Protocol of the Session on December 12, 2019

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 55 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Landesregierung die Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung Frau Drese.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es ist richtig und wichtig, dass in der heutigen Sitzung auch die Zweite Lesung des Gesetzes zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Mecklenburg-Vorpommern auf der Tagesordnung steht. Der Beschluss der BTHGUmsetzungsgesetze noch in diesem Jahr ist unabdingbar. Er ist unabdingbar mit Blick auf die Menschen mit

Behinderungen, die eine Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes auch in Mecklenburg-Vorpommern erwarten dürfen. Wir schaffen heute landesgesetzlich die entsprechenden Voraussetzungen.

Sie wissen sicherlich, dass das Bundesteilhabegesetz unter Berücksichtigung der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention unter anderem die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen zu einer modernen, personenzentrierten Teilhabeleistung außerhalb des Fürsorgesystems fortentwickelt. Es werden grundlegende qualitative und strukturelle Änderungen des Rechts der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen vorgenommen. Dieses Hauptziel möchte ich ausdrücklich hervorheben.

Das BTHG ist eine epochale sozialpolitische Reform für eine inklusive Gesellschaft. Es schafft für Menschen mit Behinderungen Verbesserungen und betont deren Recht auf mehr individuelle Selbstbestimmung durch ein modernes Recht auf Teilhabe und die dafür notwendigen Unterstützungen. Die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit erheblichen Teilhabeeinschränkungen hängen nicht mehr vom Ort der Unterbringung ab, sondern orientieren sich künftig ausschließlich am individuellen Bedarf.

Diese begrüßenswerte epochale Reform durch das BTHG stellt auch hinsichtlich der zeitlichen Anforderungen alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Das stufenweise in Kraft tretende Bundesteilhabegesetz erfordert zwingend Anpassungen landesrechtlicher Vorschriften und eröffnet auf Landesebene gesetzgeberische Gestaltungsspielräume.

Für die Umsetzung des BTHG gibt es aber kein Vorbild. Dass dies auch mit Unsicherheiten verbunden ist, liegt auf der Hand und ist völlig normal. Das ist landauf, landab so. Die Herausforderungen bei der Umsetzung des BTHG waren ein großes Thema am Rande der Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder vor zwei Wochen in Rostock. In Mecklenburg-Vorpommern wird die Umsetzung von allen Beteiligten sehr ernst genommen und mit Nachdruck betrieben. Es ist mir ein Anliegen zu betonen, dass sowohl die sozialen Träger als Leistungserbringer, die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Eingliederungs- und Sozialhilfe, die Behindertenverbände als auch die Landesregierung mit großem Engagement dabei sind, für die Menschen mit Behinderung in unserem Land das BTHG und seine Ziele so umzusetzen, dass deren Interessen umfassend Rechnung getragen wird.

Ja, dabei geht es auch um harte Verhandlungen zwischen Land und kommunaler Ebene über die finanzielle Ausgestaltung. Das ist aber kein Selbstzweck, sondern erfolgt mit Blick auf die notwendigen angemessenen Bedarfe für die Menschen mit Behinderungen. Insbesondere geht es um die zusätzlich notwendige Personalausstattung durch die erweiterten Aufgaben in den Sozialämtern. Ich werde darauf noch näher eingehen.

Ich bedauere, dass wir bisher nicht zu einer Einigung gekommen sind, und ich bedauere, dass wir erst sehr spät in konkrete Verhandlungen eintreten konnten, da es zu lange gedauert hat, bis die kommunale Ebene überprüfbare Zahlen vorgelegt hat. Dafür dürfen wir die Menschen mit Behinderung im Land aber nicht in Geiselhaft nehmen. Mit einem heutigen Beschluss nehmen wir den

dadurch entstandenen, aus meiner Sicht nicht angemessenen Zeitdruck aus den Gesprächen heraus. Wir schaffen auch in finanzieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage für die ohne Zweifel bestehende Mehrbelastung der Sozialämter in den Landkreisen und kreisfreien Städten.

Nicht richtig ist die Aussage, dass das Gesetz keine Regelungen zu Personal und Finanzen trifft. Ich sage aber auch hier und heute ganz klar, meine Tür, die Tür der Landesregierung, ist weiterhin offen für konstruktive Gespräche mit den kommunalen Landesverbänden.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Es geht nicht um die Tür, es geht um den Geldkasten.)

Wir haben nicht ewig Zeit, aber wir nehmen uns Zeit, bei diesem wichtigen Thema zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.

(Thomas Krüger, SPD: Das ist gut so.)

Vor diesem Hintergrund begrüße ich den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, die Verhandlungen bis Ende März fortzuführen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Maika Friemann-Jennert, CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihnen liegt zudem der Bericht des Sozialausschusses vor, dem Sie den Vorschlag entnehmen können, dem Gesetzentwurf mit Änderungen zuzustimmen. Diese Änderungsvorschläge zum Gesetzentwurf werden von mir ausdrücklich mitgetragen. Sie dienen der Klarstellung der Ziele des Gesetzes.

