Protocol of the Session on June 10, 2020

Mir geht es darum, dass wir allen Kindern die Möglichkeit eröffnen, sich bestmöglich zu entfalten, und das im besten Falle gemeinsam. Und warum das gut ist, dazu komme ich gleich noch.

Und diesem Ziel haben wir uns als Land übrigens auch rechtlich verpflichtet. In Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention wird das Recht auf inklusive Bildung festgeschrieben. Demnach sollen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen Zugang zu einem inklusiven Bildungssystem auf allen Ebenen haben, da sie ein Recht auf eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe haben. Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, und Mecklenburg-Vorpommern wird die Inklusion weiterhin umsetzen, angepasst an die Gegebenheiten in unserem Land und getragen von einer breiten gesellschaftlichen Basis, unter anderem auch durch die Fraktionen des Inklusionsfriedens.

Und in diesem Zusammenhang erinnere ich noch mal an den Landtag, der 2016 im Sommer die Inklusionsstrategie des Landes verabschiedet hat, getragen durch die Fraktionen von SPD, CDU und den LINKEN. Sie gibt einen verbindlichen Handlungsrahmen. Für diesen Ansatz und die Unterstützung der Fraktionen bin ich auch sehr dankbar.

Ich weiß natürlich um die Debatten über Inklusion, und für mich ist es eine wichtige Grundlage dafür, diese Debatten auch anzuhören und sie auch mitzuführen. Und wir müssen natürlich Inklusion gemeinsam hinkriegen. Wir können Inklusion nicht verordnen von oben, wir müssen Inklusion ermöglichen. Und deshalb nehmen wir uns mehr Zeit, als in der Landesstrategie vorgesehen, um die Ideen, die theoretischen Ideen, auch in die Praxis umzusetzen, um schultaugliche Konzepte weiterzuentwickeln und auch um den Schulen vor Ort die Möglichkeit zu geben, nach eigenem Tempo sich in die inklusive Beschulung auch zu begeben.

Wir haben, wie Sie alle wissen – Sie haben es beschlossen –, die Landesstrategie Inklusion um vier Jahre verlängert, und wir haben mit dem Schulpaket (200 Millionen zusätzlich für die Bildungspolitik) auch finanzielle Ressourcen zusätzlich zur Verfügung, um den Schulen vor Ort die Möglichkeit zu geben, eben Inklusion im eigenen Tempo zu entwickeln in den nächsten Jahren.

Wir haben übrigens – anders, als Sie es gerade gesagt haben, dass wir meinten, Inklusion sei ein Selbstläufer, und wir hätten ja gar nichts getan, um den Schulen da zu helfen –, es gibt schon aus der vergangenen Legislatur

periode ein Sanierungsprogramm, was sich sehr wohl auf das Thema Inklusion konzentriert hat, was die baulichen Maßnahmen angeht in den Schulen: 325 Millionen Euro. Das ist ja nicht nichts, und das ist schon gar nicht ein Selbstläufer, so viel Geld. Und wir haben auch in weiteren Beschlüssen zusätzliches Personal für die Inklusion in die Schulen gegeben.

Ein Thema – das wir immer wieder und jetzt auch in dem Antrag der AfD – in den Diskussionen haben, ist die Frage des Erhalts von Förderschulen oder eben des Auslaufens von Förderschulen. Richtig ist, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern hier einen eigenen Weg gehen. In unserem Land werden die Schulen mit dem Förderschwerpunkt Sehen und Hören, also Sehen oder Hören, oder körperliche und motorische Entwicklung, oder geistige Entwicklung, oder emotionale und soziale Entwicklung und Unterricht der kranken Schülerinnen und Schüler, diese Förderschulen werden erhalten bleiben. Wir werden also im Land ein Netz an Förderschulen weiterhin ohne Befristung haben. Lediglich die Schulen mit den Förderschwerpunkten Sprache oder Lernen, lediglich diese Förderschwerpunkte werden aufgehoben und in den Schulen inklusiv dann beschult. Dabei werden die Förderschulen mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung durch ein dezentrales Beratungs- und Unterstützungssystem zur Betreuung verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler weiter gestärkt. Das ist auch ein Baustein des Schulpaketes.

