Protocol of the Session on June 10, 2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 91. Sitzung des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern.

Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 91., 92. und 93. Sitzung liegt Ihnen vor.

Die Fraktion DIE LINKE hat den Antrag auf Drucksache 7/5008 zurückgezogen. Damit entfällt am Freitag die Beratung des Tagesordnungspunktes 31.

Des Weiteren liegen Ihnen ein Dringlichkeitsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 7/5081 zum Thema „Entlassung der Verfassungsrichterin Borchardt“ sowie ein Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der CDU und SPD auf Drucksache 7/5082 zum Thema „30 Jahre Deutsche Einheit: Die Folgen der Teilung anerkennen und überwinden“ vor. Zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, die Tagesordnung um diese beiden Dringlichkeitsanträge zu erweitern. Über die Einreihung werde ich Sie nach Abschluss der Gespräche zwischen den Fraktionen informieren.

Wird der geänderten Tagesordnung widersprochen? – Dann gilt die Tagesordnung der 91., 92. und 93. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Gemäß Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die 91., 92. und 93. Sitzung die Abgeordnete Karen Larisch zur Schriftführerin.

(Unruhe bei Minister Dr. Till Backhaus und Minister Harry Glawe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch diese Landtagssitzung wird aufgrund der Corona-Krise unter besonderen Hygienebedingungen stattfinden. Ich bitte Sie, die im Ältestenrat vereinbarten Maßnahmen zu beachten und insbesondere die Abstandsregelungen, sehr geehrte Herren Minister, möglichst einzuhalten.

Meine Damen und Herren, kommen wir jetzt zu unseren zurückliegenden Geburtstagen. Ich gratuliere FranzRobert Liskow, Beate Schlupp und Peter Ritter zu ihren Geburtstagen im vergangenen Monat. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD, DIE LINKE und auf der Regierungsbank)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion DIE LINKE hat gemäß unserer Geschäftsordnung die Aktuelle Stunde zu dem Thema „Erste Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise“ beantragt.

Aktuelle Stunde Erste Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise

Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende Frau Oldenburg.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie war unser Leben doch

selbstverständlich und verlässlich! Selbstverständlich gingen wir morgens zur Arbeit und abends ins Kino oder zu Freunden. Wir konnten uns darauf verlassen, dass die Kita und die Schulen täglich geöffnet hatten und Betreuung und Unterricht niemals infrage standen. Geschlossene Restaurants und Jugendklubs, abgeschottete Krankenhäuser und Pflegeheime – sie waren außerhalb unseres Vorstellungsvermögens, weil sie außerhalb unseres bisherigen Lebens waren.

Ja, wir haben verstanden, dass nichts selbstverständlich ist. Und ja, wir haben auch verstanden, dass es die Verlässlichkeit in unserem Alltag ist, die wir brauchen, um gut und sicher miteinander zu leben und Krisen zu überstehen. Aber eine neue Normalität ist das, was wir auf gar keinen Fall brauchen. Diese sogenannte Normalität hat dazu geführt, dass viele Bereiche unseres Lebens in dieser Krise so anfällig waren und sind. Denn es war normal, dass das Gesundheitswesen privatisiert wurde, es deshalb keine Reserven an Schutzbekleidung, an Masken und an Beatmungsbetten zugelassen hat, weil Reserven nur Lager füllen, aber nicht die Taschen der Aktionäre. Normal war es auch, dass die Digitalisierung eine viel zu geringe Rolle gespielt hat, sie mehr als Luxus denn als Grundversorgung verstanden wurde. Und es war eben auch normal, dass vor allem Beschäftigte in Krankenhäusern, in Pflege- und Altersheimen und in den Geschäften für einen viel zu geringen Mindestlohn gearbeitet haben, in der Hoffnung, es wird schon irgendwie gehen. Und es war auch normal, dass Katastrophen immer nur in anderen Ländern geschehen und deshalb eben in Deutschland keine Vorsorge für eine derart schwere Krise getroffen wurde. Und damit war es leider auch normal, dass wir in einem permanenten Risiko gelebt haben.

