Protocol of the Session on June 3, 2015

Weshalb zum jetzigen Zeitpunkt handeln? Warten wir doch ab, was auf Bundesebene kommt!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts der stetig steigenden Zahl von Menschen, die vor Krieg, Not und Elend auf der Flucht sind,

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

angesichts der wachsenden Zahl von Menschen, die bei uns Schutz suchen und die unter anderem raschen und möglichst unbürokratischen Zugang zu guter medizinischer Hilfe und Versorgung benötigen, finde ich ein solches Aussitzen nicht nachvollziehbar. Mehr noch, die Weigerung, sich mit diesem drängenden Problem zu befassen, finde ich vor dem geschilderten Hintergrund – mit Verlaub – schlichtweg unmoralisch. Und da nützt es dann auch nichts, wenn sich die Sozialministerin, wie unlängst im Sozialausschuss geschehen, klar und eindeutig für die Einführung einer Gesundheitskarte ausspricht,

(Julian Barlen, SPD: Natürlich nützt das was.)

im selben Atemzug aber auf die Zuständigkeit ihres Kollegen aus dem Innenressort verweist. Aus dessen Haus war zur Sitzung trotz Einladung niemand erschienen – ein Schelm, wer Böses dabei denkt –, und heute hören wir auch, Herr Caffier, immer wieder Zwischentöne.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, die Argumente gegen die Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete und Asylbewerberinnen und Asylbewerber in unserem Bundesland sind zahnlos. Weder die Kostenbedenken noch der Flächenlandeinwand sind stichhaltig. Das habe ich Ihnen dargelegt. Wer jetzt noch zögert, tut das ganz klar aus politisch-ideologischen Gründen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Und das muss dann auch so benannt werden, denn es gibt keinen triftigen sachlichen Grund dafür,

(Michael Andrejewski, NPD: Doch.)

eine Regelung, die nachweislich machbar,

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

sinnvoll und humanitär geboten ist, nicht einzuführen. Mit der Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete und Asylbewerberinnen und Asylbewerber und der damit verbundenen Übertragung der Leistungsabwicklung an eine Krankenkasse kann der Verwaltungsaufwand in den Kommunen erheblich reduziert werden. Sogar finanzielle Einsparungen sind dabei möglich.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Die Gesundheitskarte verbessert die medizinische Versorgung in bestimmten Situationen für Flüchtlinge, Asylsuchende und geduldete Menschen. Der bisherige umständliche Weg zum Behandlungsschein über das Sozialamt entfällt. Das bedeutet einen Schritt hin zu einer diskriminierungsfreieren Normalität, die gerade diese Menschen dringend brauchen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Das klare politische Bekenntnis zur Gesundheitskarte ist gerade jetzt angesichts der hohen, absehbar weiter wachsenden Zahl geflüchteter Menschen, die auch in unser Bundesland kommen, ein Gebot der Stunde.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hält an ihrer Forderung fest, dass die Landesregierung im Zusammenwirken mit den Landkreisen und kreisfreien Städten einen Vertragsabschluss mit einer Krankenkasse herbeiführen und diesen Prozess aktiv unterstützen und moderieren soll. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – David Petereit, NPD: Deswegen sind wir gegen Cannabis-Vergabe.)

Das Wort hat die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Frau Hesse.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir reden dieser Tage viel über Integration, darüber, wie wir es schaffen, Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, teilhaben zu lassen an unserer Gesellschaft und selber Teil dieser Gesellschaft zu werden. Dieses Projekt Integration hat viele Facetten und eine davon ist die Gesundheitsversorgung und der Zugang zu ihr. Unser Ziel muss es sein, eine medizinische Grundversorgung für Flüchtlinge und Asylbewerber zu gewährleisten. Dieses Ziel ist durch das Asylbewerberleistungsgesetz abgesichert und alle Beteiligten arbeiten daran, in diesem vorgegebenen Rahmen die Abläufe zu verbessern.

Die örtlichen Gesundheitsämter und niedergelassenen Ärzte haben sich gut aufgestellt, um die asylsuchenden Menschen schnellstmöglich medizinisch zu versorgen. Und das Landesamt für Gesundheit und Soziales hat gerade ein Laborgerät zur Diagnostik von Infektionskrankheiten angeschafft, welches ermöglichen wird, in der Erstaufnahme abzuklären, wer gegen bestimmte Krankheiten geimpft werden muss und wer bereits einen Immunschutz hat. Überflüssige Impfungen können wir so künftig vermeiden.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir als Integrationsministerin ist aber nicht nur wichtig, dass die Menschen versorgt werden, sondern auch der Weg dorthin, denn das derzeitige Prozedere ist in der Tat aufwendig und zugleich stigmatisierend. Ein erkrankter Asylbewerber muss zuallererst nicht etwa zum Arzt, sondern zur zuständigen Verwaltungsstelle, in der Regel also zum Sozialamt, um sich dort einen Behandlungsschein ausstellen zu lassen, der ihn zu einem Arztbesuch berechtigt. Das ist ein immer größer werdender Verwaltungsaufwand, je weiter die Zahl der Flüchtlinge steigt. Vor allem aber ist es eine Belastung für die Betroffenen. Bevor sie ihre Beschwerden behandeln lassen können, müssen sie zu einer Behörde und dort glaubhaft machen, dass sie wirklich krank sind. Diese Diskriminierung setzt sich in der Arztpraxis fort, wo Asylbewerber sich allein dadurch outen, dass sie statt einer Plastikkarte ein Papier über den Tresen schieben müssen. Und diese Rückkehr zur Zettelwirtschaft macht es im Übrigen auch für die Ärzte umständlich, ihre Leistung am Ende abzurechnen.

