Schluss mit den Kampfeinsätzen in aller Welt! Schluss mit Waffenexporten in alle Krisenherde der Welt! Frieden muss in der Außenpolitik wieder das Primat haben. Mit Krieg bekämpft man Terror ebenso wenig, wie man mit Fußfesseln Terroristen daran hindert, ihre Mordanschläge zu begehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor dem Hintergrund des schwersten islamistischen Anschlages auf deutschem Boden ist Trauerarbeit angesagt. Vor dem Hintergrund des schwersten terroristischen Anschlages seit dem Münchner-Oktoberfest-Attentat ist auch Innehalten statt politischer Reflexhandlung gefragt. Und selbstverständlich sind hiernach Maßnahmen zu prüfen, die gegebenenfalls weitere Sicherheit schaffen können und nicht allein Sicherheit simulieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, über den Weg zu diesen Maßnahmen lässt es sich streiten. Unstrittig aber dürfte leider sein, dass mit diesem schrecklichen Gewaltakt auch auf sicherheitspolitischem Gebiet – und das haben wir heute hier schon erlebt – der Bundestagswahlkampf eingeläutet wurde. Denn ginge es, wie die antragstellende Fraktion vorgaukelt, tatsächlich um die Sicherheitslage in Mecklenburg-Vorpommern, dann lehrt mich meine langjährige parlamentarische Erfahrung ein anderes Herangehen. Dann nämlich wäre zunächst eine komprimierte Sachverhaltsdarstellung durch den Innenminister mit anschließender Fachdiskussion im Innenausschuss zielführender,
wenn auch nicht ganz so medienwirksam. Für meine Fraktion darf ich deshalb an dieser Stelle bereits formlos den Innenminister um eine entsprechende Berichterstattung in der nächsten Sitzung des Innenausschusses bitten, denn für uns ist das Thema mit der heutigen Aussprache nicht beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherheitsproblematik ist wie kaum eine andere Thematik geeignet, Emotionen zu wecken und hochemotional debattiert zu werden. Und so hat der Terroranschlag vom Berliner Weihnachtsmarkt nicht nur Innehalten und Trauer ausgelöst, sondern auch Hassbotschaften und Hasskommentare in die Welt gesetzt. Als politisch Verantwortliche dieses Landes bitte ich Sie, bitte ich uns alle – uns alle! –: Lassen Sie uns gemeinsam dem stark zunehmenden Verbalradikalismus entgegentreten! Auch dies wäre ein kleiner Beitrag für die Sicherheit in unserem Lande, denn bekanntlich kommt erst das Wort und dann die Tat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Terrorkanzlerin“ und „Merkels Tote“ sind da für mich auch keine sorgfältig geplanten Provokationen, mit denen die AfD den Bundestagswahlkampf gestalten möchte, nein, hier haben wir vielmehr einen Tiefpunkt politischer Diskussion und Kultur in unserem Land erreicht, der nicht hingenommen werden darf!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Aussprache zur Sicherheitslage in unserem Bundesland muss bei allen politischen Unterschieden in einzelnen Fragen eine zentrale öffentliche Botschaft enthalten:
Erstens. Die Sicherheitslage in Deutschland ist weiterhin maßgeblich von einer hohen abstrakten Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus geprägt. Dies gilt auch für Mecklenburg-Vorpommern.
Drittens. Die Sicherheitskräfte, vor allem die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten unseres Landes, waren und bleiben gefordert, sich professionell auf entsprechende Gefahrenlagen einzustellen, entsprechende Vorsorge zu treffen und Herausforderungen zu bewältigen. Und wir haben die Verantwortung, sie dafür auszubilden und auszurüsten.
Gerade, weil letztlich niemand einen Anschlag auch in unserem Land vollkommen ausschließen kann, gebührt den mit Sicherheitsaufgaben betrauten Beamtinnen und Beamten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Behörden unseres Landes an dieser Stelle ein ausdrücklicher Dank einschließlich ihrer Familien und Angehörigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, „Sicherheitslage in Mecklenburg-Vorpommern nach den Anschlägen in anderen Bundesländern im Jahr 2016, zuletzt am 19. Dezember 2016 in Berlin“, zu dieser Thematik ließen sich
schon heute ganze Bücher schreiben, Legenden spinnen oder fiktive Geschichten erzählen. Sicherheitsexperten gehen ohnehin davon aus, dass sich die Vorgänge um den Terroranschlag am 19. Dezember letztendlich nur mithilfe eines Untersuchungsausschusses aufklären lassen. Dass die Koalition in Berlin eine von LINKEN und GRÜNEN geforderte Sondersitzung des Innenausschusses für nicht nötig erachtete, ist dagegen kein Beitrag zur Aufklärung.
