Protocol of the Session on April 25, 2002

Ich danke Ihnen, dass Sie sich so viele Gedanken um die SPD machen. Aber ich hielte es für erforderlicher, wenn Ihre Gedanken um Ihre eigene Partei kreisen würden.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Damit haben sie genug zu tun!)

Schließlich hat die Niedersächsische Landesregierung die Bekämpfung dieses Kriminalitätszweiges nicht erst seit den schrecklichen Ereignissen vom 11. September entdeckt.

(Haase [SPD]: Eben!)

Schon im Vorfeld dieser Anschläge hat sie sich dafür eingesetzt, dass für die Verfolgung der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus geeignete Instrumentarien geschaffen werden. Dazu zählen die bereits 1996 erfolgte Einrichtung einer zentralen Stelle „Organisierte Kriminalität und Korruption“ bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle, die Bildung spezialisierter Dezernate zur Verfolgung der organisierten Kriminalität bei allen niedersächsischen Staatsanwaltschaften und weitere Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Bekämpfung der bandenmäßig organisierten Betäubungsmittelkriminalität. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass Niedersachsen u. a. auch durch das Einrichten der speziellen OKDienststellen bei der Bekämpfung bundesweit Spitze ist. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.

(Beifall bei der SPD)

Richtig ist, dass Niedersachsen im März 2001 bei dem bayerischen Entwurf zur Kronzeugenregelung Flagge gezeigt hat. Dieser Kronzeugengesetzentwurf ist im Bundesrat mit der Zustimmung unseres Bundeslandes beschlossen worden. Wir wollten nämlich glasklar dokumentieren, dass wir grundsätzlich eine Kronzeugenregelung brauchen. Wir ignorieren also nicht, Herr Kollege Stratmann, wir wollen sie auch. Denn die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes ergibt sich insbesondere im Hinblick auf eine verbesserte Aufklärung in den Bereichen Drogenhandel - auch wegen des terroristischen Hindergrundes -, international gesteuerter Schutzgelderpressung und Menschenhandel im Rotlichtmilieu. Aber auch bei Korruptionen und rechtsradikalen Gewalttaten ist die Kronzeugenregelung ein geeignetes Mittel zur verbesserten Verbrechensbekämpfung.

Die Bundesregierung hat den bayerischen Gesetzentwurf geprüft und Bedenken erhoben, und zwar mit der Begründung, dass hier keine sach- und praxisgerechte Handhabung gewährleistet und - das halten wir für besonders eklatant - weil das missbräuchliche Verhalten von Kronzeugen in der bayerischen Variante unzureichend geregelt ist. Denn eines ist unumgänglich: Denunziation in

Form von Verleumdung darf keinen Strafrabatt des Staates erhalten!

(Zuruf von Stratmann [CDU])

Das wäre ein Ablasshandel des Staates. Dem muss der Rechtsstaat einen wirksamen Riegel vorschieben. Deshalb hat die Niedersächsische Landesregierung die Bedenken in einen eigenen Gesetzentwurf aufgenommen, mit dem wir im Bundesrat rechtspolitisch durchstarten werden.

(Stratmann [CDU]: Sie wollten schon vor einem Jahr durchstarten!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die Opposition von Untätigkeit spricht, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der bayerische Entwurf mit heißer Nadel gestrickt wurde. Diese Initiative der Kurzfristigkeit wollten wir nicht für solch eine elementare Regelung. Das muss rechtsstaatlich sauber sein.

(Zustimmung bei der SPD)

Die niedersächsische Variante soll folgende Eckpunkte enthalten: Abweichend vom bayerischen Entwurf verzichtet unsere neue Regelung auf die Möglichkeit, vollständig von Strafe abzusehen. Die Offenbarung des Wissens des so genannten Aufklärungsgehilfen - so unsere Bezeichnung für den Kronzeugen - soll lediglich mit Strafmilderung honoriert werden. Deshalb bleibt es, anders als beim Absehen von Strafe, auch bei Schwerstverbrechern bei einem Unwerturteil über die Tat. Das wirkt sich positiv auf das allgemeine Rechtsbewusstsein aus; denn der Rechtsstaat verliert seine Glaubwürdigkeit, wenn sich Verbrecher vollständig freikaufen können.

(Zustimmung von Haase [SPD])

Insbesondere für Kapitaldelikte soll eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren gelten. Vor Missbrauch durch falsche Beschuldigung soll die Verwirkungsstrafe schützen. Einem so genannten gekauften Zeugen würde nachträglich die volle Strafe drohen.

Aber nicht nur das. Wir wollen noch einen draufsetzen.

Als weiteres Instrument zur Sicherung der Hilfe zur Aufklärung von Missbrauchsdelikten wird der neue Gesetzentwurf eine Verschärfung des Strafrahmens für falsche Verdächtigungen enthalten. Auch darin unterscheidet sich dieser Entwurf von

der Gesetzesinitiative Bayerns. Schließlich sollen dem Täter höhere Strafen drohen, wenn sich seine Angaben als falsch herausstellen. Das ist der Grund, warum aus dem Verdächtigungstatbestand ein so genannter Verbrechenstatbestand werden soll.

