Protocol of the Session on March 14, 2019

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Zunächst, Frau Ministerin Drese, Sie sagten, es handele sich hier um einen dünnen Antrag.

(Torsten Renz, CDU: Da hat sie recht!)

Da habe ich mich schon gefragt, wie Sie zu dieser Einschätzung kommen. Das ist insofern etwas merkwürdig, weil wir hier Forderungen aus Ihrem SPD-Positionspapier aufgegriffen haben.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Scheint dünn zu sein.)

Darüber hinaus darf ich daran erinnern – das haben andere Redner hier auch deutlich gemacht –, es ist nicht zum ersten Mal, dass wir über die Probleme im Zusammenhang mit der Agenda 2010 und dem, was sie für viele Menschen bedeutet hat, hier reden. Da waren Sie dann entweder nicht da oder haben den gesunden Schlaf auf der Regierungsbank genossen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Neben Harry ist schlecht schlafen!)

Sie haben hier einen Vabanqueritt durch Ihre gesamte Programmatik gemacht, zig Forderungen bis hin zu der

Tatsache, dass Sie zum x-ten Mal hier die Thematik im Kitabereich des Landes versucht haben zu verkaufen. Zum eigentlichen Antrag haben Sie doch ziemlich wenig gesagt.

Die heutige Debatte hat aus meiner Sicht noch einmal eines relativ deutlich gemacht, nämlich, dass die Sozialdemokratie – und da komme ich zu einer anderen Einschätzung als Herr Schulte, der sich hier über Lob von der einen wie von der anderen Seite gefreut hat – in einem strategischen Dilemma steckt, denn die CDU als Koalitionspartner in Bund und Land, das haben wir heute hier auch erlebt, preist seit Jahren die Agenda 2010 der SPD als, Zitat, „mutigen Aufbruch mit Symbolcharakter“ und als „richtige Reform, die Deutschland vom ,kranken Mann Europasʻ wieder zum Wirtschaftswunderland“ gemacht habe. Offenbar, auch das klang beim Kollegen Ehlers an, ist den Christdemokraten dabei nur allzu bewusst, dass sich ihr Altkanzler Helmut Kohl mit der SPD in der Opposition derartige gravierende Einschnitte nie getraut hätte, weil dann, wie auch bei seiner Abwahl zu beobachten, Hunderttausende Menschen, mobilisiert von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und anderen NGO, den Protest auf die Straßen getragen hätten.

(Zuruf von Sebastian Ehlers, CDU)

Da kann ich dann an der Stelle schon verstehen, dass Sie von der Seite her versuchen, die SPD entsprechend zu piesacken.

Ich kann mich übrigens an diese Märsche auf Bonn noch sehr gut erinnern, das war an meinem 20. Geburtstag im Juni 1995. Viele meiner Freunde und meine Familienangehörigen waren damals auch unterwegs.

Die SPD-Basis, die sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten deutlich verkleinert hat,

(Thomas Krüger, SPD: Bei der LINKEN auch!)

fordert dagegen jetzt immer offensiver Korrekturen ein. Ich darf allerdings daran erinnern, dass sämtliche Parteivorsitzenden seit Franz Müntefering schon diverse Dinge gefordert und in Aussicht gestellt haben. Schon Kurt Beck – Wer erinnert sich eigentlich noch an ihn? – setzte sich 2007 für einen längeren Bezug des Arbeitslosengeldes I ein.

(Torsten Renz, CDU: Muss das sein, die ganze SPD-Geschichte?)

Sigmar Gabriel warb einst für Arbeitsmarktreformen und Korrekturen bei der Rente. Ein gewisser Martin Schulz versprach noch im letzten Bundestagswahlkampf unter dem Slogan „Mehr soziale Gerechtigkeit“ deutliche Korrekturen in der Agenda 2010. Und dann, Frau Drese, kommen Sie hier wieder und erklären uns, Sie befinden sich in Arbeitsgruppen und Zirkeln der ASMK und da sei man dann auf einem guten Weg.