Nehmen Sie sich mal Zeit und besuchen diese Förderschule. Ich war letztens in Neukloster bei der Förderschule, im Förderzentrum für blinde und sehbehinderte Kinder. Dort wird großartige Arbeit gemacht. Und es ist in der Tat beeindruckend, wie da die Kinder auch aufblühen und was die mitnehmen aus diesem Unterricht. Es ist daher richtig, dass wir dieses Netz an Förderschulen auch weiter erhalten für die Kinder, die mit dem Förderschwerpunkt Sehen oder Hören oder körperliche und motorische Entwicklung oder geistige Entwicklung diese Schwerpunkte haben. Diese Kinder haben auch die Möglichkeit, wohnortnah und dezentral beschult zu werden. Für diese Schüler sieht die Inklusionsstrategie des Landes die Einrichtung von Schulen mit spezifischer Kompetenz vor. Es gibt also einen großen Mix an inklusiven Ansätzen, die integriert sind mit dem Bereich der Förderschulen.

Ich möchte zum Abschluss vielleicht noch einen Punkt sagen, warum ich – das hatte ich gerade angekündigt – der absoluten Überzeugung bin, dass das inklusive Beschulen ein ganz wichtiger und unverzichtbarer Baustein in unserem Bildungssystem ist, und zwar aus eigener Erfahrung kann ich davon berichten. Ich habe einen Sohn, der war ein halbes Jahr in Kanada, in dem Geburtsort seines Vaters, und ist dort zur Schule gegangen im 10. Schuljahr. Das war eine inklusive Schule. Dort wurde Inklusion sehr aktiv und in ganz breiter Form gelebt und dort wurde so auch miteinander umgegangen. Das, und zwar nicht, dass er in Kanada war, nicht, dass er irgendwelche Sprachen, irgendwas anderes kennengelernt hat, sondern diese Erfahrung, die er da mitgebracht hat, dass er mit Kindern, die einfach nur anders waren, die nichts gehört haben, die vielleicht nicht gesehen haben, die vielleicht einfach langsamer waren, mit denen gemeinsam Sportunterricht zu machen, mit denen gemeinsam beschult zu werden, das ist eine Erfahrung, die man so – leider, muss ich sagen – in dieser Gesellschaft nicht so oft bekommt. Das ist eine Riesenchance,

nicht nur für die Kinder, die Behinderungen mitbringen oder andere Nachteile, sondern auch für die, die ganz besonders schnell sind und alles mit in die Wiege gelegt bekommen haben. Insofern ist das wirklich ein wichtiger Ansatz, Inklusion, den wir keinesfalls aufgeben werden, meine Damen und Herren.

Ich mache es an dieser Stelle kurz: Von Inklusion profitieren in unserer Gesellschaft alle Menschen. Und mit Blick auf die Schule heißt das, es profitieren die schnellen Kinder, aber auch eben jene, die länger Zeit brauchen zum Lernen. Deswegen bitte ich Sie, diesen Antrag abzulehnen. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Burkhard Lenz, CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin! Zu Ihrem Redebeitrag ist eine Kurzintervention seitens der Fraktion der AfD angemeldet worden.

Das Wort hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Herr Schneider.

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Frau Ministerin, ich zitiere Ihre eigene Bundesfamilienministerin.

(Andreas Butzki, SPD: Haben wir heute schon gehört!)

Frau Franziska Giffey aus der SPD-Fraktion hat gesagt, ich zitiere aus der „Welt“ vom 25.02.2020: „Bundesfamilienministerin Franziska Giffey... sieht die Pläne zur Schließung der 38 Förderschulen für Kinder mit Lernschwierigkeiten in Mecklenburg-Vorpommern skeptisch. Sie finde die Idee der Inklusion grundsätzlich gut, sagte Giffey... ‚Und dann kommt das wahre Leben.‘“ Ich zitiere: „‚Und man sieht eben, dass Förderschulen an ganz vielen Stellen etwas ermöglichen, das an der normalen Schule nicht möglich ist.‘“ Zitatende.

