(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Auf die Lebenslage ist sie gar nicht eingegangen. – Zurufe von Vincent Kokert, CDU, und Peter Ritter, DIE LINKE)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, insbesondere die beiden Herren, die diesen Disput pflegen, wenn es weitergehen soll, würde ich darum bitten, das draußen fortzusetzen. Ansonsten hat jetzt Herr Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Holter hat bei seiner Aussprache – das ist es ja, es ist keine Einbringungsrede, aber faktisch ist es das ja – zu Beginn der Rede, und das bietet sich an, auf die Entstehung der Verfassung zurückgegriffen: die öffentliche Diskussion, die Verfassungskommission, den Beschluss dieses Landtages – das war natürlich der Landtag der 1. Wahlperiode –, den Entwurf und schließlich das Referendum, in dem das Volk von Mecklenburg-Vorpommern diese Verfassung in Kraft gesetzt hat. Sie haben dabei, Herr Kollege Holter, allerdings von der Enthaltung Ihrer Fraktion, damals noch Linke, Linke/PDS, gesprochen …
… und Sie haben den Kollegen Schoenenburg, den ich zu Beginn meiner parlamentarischen Tätigkeit noch persönlich kennenlernen durfte, als einen der Väter dieser Verfassung bezeichnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Genehmigung der Präsidentin möchte ich Ihnen gerne aus dem Protokoll der 78. Sitzung des Landtages der 1. Wahlperiode vom 12. Mai 1993 zitieren. Es spricht für Linke Liste/PDS Arnold Schoenenburg und er sagt, ich zitiere: „Meine Damen und Herren, es bestand aus unserer Sicht die Chance und Möglichkeit, aus der öffentlichen Verfassungsdiskussion heraus ein modernes und bürgernahes Staatsgrundgesetz zu schaffen. Diese Möglichkeit wurde unzureichend genutzt, die Fraktion Linke Liste/PDS ist
bei aller Würdigung und Unterstützung einzelner Bestimmungen des Entwurfes nicht willens für eine Verfassung zu stimmen, die letzten Endes nicht auf der Höhe der Zeit steht und mit den Möglichkeiten und Chancen einer fortschrittlichen Verfassungsentwicklung beschnitten werden. Das heißt: Wir lehnen diese Verfassung insgesamt ab.“ Zitatende.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, geben wir der historischen Wahrheit die Ehre: Die Vorgänger der Fraktion DIE LINKE in diesem Hause, sie haben diese Verfassung abgelehnt
und sie haben beim Referendum des Volkes die Empfehlung ausgesprochen, dass man diese Verfassung ablehnen möge. Und sie haben – ich will die Worte des Kollegen Schoenenburg hier nicht noch einmal zitieren, ich mache das mal in meinen Worten – diese Verfassung als eine Verfassung der verpassten Chancen bezeichnet. Er lässt nur wenige gute Haare an dieser Verfassung,
(Helmut Holter, DIE LINKE: Ja, und ganz aktiv. – Zurufe von Vincent Kokert, CDU, und Torsten Renz, CDU)
aber ihn deswegen bereits als einen „Vater der Verfassung“ zu bezeichnen, halte ich doch für sehr gewagt, lieber Kollege Holter.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, sei es, wie es sei, heute verstehen sich die politischen Kinder – Kinder, keine Enkel, noch nicht – als die politischen Kinder derjenigen, die damals diese Verfassung nicht gewollt haben, und als diejenigen, die jetzt anderen vorschreiben wollen, dass sie sich auch bitte streng an diese Verfassung halten.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, in einem stimme ich mit dem Kollegen Holter und mit der Fraktion DIE LINKE überein: 20 Jahre Verfassung ist natürlich ein Anlass, diese Verfassung zu bewerten, Rückschau zu halten auf die letzten 20 Jahre und auch einen Ausblick zu geben auf die nächsten. Da halten wir diese Verfassung keineswegs für etwas Rückschrittliches und keineswegs für etwas, das Chancen abschneidet, sondern wir glauben – und das ist unsere feste Überzeugung –, dass sich diese Verfassung des Landes MecklenburgVorpommern in den 20 Jahren ihres Bestehens außerordentlich bewährt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Verfassung enthält wie jede Verfassung natürlich einen organisatorischen Teil, einen staatsorganisatorischen Teil: Aufbau der Staatsorgane, Verhältnis zueinander, Wahlen und ähnliche Dinge. Ich denke, auch dieser Teil muss bewertet werden, indem man sagt, er hat sich außerordentlich bewährt. Die wenigen schwierigen Situationen staatsrechtlicher Art, die dieses Land zu bewältigen hatte – ich denke insbesondere an die Regierungskrise des Jahres 1996 –, ließen sich mit dem Instrumentarium dieser Verfassung sehr gut handhaben. Wir wollen und wir müssen diesen staatsorganisatorischen Teil unserer Verfassung behutsam weiterentwickeln. Wir müssen ihn an neue Situationen, an neue Herausforderungen anpassen. Wir haben das auch in der Vergangenheit getan.
Frau Justizministerin hat bei den Änderungen, die wir an der Verfassung vorgenommen haben, als Erstes – es war ja auch historisch die erste Änderung dieser Verfassung – die Einführung des strikten Konnexitätsprinzips erwähnt. Für mich ganz persönlich – ich durfte das damals hier begründen für die SPD – war es eine besonders wichtige Änderung, nicht weil ich es begründet habe, sondern weil dies für die Finanzausstattung unserer Städte und Gemeinden von zentraler Bedeutung ist. Wir haben das damals hier einstimmig beschlossen.
Das war sehr gut so und ich hätte es auch sehr gut gefunden, Herr Holter, wenn Sie dieses Konnexitätsprinzip, an dem Ihre Fraktion damals mitgewirkt hat, konstruktiv mitgewirkt hat, hier wenigstens einmal erwähnt hätten. Es wäre gut, weil das auch dazugehört, wenn wir über die Situation unserer Städte und Gemeinden reden. Hier haben wir einen ganz wichtigen Schritt für die Städte und Gemeinden getan.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Verfassung enthält nicht nur einen staatsorganisatorischen Teil, sondern sie enthält – das ist nicht selbstverständlich, es ist nicht bei jeder Landesverfassung so – inhaltliche Vorgaben, insbesondere in Form von expliziten Staatszielen. Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob das sinnvoll ist. Die niedersächsische Verfassung beispielsweise verzichtet auf derartige inhaltliche Vorgaben. Und manche kluge Kritiker halten solche Staatsziele für – das Wort findet man in der Literatur gelegentlich – Staatslyrik oder Staatsziellyrik.