Begriffe wie „Schulkrieg“, „Kahlschlag“, „Flächenbrand“, „Tod der Schulformen“.

Möchten Sie noch eine Zwischenfrage zulassen?

Nein. Dazu hat er ja eine Menge gesagt. Er kann sich nachher melden und sagen, dass er solche Begriffe zurücknimmt. Das wäre vernünftig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man diese Sprache gebraucht, dann kann man doch nicht zeitgleich sagen, dass wir eine seriöse Politik haben wollen. Es wird doch Scharfmacherei und nicht eine seriöse Auseinandersetzung über den richtigen Weg betrieben. Der Punkt dabei ist doch: Auf der einen Seite erzählen Sie uns etwas über Wertedebatte und darüber, dass die Erwachsenen Vorbilder sein sollen, aber gleichzeitig wird auf der anderen Seite von der CDU quer durch das Land eine Angstkampagne angeheizt, bei der die Leute in Angst und Schrecken versetzt werden, nur damit Sie Ihre Wahlkämpfe führen können. Darum geht es doch!

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass Eltern und Schulträger möglichst viel frei entscheiden können. Das ist die Linie dieses Schulgesetzes. Die haben wir von Anfang bis zum Ende durchgehalten. Bei den Gesprächen mit dem Landeselternrat - wir haben ihn ja heute eingeladen

(Lachen bei der CDU)

- ich sehe jedenfalls Herrn Emke; es gibt auch noch ein paar andere Vertreter des Landeseltern

rates, die anwesend sind - ging es um folgende Frage, auf die Sie - das wissen Sie doch - keine Antwort haben: Die Elternräte wollten von uns, dass wir den Schulträgern gänzlich verbieten, Schuleinzugsbereiche zu machen. Sie haben gesagt: Nur die Eltern sollen darüber entscheiden können. – Es tut mir Leid, das können wir nicht. Wir müssen die Schulträger gleich behandeln. Wir werden die Elternmitbestimmung stärken. Darauf haben sie ein Recht. Wir können nicht immer sagen, dass sich die Eltern um Erziehung kümmern sollen, aber ihnen keine Mitbestimmungmöglichkeit geben. So geht es nicht. Das wird wesentlich besser.

Herr Busemann, bringen Sie doch einmal einen Gesetzentwurf ein, in dem Sie erklären: Die Schuleinzugsbereiche werden aufgegeben. - Dann würden wir gerne einmal sehen, wie die CDU das Thema Losverfahren nach Klasse 4 löst. Daran sind wir sehr interessiert. Es wird Angst und Schrecken verbreitet, ohne zu sagen, wie man es regeln soll.

(Dr. Domröse [SPD]: So ist es!)

Hier gibt es eine seriöse Oppositionsfraktion - wir sind froh, dass diese nicht so groß ist -, und das sind die Grünen.