Die ausschlaggebenden Anhaltspunkte für fehlerhafte und intransparente Förder- und Verwendungspraxis im Bereich der Wohlfahrtspflege ergaben sich aus den bereits erwähnten Feststellungen des Landesrechnungshofes Mecklenburg-Vorpommern, die im Landesfinanzbericht 2015 zum Einzelplan 10 veröffentlicht wurden. Auch die Berichterstattung in den Medien rückte insoweit zahlreiche Verfehlungen und Ungereimtheiten in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Feststellungen des Landesrechnungshofes sowie die bisherigen Ergebnisse der öffentlichen Zeugenvernehmung vor dem ersten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss deuten auf ein grundsätzliches strukturelles und systemisches Defizit der staatlichen Förderung der Träger der Freien Wohlfahrtspflege in Mecklenburg-Vorpommern hin.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Sie hätten sich halt mehr auf den Antrag konzentrieren müssen und nicht zum LINKEN-Antrag reden.)
hier die Landesregierung zu beauftragen, eine Kommission einzuberufen, alle an einen Tisch zu holen, alle Betreffenden, und mit allen zusammen, wie sich das gehört, einen Gesetzentwurf zu entwerfen, der allen Anforderungen gerecht wird.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Er hat zwar viel zu unserem Antrag gesagt, aber es war viel Mist dabei. – Zurufe von Nadine Julitz, SPD, und Marc Reinhardt, CDU)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich mich in der Sache äußere, eine kleine Vorbemerkung. Dieser Antrag, den ich Ihnen vorstellen darf für DIE LINKE, ist unter dem Eindruck des Bekanntwerdens des Engagements eines Wohlfahrtsverbandes im Ausland entstanden. Und dass diese Nummerierung nun so ist, dass Ihr Antrag seitens der AfD vor dem der LINKEN liegt, ist eine einfache Zuordnung.
Wir haben also unseren Antrag nicht hinterhergeworfen, wir haben uns in der Sache hier verhalten, und das möchte ich gern begründen.
Nein, es kommt kein Satz. Also wenn die Glocke ertönt, ist das ein Signal ans Parlament und nicht an den Redner.
Also ich denke, zumindest dieser Schlüsselsatz unseres Antrages ist hier unter den demokratischen Fraktionen unbestritten. Deshalb, so sagt es der Antrag meiner Fraktion und so stellt sich die Realität dar, werden die Träger bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip und dem Artikel 19 Absatz 2 – das ist hier bereits bemerkt worden – der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern gefördert. Sie, die Träger, haben also dem Grunde nach Anspruch darauf, gefördert zu werden. Die jeweilige Höhe richtet sich nach der Haushaltsgesetzgebung und den Förderrichtlinien.
Aktuell wird die Arbeit der Spitzenverbände durch das Land mit 1,034 Millionen Euro gefördert. Für die Projektarbeit werden weitere Millionenbeträge bereitgestellt. Der „Nordkurier“ hat in seiner heutigen Ausgabe 3,9 Millionen Euro zusammengerechnet, offenbar aber die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung zum Beispiel nicht berücksichtigt, die völlig zu Recht jährlich allein mit 1,9 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt gefördert wird. Es ist also noch viel mehr Geld im Spiel, und die Schuldnerberatung zeigt ein weiteres Phänomen auf: Es gibt sowohl verdeckte als auch offene institutionelle Förderung.
Seit Jahren, sehr geehrte Damen und Herren, streiten die kleinen und die großen Träger mit der Landesregierung darüber hinaus über eine auskömmliche Höhe der Förderung. Das kennen wir eben auch von der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung und den anderen sozialen Beratungsdiensten. Das kennen wir aber ebenso von der Kindertagesförderung, die heute nicht in Rede steht. Auch die Reaktionen vonseiten der Landesregierung und vonseiten der Koalitionsfraktionen sind bekannt: Es wird meistens abgewiegelt und manchmal dann doch nachgebessert. Da werden dann aber auch Eigenanteile von bis zu 30 Prozent von den Trägern von Projekten gefordert, auch von Projekten, die gar keine Einnahmen erzielen und auch nicht erzielen dürfen. Wenn sie dies tun, werden diese Einnahmen auf die Förderung angerechnet und der hohe Eigenanteil bleibt.
Wie sollen diese Eigenanteile eigentlich erbracht werden? Das Zauberwort oder Unwort lautet in diesem Fall „Querfinanzierung“ oder auch „Quersubventionierung“. Eine Quelle dafür sind mögliche Förderungen Dritter sowie Spenden und Einnahmen aus der Vereinstätigkeit. Diesen Einnahmen sind steuerliche Grenzen gesetzt, wenn es zum Beispiel um den Erhalt der Gemeinnützigkeit geht. Rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Vereine gelten dann als gemeinnützig, wenn sie ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit fördern und selbstlos handeln. Die Vereinssatzung und die tatsächliche Geschäftsführung müssen diese Ziele widerspiegeln. Unter diesen Umständen können gemeinnützige Vereine und Unternehmen erhebliche Steuerprivilegien in Anspruch nehmen, sind teilweise von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit und werden nur in geringem Umfang von Umsatzsteuerpflichten belastet.