Das Agieren der Koalitionäre in Berlin, auch das Agieren der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern ähnelt hinsichtlich der Aufklärungsbereitschaft sehr dem Versagen bei den Verbrechen des NSU. Auch der sicherheitspolitische Wettlauf zu den vermeintlich besten Schlussfolgerungen erinnert an Vergangenes. Wir aber sollten aufpassen, dass dieser Wettlauf nicht zum Amoklauf wird, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte daher meine derzeitigen Gedanken zu diesem Thema in drei Anmerkungen zusammenfassen.
Erstens spricht die bisherige Faktenlage im Fall Amri für einen fanatischen Kriminellen, dessen Straftat vom 19. Dezember laut einer internen Analyse des Bundeskriminalamtes möglicherweise auch Asylbewerber in Deutschland verstärkt in den Fokus rechter Gewaltstraftaten rücken lässt – der islamistische Terroranschlag also auch als Gefahr für die bei uns lebenden Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Auch gegen diese Gefährdung unserer Sicherheitslage sollten wir neben der gebotenen Trauerarbeit ein unmissverständliches politisches Signal setzen. Denn dass es sich hierbei keineswegs um eine hohe abstrakte Gefährdung, sondern um ganz konkrete Bedrohungslagen handelt, ist auch unserer Landesregierung, auch Ihnen, bekannt.
Nachlesen können Sie das alles in der sehr detaillierten Antwort auf die Kleine Anfrage meines Kollegen Torsten Koplin zu „Politisch motivierte Straftaten – rechts 2016“. Hiernach war die Sicherheitslage in Mecklenburg-Vorpommern bereits vor dem letzten Terroranschlag durch 791 Straftaten, darunter 62 Gewaltstraftaten gekennzeichnet, die der „Politisch Motivierten Kriminalität – rechts“ zugeordnet wurden und häufig einen fremdenfeindlichen Hintergrund hatten. Auch hier folgt die Tat oft dem Wort, die Gewalttat der Verbalradikalität. Von all dem hört und liest man aber von der AfD-Fraktion nichts.
Zweitens, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden die Sicherheitslage, die Sicherheitspolitik und die sicherheitspolitische Diskussion in unserem Land derzeit selbstverständlich von Diskussionen auf Bundesebene beziehungsweise von den Ergebnissen in anderen Bundesländern beeinflusst – einerseits der Terroranschlag vom 19. Dezember, andererseits die Sicherheitspläne des Bundesinnenministers, auf die der Innenminister auch eingegangen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der weitgehenden Sachverhaltsaufklärung wird offiziell noch im Januar gerechnet. Die polizeilichen und anderen sicherheitspolitischen Vorfeldmaßnahmen gegen den späteren Attentäter sind aber bereits aus heutiger Sicht gewaltig. Die Behörden, so war in der „Süddeutschen Zeitung“ am 30.12.2016 zu lesen, „wussten fast alles über Amri“,
Zitatende. Ohne Vorverurteilung ist bereits heute davon auszugehen, dass den zuständigen Behörden Fehler unterlaufen sind. Diese sind vollständig aufzuklären, Versäumnisse sind aufzudecken und Konsequenzen sind zu ziehen, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Und dieser Anschlag ist aus meiner Sicht auch kein Flüchtlingsproblem nach dem Motto: Gäbe es keine Flüchtlinge, gäbe es keinen Terror. Wer so etwas behauptet, gaukelt Sicherheit vor!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hätte der Anschlag verhindert werden können, wenn die bestehenden Gesetze und Sicherheitsmaßnahmen konsequent angewendet worden wären? Wer ist verantwortlich für Entscheidungen, die dazu führten, dass ein überwachter Gefährder zu einem Massenmörder werden konnte? Hatte möglicherweise der Quellenschutz wieder Priorität vor der Verhinderung einer Straftat? Diese Fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen hart im Raum und diese Fragen sind bisher unbeantwortet, aber alle haben schon wieder fertige Konzepte in der Tasche, wie das Recht verschärft werden muss.
Und in dieser Situation und vor diesem Hintergrund legt der Bundesinnenminister seine „Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“ auf den Tisch.
