Sehr geehrtes Präsidium! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Mit dem Ende September im Südkaukasus erneut ausgebrochenen kriegerischen Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan ist eine Region schlagartig in den Fokus der Weltöffentlichkeit geraten, die lange Zeit ein Schattendasein abseits der globalpolitischen Aufmerksamkeit des Westens fristete. Doch währte die
ser Zustand nicht lange. Nach anfänglichem Erstaunen darüber, dass da an der Peripherie Europas ja noch ein Konflikt schwelt, dessen Ursache im kommenden Jahr sozusagen sein 100. Jubiläum feiert, wandte man sich – zumindest in Deutschland, Corona sei es geklagt – wieder ab von dem neuerlich tobenden blutigen Streit zwischen der christlichen Demokratie Armenien und der islamischen Erbdiktatur Aserbaidschan um jenes geheimnisvolle Bergkarabach.
Dieses seit jeher mehrheitlich von Armeniern bewohnte Gebiet wurde 1921 durch den seinerzeitigen Volkskommissar für Nationalitätenfragen der Sowjetunion, einem gewissen Josef Stalin, völlig willkürlich der Aserbaidschanischen SSR angegliedert. Er folgte hierbei dem Prinzip der Machterhaltung durch die größtmögliche Aufspaltung und Vermischung der innerhalb der Sowjetunion lebenden Völker, um einen geschlossenen Widerstand von deren Seite gegen die kommunistische Diktatur Moskaus zu verunmöglichen.
Als es Ende der 1980er-Jahre, ermutigt durch Glasnost und Perestroika, machtvolle Bestrebungen der Armenier gab, diesen unnatürlichen Zustand zu revidieren, lag es nicht zuletzt auch an der Unentschlossenheit und Führungsschwäche Michail Gorbatschows, dem heraufziehenden und in einen grausamen Krieg mündenden Nationalitätenkonflikt die Grundlage zu entziehen, Stalins Willkürakt also wieder rückgängig zu machen.
Als 1994 zwischen Jerewan und Baku ein Waffenstillstand in Kraft trat und die Kampfhandlungen im Südkaukasus vorerst endeten, waren schätzungsweise 40.000 Menschen ums Leben gekommen. Während des folgenden Vierteljahrhunderts schien es fast, als hätten sich beide Seiten mit dem Status quo arrangiert, während die mittlerweile als Republik Arzach firmierende, de facto selbstständige, aber völkerrechtlich nicht anerkannte Region Bergkarabach einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung und damit verbundenen Wohlstandszuwachs erlebte. Als ich zuletzt im Februar die Gegend besuchte, war diese positive Entwicklung sehr augenfällig. Im Hintergrund hatte die sogenannte Minsk-Gruppe all die Jahre vergeblich versucht, auf dem Verhandlungswege eine Lösung des Streites herbeizuführen.
Nun, was auch immer den aserbaidschanischen Machthaber Ilham Aliyev bewog, plötzlich aus dem kalten Konflikt einen heißen zu machen und die Republik Arzach von Südosten und Norden her anzugreifen, ist durchaus schwer zu sagen. Fakt ist, dass der eigentliche Brandstifter wieder einmal in Ankara sitzt,
nämlich der türkische Präsident Erdoğan. Gemäß der Formel „Zwei Staaten, eine Nation“ versucht er, unter Einbeziehung Aserbaidschans seinen Einfluss auf die von Turkvölkern bewohnten Länder Mittelasiens auszuweiten, träumt von einem neoosmanischen Großreich. Armenien, das älteste christliche Land der Welt, ragt hier – nicht nur geografisch! – wie ein Stachel mitten hinein in Erdoğans imperiale Visionen.
Ich will nicht bestreiten, dass die Situation im Kaukasus historisch wie aktuell politisch sehr viel komplexer ist,
als ich es hier heute darzulegen vermag. Ich möchte also zu der Frage kommen, was uns in Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern dieser Konflikt denn überhaupt angeht. Die Antwort ist relativ simpel: weil Deutschland für den gegenwärtigen Krieg zwischen Jerewan und Baku unter kräftiger Beteiligung der Türkei eine Mitverantwortung trägt, so, wie das seinerzeitige Deutsche Reich eine Mitverantwortung für den türkischen Genozid am armenischen Volk 1915/1916 trug.
Damals war es der evangelische Pastor Johannes Lepsius, der jahrelang nichts unversucht ließ, um die deutsche Öffentlichkeit sowie die politischen Entscheidungsträger in Berlin auf die furchtbare Situation der Armenier im Osmanischen Reich aufmerksam zu machen. Vor allem, als sich im Verlaufe des Ersten Weltkrieges ein staatlich geplanter Genozid anbahnte, bemühte sich Lepsius unablässig darum, die deutsche Regierung zum Eingreifen zu bewegen.