Die Bayern wollen eine sehr beschränkte Kronzeugenregelung. Schließlich soll diese Regelung nach ihren Vorstellungen nur für den Täter gelten. Das reicht uns nicht; denn nach den Erfahrungen der Praxis kann auch das Wissen von Gehilfen, den so genannten Mitwissern, zur Aufdeckung und Verfolgung von schweren Straftaten beitragen. Im Interesse einer optimalen Aufklärung erscheint es uns notwendig, den bayerischen Entwurf einer Kronzeugenregelung auf diesen Personenkreis auszuweiten. Als Konsequenz haben wir die korrektere Bezeichnung „Aufklärungshilfe“ statt „Kronzeugenregelung“ gewählt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe nur kurz skizziert - zu einer weiteren Skizzierung reicht die Zeit nicht mehr aus -, mit welchen Eckpunkten wir im Bundesrat tätig werden wollen. Es besteht also kein Anlass zur Panikmache. Eine inhaltliche Auseinandersetzung über die von uns vorgeschlagenen Punkte wäre sicherlich sinnvoller. Schließlich handelt es sich bei dem niedersächsischen Entwurf um eine wirkungsvolle modifizierte Kronzeugenregelung. Es ist in der Tat kein Wiederbelebungsversuch der alten Regelung, sondern ein verfassungskonformer, der aktuellen Kriminalitätstendenzen angepasst ist. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

Vielen Dank, Frau Kollegin, und gute Besserung! - Dann kommt der Kollege Schröder an die Reihe.

(Busemann [CDU]: Aufklärungsgehil- fe!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin immer wieder erstaunt, mit welchen Scheinargumenten im Wahlkampf versucht wird, Handlungsfähigkeit im Kampf gegen das Verbrechen zu beweisen. Frau Kollegin Bockmann, Sie können die Notwendigkeit einer neuen Kronzeugenregelung doch nicht mit dem Drogenhandel begründen. Im Betäubungsmittelrecht haben wir seit vielen Jahren eine Kronzeugenregelung - mit all ihren Vor- und

Nachteilen. Der § 31 BtMG sollte Ihnen bekannt sein.

(Zuruf von der CDU: Für uns bei- spielhaft!)

Auch da zeigt sich das Problem jeder Kronzeugenregelung, nämlich das Interesse des Kronzeugen, andere möglichst intensiv zu belasten und dabei milde beurteilt zu werden, vielleicht auch straffrei auszugehen.

Meine Damen und Herren, die alte Kronzeugenregelung, die ja bekanntlich Ende 1999 ausgelaufen ist, sah vor, dass Straftäter, die schwerste Verbrechen wie Mord, räuberische Erpressung und Totschlag begangen haben, entweder Strafmilderung erhielten oder sogar straffrei ausgingen, wenn sie gegen andere Tatbeteiligte aussagten und so die Aufklärung von Straftaten oder die Aufdeckung neuer Straftaten ermöglichten. Wie wollen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, das eigentlich den Verbrechensopfern erklären? Wie wollen Sie es rechtfertigen, dass jemand, der beispielsweise als Kronzeuge in dem großen PKKVerfahren vor dem OLG Düsseldorf wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt wurde, dann aber wegen seiner Aussagen, die sich zum Teil als unwahr herausstellten, zu fünf Jahren verurteilt wurde?

Meine Damen und Herren, die Kronzeugenregelung wurde bekanntlich nicht abgeschafft; sie ist ausgelaufen. Das hat damit zu tun, dass die alte Bundesregierung - das ist ja sehr ungewöhnlich nur eine befristete Regelung vorgesehen hatte. Drückte sich in dieser Befristung schon das schlechte Gewissen des Gesetzgebers aus?

In der Tat stellt die Kronzeugenregelung eine wesentliche Durchbrechung elementarer Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens dar. Ich nenne hier nur gleiche Schuld - gleiche Bestrafung oder auch das Rechtsstaatsprinzip in der Weise, dass jemand, der die Tat begangen hat, natürlich auch adäquat bestraft werden muss, und nicht deshalb, weil er andere belastet, erhebliche Strafrabatte erhält.

Die Erfahrungen mit der alten Kronzeugenregelung waren ernüchternd. Es ist keineswegs so, Herr Kollege Stratmann, dass die Anhörung im Rechtsausschuss diese Regelung bestätigt hätte. Im Gegenteil! Es ist in keinem einzigen Fall gelungen, mit dieser Regelung terroristische Strukturen aufzubrechen oder Terrortaten zu verhindern. Auch

im Bereich der organisierten Kriminalität waren nur äußerst bescheidene Erfolge zu verzeichnen.