Herr Innenminister, nach Ihrer Auffassung – auch vorhin wieder vorgetragen – seien hiervon einige Ideen völlig unausgegoren, an anderer Stelle habe ich auch von „dummem Zeug“ gelesen, und allein dem Bundestagswahlkampf geschuldet. Das lasse ich einmal so stehen, das sind Ihre Überlegungen. Für mich ist es aber kein dummes Zeug, für mich ist das Ausdruck höchster Arroganz. Statt konsequent aufzuklären,
(Vincent Kokert, CDU: Dann müssen wir das Zitat von Frau Wagenknecht aber auch noch mal bewerten, Herr Ritter.)
werden wieder neue Forderungen erhoben, als hätte es die riesigen Sicherheitspakete der letzten Jahre nie gegeben.
umfassende Lehren gezogen aus dem NSU-Debakel, lieber Kollege Kokert. Nun plötzlich soll die föderale Sicherheitsstruktur über Nacht gekippt werden. Da wird der Verfassungsschutzverband hochgehalten und das GTAZ, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, als Speerspitze des Antiterrorkampfes glorifiziert. Aber schon vor Abschluss der Fehleranalyse im Fall Amri sei das alles hinfällig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, verantwortungsvolle Sicherheitspolitik, auch und gerade auf Bundesebene, sieht für mich anders aus. Das GTAZ ist doch wohl nicht an Kompetenzen oder Kompetenzgerangel, sondern an der Gratwanderung zwischen einem zu frühen und einem zu späten Zugriff gescheitert. Auch hier wurden vorliegende Informationen nicht in laufende Verfahren eingefügt, um nicht noch größere Ermittlungen zu gefährden – das allerdings mit den bekannten katastrophalen Konsequenzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Innenminister, wenn Sie sich gegen die Auflösung der Verfassungsschutzbehörde unseres Landes wehren, dann stehe ich an Ihrer Seite, wenn auch aus anderen Gründen. Dieser Plan des Bundesinnenministers würde Ihre Abteilung zu einer Bundesbehörde machen, also mit neuem Türschild versehen. Und der Landtag könnte sich die anstehende Wahl der PKK ersparen, denn dann wäre es sogar mit der miniparlamentarischen Landeskontrolle vorbei. Das kann nicht in unserem Interesse sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir eine dritte und vorerst letzte Anmerkung. Meine Partei und meine Fraktion verweigern sich notwendigen Diskussionen nicht. Für meine Fraktion haben Sicherheit und Ordnung den gleichen Stellenwert wie Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Unser jüngstes Konzept der „Persönlichen und öffentlichen Sicherheit“ zeigt den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, wir sind in Sachen Ordnung und Sicherheit ebenso verlässlich wie in Aspekten der sozialen Gerechtigkeit.
Aber auch wir sind durch veränderte Sicherheitslagen selbstverständlich gefordert, eigene Positionen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls fortzuschreiben. In Zeiten von Anschlägen und Gewaltexzessen wird naturgemäß die Rede von Freiheit und Gleichheit leiser, die von Ordnung und Sicherheit hingegen lauter. Dennoch gilt für mich: Es gibt Lücken, die man schließen kann, und solche, die man hinnehmen muss, wenn man einen freiheitlichen Rechtsstaat nicht zu einem Überwachungsstaat umbauen will.
Selbstverständlich können wir auch in unserem Bundesland das Verhältnis von Videoüberwachung und Datenschutz neu diskutieren. Brauchen wir hier neue Regelungen oder ist es bisher nur alles aufwendig und unbequem, um die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen? Selbstverständlich müssen wir bei der Gefährderproblematik schnellstmöglich handeln. Ist allerdings hier eine präventive Inhaftierung, also eine Haft ohne konkrete Straftat, letztlich verfassungskonform oder ermöglicht nicht eine konsequente Anwendung geltenden Ausländerrechts bereits heute eine längere Abschiebehaft? Diese Fragen gilt es zu beantworten, bevor wir mit unfertigen Konzepten an die Tagesordnung gehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bekämpfung der Fluchtursachen, Definition sicherer Herkunftsstaaten, radikaler Neustart der innereuropäischen Kooperation und nicht zuletzt die Schaffung eines Einwanderungs- beziehungsweise Zuwanderungsgesetzes, auch das sind Probleme mit direktem Einfluss auf die Sicherheitslage in Mecklenburg-Vorpommern. Meine Fraktion ist bereit und
in der Lage, gemeinsam mit Ihnen diese Fragen zu diskutieren. An einem Wettlauf allerdings, der Sicherheit einfordert, aber letztendlich nur Sicherheit vorgaukelt, werden wir uns nicht beteiligen.