Protocol of the Session on July 2, 2015

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Auf die Lebenslage ist sie gar nicht eingegangen. – Zurufe von Vincent Kokert, CDU, und Peter Ritter, DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Müller.

(Vincent Kokert, CDU: Guckt mal

euren Tagesordnungspunkt an,

was da drinstand! Sollen wir

in die Glaskugel gucken? –

Beratung

der Antwort der Landesregierung. – Vincent Kokert, CDU: Sollen wir auf

400 Fragen eingehen, oder was?)

Einen Moment, Herr Müller.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, insbesondere die beiden Herren, die diesen Disput pflegen, wenn es weitergehen soll, würde ich darum bitten, das draußen fortzusetzen. Ansonsten hat jetzt Herr Müller das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Holter hat bei seiner Aussprache – das ist es ja, es ist keine Einbringungsrede, aber faktisch ist es das ja – zu Beginn der Rede, und das bietet sich an, auf die Entstehung der Verfassung zurückgegriffen: die öffentliche Diskussion, die Verfassungskommission, den Beschluss dieses Landtages – das war natürlich der Landtag der 1. Wahlperiode –, den Entwurf und schließlich das Referendum, in dem das Volk von Mecklenburg-Vorpommern diese Verfassung in Kraft gesetzt hat. Sie haben dabei, Herr Kollege Holter, allerdings von der Enthaltung Ihrer Fraktion, damals noch Linke, Linke/PDS, gesprochen …

(Helmut Holter, DIE LINKE: PDS war das.)

PDS, Entschuldigung, Linke Liste/PDS.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Nee, Linke Liste/PDS, das ist richtig.)

Linke Liste/PDS, so hieß die Fraktion.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

… und Sie haben den Kollegen Schoenenburg, den ich zu Beginn meiner parlamentarischen Tätigkeit noch persönlich kennenlernen durfte, als einen der Väter dieser Verfassung bezeichnet.

(Vincent Kokert, CDU: Oh, der hat aber dagegengestimmt, seh ich hier.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Genehmigung der Präsidentin möchte ich Ihnen gerne aus dem Protokoll der 78. Sitzung des Landtages der 1. Wahlperiode vom 12. Mai 1993 zitieren. Es spricht für Linke Liste/PDS Arnold Schoenenburg und er sagt, ich zitiere: „Meine Damen und Herren, es bestand aus unserer Sicht die Chance und Möglichkeit, aus der öffentlichen Verfassungsdiskussion heraus ein modernes und bürgernahes Staatsgrundgesetz zu schaffen. Diese Möglichkeit wurde unzureichend genutzt, die Fraktion Linke Liste/PDS ist

bei aller Würdigung und Unterstützung einzelner Bestimmungen des Entwurfes nicht willens für eine Verfassung zu stimmen, die letzten Endes nicht auf der Höhe der Zeit steht und mit den Möglichkeiten und Chancen einer fortschrittlichen Verfassungsentwicklung beschnitten werden. Das heißt: Wir lehnen diese Verfassung insgesamt ab.“ Zitatende.

(Vincent Kokert, CDU: Das hört sich eher nach Stiefvater an als nach Vater.)

Das Protokoll vermerkt: „Beifall bei der LL/PDS“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, geben wir der historischen Wahrheit die Ehre: Die Vorgänger der Fraktion DIE LINKE in diesem Hause, sie haben diese Verfassung abgelehnt

(Vincent Kokert, CDU: Ja. – Helmut Holter, DIE LINKE: Das ist richtig.)

und sie haben beim Referendum des Volkes die Empfehlung ausgesprochen, dass man diese Verfassung ablehnen möge. Und sie haben – ich will die Worte des Kollegen Schoenenburg hier nicht noch einmal zitieren, ich mache das mal in meinen Worten – diese Verfassung als eine Verfassung der verpassten Chancen bezeichnet. Er lässt nur wenige gute Haare an dieser Verfassung,

(Helmut Holter, DIE LINKE: Zu Recht. Aber in der Verfassungskommission hat er mitgearbeitet.)

und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist doch Faktum.

