Protocol of the Session on June 20, 2019

Und ich falle gleich sozusagen mit der Tür ins Haus: Die steuerliche Privilegierung können wir uns nicht vorstellen als adäquates Mittel, sondern – das hätte ich jetzt auch nicht gedacht, dass ich da heute mal Herrn Professor Weber noch recht gebe – tatsächlich ist es auch aus unserer Sicht so, die Gewerkschaften und auch die Arbeitgeberverbände müssen in erster Linie selbst dafür sorgen, ihre Mitglieder zu bekommen, und müssen so attraktiv für potenzielle Mitglieder sein, dass sie eben halt auch eintreten wollen, denn erstaunlicherweise ist es ja so, dass sowohl die Unternehmer in den Arbeitgeberverbänden nicht mehr so organisiert sind wie früher als auch die Arbeitnehmer. Also normalerweise, das eine oder andere könnte man sich leicht erklären, da könnte man sagen, das ist alles zu arbeitnehmerlastig geworden, deswegen scheren die Unternehmer vielleicht aus, wollen sich nicht mehr organisieren, oder umgekehrt. Aber was man eigentlich nicht so gut erklären kann, ist, dass beide nach unten gehen.

Deswegen können wir auch dem Punkt II.1 sehr viel abgewinnen und so verstehe ich, ehrlich gesagt, auch hauptsächlich Ihren Antrag heute, dass ein Dialogprozess initiiert werden soll zwischen den verschiedenen Partnern, um darüber nachzudenken und nach Lösungen zu suchen, wie kann man den Organisationsgrad auf beiden Seiten erhöhen. Und Sie wissen, dass wir immer dafür sind, dass eine Landesregierung dann auch mal eine Führung übernimmt, eine Initiierung auch mal tatsächlich startet und nicht immer nur sagt, das müssen die anderen machen, sondern sich dort in diesen Prozess auch aktiv einbringt. Das ist schon wichtig.

Zu welcher Lösung man am Ende kommt, das ist für meine Begriffe jetzt noch viel zu früh, da muss man tatsächlich erst umfangreich miteinander reden. In erster Linie sind aber eben die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände gefragt. Die müssen deutlich machen, wo ist der Vorteil, wenn ich mich bei ihnen organisiere. Und leider sind da die Nachteile, glaube ich, immer ein bisschen stärker betont worden. Natürlich hat es auch Nachteile, ist klar. Wenn ich als Unternehmer in einem Arbeitgeberverband bin mit Tarifbindung und dann muss ich eventuell mal einen Tarifabschluss akzeptieren, der mir persönlich in meinem Betrieb jetzt gerade gar nicht gefällt, das ist ein Nachteil, der auf der Hand liegt.

Dass man aber auch unzählige Vorteile haben kann, dass auch die Tarifverträge so flexibel sein können, dass sie auf regionale Besonderheiten ja eingehen, das ist wahrscheinlich in Mecklenburg-Vorpommern auch noch gar nicht hinreichend bekannt. Jedenfalls würde ich darum bitten, dass man das noch bekannter macht, und dabei kann die Landesregierung ja durchaus eine wichtige Rolle spielen, aber man darf nicht die Themen miteinander vermischen. Das eine ist das Steuerrecht und die steuerliche Gleichbehandlung und das andere ist eben die Tarifautonomie und die Vertragsfreiheit, sich in einer Organisation zu binden oder eben auch nicht.

So, das heißt, wir werden dem Punkt I zustimmen, und zwar so, wie er ist – also der Änderungsantrag bringt aus meiner Sicht da nicht gerade großen Mehrwert –, und

eben, wie gesagt, Punkt 1 in Ziffer II. Die beiden anderen Punkte werden wir ablehnen. – Danke schön.

(Beifall Dr. Matthias Manthei, Freie Wähler/BMV)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Waldmüller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Tarifbindung in M-V stärken“ – ein Antrag, Herr Schulte hat das schon gesagt, den Feststellungsteil, den wir absolut tragen. Eine Erhöhung der Tarifbindung ist auch in unserem Sinne. Verbindliche Regelungen, die bei beiden Seiten zu Vorteilen führen, kann man nur begrüßen, überhaupt keine Frage. Und gute Löhne in Mecklenburg-Vorpommern, die sind gut für unsere Wirtschaft, für das Wirtschaftswachstum, gut für die Attraktivität der Arbeitsplätze, gut für diejenigen, die hier im Land leben und wohnen und hier dann bleiben. Und sie sind gut für diejenigen, die zurückkommen wollen, zurück nach Mecklenburg-Vorpommern.