Sehr geehrte Damen und Herren, nein, diese Normalität soll nicht zu uns zurückkommen. Wir brauchen sie auch nicht in einem neuen Gewand, wir brauchen einen anderen, einen neuen Inhalt. Wir brauchen eine neue, eine bessere und verlässliche Sozialpolitik.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Was wurde für die Krankenschwestern applaudiert und was wurden die Altenpfleger umjubelt, weil wir genau wussten, dass wir ohne sie einpacken können, dass wir ohne sie keinen Hauch einer Chance hatten, hier wieder rauszukommen. Die Bundesregierung verabschiedet sich von der Prämie in Höhe von 1.500 Euro für das Pflegepersonal, 1.000 Euro tun es auch. Das Land springt Gott sei Dank ein und bessert nach. Selbst in dem Konjunkturpaket steht kein einziges Mal das Wort „Pflege“, und für die Beschäftigten, die uns durch diese Krise gebracht haben, finden sich in dem Paket lediglich Almosen, und die auch nur, wenn sie Kinder haben.

9 Milliarden für die Lufthansa und 4,5 Milliarden für die Kinderbonus-Einmalzahlung – der Bund fördert Familien mit Kindern einmalig mit 300 Euro, den Kauf eines Elektroautos mit 6.000 Euro. Aber wer von den Altenpflegern und Postboten kann sich jetzt in dieser Zeit überhaupt ein neues Auto leisten und wem hilft die Mehrwertsteuersenkung? Bei einem Wochenendeinkauf einer Familie im Wert von 100 Euro spart diese Familie sage und schreibe 3 Euro. Wenn aber der Konzerneigentümer ein Elektroauto im Wert von 40.000 Euro kauft, spart er insgesamt mit dem staatlichen Zuschuss von 6.000 Euro 8.160 Euro.

Das Konjunkturpaket ist ein Konjunkturpaket, das verhindert, dass die Reichen weniger haben und die Armen mehr. Und Friedrich Merz erwägt sogar, den Mindestlohn zu kürzen. Und der Wirtschaftsflügel der Union spricht davon, ich zitiere, dass wir uns „zu viel Sozialklimbim“ leisten. Wir fordern die Landesregierung auf, gemeinsam mit uns gegen jeglichen Angriff auf den Sozialstaat vorzugehen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Es darf nicht sein, dass genau die Beschäftigten, die für 9,35 Euro knüppeln, wieder die Zeche zahlen, genau wie 2008. Um das zu verhindern, fordern wir, dass eine einmalige Abgabe für jene eingeführt wird, die über ein Vermögen in Millionenhöhe verfügen. In Deutschland gibt es mehr Vermögensmillionäre, als MecklenburgVorpommern Einwohner hat. Sie hier mit fünf Prozent auf ihr Vermögen einmalig zur Kasse zu bitten – das sind mindestens 150 Milliarden Euro –, das muss ihr solidarischer Beitrag sein.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Sehr geehrte Damen und Herren, welche Schlussfolgerungen zieht meine Fraktion für den Bereich des Gesundheitswesens? Ganz einfach: Das öffentliche Gesundheitswesen gehört endlich wieder in öffentliche Hand.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Niemals darf die Gewinnmaximierung vor der Gesundheit stehen oder gar auf ihre Kosten gehen. Wir haben es doch selbst erlebt: Wir waren abhängig von Importen, ob Medikamente oder Schutzbekleidung, weil die Profite und die Rendite wichtiger waren als die Gesundheit. Wir müssen unsere Versorgungssicherheit zurückerlangen, und das darf für ein so reiches Land wie Deutschland kein Problem sein. Krankenhausschließungen und Privatisierungen müssen endlich aufhören. Deshalb fordern wir, dass in einem ersten Schritt alle Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt nach dem Vorbild der Unikliniken mindestens ein Krankenhaus in die öffentliche Hand überführt wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen keine Zuschüsse für Autokäufe, wir brauchen dauerhafte Zuschüsse für Familien, für Kinder und für Eltern. Und das kann doch um Gottes willen nicht mit einer einmaligen Bonuszahlung, die kein einziges Kind in MecklenburgVorpommern aus der Armut holt, erledigt sein.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Und wir brauchen auch keine Abwrackprämien für Autos, denn die sind längst noch nicht vom Tisch. Wir brauchen Abwrackprämien für all das, was die soziale Sicherheit in Mecklenburg-Vorpommern hemmt, nämlich Abwrackprämien für Hartz IV, für Kinderarmut und für Familienarmut.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Deshalb laden wir die Ministerpräsidentin ein, gemeinsam mit meiner Fraktion und der Koalition und den Sozialverbänden einen Familiengipfel durchzuführen, um die Chancen der Kinder zu erhöhen und Familien nicht im