(Andreas Butzki, SPD: Haben Sie nicht zugehört? Die Ministerin hat doch darauf geantwortet. – Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

„Dazu gehörten Klassen mit im Schnitt zehn Kindern,... wo besonders auf die Kinder eingegangen werden könne. ‚Wo verhaltensauffällige Kinder wieder plötzlich Spaß an der Schule haben, weil anders gelernt wird.‘ Die reine Lehre der Inklusion sei manchmal schön, aber die Wirklichkeit sei eben doch oft eine andere.“ Und dann noch mal aus Berlin sagt sie: „Wir haben nicht die Entscheidung getroffen, alle Schulen, die eine besondere Förderung ermöglichen, dicht zu machen.“

Vielleicht erkennen Sie auch mit der Aussage, dass wir uns dort nicht allein auf weiter Flur befinden, sondern das aus berufenem Munde gehört haben, dass unser Antrag vielleicht doch gar nicht so unsinnig ist und auch gar nicht so menschenfeindlich, wie Sie das gerne kolportieren wollen. Das ist es nämlich alles nicht, sondern wir haben uns was dabei gedacht. Es geht darum, den Kindern, die vielleicht nicht den besten Start hatten, weil sie gehandicapt sind, einen besonders guten Start zu ermöglichen. Und da sind die Förderschulen eben besonders gut geeignet.

Und ich werde in meinen Redebeitrag noch darauf eingehen, das Märchen von der Inklusion hört nämlich nach der Schule auf, und das ist das große Problem. Wir gaukeln diesen Kindern was vor, was im wahren Leben,

(Andreas Butzki, SPD: Das ist doch Quatsch!)

im Berufsleben, gar nicht so sein wird. Und das ist leider oft unter Beweis gestellt worden, eben anhand der Tatsache, dass viele von diesen Kindern dann in diesen Bildungswerkstätten landen und auf dem ersten Arbeitsmarkt diese Inklusion, so viel beschworen, wie Sie sie in den Schulen vorleben wollen, gar nicht stattfindet.

Herr Schneider, Ihre zwei Minuten sind erreicht.

Frau Ministerin, möchten Sie antworten?

Sehr gern.

Bitte schön!

Vielleicht gehe ich erst mal auf die Frage ein oder auf Ihr Statement, dass das Märchen der Inklusion nach der Schule beendet ist.

(Der Abgeordnete Jens-Holger Schneider spricht bei abgeschaltetem Mikrofon.)

Ich glaube, so ist das nicht. Ich kenne viele Menschen, die mit Behinderungen hervorragende Arbeit leisten in der Arbeitswelt,

(Andreas Butzki, SPD: Ich auch.)

die jegliche Möglichkeiten ausschöpfen, um ein erfolgreiches, glückliches Leben zu leben. Insofern ist das etwas, was ich mir noch mehr wünsche, dass wir das ermöglichen und nicht verhindern. Ihren Antrag sehe ich als einen Verhinderungsantrag einer solchen inklusiven Welt. Insofern lehne ich Ihren Antrag nach wie vor ab. Wenn ich das könnte, würde ich hier dagegenstimmen.

Außerdem bin ich sehr wohl mit Frau Giffey, die ich sehr schätze, Frau Bundesministerin Giffey, natürlich in engem Austausch. Frau Giffey teilt genau unseren Ansatz, genau so, wie wir ihn machen. Sie sagt, Förderschulen nicht alle abschaffen. Wir werden auch nicht alle abschaffen. Sie hat – vielleicht sollten Sie auch die anderen Interviews wahrnehmen, die sie gegeben hat –, sie hat sehr wohl, sie war gerade vor einer Woche im Land, in Vorpommern,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Verstehendes Lesen ist nicht gerade eine Stärke der AfD-Fraktion.)

und hat da ausdrücklich gesagt, dass sie unseren Ansatz teilt. Insofern, vielleicht sollte Ihre Pressestelle sich das auch noch mal raussuchen.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Die geilste!)

Danke schön!

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE die Fraktionsvorsitzende Frau Oldenburg.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein ganzer Gesetzentwurf der AfD, der sich gegen die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung richtet, der sich gegen die UN-Behindertenrechtskonvention stellt,

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD – Jens-Holger Schneider, AfD: Das ist pure billige Polemik, Frau Oldenburg! Das wissen Sie doch besser!)

der sich gegen das Miteinander und die Teilhabe an einer freien Gesellschaft richtet

(Jens-Holger Schneider, AfD: Ach, das wissen Sie doch besser!)

und der die Menschenwürde missachtet.

(Horst Förster, AfD: Ach nee! – Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Die Abgeordneten der AfD-Fraktion, die in den AntiCorona-Demos lauthals verkünden, dass Corona zu Unrecht die Grundrechte einschränkt, genau diese gleichen Personen treten mit diesem Gesetzentwurf und ihrer Ideologie die Menschenwürde mit Füßen,

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)