(Ministerin Stefanie Drese: Ja, so funktioniert das Tagesgeschäft nun mal!)

Nun soll es also Andrea Nahles richten. Wie das in einer Zwitterposition als Fraktionschefin, die einerseits nun mal das Tagesgeschäft ihrer Bundestagsfraktion in der Koalition mit der CDU/CSU besorgen muss, und andererseits

als Parteichefin, die ihre SPD-Basis mit der Regierungsarbeit versöhnen will, gelingen soll, das bleibt Ihr Geheimnis.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Wie schon in der Einbringung angemerkt, enthält aber die SPD-Konzeption für eine Sozialstaatsreform 2025 etliche Punkte, die auch nach unserer Auffassung in die richtige Richtung gehen. Darüber freuen wir uns durchaus, weil es zeigt, dass Links wirkt.

Ja, Herr Ehlers, die heute in unserem Antrag formulierten Vorhaben zur bedarfsgerechten Anhebung der Regelsätze und zur, ich nenne es mal, Abmilderung der Sanktionen bleiben hinter unserer eigenen Programmatik zurück. Wir fordern – dann auch noch mal für Sie zum Mitschreiben – mittelfristig eine Mindestsicherung in Höhe von 1.050 Euro und die Streichung aller Sanktionen. Ich bleibe aber dabei: Dennoch wäre natürlich die Umsetzung der hier konkret im Antrag formulierten Forderung ein Fortschritt, weil sie zu konkreten Verbesserungen für die Betroffenen führen würde.

Und, Herr Weber, Herr Ehlers, bestimmte Sanktionen treffen mittlerweile selbst beim Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, auf Ablehnung. In der „Süddeutschen Zeitung“ wurde er im vergangenen Jahr wie folgt zitiert: „Die Sanktionierung auf null finde ich nicht vernünftig. Nach so harten Sanktionen brechen Jugendliche oft den Kontakt zum Jobcenter ganz ab und stehen dann für eine Vermittlung am Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung.“ Zitatende.

Verfassungsrechtler halten die schärferen Vorschriften für unter 25-jährige Hartz-IV-Beziehende zum Beispiel für unvereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz. Das auch von Ihnen angesprochene Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung verweist in einer Studie darauf, dass durch die Sanktionspraxis, ich will auch das zitieren, „das Leben der jungen Menschen oft zu stark eingeschränkt werde, etwa durch eine teils eingeschränkte Ernährung, durch Zahlungsrückstände oder auch die Sperrung der Energieversorgung“. Zitatende.

Der Chef der Bundesagentur spricht sich darüber hinaus auch dafür aus, künftig auf Sanktionen bei der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung zu verzichten. Das Argument dafür liefert er gleich mit. Ich darf das auch zitieren: „Aufgrund der mittlerweile angespannten Wohnungsmarktsituation ist es in vielen Städten heute ohnehin schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Drohende Wohnungslosigkeit hilft uns bei der Vermittlung und auch sonst überhaupt nicht weiter.“ Zitatende.

Auch die bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze ist übrigens keine Forderung, die nur aus der LINKEN oder der SPD heraus erhoben wird. So hält der ehemalige Vorsitzende des Landessozialgerichtes Hessen Jürgen Borchert die aktuelle Höhe für ungeeignet, um das Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben tatsächlich zu gewährleisten. Genau das ist aber übrigens die Forderung, die sich aus einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes ableitet.

Die WDR-Sendung „Monitor“ hat sich des Themas daher im vergangenen Jahr auch noch mal angenommen. Dabei stießen die Redakteure unter anderem darauf, dass

bei der Beibehaltung der ursprünglichen Berechnungsgrundlage 155 Euro mehr gezahlt werden müssten, wenn es sich um einen alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger handelt. Statt 416 hätte dieser dann 2018 571 Euro gehabt. Das ist die Erklärung, wie ich zu dieser Zahl komme.