Regen stehen zu lassen. Hartz IV an sich ist schon eine Schande, aber diese Armut per Gesetz noch auf die Kinder runterzubrechen, ist einer der größten Systemfehler der Bundesrepublik. Kinder haften für ihre Eltern – das ist falsch, fatal und unsozial.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Wir müssen auf diesem Gipfel darüber diskutieren, ob eine dauerhafte Landeslösung für eine Kindergrundsicherung der Weg sein kann, der die Familien in Mecklenburg-Vorpommern aus der Armut führt.

Sehr geehrte Damen und Herren, unser Land braucht Verlässlichkeit im Alltag und im Miteinander statt Ungewissheit, Angst und Sorgen. Das muss und kann unser Weg sein, den können wir nur gemeinsam gehen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Fraktionsvorsitzende!

Das Wort hat jetzt für die Landesregierung die Ministerpräsidentin Frau Manuela Schwesig. Und gestatten Sie mir an dieser Stelle, auch noch einmal ganz herzlich nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren mit den besten Wünschen für die Gesundheit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD, DIE LINKE und Minister Christian Pegel)

Vielen herzlichen Dank!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Wir haben in der Aktuellen Stunde das Thema „Erste Folgerungen aus der Corona-Krise“, und ich finde, dass die Fraktion DIE LINKE mit der grundsätzlichen Frage, was lernen wir eigentlich aus der Corona-Pandemie, aus der CoronaKrise, ein wichtiges und richtiges Thema aufgegriffen hat, und sage aber, dass ich das Gefühl habe, wir sind noch gar nicht an dem Punkt, wo wir schon sagen können, was wir alles wissen und was wir in Zukunft alles besser machen, sondern wir sind eigentlich noch mittendrin. Und das haben Sie ja auch, sehr geehrte Frau Fraktionsvorsitzende Oldenburg, deutlich gemacht. Und es ist aber trotzdem richtig, dass wir parallel zum Krisenmanagement bereits schon erste Schlussfolgerungen ziehen und Dinge verändern. Und das haben wir getan, und darüber möchte ich auch sprechen und darüber hinaus auch Themen ansprechen, die, wie ich finde, wir dann auch noch für die Zukunft diskutieren müssen.

Ich habe es eben angesprochen, die Corona-Krise bewegt uns seit nunmehr drei Monaten im ganzen Land, in ganz Deutschland, in der ganzen Welt und bewegt uns auch seit Wochen hier im Landtag, und ich finde, dass man schon eine Schlussfolgerung ziehen kann: Wenn Mecklenburg-Vorpommern das Land in Deutschland ist, das von Anfang an bis Stand heute die geringsten Infektionen hat und damit auch die wenigsten Erkrankten und zum Glück die wenigsten Toten, die wenigsten Menschen, die diese schwierige Behandlung von Isolierstation und Beatmungsgerät mitmachen mussten, auch wenn natürlich hinter jedem Fall ein ganz persönliches Schicksal für die Betroffenen, für die Angehörigen und Freunde

steht, wenn das so ist, dass wir in ganz Deutschland und in der ganzen Welt bisher am gesündesten durchgekommen sind, dann haben wir auch einiges richtig gemacht, denn wir haben sofort gehandelt, wir haben zügig gehandelt, wir haben konsequent gehandelt, wir sind nicht den gefährlichen schwedischen Weg gegangen, und wir haben vor allem eine Bevölkerung, die für mich in beeindruckender Weise sofort verantwortungsvoll und im Großen und Ganzen geschlossen bereit war, alles gegen diese Pandemie zu tun. Deshalb herzlichen Dank an die Bevölkerung und an alle, die bei diesem Weg mitgeholfen haben!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und Nikolaus Kramer, AfD)