Dass auch große Vereine mit Millionenumsätzen aus wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb trotzdem den Status der Gemeinnützigkeit haben können, bewies der ADAC, der trotz Millionenumsätzen aus dem Versicherungs- und Verlagsgeschäft über viele Jahre – zumindest bis zu dem Skandal – hinweg diesen Status inklusive der damit verbundenen Privilegien hatte. Auch heute ist er noch als gemeinnützig anerkannt.
Nun haben wir keinen ADAC e. V. mit 20 Millionen Mitgliedern im Land, aber wir haben Einnahmen und die steuerlichen Möglichkeiten auf der einen Seite und nicht auskömmliche Finanzierungen für die Leistungserbringer im Auftrag des Staates auf der anderen Seite. Gleichzeitig beklagen die Landesregierung und dieses Parlament – zumindest in Teilen und an der einen oder anderen Stelle auch völlig zu Recht – die geringen Entgelte, mit denen die Beschäftigten in der Wohlfahrt meistens entlohnt werden, und auf der anderen Seite werden die tarifliche Entgelte nur mit Mühe oder gar nicht zur Anerkennung gebracht, ein deutlicher Widerspruch in sich. Die Landesregierung hat es weitgehend versäumt, eine entsprechende Anerkennung und Berücksichtigung der allgemeinen Lohnentwicklung in ihre Förderrichtlinien aufzunehmen, und wo dies erfolgt ist, mit sehr unterschiedlichen Positionen, wie die Förderung der Beratungslandschaft zeigt.
Gleichzeitig hat es die Landesregierung versäumt, ein hinreichendes Verwendungsnachweisverfahren zu installieren. In dieser Gemengelage bewegen sich die Träger in Mecklenburg-Vorpommern seit mehr als 27 Jahren und es ist nicht das erste Mal, dass Träger bundesweit und leider auch in M-V mit Skandalen aufgefallen sind. Sind die Träger zu sparsamem und zweckgemäßem Umgang mit den Fördermitteln verpflichtet? – Ja, das sind sie. Sind die Finanzämter zu sorgfältiger Prüfung verpflichtet? – Ja, das sind sie. Ist die Landesregierung zu sorgfältiger Kontrolle und Nachweisführung verpflichtet? – Ja, das ist sie. Findet das alles so statt? – Nein.
Und wenn doch, ist dann ein missbräuchlicher Einsatz von Fördermitteln möglich? – Ja, unter Ausnutzung von Lücken im Prüfsystem sowie im Steuerrecht und im Zweifel bei der Anhäufung ausreichend kriminellen Potenzials. Der letzte Punkt liegt wohl in der Natur des Menschen, wenn Gier, Ehrgeiz und Selbstherrlichkeit Oberhand gewinnen und die Demut vor dem Ziel abhandenkommt. Alles andere ist von Menschen in Gesetze, Verordnungen und Verfahren gegossen worden, deren Wirksamkeit überprüft und die gegebenenfalls korrigiert werden müssen.
Die Geschehnisse in der AWO und des DRK führten zu einer zusätzlichen In-die-Pflicht-Nahme. Die Wohlfahrtsverbände schlossen sich der Transparenzinitiative Zivilgesellschaften an. Die Transparenzinitiative begrüßen wir ausdrücklich, ebenso wie Sie, Frau Sozialministerin, doch halten wir sie unter den gegebenen und aktuellen Umständen nicht mehr für ausreichend. Auch bisher schon mussten die Träger Angaben über ihre Organisation, zur Steuerbegünstigung sowie Entscheidungsträgern und der Satzung einreichen. Für eine Projektförderung musste man die Finanzierung und Zusammenarbeit mit Dritten darstellen, wenn dies für das Projekt relevant war.
Die Transparenzinitiative Zivilgesellschaft fordert nunmehr, dass auch Tätigkeitsberichte und die Personalstruktur dargestellt werden sowie Einnahmen und Ausgaben oder Gewinn- und Verlustrechnung, aufgeschlüsselt nach Mitteln aus dem ideellen Bereich, öffentlichen Zuwendungen, Einkünften aus wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb, Zweckbetrieb und/oder der Vermögensverwaltung. Die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit mit Dritten, zum Beispiel Mutter- oder Tochtergesellschaften, Fördervereinen, ausgegliedertem Wirtschaftsbetrieb, Partnerorganisationen sollen künftig ebenfalls dargestellt werden, Namen von juristischen und natürlichen Personen, deren jährliche Zuwendung mehr als zehn Prozent der Jahreseinnahmen ausmachen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin da kein Verschwörungstheoretiker, aber ob das dann funktioniert, das kann man wohl erst glauben, wenn es sichtbar und erlebbar ist. Schließlich handelt es sich um eine freiwillige Initiative, die selber sagt, und ich zitiere aus der Internetpräsentation dieser Initiative, auch nachlesbar: „Es wird damit ein Angebot geschaffen“, heißt es dort, „sich mit dem Thema Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit zu befassen“, und das „trägt dazu bei, die Kultur der Transparenz im gemeinnützigen Sektor zu stärken. Größere Organisationen sollten sich auch über die zehn Grundinformationen hinaus mit dem Thema befassen und angepasst an Größe, Rechtsform und Tätigkeitsbereich der Öffentlichkeit zusätzliche Informationen zur Verfügung stellen.“ Zitatende.