Diesen wenigen Resultaten stehen schwer wiegende Nachteile gegenüber. Die Kronzeugenregelung - zumindest alter Machart - belohnte Falschaussage und falsche Verdächtigung. Der gekaufte Zeuge ist nun einmal kein zuverlässiger Zeuge. Ihn interessiert nicht die Wahrheitsfindung im Strafprozess, er hat ein starkes Eigeninteresse, seine Tatbeteiligung herunterzuspielen und andere Mittäter möglichst weitgehend und umfassend zu belasten.

Nach der alten Regelung war der Strafrabatt sogar dann wirksam, wenn sich die Aussagen des Kronzeugen nachträglich als falsch herausstellten. Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Kronzeugen sind deshalb immer angebracht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch ohne eine derartige Kronzeugenregelung werden schon heute Beiträge zur Tataufklärung im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 Strafgesetzbuch berücksichtigt. Wer also gerichtlich überprüfbar zur Aufklärung oder Verhinderung einer schweren Straftat beiträgt, darf dafür belohnt werden. Jeder Strafrichter, jeder Verteidiger weiß das.

Für den Bereich der terroristischen und der kriminellen Vereinigungen haben wir sogar eine ausdrückliche Sondervorschrift in § 129 Abs. 6 Strafgesetzbuch, die offenbar weitestgehend unbekannt geblieben ist. Nach dieser Vorschrift kann jemand, der einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung zugerechnet wird, nach Ermessen des Gerichtes Milderung oder Absehen von Strafe erhalten, wenn er wesentlich zur Aufklärung beiträgt, Straftaten verhindert und sein Wissen rechtzeitig den Dienststellen so offenbart, dass eine Straftat verhindert werden kann oder die Fortführung der Vereinigung unmöglich wird.

Alles das haben wir also schon. Ich habe nichts dagegen, wenn wir diese allgemeinen Strafmilderungsgründe – also die nachprüfbare Hilfe bei der Aufklärung - bei der Strafzumessung noch einmal in § 46, also im allgemeinen Strafrecht, verdeutlichen. Das halte ich für vergleichsweise unproblematisch, weil das nur eine Konkretisierung des geltenden Rechts wäre. Aber der Kuhhandel mit der Wahrheit durch Einführung eines Kronzeugen für alle nur denkbaren Bereiche des Strafrechts ist mit uns nicht zu machen, meine Damen und Herren. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Herr Justizminister. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns doch einig, organisierte Kriminalität und der internationale Terrorismus sind eine ernste Bedrohung, und wir müssen nach Instrumenten suchen, dem angemessen zu begegnen.

Die Vorgeschichte der heutigen Debatte ist hier ja schon völlig korrekt von Herrn Stratmann dargelegt und für die SPD-Fraktion von Frau Bockmann bestätigt worden. Wir waren uns schon fast einig geworden. Ich habe sehr einvernehmlich mit Vertretern der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen über Details einer Regelung zum Aufklärungsgehilfen gesprochen. Auf der Zielgeraden sind irgendjemandem - ich kann gar nicht genau bezeichnen, wer das war - doch noch einmal Bedenken gekommen, und die Bundesjustizministerin konnte dann jedenfalls ihre Ankündigung für diese Legislaturperiode nicht mehr wahr machen.

(Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Man muss mit uns nicht nur reden, sondern muss auch das machen, was wir vorschlagen!)

Der Vorschlag, der zur Diskussion stand, war aus meiner Sicht bereits in allen Einzelheiten ausverhandelt. Ich hatte deshalb, als ich im Oktober unser Eckpunktepapier eingereicht habe, den Optimismus, dass es im Laufe des Herbstes, spätestens aber im Januar/Februar zu einer endgültigen Einigung und zu einer Verabschiedung kommt. Das ist nun leider nicht geschehen.

Ich kann über das, Herr Schröder, was Sie gerade vorgetragen haben, nur staunen; denn wenn Sie zugestehen, wir haben gegenwärtig doch die Verständigung im Strafverfahren, wir haben Regelungen, wie man ein Geständnis, das andere belastet, strafmildernd im Rahmen des § 46 a StGB berücksichtigt, dann ist doch der kleine Schritt, zuzugestehen, dass es hier präziserer gesetzlicher Bestimmungen bedarf, die mehr Rechtssicherheit, mehr Berechenbarkeit schaffen - auch für die Anwaltschaft -, gar nicht mehr so weit. Von daher meine ich, hier wird künstlich ein Popanz aufgebaut, dass der Rechtsstaat in Gefahr sei, wenn eine Kronzeu

genregelung käme, wie sie von der Bundesregierung fast einvernehmlich mit Bündnis 90/Die Grünen im Herbst debattiert worden ist.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Stokar von Neuforn?

Ja, gern.

Frau Stokar von Neuforn, bitte sehr!

Herr Justizminister, ist Ihnen denn bei den Gesprächen mit der grünen Bundestagsfraktion deutlich geworden, dass einer der wesentlichen Einwände ist, zu sagen, wir wollen diese Entscheidung auf die Ebene des Richters und der Gerichte verlegen und nicht in den Bereich der Vernehmungsbeamten und der Staatsanwaltschaften? Meine Frage lautet also: Ist Ihnen dies deutlich geworden?