Protocol of the Session on March 23, 2023

Der von uns angedachte Bericht ist nicht nur für die Schublade gedacht – und das ist ein ganz wichtiger Punkt –, sondern er ist die Basis für eine effektive sozial- und wirtschaftspolitische Steuerung. Wie soll es sonst möglich sein, gesellschaftliche Debatten über die sozialen Lagen sachlich, offen und faktenbasiert zu führen? Nicht nur für uns im Parlament, auch für die interessierte Öffentlichkeit, für die Kommunen, die Träger könnte der Status quo mittels einer regelmäßigen transparenten Sozialberichterstattung eine zentrale Informations-, Planungs- und im besten Fall Steuerungsgrundlage bieten. Insbesondere für eine rot-rote Landesregierung, die sich soziale Gerechtigkeit zu Recht auf die Fahne schreibt, müsste dies von großem Interesse sein.

Und wir wissen, dass die Kolleg/-innen der LINKEN sich ebenfalls für die Einführung eines Armuts- und Reichtumsberichts starkmachen. Es scheint also an Ihnen zu liegen, liebe Kolleg/-innen der SPD, ob unser Antrag heute erfolgreich wird. Es ist an Ihnen, eine politisch unabhängige Sachverständigenkommission aus unabhängiger Wissenschaft, Verbänden, Gewerkschaften sowie Interessenvertretungen der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Personen ins Leben zu rufen und sie unabhängig voneinander die sozialen Lebenslagen in Mecklenburg-Vorpommern analysieren zu lassen. Vorhandene Daten wie des Mikrozensus können genutzt werden, andere sind zum Teil neu zu erheben. Wichtig ist die Kontinuität der Kernindikatoren, um die Beobachtung über einen längeren Zeitraum zu gewähr

leisten. Veröffentlichen Sie den Bericht regelmäßig alle zwei Jahre, dann hat jeweils die unabhängige Sachverständigenkommission genügend Zeit für die Analyse und Aufbereitung der Daten sowie die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen!

Es ist aber auch Ihnen als Landesregierung zeitlich möglich, auf Grundlage dieser eine eigene – und das ist ein zweiter zentraler Punkt – Strategie gegen Armut zu entwickeln und darzulegen, um sie dann regelmäßig im Rahmen der erneuten Berichtserfassung zu evaluieren. Durch die Einbindung der Gewerkschaften, Verbände und Betroffenen selbst steht Ihnen ein breites gesellschaftliches Spektrum beiseite. Abweichende Positionen können Sie transparent darstellen und damit nicht nur die Kompetenzen von Politik und Verwaltung, sondern auch von Bürgerinnen und Bürgern stärken. Sozialpolitik sollte sich nicht davor scheuen, gewachsene Systeme zu hinterfragen und forschungsgeleitet zu transformieren, meine Damen und Herren. Mancher Pfad in der Vergangenheit, der eingeschlagen wurde, ist möglicherweise richtig. Andere gilt es zu verwerfen und wieder neue zu entwickeln, wenn sich herausstellt, dass die kumulierten Problemlagen ganz andere sind als ursprünglich angenommen.

Ein Armuts- und Reichtumsbericht ist nicht dazu da, eine Regierung bloßzustellen, sondern die politischen Entscheidungen zu stützen, und ist in allererster Linie den Menschen unseres Landes dienlich. In diesem Sinne kann es für Sie, werte Kolleg/-innen der Koalitionsfraktionen, heute nur eine Entscheidung geben. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung und freue mich auf eine lebhafte Debatte. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu sechsmal acht Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen und ich eröffne die Aussprache.

Bevor ich die erste Rednerin aufrufe, möchte ich auf der Besuchertribüne Mitglieder der Seniorenakademie aus Neubrandenburg begrüßen. Seien Sie uns recht herzlich willkommen!

(Zuruf von der Besuchertribüne: Stralsund!)

Hier steht leider Neubrandenburg. Sie kommen aus Stralsund, dann seien Sie uns dennoch herzlich willkommen!

(allgemeine Heiterkeit – Torsten Renz, CDU: Ich bitte um Vorstellung! Ich bitte um Vorstellung! – Harry Glawe, CDU: Mecklenburg-Vorpommern, das ist doch viel schöner, hallo!)

