Protocol of the Session on October 28, 2020

(Der Abgeordnete Sebastian Ehlers spricht bei abgeschaltetem Mikrofon.)

Entschuldigung! Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! DIE LINKE fordert hier, das Ziel der Resozialisierung im Strafvollzugsgesetz konsequenter umzusetzen. Dazu sollen das Aufnahmeverfahren, das Diagnoseverfahren und die Vollzugs- und Eingliederungsplanung beschleunigt werden. Sozialdienliche Kontakte zur Außenwelt und Entfaltungsregelungen innerhalb des Vollzugs sollen erweitert und die Vergütungsregelungen angepasst werden. Für das Diagnoseverfahren, das sich an das Aufnahmeverfah

ren anschließt und das in die Erstellung der Vollzugs- und Eingliederungsplanung mündet, bestehen keine gesetzlichen Vorgaben.

Der Vollzugs- und Eingliederungsplan ist regelmäßig innerhalb der ersten acht Wochen nach der Aufnahme zu erstellen. Aus der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage aus Juni 2020, Frau Kollegin Bernhardt, wissen Sie, dass für die Jahre 2016 bis 2019 im Gesamtdurchschnitt 56,32 Tage für die Erstellung des Vollzugs- und Eingliederungsplans notwendig waren, also innerhalb der genannten Frist.

Die zügige Umsetzung von Aufnahme- und Diagnoseverfahren und die fristgemäße Erstellung der Vollzugs- und Eingliederungsplanung liegen ausdrücklich im Interesse auch der Koalition. Die tatsächliche Dauer der Verfahren hängt aber entscheidend auch von der Mitarbeitsbereitschaft der Gefangenen ab, dem Umfang der zu beschaffenden und zu verarbeitenden Daten, der rechtzeitigen Übersendung erforderlicher Unterlagen und der Verfügbarkeit von ausreichend Personal.

Zur Überwachung und Optimierung stehen den Anstaltsleitungen elektronische Controllingverfahren zur Verfügung. So kann zum Beispiel drohenden Fristüberschreitungen kurzfristig mit geändertem Personaleinsatz begegnet werden. Die Ergebnisse des Controllings und die bestehenden Steuerungsmöglichkeiten werden im Rahmen von Dienstbesprechungen auf der Anstaltsebene sowie zwischen den Anstaltsleitungen und der Aufsichtsbehörde regelmäßig thematisiert. Der Vollzug selbst hat ein großes Interesse daran, Arbeitsplätze zu schaffen und die Abläufe zu strukturieren. Es bedarf daher aus unserer Sicht keines gesetzlichen Zwanges. Und auch das wissen Sie aus der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage aus dem Juni 2020.

Das Strafvollzugsgesetz bei uns im Land beruht auf einem Musterentwurf von zehn Bundesländern unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, des Erfahrungswissens der Praxis und kriminologischen Erkenntnissen. Mir ist noch mal an der Stelle auch ganz wichtig zu betonen, dass es neben dem Ziel der Resozialisierung der Straftäter natürlich auch und vor allem um die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung und um den Opferschutz gleichermaßen gehen muss, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Zu den Kosten schreiben Sie: „Die Umsetzung des Gesetzes erfordert einen höheren Personalaufwand. Eine genaue Veranschlagung ist nach einer Evaluierung des konkreten Personalbedarfs möglich.“ Wie die Kosten und der Personalaufwand angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der sehr angespannten Haushaltssituation realisiert werden können, dazu verlieren Sie leider in Ihrem Entwurf kein Wort.

Und auch aus diesen Gründen und auch aus den inhaltlichen Gründen, die ich genannt habe, lehnen wir eine Überweisung des Gesetzentwurfes an dieser Stelle ab. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU und Philipp da Cunha, SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE hat noch einmal das Wort die Abgeordnete Bernhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich würde in meiner Rede gerne auf die vorgebrachten Argumente eingehen,

(Jens-Holger Schneider, AfD: Aber?)

die Sie dazu bewegen, diesen Gesetzentwurf leider nicht zu überweisen, was wir sehr bedauerlich finden.