Wenngleich wir dem Feststellungspart, wenn wir dem zustimmen, mit diesem Änderungsantrag – den muss ich jetzt nicht mehr erklären, hat Herr Schulte ausführlich gemacht –, überhaupt keine Frage, möchte ich allerdings natürlich schon grundsätzlich etwas vorwegsagen, was unsere Position ist. Es dürfte Sie auch nicht verwundern, aus unserer Sicht dürfte es eben keinerlei politischer Einflussnahme bedürfen, weil Tarifpartner grundsätzlich für die Attraktivität und für die Akzeptanz selbst verantwortlich sind, vom Grundsatz her. Es bedarf also keiner politischen Aufforderung an die Politik. Die Verantwortlichen, die Tarifpartner tragen hohe Verantwortung und müssen sich derer auch bewusst sein. Es gibt genügend Diskussionsplattformen, die eingerichtet sind, die dazu auch beitragen. Und wenn schon, obwohl es keiner Einflussnahme bedarf, doch eine Einflussnahme erfolgt, dann darf sie aber niemals, zu keiner Zeit, also darf sie höchstens moderierend sein, aber nie, zu keiner Zeit einseitig einen Tarifpartner begünstigen. Das ist vom Grundsatz her.

Und jetzt ist ja die Frage, warum haben wir dann in Mecklenburg-Vorpommern, warum ist es denn so? Sie haben ein bisschen schon was gesagt, aber es geht auch aus Ihrer Kleinen Anfrage hervor, die Sie vor geraumer Zeit, ich weiß gar nicht mehr, wann genau, gestellt haben, wie die Struktur im Land Mecklenburg-Vorpommern ist. Und da kommt eben auch dann raus, dass wir bei Großbetrieben über 250 eine Tarifbindung von circa 80 Prozent haben

(Henning Foerster, DIE LINKE: 72.)

und in Kleinbetrieben dann unter 10 Prozent, sage ich mal. Im Schnitt sind wir dann, Sie haben es heute gesagt, bei 24 Prozent.

Aber das ist eben auch ein strukturelles Problem. Und in Mecklenburg-Vorpommern haben wir eben hauptsächlich, zu über 90 Prozent, kleine und mittelständische Betriebe. Es ist also in der Tat eine strukturelle Schwäche, die wir da haben, insbesondere auch, was die Industriedichte angeht. Wenn Sie die Industriedichte in anderen Bundesländern sehen, wo die Industriedichte wesentlich höher ist, dadurch höhere Tarifbindung, ist natürlich auch dementsprechend das Gefüge ein anderes.

(Zuruf von Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV)

Manche im Land, je nachdem, in welchen Regionen man lebt, können gar nicht und kämpfen jeden Tag erst einmal, um die Infrastrukturdefizite auszugleichen, weil wo ich eben kein Breitband habe, wo die Mobilität eingeschränkt ist und dergleichen, da habe ich natürlich als Unternehmen auch nicht die Wertschöpfung oder kann sie gar nicht so generieren, wie ich sie gerne generieren wollte. Es ist eben auch ein regionales Problem. Man kann nicht pauschal sagen, Mecklenburg-Vorpommern, Hut drüber und fertig. Es gibt regionale Unterschiede und die muss man auch berücksichtigen, und das ist auch richtig so. Das ist auch die Aufgabe der Politik, weil wir eben klein- und mittelständisch strukturiert sind.

Wir bewegen uns in der momentanen Situation, wenn man die Wirtschaft von Mecklenburg-Vorpommern anguckt, wir haben ein steigendes Bruttoinlandsprodukt, wir haben wachsende Beschäftigung, wir haben eine niedrige Arbeitslosenquote, ein positives Rückkehrersaldo – also Mecklenburg-Vorpommern ist schon attraktiv für die Rückkehrer –, und wir haben einen Fachkräftemangel, der über alle Branchen in Mecklenburg-Vorpommern geht. Und das allein, dieser Fachkräftemangel, führt natürlich zu einem unglaublichen Wettbewerb innerhalb der Unternehmen in der Region, in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch deutschlandweit, ja sogar europaweit, weil das Phänomen gibt es in ganz Europa.