Als Erstes hat ums Wort gebeten für die Landesregierung in Vertretung für die Sozialministerin die Wissenschaftsministerin Bettina Martin.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich trage hier in Vertretung für die Ministerin Drese

ihre Rede vor. Sie ist auf dem Weg zurück aus Berlin von Verhandlungen zurück hier in den Landtag und wird bald wieder bei uns sein, aber ich habe die Freude, ihre Rede vorzutragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der hier vorliegende Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert die Erstellung einer regelmäßigen, bereits im Jahr 2024 beginnenden – ich darf zitieren – „systematische(n) Sozialberichterstattung auf Basis einer zuverlässigen Datenbasis“. Zuallererst: Das sieht die Sozialministerin auch so. Daten und Zahlen sind in der Tat wichtige und gute Grundlagen, um Probleme zu erkennen, sie sichtbar zu machen und daraus abgeleitet passgenaue Maßnahmen zu entwickeln. Nicht ohne Grund sind sie ein so häufig genutztes Mittel, auch oder gerade in der Sozialpolitik.

Aber, sehr geehrte Abgeordnete, diese Zahlen existieren bereits. Sie erlauben längst einen umfassenden Einblick in die Einkommens- und Vermögenssituation im Land. Auch umfangreiche Daten zu Armut und Armutsgefährdung liegen uns bereits vor. Deshalb bestehen aus Sicht des Sozialministeriums keine derartigen Informationsdefizite. Die Sozialministerin merkt an, dass Sie, sehr geehrte Abgeordnete der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, im vorliegenden Antrag Daten dieser Art in beträchtlichem Umfang und bemerkenswerter Detailtiefe benennen, beziffern und beschreiben, Daten, die Sie auffinden und nutzen konnten, auch ohne dass hierfür ein gesonderter Bericht vorliegt.

(Zuruf von Hannes Damm, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So haben sich die amtlichen Statistiken als wesentliche Grundlagen für die Betrachtung der sozialen Lage auf Bundes-, aber auch auf Landesebene etabliert. Verschiedene Behörden, wie beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit oder das Statistische Amt MecklenburgVorpommern, erfassen regelmäßig und umfangreich die aktuellen Sozialstrukturdaten bis zur Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte, die sie mit umfangreichen Differenzierungen nach Merkmalen wie Alter oder Geschlecht veröffentlichen. Damit erhalten alle Interessierten unabhängige Erkenntnisse von hoher Qualität zur sozialen Lage im Land, einschließlich grundsätzlicher Aussagen zu den Phänomenen Armut und Armutsgefährdung. Zudem widmen sich verschiedene Institute, Vereine oder Wohlfahrtsverbände dem Thema „Armut und Armutsgefährdung“.

Und Sie haben ja auch gerade eben bereits die aktuellen Daten des Paritäters erwähnt, das sind gute Zahlen. Die Armutsquote ist in 2021 deutschlandweit zwar gestiegen, aber bei uns in Mecklenburg-Vorpommern ist im gleichen Zeitraum die Armutsquote um 1,5 Prozentpunkte gesunken. Und wenn man den 10-Jahres-Vergleich anstellt, ist diese Armutsquote sogar um 5 Prozentpunkte gesunken.

(Torsten Renz, CDU: Hört, hört!)

Das sind gute Zahlen. All diese Expertisen können für die Beurteilung dieses Themas sowie anderer sozialpolitischer Phänomene herangezogen werden.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Um auf dieses Wissen zurückzugreifen, benötigt es daher kein zusätzliches, wie von Ihnen vorgeschlagenes Gre

mium, für welches Sie eben diese Institute, Vereine und Wohlfahrtsverbände als Mitglieder vorgeschlagen haben.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wenn ich die beantworten kann als nicht zuständige Ministerin, sehr gern.

Bitte schön, Frau Abgeordnete!

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie in Vertretung diese Frage entgegennehmen! Meine Frage ist, warum Mecklenburg-Vorpommern als einziges Bundesland keinen Armuts- und Reichtumsbericht einführt. Und auch die SPD-Regierung ist hier seit fast 30 Jahren mit in der Regierung und es gibt seit fast 30 Jahren keinen Armuts- und Reichtumsbericht. Wir sind das einzige Bundesland, ich habe es in meiner Einführung gesagt, was keinen hat. Auf welcher Grundlage glauben Sie denn, dass die anderen Bundesländer einen brauchen und wir hier keinen? Also können Sie das erklären?

Möchten Sie antworten, Frau Ministerin?

(Torsten Renz, CDU: Das kann vielleicht Herr Koplin erklären. Sie können sich nicht durchsetzen.)