Zum einen sagen Sie, Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf die Mehrkosten nicht beziffert. Das wissen wir, dass wir die Mehrkosten nicht beziffert haben. Das hat mehrere Gründe. Zum einen, bei dem Eingangsverfahren hatte ich Ihnen bereits gesagt, dass wir die Statistikdaten nicht haben. Damit können wir nicht seriös beziffern, wie viel Mehrbedarf es bräuchte, wenn wir die Eingangsverfahren einfach verkürzen.

Zudem unterstellen Sie uns, unser Gesetzentwurf würde automatisch zu mehr Mehrkosten, zu mehr Personal führen, Personal, was wir nicht haben, Mehrkosten, die wir uns nicht erlauben können, weil wir ja eine angespannte Haushaltssituation haben, die wir bei dem allgemeinen Vollzugsdienst scheinbar schon seit Jahren haben, weil es erst nach sehr langem Ringen überhaupt möglich war, irgendwas zu bewegen. Ich erinnere an die kleinen und großen Wechselschichtzulagen für den AVD. Aber Sie unterstellen uns mehr Personal. Da kann ich Ihnen nur entgegenbringen, dazu bräuchten wir die Evaluierung, die genau gesetzlich hier drin festgeschrieben ist. Und ich hatte es in meiner Eingangsrede gesagt, wir haben davon abgesehen, Personalschlüssel festzulegen, sondern wir fordern eine Evaluierung.

Die letzte Evaluierung des Strafvollzugs ist schon ein paar Jahre her. Damals war noch nicht unter anderem mit einbezogen die Schließung der JVA Neubrandenburg. Wie sich die Personalsituation angesichts der Empfehlung der Arbeitsgruppe bei der JVA Bützow beispielsweise darstellt – 226 sind empfohlen worden, aktuell sind dort überhaupt 176 nur tätig – das, glaube ich, habe ich ebenfalls dargestellt. Insofern würde uns eine Evaluierung einen ganzen Schritt weiterbringen, um einfach auch zu sehen, wie viel Personal brauchen wir überhaupt, um die jetzigen gesetzlichen Standards umzusetzen, und wie viel bräuchte es, um dann noch die zusätzlichen Dinge, die wir reingeschrieben haben, mit umzusetzen.

Die Justizministerin meinte, das Strafvollzugsgesetz habe sich bewährt und wir bräuchten keine Änderung. Frau Justizministerin, ich sehe ganz viele Anstrengungen, die Sie tatsächlich auch im Strafvollzug unternehmen, um Personal zu bekommen. Die Einstellungen der Auszubildenden, das sind alles wirklich richtige und wichtige Dinge, die da unternommen werden. Und ich möchte überhaupt nicht absprechen, dass das Justizministerium nichts tut, um die Situation im Strafvollzug zu verbessern. Aber aus unserer Sicht ist halt dringender Handlungsbedarf, unter anderem wenn man sich die Arbeitsentgelte anschaut. Darauf ist keiner von Ihnen eingegangen, auf diese Höhe des Arbeitsentgeltes der Gefangenen, die aus unserer Sicht schon damals nahe der Verfassungswidrigkeit war.

Und gerade Sie, auch als Jurist, Herr Grimm – davon habe ich überhaupt nichts gehört, kein Eingang zu den Arbeitsentgelten der Gefangenen, nichts –,

(Zuruf von Christoph Grimm, AfD)

gerade das müsste Sie doch als Jurist aus verfassungsrechtlicher Sicht, weil Sie sich heute hier als Hüter der Verfassung aufgestellt haben, interessieren.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ist er Jurist?)

Und da möchte ich Ihnen einfach mal darstellen, wie sich die Arbeitsentgelte zurzeit bemessen. Und wie Sie dies dann einschätzen, kein Wort von Ihnen. Deshalb lassen Sie mich mal kurz erklären, wie sich die Arbeitsentgelte der Gefangenen berechnen, die aus unserer Sicht notwendig sind, damit sie eben der Verfassung entsprechen. Vielleicht bekommen Sie dann eine etwas bessere Vorstellung davon, warum wir eine Erhöhung gerade in diesem Bereich fordern, und Sie sich vielleicht dann noch mal überlegen könnten, ob wir nicht diesen Gesetzentwurf in den Ausschuss überweisen, um weiter darüber zu diskutieren, denn Redebedarf besteht ja, wenn ich mich an Herrn da Cunha erinnere. Dann könnte man auch diesen Gesetzentwurf dafür nutzen, genau diesen Redebedarf einmal zu klären.

Aber jetzt zurück zu den Arbeitsentgelten. Maßgeblich für die Berechnung der Gefangenenvergütung ist die Bezugsgröße gemäß Paragraf 18 SGB IV. Für das Jahr 2020 beträgt diese für die neuen Bundesländer 3.100 Euro monatlich. Die Eckvergütung gemäß Strafvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern beträgt von diesen 3.100 Euro monatlich neun Prozent, also umgerechnet 270,90 Euro. Je nachdem, was der Gefangene arbeitet und wie er sich ansonsten führt, erhält er mindestens 60 Prozent davon, und das sind da 162,54 Euro pro Monat. Es kann also sein, dass ein Strafgefangener, der 40 Stunden wöchentlich in Vollzeit arbeitet, am Ende dafür 162,54 Euro bekommt. Das ist natürlich nicht sehr viel. Natürlich ist die Arbeit im Strafvollzug nicht dafür da, dass die Gefangenen reich werden, und ich denke, angesichts dieser Höhe von 162,54 Euro mag das auch keiner irgendwie infrage stellen, dass das zum Reichtum beiträgt,

(Zuruf von Burkhard Lenz, CDU)

aber es ist eben auch keine Strafarbeit, die für umsonst ist, und schon gar nicht ein Muss. Und da möchte ich einmal richtigstellen, wir haben nicht den Zwang zur Arbeit festgeschrieben, sondern die Möglichkeit der Vollbeschäftigung. Insofern haben Sie vielleicht den Gesetzentwurf etwas falsch gelesen.

Aus unserer Sicht hat die Arbeit im Strafvollzug ausschließlich resozialisierenden Charakter. Sie ist also eine therapeutische Maßnahme. Und leider ist das eben nicht in einer Justizvollzugsanstalt zu hundert Prozent möglich, weil unsere Justizvollzugsanstalten im Land maßgeblich saniert werden, es dadurch zu Mangel an Platz kommt und zu Mangel an Arbeitsgelegenheiten. Auch vor diesem Hintergrund halte ich nach wie vor die Schließung der JVA Neubrandenburg für falsch.

Zu dieser therapeutischen Maßnahme gehört eben auch, dass man den Gefangenen einen Wert von Arbeit vermittelt. Sie haben es selber angesprochen. Oftmals kommen die Gefangenen in den Justizvollzug, haben bisher noch nicht gearbeitet und sehen vielleicht keinen Sinn da drin. Aber eine Vergütung der Arbeit könnte mit dazu beitragen, dass sie den Wert von Arbeit vermittelt bekommen,

dass den Strafgefangenen klar wird, dass Arbeit etwas ist, was sich lohnt, auch gerade nach der Haftzeit.

Es kann nicht nur darum gehen, dass der Gefangene lernt, morgens zeitig aufzustehen, zur Arbeit zu gehen und nach Feierabend wieder nach Hause zu gehen. Ihm darf nicht der Eindruck vermittelt werden, dass Arbeit etwas ist, wo man sich das ganze Jahr krumm macht und am Ende nichts für einen selbst hängenbleibt. Wenn das geschieht, ist es vorprogrammiert, dass der Gefangene sich noch während des Vollzuges denkt, er müsse außerhalb der Haftmauern nebenbei noch eben Straftaten begehen, um genügend Geld zum Leben zu haben, sozusagen, ja.