Aber das führt nämlich auch dazu, dass Sie heute Fachkräfte zu einem nicht marktüblichen Preis überhaupt nicht mehr bekommen. Es gibt sogar Regionen, Herr Foerster, da kann ich Sie gern hinführen und die auch zeigen, wo von Arbeitnehmern – ich will das jetzt nicht bewerten – diktiert wird, welchen Lohn sie in Zukunft haben möchten, oder diktiert werden möchte, weil eben, ich sage mal, die Situation so prekär ist zum Teil in einzelnen Branchen, dass zwingenderweise, also diese marktüblichen Gehälter in dem Fachkräftebereich, die, denke ich mal, sind gegeben.

Tarif – was uns immer ein bisschen zu kurz kommt, wenn man bei der Tarifbindung ist, ist tatsächlich, wir reden über tarifgleich, das ist jetzt eine Wortfindungssache, aber gehen Sie nach Neubrandenburg zu Webasto, die sind nicht tarifgebunden, zahlen aber tarifgleich.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Insofern sollte das schon mit aufgenommen werden und deswegen auch die Veränderungen mit dem Änderungsantrag.

So, und nun geht es jetzt darum, die Bindung zu erhöhen. Spätestens jetzt scheiden sich natürlich so ein bisschen die Ansichten. Also Feststellungsteil ja, und jetzt scheiden sie sich. Jetzt kommen Sie in dem ersten Punkt unter II zu dem neuen Dialogprozess. Wir haben ja gesagt, es gibt genug Dialogforen, und ein Dialogprozess, das setzt immer voraus, dass es ein Miteinander gibt, dass es einen Respekt, einen gegenseitigen Respekt gibt, dass man Verständnis für die Situation, für die regionalen Unterschiedlichkeiten hat, keine Gleichmacherei durch undifferenzierte zentrale Forderungen, sondern Dezentralität und Flexibilität zeigt. Ich glaube, wenn diese Kultur bei Gesprächen, bei Dialogen herrscht, dann kommt es auch zu einer Einigung. Die Verantwortlichkeit haben die Tarifparteien, überhaupt keine Frage.

Meine Wahrnehmung ist eine andere. Meine Wahrnehmung ist oft, dass der Dialog oftmals gescheitert ist aufgrund völlig überzogener Forderungen und auch, weil in einer Radikalität in der Sprache vorgetragen, was eher so an Klassenkampf oder Ideologie erinnert,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Das ist Klassenkampf.)

als irgendwo ein respektvolles Miteinander zu haben. Und das hat auch ein bisschen was mit Arroganz zu tun, das ist zumindest meine Wahrnehmung. Und das ist kein gutes Klima, wenn man in einen Dialog tritt und wenn man gemeinsam etwas …

(Henning Foerster, DIE LINKE: Wen sprechen Sie denn jetzt konkret an?)

Sie tragen, Herr Foerster, Sie tragen auch Ihren Teil dazu bei

(Henning Foerster, DIE LINKE: Ach so?!)

mit Ihren Anträgen in der Vergangenheit und mit Ihrer Rhetorik und den Pressemitteilungen. Ich finde das nicht gut – ich will das jetzt gar nicht weiter werten –, ich finde es einfach nicht gut. Wenn man miteinander umgeht,

(Zuruf von Simone Oldenburg, DIE LINKE)

miteinander Verantwortung trägt, dann hat man eine anständige und gegenseitige Rücksichtnahme zu wahren und vor allen Dingen auch die Interessen des Einzelnen zu sehen und nicht zu sagen, das, was ich sage, das gilt, und der Rest ist mir egal. Das funktioniert eben in einer Partnerschaft nicht.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Das machen Sie ja auch nicht, ne, Herr Waldmüller?)

Ich glaube, es gibt hier nämlich auch, und das muss man akzeptieren, es gibt eine negative Koalitionsfreiheit, das heißt, auch das Recht, sich nicht zu binden. Und da nutzt auch kein unzumutbarer Druck, da sind eher Anreize, ein Miteinander gefragt, und das muss eben auch die Kultur sein.

Im Punkt 2, da verfallen Sie dann tatsächlich in die übliche Manier,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

weil Sie da aus unserer Sicht dann schon in die Tarifautonomie eingreifen. Ich will das auch erklären. Man muss sich dann auch fragen, wenn ich das so lese, ob Sie, DIE LINKEN, die Gewerkschaften stärken oder möglicherweise sogar schwächen wollen. Sie beantragen, dass Tarifverträge für eine gesamte Branche gelten, selbst wenn die Gewerkschaften eigentlich nur eine Minderheit vertreten. Was bedeutet das aber perspektivisch für den Organisationsgrad von Gewerkschaften?