Im Sommer 1916 veröffentliche Lepsius seinen berühmten 300-seitigen Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei
mit einer präzisen Darstellung der Zeitabläufe und der regionalen Ereignisse sowie genauen Statistiken und einer ausführlichen Analyse der Ursachen. Leider wurde eine Veröffentlichung dieses Berichts verhindert, vor allem, weil er in eindeutiger und unmissverständlicher Weise die politische Schuldfrage thematisierte und so den militärischen Bündnispartner Türkei öffentlich bloßstellte. Johannes Lepsius aber lehnte ein Verschweigen der Wahrheit aus Gründen der Staatsraison ab. Zwei seiner politischen Verbündeten waren übrigens Karl Liebknecht und Matthias Erzberger, die auf eine große Genoziddebatte im Reichstag hinarbeiteten, welche aber nie stattfand. Ob Deutschland die Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern damals hätte verhindern können, ist aus heutiger Sicht nur schwer zu beantworten. Entscheidend in der historischen Bewertung ist freilich, dass Deutschland es nicht einmal versucht hat, obwohl dank Pastor Lepsius die entsetzlichen Tatsachen bekannt waren.
Und heute? Die Geschichte wiederholt sich nicht, steckt aber voller Déjà-vus. Es scheint fast so, als sei Erdoğan fest entschlossen, unter Ausnutzung des BergkarabachKonflikts jenes Werk zu vollenden, das die Jungtürken vor rund hundert Jahren begonnen hatten. Der armenische Premierminister Paschinjan hat sicher nicht ohne Grund davor gewarnt, dass die Gefahr eines neuen Genozids an den Armeniern droht, wenn der Westen nicht endlich aufwacht und Erdoğan seine Grenzen aufzeigt. Der Einsatz von islamistischen Söldnern und Dschihadisten durch die Türkei spricht jedenfalls für sich.
Leider verhält sich Deutschland wieder einmal passiv, ignoriert die offensichtliche Gefahr eines Flächenbrandes im Kaukasus, will vielleicht auch gar nicht so genau hinsehen, denn wieder ist die Türkei ein Verbündeter, gehört tatsächlich noch zur NATO und ist vor allem auch Teil eines schmutzigen Deals mit der Bundesregierung rund um die durch Ankara nach Belieben zurückgehaltenen oder intensivierten Migrantenstürme aus Syrien und anderen Krisenregionen. Man wünscht sich von der deutschen Politik den Mut eines Emmanuel Macron, der sich inzwischen ganz offen mit dem türkischen Diktator angelegt hat.
Auch 1916 war es übrigens ein französischer Flottenverband, der Tausende bedrängte Armenier rettete und so vor der sicheren Ermordung bewahrte. Es wäre schön, wenn auch Deutschland endlich mal eine positive Rolle in der Geschichte Armeniens spielen würde, mithin in einer Region an der Peripherie Europas, deren Bedeutung in den kommenden Jahrzehnten enorm wachsen wird, auch als Brücke zwischen Asien und der EU.
Mecklenburg-Vorpommern kann darauf freilich nur mittelbar hinwirken, aber es könnte ein Zeichen setzen. Gerade in jüngster Zeit ist deutlich geworden, dass Weltpolitik nicht nur in Berlin stattfindet, sondern sehr schnell auch die Provinz erreichen kann. Dieser Landtag befände sich überdies in guter Gesellschaft. So haben bereits die Parlamente der US-Bundesstaaten Rhode Island, Maine, Georgia, Massachusetts, Louisiana und Kalifornien sowie des australischen Teilstaates New South Wales ähnliche Resolutionen verabschiedet, ihre jeweilige Bundesregierung aufgefordert, die Republik Arzach als freien und unabhängigen Staat anzuerkennen.
Ja, wir haben hierzulande derzeit unsere eigenen Herausforderungen zu meistern, durchaus, aber wer jüngst im Streit mit den USA um Nord Stream 2 auf Solidarität im Ausland hofft, sollte seinerseits ebenfalls solidarisch sein, wenn ein anderes Volk, mit dem wir seit mehr als einem Jahrhundert nun auf historisch schicksalhafte Weise verbunden sind, unserer Unterstützung bedarf. – Vielen Dank!
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 58 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Mehr als richtig. War nie die Rede davon! – Zuruf vonseiten der Fraktion der AfD: Ach, Herr Koplin!)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich wäre es auch nicht der Herr Koplin, sondern der Herr Kolbe. Der hätte gern die Auseinandersetzung geführt. Er ist auch sehr sach- und fachkundig zu diesem Thema
und kann das gesundheitsbedingt nun leider nicht führen, das Wort an dieser Stelle. Karsten Kolbe, gute Besserung!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liest man den Antrag des fraktionslosen Abgeordneten, könnte man leicht den Eindruck gewinnen, wir befänden uns gar nicht im Landtag von MecklenburgVorpommern, sondern bei einer Sitzung der Vereinten Nationen. Der Antrag hat unmittelbar nichts mit Mecklenburg-Vorpommern zu tun und ignoriert gänzlich, dass Bundesländer im Grundsatz keine eigene Außenpolitik gestalten. Ich könnte es mir daher einfach machen, uns für nicht zuständig zu erklären, und den Antrag einfach ablehnen. Ich habe mich aber gefragt, welche Motivation mit der Antragstellung verfolgt wird und welche tiefer gehende Zielstellung dahintersteckt. Lassen Sie mich daher zunächst kurz zum Konflikt selbst ausführen.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion nahmen die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach – ein Gebiet in etwa fünfmal so groß wie Rügen – rasant zu, nachdem sich Bergkarabach 1988 von Aserbaidschan getrennt und 1991 zur unabhängigen Republik erklärt hatte. Bis zur Vereinbarung eines Waffenstillstands im Mai 1994 starben zwischen 25.000 und 50.000 Menschen. Hunderttausende wurden vertrieben, es kam zu ethnischen Säuberungen und grausamer Gewaltanwendung. Dabei machten sich beide Seiten Menschenrechtsverletzungen aller Art schuldig. Vertreibungen, Plünderungen und die Zerstörung ganzer Dörfer wie auch Geiselnahmen und die Erschießung von Gefangenen prägten den Verlauf des Krieges. An diesem Ort zeigte sich wie an jedem anderen, es ist vor allem die Zivilbevölkerung, die unter den Schrecken des Krieges zu leiden hat.