Ihnen liegt zudem ein Plenarantrag vor, der den im ursprünglichen Gesetzentwurf als Mehrbelastungsausgleich genannten Betrag um knapp 600.000 Euro auf 4,228 Millionen Euro erhöht. Wir sind also in Übereinstimmung mit den Koalitionsfraktionen bereit, eine im Vergleich zum Gesetzentwurf der Landesregierung verbesserte Ausgleichszahlung jetzt gesetzlich festzuschreiben und knapp 600.000 Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen.

Dabei sind wir von folgenden Überlegungen ausgegangen:

Zum Ersten: In Umsetzung des Konnexitätsprinzips ist bei der Höhe der Bestimmung des Mehrbelastungsausgleichs nicht nur der erhöhte Erfüllungsaufwand in Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes zu berücksichtigen, auch die bisher notwendigen Aufgabenwahrnehmungen und möglichen Einsparungen durch Rechtsvereinfachung müssen einbezogen werden. Insoweit dient ein Mehrbelastungsausgleich ausschließlich zur Refinanzierung dieses Unterschieds. Das heißt – und da bitte ich um Verständnis für die Position der Landesregierung –, die Finanzierung bisher erforderlichen, aber nicht vorhandenen Personals in den Sozialämtern ist nicht Teil des Mehrbelastungsausgleichs und kann nicht Teil des Mehrbelastungsausgleichs sein. Gleichzeitig ergibt sich daraus, dass eine Istkostenerstattung, wie von den Kommunen vorgeschlagen, nicht in Betracht kommt.

Zum Zweiten: Der Mehrbelastungsausgleich muss sich auf diesen gesamten Bereich der Eingliederungs- und

Sozialhilfe beziehen. Mit der Überführung der Eingliederungshilfe in Teil 2 des SGB IX wird die kommunale Ebene entlastet, im Fachjargon spricht man von negativer Konnexität. Dies ist ebenso zu berücksichtigen wie auch die künftige Trennung zwischen Lebensunterhalts- und Maßnahmenleistungen und damit einhergehende Aufgabenverschiebungen. Daraus ergibt sich, das entgegen den Vorschlägen der Kommunen die Bestimmung des Mehrbelastungsausgleichs nicht allein auf die Bedarfsfeststellung und damit in Zusammenhang stehende Standarderhöhungen beschränkt werden kann.

Zum Dritten: Zur Bestimmung des Mehrbelastungsausgleichs in der Eingliederungshilfe – also dem Fallmanagement, der Sachbearbeitung und den Overheadkosten – sind hinsichtlich des Personalschlüssels ein Ausgangskorridor für die Zeit vor dem Inkrafttreten des BTHG und ein Zielkorridor für die Aufgabenwahrnehmung nach Inkrafttreten des BTHG zugrunde zu legen. Der Ausgangskorridor liegt bei durchschnittlich 161,9 Leistungsbeziehern je Vollzeitäquivalent. Der Zielkorridor ab 01.01.2020, den wir jetzt vorschlagen, liegt bei durchschnittlich 120 Leistungsbeziehern je Vollzeitäquivalent.

Zur Verdeutlichung: Mit diesem Vorschlag unterschreitet die Landesregierung deutlich den in Niedersachsen zugrunde gelegten Fallschlüssel von 150 Fällen je Mitarbeiterin und Mitarbeiter. Bei zugrunde gelegten Bruttopersonalausgaben von 70.000 Euro entspricht ein Mehrbelastungsausgleich in Höhe von 4.228.000 Euro circa 60 zusätzlichen Stellen in den Sozialämtern unseres Landes. 60 zusätzliche Stellen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Werden zudem die Entlastungen durch die Vereinfachung bei der Prüfung der Einkommen und Vermögen in Höhe von 870.000 Euro pro Jahr einbezogen, ergibt sich ein Ausgleich für die Landkreise und kreisfreien Städte insgesamt in Höhe von 5.098.000 Euro brutto jährlich.

Ich glaube, das ist ein faires und fachlich gut untermauertes Angebot, für dessen Annahme ich hier im Landtag werbe. Auf dieser Basis bin ich gern bereit – und ich denke, ich kann hier auch für den Finanzminister und die gesamte Landesregierung sprechen –, die Konnexitätsverhandlungen entsprechend dem Entschließungsantrag fortzuführen und den Versuch zu unternehmen, doch noch eine einvernehmliche Lösung zu erzielen.

Hinzu kommt – und darauf möchte ich auch besonders hinweisen –, dass Artikel 1 des Gesetzentwurfes, also das Landesausführungsgesetz SGB IX in Paragraf 18, eine umfassende Evaluationsklausel enthält. Und wie ich bereits erwähnte, wir betreten mit der Umsetzung des BTHG Neuland, deshalb ist eine Überprüfung der gesetzlichen Regelungen für uns eine Selbstverständlichkeit, und ebenso selbstverständlich wird die Landesregierung zudem ihrer Kostenbeobachtungspflicht umfassend Rechnung tragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zum Gesetzentwurf mit den vorgeschlagenen Änderungen und danke Ihnen von Herzen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD Herr de Jesus Fernandes.