CDU-Kanzlerin Merkel und ihre Regierung haben allerdings 2011 klammheimlich die Berechnungsgrundlage geändert.

(Torsten Renz, CDU: Klammheimlich?! Klammheimlich?! Was heißt denn „klammheimlich“?)

Seitdem werden für die Ermittlung des Regelsatzes für Erwachsene nur noch die unteren 15 Prozent der Bevölkerung herangezogen. Außerdem werden seitdem auch zahlreiche Ausgaben nicht mehr anerkannt oder teilweise gestrichen, zum Beispiel Ausgaben für Verkehrsmittel, für Blumen, für Gaststättenbesuche und andere Dinge.

Darüber hinaus wird weitergehend getrickst. Irene Becker, Expertin für Verteilungsforschung, hat in dem Beitrag darauf verwiesen, dass sogenannte „verdeckt arme“ Menschen bei der Ermittlung der Regelsätze nicht herausgerechnet werden. Dabei handelt es sich um Personen, die eigentlich ein Anrecht auf Sozialleistungen haben, aber aus unterschiedlichsten Gründen keine beantragen. Der rechnerische Effekt dieses Tricks ist, dass die Regelbedarfe weiter absinken. Stefan Sell, Sozialwissenschaftler von der Hochschule Koblenz, schätzt folglich ein, dass, ich zitiere, „die 416 Euro eine politisch vorgegebene Zahl sind, die durch die statistische Manipulation bei der Berechnung erreicht wurden“. Zitatende.

Wir wissen, dass zur tatsächlichen Überwindung von Hartz IV und Agenda 2010 noch weit mehr notwendig ist. Im SPD-Konzept für eine Sozialstaatsreform 2025 werden weitere wichtige Dinge benannt. Einen Teil hat Frau Drese erwähnt, die Verlängerung des Arbeitslosengeld-I-Bezuges oder die Erhöhung des Mindestlohnes auf zunächst 12 Euro beispielsweise. Aus unserer Sicht gehören zwingend dazu, die weitere Eindämmung von Leiharbeit oder die Streichung der sachgrundlosen Befristungen.

Allerdings ging es uns heute darum, zu weiteren konkreten Themen erst mal überhaupt einen Anfang zu machen und als Landtag ein Signal nach draußen zu senden, das dazu beiträgt, den Menschen die Angst vor dem sozialen Abstieg bei Arbeitsplatzverlust schrittweise zu nehmen, denn diese Angst hat sich tief in die Mittelschicht hinein ausgebreitet, und dem wollen wir ein Ende setzen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte namens meiner Fraktion um namentliche Abstimmung.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Im Rahmen der Debatte ist beantragt worden, zum Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/3247 eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Wir sind vorbereitet und beginnen mit der Abstimmung. Dazu wird der Schriftführer zu meiner Linken Sie alle namentlich aufrufen und Sie bitten, laut und vernehmlich mit Ja, Nein oder

Enthaltung zu antworten. Wir beginnen mit der Abstimmung.

(Die namentliche Abstimmung wird durchgeführt.)

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme bisher nicht abgegeben hat und das noch tun möchte?

(Die Abgeordneten Ann Christin von Allwörden, Dietmar Eifler, Horst Förster, Jörg Kröger und Burkhard Lenz werden nachträglich zur Stimmabgabe aufgerufen.)

Ich schließe die Abstimmung und bitte nun die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich unterbreche die Sitzung für zwei Minuten.

Unterbrechung: 12.50 Uhr

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Wiederbeginn: 12.53 Uhr

Ich eröffne die unterbrochene Sitzung und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. An der Abstimmung haben insgesamt 56 Abgeordnete teilgenommen. Mit Ja stimmten 10 Abgeordnete, mit Nein stimmten 46 Abgeordnete. Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/3247 abgelehnt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir treten jetzt in eine Mittagspause von 30 Minuten ein und treffen uns wieder um 13.20 Uhr.

Unterbrechung: 12.54 Uhr