Die Landesregierung muss deshalb über diese freiwilligen Verpflichtungen hinaus Regelungen für die Förderung der Freien Wohlfahrt schaffen, mit denen eine vollständige Transparenz über die Verteilung und Verwendung der Mittel herausgestellt wird. Dabei müssen die Finanzströme innerhalb der Strukturen offengelegt und die Förderbedürftigkeit nachgewiesen werden. Die Landesregierung muss die gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen überprüfen und anpassen. Sie muss geeignete Prüfstrukturen und Prüfverfahren entwickeln. Sie muss endlich helfen, die Löhne und Gehälter der sozialen Dienstleister auf ein entsprechendes Niveau zu heben, dieses Niveau bei Förderanträgen auch anerkennen, und die kommunalen Landesverbände müssen dieses bei den Leistungsverhandlungen dann ebenfalls anerkennen.
... darangehen werden, uns ein Wohlfahrtsgesetz auf den Tisch zu legen. Es ist angesprochen worden, wir haben Vorarbeiten dazu geleistet, mussten aber erkennen, dass es wirklich eine Mammutarbeit ist, und wir sind insofern noch nicht so weit, wie wir selber sein wollten. Nun haben wir uns gegebenenfalls in Kürze mit dem auseinanderzusetzen, was Sie auf den Tisch legen. Das werden wir gern begleiten, denn da eint uns ein Ziel: Wir wollen die Wohlfahrt stärken, wir wollen den sozialen Zusammenhalt stärken in dieser Gesellschaft, deshalb unser Antrag. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Wir bitten um Unterstützung.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine verbundene Aussprache mit einer Dauer von bis zu 150 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ums Wort gebeten hat zunächst die Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung. Frau Drese, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Zu vorgerückter Stunde ein wichtiges Thema, die Freie Wohlfahrtspflege steht seit einiger Zeit verstärkt im öffentlichen Fokus. Die Oppositionsfraktionen von AfD und DIE LINKE greifen das Thema mit ihren Anträgen auf.
Wobei, da fangen die ersten Unschärfen auch in den vorliegenden Anträgen schon an. Geht es dabei wirklich allgemein um die Wohlfahrtspflege oder um die Spitzenverbände, um die LIGA, um Vereine, Verbände und andere Personen und Einrichtungen jeglicher Rechtsform, um Landesgeschäftsstellen, um Kreisverbände, um Kitas oder um das Fehlverhalten einzelner Personen? Manche machen es sich sehr einfach, werfen alles in einen Topf und diskreditieren damit die gesamte soziale Arbeit hier bei uns im Land.
Das – und das möchte ich ganz bewusst an den Anfang meiner Rede stellen – mache ich nicht mit. Die Wohlfahrtsverbände und freien Träger sind für MecklenburgVorpommern wichtige und unverzichtbare Partner im Bereich der sozialen Arbeit. Sie übernehmen Aufgaben – übrigens auch mit teilweise beträchtlichen Eigenmitteln –, die im Interesse des Landes liegen. Die vielen Tausend in Wohlfahrtsorganisationen haupt- und ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürger unseres Landes leisten in den allermeisten Fällen eine gute, wichtige und für unseren Sozialstaat unverzichtbare Arbeit.
Diese Menschen stehen für unseren starken und leistungsfähigen Sozialstaat sowie für eine gute und funktionierende Kinder-, Jugend-, Behinderten- und Altenhilfe. Sie stehen für Qualität im Gesundheitswesen und für einen zuverlässigen Rettungsdienst, um nur einige Beispiele zu nennen. Dieses soziale Engagement möchte ich gerade in einer Landtagsdebatte wie dieser würdigen. Dieses Engagement ist für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft von herausragender Bedeutung, für dieses Engagement möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Wir werden als Landesregierung auch in der Zukunft für eine verlässliche Finanzierung der Leistungen in der Wohlfahrtspflege sorgen.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zur eingangs angesprochenen notwendigen differenzierten Darstellung der Wohlfahrtspflege kommen. Im Bereich der sozialen Arbeit agieren die Träger der Freien Wohlfahrtspflege sowohl im marktfähigen, das heißt entgeltfinanzierten, als auch im nicht marktfähigen, dem zuwendungsfinanzierten Bereich. Angebote und Leistungen im entgeltfinanzierten Bereich werden mehrheitlich, geschätzt circa 60 Prozent, von unternehmerisch tätigen privaten Anbietern unterschiedlicher Rechts- und Organisationsformen – GmbH, GmbH & Co. KG, AG und Ähnlichen – vorgehalten. Der danach verbleibende Anteil, also circa 40 Prozent, entfällt auf Träger der Freien Wohlfahrtspflege.