Im Konflikt geht es nicht nur um das Gebiet von Bergkarabach, sondern auch um sieben aserbaidschanische Provinzen in der Umgebung Bergkarabachs, die seit 1993 von armenischen Truppen ganz oder zum Teil besetzt sind und aus denen die Mehrheit der aserbaidschanischen Binnenvertriebenen stammt. Seine Bevölkerung setzt sich nach den Vertreibungen heute fast ausschließlich aus Armeniern zusammen.
Das Gebiet wurde in der internationalen Gemeinschaft nicht als unabhängiger Staat anerkannt, nicht einmal von der Republik Armenien, von der es finanziell, militärisch und politisch weitgehend abhängig ist. Nach dem viertägigen Aprilkrieg im Jahr 2016, der durch einen Waffenstillstand in Moskau verhandelt wurde, ist die als „Frozen Conflict“ bezeichnete Auseinandersetzung jetzt wieder eskaliert und mehrere ausgehandelte Waffenstillstandsverhandlungen stellten sich bis jetzt als äußerst fragil dar. Auf beiden Seiten gibt es erneut Todesopfer zu beklagen. Insbesondere die Einmischung der Türkei in den Konflikt – immerhin Mitglied des selbsternannten Wertebündnisses NATO – lässt die Sorgen vor einer weiteren Eskalation wachsen.
So ist kurz und knapp beschrieben die gegenwärtige Ausgangslage. Und nun kommt Herr Arppe mit einem solchen Antrag um die Ecke und bezieht vollkommen einseitig Stellung und zeigt sein ganzes völkerrechtliches Verständnis, indem er einseitig das Selbstbestimmungsrecht der Völker postuliert, ohne auch nur mit einer Silbe das Prinzip der territorialen Integrität zu erwähnen,
geschweige denn eine argumentationsbasierte Abwägung dieser beiden zentralen Kategorien des Völkerrechts vorzunehmen.
Nun könnte man lapidar sagen, das dürfe man eigentlich nicht erwarten, aber es bleibt die Frage im Raum, was er denn eigentlich bezwecken wollte. Er hat zum Schluss gesagt, worum es ihm ginge, aber aufschlussreich ist daneben eben auch ein Video auf Social-Media-Kanälen. Herr Arppe präsentiert sich mit armenischer Flagge auf dem Schreibtisch und armenischem Wappen auf dem Pullover. Dort schwadroniert er davon, dass eine Niederlage des ältesten christlichen Staates unmittelbare Auswirkungen auf Europa hätte. Herr Arppe wörtlich, die Islamisierung unseres Kontinents würde einen weiteren Schub bekommen, der Einfluss Erdoğans, vor allem in Deutschland, würde weiter steigen.
Weiter führt er aus, schon heute würde der türkische Machthaber die Bundesrepublik als Eroberungsgebiet betrachten, und was heute den Armeniern geschehe, treffe morgen vielleicht schon uns. Daher laute auch die zentrale Botschaft, die Deutschen sollten wie die tapferen Armenier sein und nicht ihre Heimat und Identität aufgeben.
Das erklärt nun auch, warum er in dieser hochkomplexen Gemengelage vollkommen einseitig Partei ergreift und damit de facto nichts anderes macht, als weiter Öl ins Feuer zu gießen. Aus verbrämter Weltsicht heraus müssen die bisherigen Bemühungen auf Vermittlung zwischen den Konfliktparteien wie durch die Minsk-Gruppe der OSZE ja Teufelszeug sein. Diese sehen sechs grundlegende Schritte zur Konfliktlösung vor: neben einer Rückführung der sieben Provinzen in der Umgebung Bergkarabachs unter aserbaidschanische Staatshoheit auch einen Interimsstatus für das Gebiet Bergkarabachs, der Sicherheit und Selbstbestimmung für seine Bevölkerung garantiert, die zukünftige Regelung des Staates Bergkarabachs durch gesetzlich bindende Willensbekundung oder auch das Recht aller Vertriebenen und Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Heimatorte. Bei allen Schwierigkeiten sind das international verhandelte Pfeiler, die einen friedlichen Übergang in der Region ermöglichen könnten.