Eine bessere Vergütung sorgt aus unserer Sicht deshalb dafür, dass der Gefangene nach der Entlassung finanziell zumindest ein wenig auf eigenen Beinen stehen kann, denn auch während der Besuche der JVA wurde uns signalisiert, dass es eben auch vorkommen kann, dass der Gefangene ohne Geld einfach vor die Haftmauer gestellt wird.

(Peter Ritter, DIE LINKE: So ist es.)

Wie soll er denn zur nächsten größeren Stadt kommen, wenn kein Bus fährt, wenn er kein Geld für eine Zugfahrkarte hat? Natürlich sind dann weitere Straftaten vorprogrammiert. Und deshalb müssen wir auch einfach über die Vergütung im Strafvollzug reden, was aus unserer Sicht ebenfalls etwas mit Prävention zu tun hat.

Wir wollen deshalb eine Anhebung der Eckvergütung auf 15 Prozent und der Mindestvergütung auf 75 Prozent der Eckvergütung. Der Gefangene erhielte danach dann aktuell zwischen 338 Euro, wo man tatsächlich nicht von Reichwerden reden kann, bis zu 451 Euro. Wie gesagt, auch davon würde er nicht reich werden, falls Sie da Bedenken haben. Notfalls könnte man ja auch noch die Haftkostenbeiträge ein wenig anpassen. Aber er wäre eben befähigt, wenn er außerhalb der Haftmauern ist, ein straffreies Leben und einen Grundstein dafür zu haben.

Deshalb ist aus unserer Sicht auch das eine wichtige Frage. Wie gesagt, fand die hier überhaupt keine Anwendung, wahrscheinlich, weil Sie das überhaupt nicht interessiert. Aber das ist aus unserer Sicht mit einer der größten Bausteine im Strafvollzugsgesetz, weshalb man das ändern müsste.

Und der AfD möchte ich nur sagen, wenn ich Sie immer höre, dann habe ich immer das Gefühl, es geht darum, ist einer einmal Straftäter geworden, bleibt er immer Straftäter, ab hinter die Mauern, keine Resozialisierungsmaßnahmen, nichts, das kostet alles nur Geld und ist verschwendet. Das lehnen wir aus unserer Sicht zutiefst ab.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Das ist aber gar nicht das, was wir gesagt haben!)

Ein gut resozialisierter Strafvollzug ist für uns die beste Prävention der Allgemeinheit vor zukünftigen Straftätern. Ihre Meinung, Ihre Haltung kann ich nur jedes Mal ablehnen. Und von daher bräuchte ich gar nicht Ihre Zustimmung oder sonst irgendwas. Da wäre ich überhaupt nicht aufgrund der großen Differenzen bei den Inhalten drauf angewiesen.

Insofern, denke ich, habe ich alles gesagt. Ich kann nur noch mal an Sie appellieren von SPD und CDU, dass Sie Ihre Meinung überdenken und diesen Gesetzentwurf in den Ausschuss überweisen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/5459 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss sowie zur Mitberatung an den Finanzausschuss zu überweisen. Wer möchte diesem Überweisungsvorschlag zustimmen, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Danke schön! Gegenprobe. –

(Andreas Butzki, SPD: Habt ihr doch gerade angekündigt, dass ihr zustimmen wollt! – Zuruf von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)

Wir sind in der Abstimmung. Ich bitte darum, dass Sie aufmerksam bleiben, ja!

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Na, Herr Butzki! – Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Stimmenthaltungen? – Damit ist der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung durch die Fraktion DIE LINKE, ansonsten Gegenstimmen aller anderen Abgeordneten abgelehnt.

Der Gesetzentwurf wird gemäß Paragraf 48 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung spätestens nach drei Monaten zur Zweiten Lesung erneut auf die Tagesordnung gesetzt.

Meine Damen und Herren, wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Landtages für Donnerstag, den 29. Oktober, 9.00 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.