Gleichzeitig gab es eben nicht nur die Bedrohung durch das Corona-Virus für die Gesundheit der Bevölkerung, sondern eben für die Wirtschaft, für das soziale Zusammenleben, und deshalb haben wir sofort im Krisenmanagement Schlussfolgerungen gezogen und gesagt, es reicht nicht, dass wir auf Abstand gehen, dass wir Dinge schließen, sondern wir müssen gleichzeitig auch Hilfen organisieren. Das haben wir gemeinsam hier fraktionsübergreifend in Parlament und Regierung getan mit einem Schutzfonds in einer Größe, wie sie dieses Land noch nie gesehen hat: 1,1 Milliarden Euro zum Schutz von Soloselbstständigen, von Unternehmerinnen und Unternehmern, von Arbeitsplätzen, zum Schutz von sozialen Vereinen, zur Unterstützung zum Beispiel im Bereich Kinderbetreuung.

Ganz viel ist bereits mit diesem Schutzfonds abgeflossen und auf den Weg gebracht worden und weitere Unterstützungen folgen. Das haben wir parallel zum Krisenmanagement gemacht – Schutz für die Gesundheit, aber auch Schutz für Arbeitsplätze und Wirtschaft. Und dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Und das hat diese Krise auch gezeigt, dass es möglich ist, wenn es darauf ankommt, dass fraktionsübergreifend Landtag und Regierung gemeinsam handeln für die Menschen im Land, für dieses Land. Vielen Dank dafür!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und Simone Oldenburg, DIE LINKE)

Und wir haben darüber hinaus schon gleichzeitig uns Gedanken gemacht, wie können wir, wenn wir das Gesundheitssystem für die Corona-Virus-Pandemie hochgefahren haben, wenn wir Klarheit haben, wo sind die Infektionen, wie können wir Infektionsketten nachvollziehen, die Dinge wieder öffnen. Und wir haben gemeinsam über Wochen in unendlich vielen Sitzungen im Gesundheitsgipfel, im Wirtschaftsgipfel, mit den Sozialverbänden, mit der kommunalen Familie oft hier im Plenarsaal – vielen Dank für die Gastfreundschaft! – miteinander gesprochen, wie kann ein MV-Plan aussehen auf dem Weg hin, dass wir wieder einen verlässlichen Alltag bekommen, dass wir wieder Dinge öffnen können, in eine neue Normalität, dass Kinder wieder in die Kitas können, dass Kinder wieder in die Schule können, dass Unternehmen wieder aufmachen können, dass Menschen wieder arbeiten gehen können, dass wir wieder ÖPNV nutzen können.

All diese Dinge haben wir uns frühzeitig überlegt und in einem Mecklenburg-Vorpommern-Plan festgehalten, in dem wir Schritt für Schritt vorgehen: Dinge öffnen, unter Schutzmaßnahmen nach 14 Tagen, drei Wochen kontrol

lieren, weitere Schritte gehen. Diesen MV-Plan haben wir zusammen entwickelt, und auf diese Gemeinsamkeit haben wir als Landesregierung von Anfang Wert gelegt: Gemeinsam mit dem Parlament, gemeinsam mit der kommunalen Familie, mit den Sozialpartnern, mit den Sozialverbänden – das war uns wichtig. Und dieser Mecklenburg-Vorpommern-Plan trägt uns seit Wochen wieder zurück in einen verlässlichen Alltag, ohne dass das Corona-Virus uns bedrohen kann.