Ich antworte dazu kurz, weil genau zu dieser Frage ist ja der Redebeitrag der Sozialministerin. Insofern würde ich jetzt fortfahren und hoffe, dass damit die Frage beantwortet ist.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Torsten Renz, CDU: Hat DIE LINKE nicht in den Koa reingekriegt. – Julian Barlen, SPD: Sie trägt doch erst mal die Rede vor von Frau Drese. Nun lassen Sie die doch erst mal vorstellen!)

Wollen Sie noch eine Nachfrage stellen, Frau Shepley? (Zustimmung)

Ich würde Sie bitten, in den Ausführungen darauf einzugehen, warum Mecklenburg-Vorpommern als einziges Bundesland es nicht für nötig hält, einen Armuts- und Reichtumsbericht einzuführen, nach dem, was ich bis jetzt gehört habe. – Danke!

Wie bereits erwähnt, haben wir eben umfangreiche Datenmaterialien von unterschiedlichen unabhängigen Instituten, von Vereinen und Wohlfahrtsverbänden, die für uns als Grundlage für das Handeln auch existieren. All diese Expertisen können für die Beurteilung dieses Themas sowie anderer sozialpolitischer Phänomene herangezogen werden. Um auf dieses Wissen zurückzugreifen, benötigt es daher kein zusätzliches, wie von Ihnen vorgeschlagenes Gremium, für welches Sie eben diese Institute, Vereine und Wohlfahrtsverbände als Mitglieder vorgeschlagen haben.

Sehr geehrte Abgeordnete, all diese vorliegenden Materialien unterstützen die Landesregierung bereits bei der

Analyse, Planung und Gestaltung der Lebensbedingungen und -lagen im Land. Besonders wichtig sind sie für diese Aufgabe dabei auch deshalb, weil sie sowohl langzeitliche Entwicklungen darstellen als auch die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten erlauben. Gerade die für die Gestaltung der sozialpolitischen Rahmenbedingungen im Land so wichtige Beachtung regionaler Besonderheiten würde nach dem uns hier vorliegenden Antrag, der überwiegend auf eine Betrachtung des Landeshorizonts schaut, keine Berücksichtigung finden.

(Torsten Renz, CDU: Hm, ich würde mich weigern, das vorzulesen.)

Erwähnt sei auch, dass die Berichterstattungen zu ausgewählten oder zu sozialen Problemlagen, seien sie in Eigenregie des Landes oder durch beauftragte Externe durchgeführt, erhebliche personelle wie auch finanzielle Ressourcen und Kapazitäten binden. Tatsächlich führt die Erarbeitung solcher Berichte im Zweijahresrhythmus mit einer ersten Berichterstattung bereits im Jahr 2024, also mit noch geringerem Vorlauf zu einem Aufwand, der nicht im Verhältnis zum erhofften Zugewinn zu stehen scheint. Auch dieser Aspekt sollte bei der Abwägung des vorliegenden Antrages betrachtet werden.

Sehr geehrte Abgeordnete, ich kann Ihnen im Namen der Sozialministerin versichern, wir haben durch unabhängige und qualitativ hochwertige Quellen bereits aussagefähiges und valides Datenmaterial zu dem Themen Armut und Armutsgefährdung sowie zu anderen sozialpolitischen Phänomenen vorliegen oder die Möglichkeit, weitere Datengrundlagen aus ihnen zu generieren.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Statt vorhandene personelle und finanzielle Ressourcen und Kapazitäten für die Erstellung von Armuts- und Reichtums- oder vergleichbaren Berichten einzusetzen, beabsichtigt die Landesregierung, diese Kapazitäten und Ressourcen, wie in der Vergangenheit auch, weiterhin direkt für die weitere Umsetzung von sozialpolitischen Maßnahmen zur Unterstützung von hilfsbedürftigen Menschen im Land zu verwenden.

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, Frau Ministerin?

Ich würde jetzt vielleicht zu Ende machen und dann können Sie ja noch mal intervenieren.

Die Sozialministerin nimmt Ihren Antrag aber gern zum Anlass, um innerhalb des Sozialministeriums zu überlegen, ob wir transparent darstellen, auf welchen Datengrundlagen die Landesregierung sozialpolitisch agiert. Die Sozialministerin kann sich einen Bericht dazu vorstellen, welche Maßnahmen wir derzeit zur Armutsbekämpfung ergreifen und welche Maßnahmen zukünftig geplant sind. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin!

Es liegt ein Antrag auf Kurzintervention vor. Frau Abgeordnete Shepley, bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin!