Protocol of the Session on March 23, 2023

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der FDP Frau van Baal.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag gelesen habe, das mag Sie ein wenig überraschen, ist mir ein Zitat von Brecht eingefallen. Mich wundert es ein bisschen, dass es hier noch nicht gebracht worden ist: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sahʼn sich an. Da sagt der Arme bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zurufe von Julian Barlen, SPD, und Michael Noetzel, DIE LINKE)

Dass ich das als Liberale natürlich ein wenig anders interpretiere

(Heiterkeit bei Marcel Falk, SPD)

als der linke Flügel dieses Parlaments, sollte auch klar sein.

(Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

Wir wollen Menschen, die mit ihrem Einsatz und ihren Ideen reich werden, reich in materieller Hinsicht und reich an Erfahrung, und gleichzeitig – und das kommt mir ehrlich gesagt in der ganzen Debatte auch ein bisschen zu kurz –,

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

gleichzeitig Arbeit und Wohlstand für andere damit schaffen. Tatsächlich könnte man das Zitat in Bezug auf unsere relative Armutsdefinition eher umdrehen: Wärst du nicht reich, wäre ich nicht arm.

Aber jetzt zum eigentlichen Antrag im Feststellungssteil: Die Zahlen zweifeln wir überhaupt gar nicht an, die da vermerkt sind.

(Anne Shepley, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Danke!)

Was mich wohl ein klein wenig irritiert hat – „gestört“ wäre auch übertrieben –, Armut und Reichtum können nicht auf spezielle Branchen reduziert werden. Armut und Reichtum gibt es in allen Branchen – es geht da um den Satz: „Die seit Jahren wachsende Tourismusbranche bringt in den Küstenregionen und der Mecklenburgischen Seenplatte zwar Arbeitsplätze, jedoch vor allem im Niedriglohnsektor.“ –, wie gesagt, in allen Branchen.

Wir unterstützen übrigens grundsätzlich das Ansinnen einer datenbasierten Politik. Die Probleme beginnen bei der Definition der Armut als relative Größe. Dafür mag es viele gute Gründe geben, sie hat aber gerade für die Politik ein ganz grundlegendes Problem. Das politische Ziel der Abschaffbarkeit der Armut ist hier nicht angelegt. Egal, wirklich egal, wie sehr sich Politik anstrengt, egal, was das Sozialsystem leistet, die Armut bleibt. Und vor dem Hintergrund, dass wir meist doch eine objektive Vorstellung von Armut haben, entsteht der Eindruck eines versagenden Sozialstaates. Und Deutschland ist kein versagender Sozialstaat.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und FDP)

Das möchte ich ganz deutlich betonen. Dieser Sozialstaat hilft. Für Forderungen der politischen LINKEN mag dieser Eindruck ja hilfreich sein, gesamtgesellschaftlich wirkt er jedoch polarisierend und ist zumindest potenziell schädlich.

(Zuruf von Dr. Harald Terpe, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt viele Berichte, die wurden hier auch schon teilweise erwähnt, aber sobald ein neuer Bericht veröffentlicht wird, kommt es im Allgemeinen zu einer rituellen Empörung.

(Anne Shepley, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, weil die Leute armutsbetroffen sind.)

Bei der folgenden Debatte wird der Bericht als Legitimationsquelle für unterschiedliche Standpunkte und Positionen herangezogen. Irgendwie findet sich in den umfangreichen Daten für jeden etwas, um seine eigenen Schlussfolgerungen zu stützen. Damit erfüllt der Bericht jedoch nicht das eigentliche Ziel einer Grundlage datenbasierten politischen Handelns. Stattdessen scheint seine Hauptfunktion der Anstoß einer politischen Debatte zu sein. Das möchte ich überhaupt nicht verteufeln, diese Debatten müssen geführt werden. Der Ursprungsintention einer empirischen Handlungsgrundlage wird das aber nicht gerecht.

Daher denke ich, dass wir mit fokussierter, handlungs- und problembezogener wissenschaftlicher Begleitung besser fahren werden. Was wir befürworten, ist der Ausbau der Datengrundlage im Allgemeinen sowie deren Zugänglichkeit. Da muss auch wirklich was passieren, da herrscht ein heilloses Durcheinander. Wir lehnen den Antrag ab. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der FDP)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD Frau Klingohr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als MVKoalition haben wir uns vorgenommen,

(Torsten Renz, CDU: Rot-rot!)

die Weichen für unser Land in den kommenden Jahren so zu stellen, dass allen voran Wirtschaft, sozialer Zusammenhalt und ökologische Verantwortung gestärkt und vorangebracht werden.

(Harry Glawe, CDU: Straße der Besten!)

„Dabei haben wir das ganze Land im Blick: Mecklenburg und Vorpommern, … Jung und Alt, Männer und Frauen.“

(Torsten Renz, CDU: Und dazu brauchen Sie die LINKEN? Das kriegen Sie doch alleine hin.)