(Henning Foerster, DIE LINKE: Sie haben den Sinn der Allgemein- verbindlichkeitserklärung nicht verstanden.)

Ja, Moment, vielleicht komme ich noch dazu. Warten Sie ab!

Aus Dankbarkeit, gerade bei den allgemein verbindlichen, aus Dankbarkeit wird es mit Sicherheit keine Gewerkschaftsbeitritte geben. Das ist ein Mitnahmeeffekt, den man mitnimmt. Und wenn die Politik nun die Aufgaben der Gewerkschaften macht, müssen sich die Gewerkschaften und alle ihr nahestehenden politischen Organisationen auch fragen, warum man sie dann überhaupt noch benötigt.

Abgesehen davon wird hier immer von Tarifbindung und Tarifautonomie gesprochen und Sie wollen mit dem vorgeschlagenen Passus, den Sie hier vorschlagen, die Tarifbindung erhöhen. Ein hehres Ziel, das wollen wir alle, aber da greifen Sie eben in die Tarifautonomie ein. Warum ist das so? Es gibt eben, und das ist ja heute so, das Prinzip von Zustimmungs- und Widerspruchslösung. Um die geht es Ihnen ja, und aktuell haben wir eine Zustimmungslösung. Das bedeutet, ein Antrag wird also durch Mehrheit angenommen. Ein Antrag wird durch Mehrheit angenommen, und das schützt die Tarifautonomie. Ihr Vorschlag bedeutet, ein Antrag wird durch Mehrheit abgelehnt und folglich durch eine Minderheit angenommen.

Und mit einem praktischen Beispiel: In einer Pattsituation wird der Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit gemäß Ihren Vorstellungen angenommen. Für die Tarifautonomie bedeutet das, es bedarf gar keiner Mehrheit mehr, um die Tarifbindung zu erhöhen. Sie erkennen hoffentlich selbst an diesem Beispiel, dass das mit Sicherheit nicht demokratisch sein kann.

Zur Allgemeinverbindlichkeit: Natürlich, wenn man jetzt die Anzahl der allgemeinverbindlichen Verträge anguckt und die normalen Tarife, ist das relativ gering, überhaupt keine Frage. Aber ist es nicht auch gut, dass es wenig Allgemeinverbindlichkeitserklärungen gibt?

(Henning Foerster, DIE LINKE: Für die Beschäftigten nicht.)

Ja, aber dann haben Sie Tarifautonomie noch nicht verstanden, weil es ist ja so, also an Allgemeinverbindlichkeit sind höhere Werte gekoppelt. Da muss es um übergeordnete Dinge gehen, warum dies notwendig ist, weil letztendlich Sie mit der Allgemeinverbindlichkeit die Tarifautonomie aushebeln. Und deswegen ist es vielleicht auch gut, dass es dort nur dann und in Ausnahmefällen dazu kommt, Allgemeinverbindlichkeit zu erklären, wenn es eben dann diese Interessen gibt und nicht so lax dahin...,

(Henning Foerster, DIE LINKE: Also lax mache ich gar nichts, Herr Kollege.)

beschlossen werden kann.

Im Punkt 3 fordern Sie die einseitige steuerliche Privilegierung. Steuerliche Privilegierung von Gewerkschaftsmitgliedern und tarifgebundenen Arbeitgebern stellt jene schlechter, die sich aufgrund des niedrigen Organisationsgrades unserer Gewerkschaften dort gar nicht engagieren können. Und diese faktische Schlechterstellung passiert dann wo? Genau! Genau, sie passiert in den Regionen, in denen Menschen ohnehin schon mit infrastrukturellen Schlechterstellungen und all ihren Konsequenzen zu leben haben.

Das andere: Es verstößt diese einseitige Privilegierung gegen das Neutralitätsgebot des Staates, es ist auch ein

Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit. Die Tarifgleichen, wenn ich das noch mal so sagen darf, bleiben dabei komplett außen vor. Zudem vermute ich mal, dass es ein immenser bürokratischer Aufwand ist, das zu steuern. Auch wenn Ihr Antrag dort von einem Prüfauftrag spricht – das nehme ich einfach vorweg, weil ich das Gutachten auch gelesen habe –, es gibt keine verfassungsrechtliche …

(Henning Foerster, DIE LINKE: Welches denn? Nur das von der bayerischen Wirtschaft vermutlich.)

Ich habe beide da liegen, können Sie reingucken.