Ja, ja natürlich hat er daran mitgearbeitet,

(Helmut Holter, DIE LINKE: Ja, und ganz aktiv. – Zurufe von Vincent Kokert, CDU, und Torsten Renz, CDU)

aber ihn deswegen bereits als einen „Vater der Verfassung“ zu bezeichnen, halte ich doch für sehr gewagt, lieber Kollege Holter.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist euphemistisch, will ich mal sagen.)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, sei es, wie es sei, heute verstehen sich die politischen Kinder – Kinder, keine Enkel, noch nicht – als die politischen Kinder derjenigen, die damals diese Verfassung nicht gewollt haben, und als diejenigen, die jetzt anderen vorschreiben wollen, dass sie sich auch bitte streng an diese Verfassung halten.

(Vincent Kokert, CDU: Ja. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich will hier keiner Fraktion das Recht auf Große Anfragen absprechen, selbstverständlich nicht,

(Vincent Kokert, CDU: Auf keinen Fall.)

aber eins müssen Sie mir schon zugestehen, ein bisschen Geschmäckle hat das schon, finde ich.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Vom Neinsager zum Kontrolleur – es ist ein interessanter Weg.

(Zurufe von Torsten Renz, CDU, und Regine Lück, DIE LINKE)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, in einem stimme ich mit dem Kollegen Holter und mit der Fraktion DIE LINKE überein: 20 Jahre Verfassung ist natürlich ein Anlass, diese Verfassung zu bewerten, Rückschau zu halten auf die letzten 20 Jahre und auch einen Ausblick zu geben auf die nächsten. Da halten wir diese Verfassung keineswegs für etwas Rückschrittliches und keineswegs für etwas, das Chancen abschneidet, sondern wir glauben – und das ist unsere feste Überzeugung –, dass sich diese Verfassung des Landes MecklenburgVorpommern in den 20 Jahren ihres Bestehens außerordentlich bewährt hat.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig. – Helmut Holter, DIE LINKE: Das habe ich gesagt.)

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Na ja! Na ja!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Verfassung enthält wie jede Verfassung natürlich einen organisatorischen Teil, einen staatsorganisatorischen Teil: Aufbau der Staatsorgane, Verhältnis zueinander, Wahlen und ähnliche Dinge. Ich denke, auch dieser Teil muss bewertet werden, indem man sagt, er hat sich außerordentlich bewährt. Die wenigen schwierigen Situationen staatsrechtlicher Art, die dieses Land zu bewältigen hatte – ich denke insbesondere an die Regierungskrise des Jahres 1996 –, ließen sich mit dem Instrumentarium dieser Verfassung sehr gut handhaben. Wir wollen und wir müssen diesen staatsorganisatorischen Teil unserer Verfassung behutsam weiterentwickeln. Wir müssen ihn an neue Situationen, an neue Herausforderungen anpassen. Wir haben das auch in der Vergangenheit getan.

Frau Justizministerin hat bei den Änderungen, die wir an der Verfassung vorgenommen haben, als Erstes – es war ja auch historisch die erste Änderung dieser Verfassung – die Einführung des strikten Konnexitätsprinzips erwähnt. Für mich ganz persönlich – ich durfte das damals hier begründen für die SPD – war es eine besonders wichtige Änderung, nicht weil ich es begründet habe, sondern weil dies für die Finanzausstattung unserer Städte und Gemeinden von zentraler Bedeutung ist. Wir haben das damals hier einstimmig beschlossen.

(Vincent Kokert, CDU: Genau, einstimmiger Beschluss.)

Das war sehr gut so und ich hätte es auch sehr gut gefunden, Herr Holter, wenn Sie dieses Konnexitätsprinzip, an dem Ihre Fraktion damals mitgewirkt hat, konstruktiv mitgewirkt hat, hier wenigstens einmal erwähnt hätten. Es wäre gut, weil das auch dazugehört, wenn wir über die Situation unserer Städte und Gemeinden reden. Hier haben wir einen ganz wichtigen Schritt für die Städte und Gemeinden getan.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Haben wir doch einstimmig gemacht.)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Verfassung enthält nicht nur einen staatsorganisatorischen Teil, sondern sie enthält – das ist nicht selbstverständlich, es ist nicht bei jeder Landesverfassung so – inhaltliche Vorgaben, insbesondere in Form von expliziten Staatszielen. Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob das sinnvoll ist. Die niedersächsische Verfassung beispielsweise verzichtet auf derartige inhaltliche Vorgaben. Und manche kluge Kritiker halten solche Staatsziele für – das Wort findet man in der Literatur gelegentlich – Staatslyrik oder Staatsziellyrik.