Meine Damen und Herren, Sie ahnen es bereits an dieser Stelle, ich bin dafür, dass wir die Gesundheitskarte für Asylsuchende einführen, so, wie ich es auch unlängst im Sozialausschuss gesagt habe.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, wir sollten denen, die so viele Hindernisse überwinden mussten, um herzukommen, nicht unnötig neue Hürden in den Weg stellen. Asylbewerbern eine elektronische Gesundheitskarte auszuhändigen, würde ihren Alltag und ihre Integration erleichtern.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Sie könnten wie wir alle eigenständig darüber entscheiden, zum Arzt zu gehen oder nicht. Andere Bundesländer, Frau Gajek sagte es, haben es uns bereits vorgemacht, dass es geht. Die AOK hat angeboten, dass sie auch in Mecklenburg-Vorpommern als Vertragspartner zur Verfügung stünde.

Die Einwände derer, die gegen die Einführung der Chipkarte sind oder zumindest dagegen, sie jetzt einzuführen, haben vor allem mit der Angst vor Kostensteigerungen zu tun. Der freie Zugang zum Arzt würde dazu führen, dass die Arztbesuche zunehmen und damit die Kosten. Und weil der Status Asylbewerber nicht auf dem Chip programmiert werden könne, sei die Gefahr groß, über die Gesundheitskarte Versorgungsleistungen zu gewähren, die für Asylbewerber eingeschränkt oder ausgeschlossen sind. Ja, es wird Mehrkosten in der Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden geben. Das hängt aber nicht davon ab, ob sie eine Chipkarte haben oder keine, sondern das hängt ab von dem zu erwartenden Plus an Kosten und eben entsprechend vom Plus an Flüchtlingen.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ist ja richtig.)

Ihren Zugang zu medizinischer Versorgung zu handeln,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, darum geht es.)

indem man weiterhin einen Behördengang vorschaltet, kann auch dazu führen, dass Krankheiten verschleppt werden

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, auch die Aufnahme.)

und Therapien verzögert werden. Auch das kann am Ende teurer werden. Zudem spart die Versichertenkarte administrative Kosten, beispielsweise bei der Abrechnung oder den Amtsärzten. Dass Asylbewerber über die Versichertenkarte unberechtigt Versorgungsleistungen in Anspruch nehmen könnten, ist nach den bisherigen Erfahrungen in anderen Ländern nahezu ausgeschlossen, weil ein entsprechender Leistungsausschlusskatalog Bestandteil eines Vertrages zwischen den Kassen, der Kassenärztlichen Vereinigung und den Kommunen wäre.

Werte Damen und Herren Abgeordnete, die Bundesregierung tauscht sich aktuell mit den Ländern über die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung für Asylbewerber aus. Und klar ist, Ziel muss es sein, eine bundeseinheitliche Lösung zu finden. Teil

dieser Lösung muss auch die elektronische Gesundheitskarte sein.

Ich habe die Worte von Herrn Altmaier dazu im Kopf. Wenn nun das Kostenargument keines ist, bleibt die Frage, wo die viel zitierte Willkommenskultur bei uns anfängt und wo unsere Integrationsbereitschaft.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Eine sehr gute Frage.)

Welchen Status muss ein Mensch haben, um welche Leistungen empfangen zu dürfen? Hängt der Zugang zur vorhandenen medizinischen Versorgung nicht unmittelbar zusammen mit der Würde und Mündigkeit eines Menschen?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Und wenn wir sehen, dass es machbar und bezahlbar ist, dann ist es nach meinem Empfinden auch unsere politische Pflicht. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schubert von der Fraktion der CDU.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Nun sagen Sie uns mal, woran es hakt!)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle wirklich mal die Frage: Welche Länder haben die Gesundheitskarte eingeführt? Kein Flächenland!

(Peter Ritter, DIE LINKE: Falsche Frage, Herr Schubert! Falsche Frage!)

Es gibt keine falschen Fragen, es gibt nur falsche Antworten.

(Julian Barlen, SPD: Brandenburg. Brandenburg hat die Einführung beschlossen.)