Exakt so haben wir es uns daher auch in den Koalitionsvertrag geschrieben. Für uns gemeinsam als Koalition bedeutet das – und Frau Shepley hat versucht, gerade in ihrem Redebeitrag uns auseinanderzudividieren,

(Torsten Renz, CDU: Das wird nicht gelingen. Das wird nicht gelingen.)

das möchte ich zurückweisen –

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

einen besonderen Fokus, für uns gemeinsam als Koalition bedeutet das, einen besonderen Fokus auf Familien und Einzelpersonen mit geringem Einkommen zu legen, denn wir möchten, dass wirklich jeder gut und gerne in Mecklenburg-Vorpommern leben kann und dafür auch über die finanziellen Mittel verfügt und an der Gesellschaft teilhaben kann.

Als SPD haben wir in der jüngsten Vergangenheit in unserer Koalition gleich eine ganze Reihe von wichtigen Schritten in die Wege geleitet, um für gerechtere Verhältnisse bei Einkommen und finanzielle Absicherung zu sorgen und uns gegen Armut einzusetzen. Dazu,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

dazu gehört die Anhebung des Mindestlohns, die Bereitstellung von mehr Wohngeld für deutlich mehr Haushalte, die Kindergelderhöhung, die Einführung des Bürgergeldes, die Strom- und Gaspreisbremse sowie die Energieentlastungszahlen während der Corona-Pandemie und ab Mai dann auch das Deutschlandticket und eine deutliche Rentenerhöhung ab Juli.

(Beifall Mandy Pfeiffer, SPD)

Somit wird unmittelbar etwas getan, auch für Menschen mit geringeren Einkommen, für Kinder und Rentnerinnen und Rentner. Wir machen diese Politik, weil sie fair und richtig ist. Indem wir Gemeinsamkeiten betonen, indem wir solidarisch füreinander eintreten und indem wir uns gegenseitig unter die Arme greifen, schaffen wir Gerechtigkeit und dadurch Stabilität.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Diese Stabilität ist ein herausragend wichtiger Punkt, denn von fairer Politik profitieren letztlich alle, weil sie die Gesellschaft als Ganzes stärkt. Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto anfälliger ist sie in Krisenzeiten. Vor allem müssen wir dafür sorgen, dass Menschen nach Möglichkeit finanziell auf eigenen Beinen stehen können. Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass Menschen eine gute Ausbildung erhalten können, dass sie fair entlohnt werden und dass sie sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder gut betreut werden. Daher haben wir die Kita kostenfrei gemacht und treten für Tariflöhne ein.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Das waren gar nicht Sie, das war der Bund!)

Zum Beispiel wird in der Altenpflege seit Juli 2022 Tariflohn gezahlt. In diesem Bereich sind 80 Prozent der Beschäftigten Frauen, die ohnehin oft in Teilzeit arbeiten und folglich niedrigere Renten erhalten. Der Tariflohn sorgt nun für mehr Fairness und Unabhängigkeit.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Laut des im vergangenen Jahr veröffentlichten Armutsberichts des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist die Armutsquote in Mecklenburg-Vorpommern 2021 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen. Obwohl wir im bundesweiten Trend eine leichte Verschlechterung beobachten, hat sich unser Bundesland in dem beschriebenen Zeitraum um 7,6 Prozent verbessert.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Damit sind wir im Ranking der Bundesländer von Platz 13 auf Platz 9 vorgerückt.

Das bedeutet natürlich nicht, dass alles perfekt ist. Sie haben die Zahlen des vorliegenden Antrages ja alle vor Augen. Wichtig ist aber zu betonen, dass wir uns an ganz vielen Stellen in die richtige Richtung bewegen. Natürlich ist es wünschenswert, bestehende Zahlen und Fakten zusammenzuführen, um auf einen Blick ein konzises Bild darüber zu erhalten, welche Maßnahmen und Anstrengungen besonders gut gegen Armut wirken und wo weiter Nachbesserungsbedarf besteht. An erster Stelle muss immer stehen, unmittelbar für die Menschen spürbare Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Eine finanziell solide ausgestattete Kindergrundsicherung wäre zum Beispiel ein vernünftiger Schritt.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Wir alle kennen die Zahl, die derzeit im Raum steht und nötig wäre, um die Kindergrundsicherung zu einem echten Instrument gegen Kinderarmut zu machen. Die Bundesfamilienministerin schätzt ebenso wie Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, dass dafür circa 12 Milliarden Euro jährlich nötig wären. Wir beobachten diese Pläne sehr wohlwollend. Es liegt nun jedoch in der Verantwortung der Ministerin, diese Grundsicherung vernünftig zu konzipieren und einen ausgereiften Vorschlag vorzulegen.