Sehr geehrtes Präsidium! Werte Abgeordnete! Liebe Gäste! Das Bundesteilhabegesetz und der ganze Umgang damit hat eigentlich alles noch mal bestätigt, was gestern hier schon mal gesagt wurde: die Selbstherrlichkeit der Regierungsfraktionen.

(Beifall Dr. Ralph Weber, AfD)

Herr Koplin selbst hat als Ausschussvorsitzender schon über die Vorgänge hier berichtet, das natürlich ganz ruhig und sachlich, weil er hier eben auch als Vorsitzender des Ausschusses dieses getan hat.

(Jörg Heydorn, SPD: Dann können Sie ja jetzt unsachlich werden.)

Das Thema an sich zeigt aber jetzt eigentlich nur, wie Sie mit den Menschen mit Behinderung in diesem Land umgehen – auch Sie, Herr Heydorn. Sie sind ja Mitglied des Sozialausschusses, auch Sie können sich da nicht mit Ruhm bekleckern, weil das gab es tatsächlich nicht.

Frau Tegtmeier selbst sagt im Sozialausschuss, wir wissen seit Jahren, dass dieses Gesetz kommt und dass wir das hier umsetzen müssen, Ihre eigene Kollegin sagt, seit Jahren wissen wir darüber Bescheid, und da kommen Sie immer in der letzten Minute und versuchen mit heißer Nadel, noch schnell etwas durchzudrücken. Frau Drese stellt sich hier hin, es ist unabdingbar, dass dieses Jahr noch dieses Gesetz fertig werden und verabschiedet werden muss. So können Sie mit der Bevölkerung nicht umgehen und so können Sie auch mit der Opposition nicht umgehen und schon gar nicht mit den Menschen mit Behinderung in diesem Land! Das ist überhaupt keine Wertschätzung, auch wenn Sie das hier versucht haben noch mal nach oben zu heben.

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Das ist keine Wertschätzung für die Menschen mit Behinderung in unserem Land und das ist kein würdiger Umgang mit ihnen vor allen Dingen, der hier passiert ist.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Zuruf von Ministerin Stefanie Drese)

Wir haben hier einen Gesetzentwurf vorliegen,

(Thomas Krüger, SPD: Was meinen Sie denn jetzt genau?)

wo die Konnexitätsverhandlungen nicht abgeschlossen sind, die aber laut Landesverfassung unbedingter Bestandteil der Gesetzgebung sind. Was wollen Sie denn jetzt eigentlich von uns? Dass wir ein verfassungskonformes Gesetz hier auf den Weg bringen oder dass wir uns hier aufs Glatteis begeben, liebe Regierungskoalition? Wir werden diesem Gesetzesentwurf nicht zustimmen, so viel schon mal vorab. Selbst der Oberbürgermeister von Schwerin hat durch die Blume empfohlen, dieses hier abzulehnen, was hier heute passiert. Also wie gesagt, Sie haben nicht nur die Menschen mit Behinderung vor den Kopf gestoßen, sondern ebenfalls auch die gesamte kommunale Ebene.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Was soll dieses Gesetz machen? Also wie gesagt, es gibt viele gesetzliche Änderungen, Frau Drese hat es schon ausgeführt. Acht Paragrafen der Eingliederungshilfe werden aus dem SGB XII in 61 neue Vorschriften in den zweiten Teil des SGB IX umgesetzt. Alles kein Geheimnis, seit Jahren bekannt, nicht wahr, Frau Tegtmeier? Sie hätten das machen können, Sie haben das ganze Jahr über Zeit gehabt. Und wenn Ihnen die Zeit nicht ausreicht,

(Martina Tegtmeier, SPD: Sie hätten auch mal der Ministerin zuhören sollen.)

dann hätten Sie auch die Sommerpause durchmachen können, meine Damen und Herren.

Und dann kommen Sie jetzt hier mit Änderungsanträgen, da stellen sich ja einem die Nackenhaare auf, muss man sagen.

(Heiterkeit bei Jörg Heydorn, SPD)

Es gibt eine Entschließung aus dem Sozialausschuss, dass die Konnexitätsverhandlungen natürlich zu Ende zu führen sind. Jetzt kommen Ihre Regierungsparteien an, mit diesem Antrag, dass man doch hier wiederum eine Entschließung auf den Weg bringt. Das Land wird gebeten, die Konnexitätsverhandlungen zu Ende zu führen. Ja, und? Das sind Ihre Leute, die hier hinter uns sitzen! Die schweben doch nicht im luftleeren Raum, die arbeiten doch auch in eurem Auftrag und im Wählerauftrag wohlgemerkt!

(Zuruf von Ministerin Stefanie Drese)