Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 94. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 94. und 95. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das sehe ich nicht. Damit gilt die Tagesordnung der 94. und 95. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich unserer Vizepräsidentin Beate Schlupp ganz herzlich nachträglich zu ihrem runden Geburtstag gratulieren. Nun ist sie gar nicht da, ne?
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Torsten Renz, CDU: Das war abgesprochen gewesen.)
Gemäß Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die 94. und 95. Sitzung die Abgeordneten Dr. Hikmat Al-Sabty, Dr. Ursula Karlowski und Johann-Georg Jaeger zu Schriftführern.
Die Fraktion DIE LINKE hat einen Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 6/4042 zum Thema „Bundesratsinitiative ,Ehe für alleʻ unterstützen“ vorgelegt. Von den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE liegt Ihnen auf Drucksache 6/4043 der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes vor, um den die Tagesordnung ebenfalls erweitert werden soll. Wir werden diese Vorlagen, um die die Tagesordnung erweitert werden soll, nach angemessener Zeit für eine Verständigung innerhalb und zwischen den Fraktionen nach dem Tagesordnungspunkt 2 aufrufen. Ich werde das Wort zur Begründung dieses Dringlichkeitsantrages erteilen sowie die Abstimmung über die Aufsetzung durchführen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion DIE LINKE hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen mittels Streik auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht diskreditieren – Einschränkung des Streikrechts entgegentreten“ beantragt.
Aktuelle Stunde Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen mittels Streik auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht diskreditieren – Einschränkung des Streikrechts entgegentreten
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kaum ein Thema war in den letzten Wochen und Monaten auch in Mecklenburg-Vorpommern so präsent wie die aktuellen Arbeitskämpfe. Während der Lokführerstreiks fielen bis zu 70 Prozent der Züge im ganzen Land aus, aufgrund der Streiks in den Briefzentren und bei den Zustellern der Deutschen Post blieben Tausende Briefe und Pakete liegen. Bereits an vier Tagen blieben Kindertagesstätten in Schwerin und Greifswald aufgrund der Streiks von Erzieherinnen und Erziehern geschlossen. Und demnächst, meine Damen und Herren, werden die Beschäftigten im Sky Service Center Schwerin die Arbeit niederlegen.
Die gute Nachricht dieser Woche ist, dass die große Mehrheit in der Bevölkerung das Anliegen der Streikenden unterstützt und somit das Streikrecht akzeptiert, denn die Menschen auch in unserem Land verstehen, dass die Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erziehungswesen dringend geboten ist. Sie wissen, dass die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung in den Callcentern des Landes dringend verbessert werden müssen. Sie haben Verständnis dafür, dass die Postmitarbeiterinnen und die Postmitarbeiter sich gegen die Auslagerung ihrer Arbeitsplätze wehren. Und sie merken, dass die Lokführer vom Bahnvorstand lange an der Nase herumgeführt wurden.
Das Streikrecht ist ein durch das Grundgesetz geschütztes Recht. Es kann von allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft genutzt werden. Das Grundgesetz spricht dabei ausdrücklich von Arbeitskämpfen zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen. Übrigens – das ist Ihnen sicherlich auch bekannt – dürfen auch Auszubildende für ihre Rechte und Tarifverträge streiken.
Die aktuelle öffentliche Diskussion fokussiert sich jedoch nicht auf die positiven Seiten dieses Streikrechts und der aktuellen Streiks, sondern vor allem auf deren mittelbare und unmittelbare Auswirkung sowie inzwischen auch auf ihre Verhältnismäßigkeit. Besonders deutlich wurde dies in der Auseinandersetzung bei der Deutschen Bahn. Ganz gleich, wie man zum Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokführer persönlich stehen mag, er wurde schon im vorigem Jahr mit dem Titel „Der Bahnsinnige“ beschimpft, der eine ganze Nation in Geiselhaft nimmt für seinen Kampf um eigene Tarifverträge.
Eine große Boulevardzeitung scheute sich nicht, selbst seine Telefonnummer zu veröffentlichen und seine Leser aufzufordern, dem GDL-Chef persönlich die Meinung zu geigen. Ich denke, das geht entschieden zu weit. Wo leben wir denn eigentlich, meine Damen und Herren?!
Hier wird jemand an den Pranger gestellt wie im Mittelalter. Und auch die Arbeitgeber versuchen, das Streikrecht zu unterlaufen. Die Post setzte kurzerhand Beamte ein, um Druck aus dem Streikkessel zu nehmen. Und im Sky Service Center Schwerin wurde nicht nur die Aufnahme von Tarifverhandlungen verweigert, es verschwanden
Der aktuelle Tarifstreit zwischen ver.di und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, bei dem es um die bessere Entlohnung der Erzieherinnen und Erzieher geht, aber eben nicht nur, wie wir wissen, sondern auch um die Anerkennung dieser Berufe, führte zur Diskussion darüber, ob man nicht mit Blick auf die Auswirkungen hier bei den Eltern das Streikrecht einschränken müsse. Ich frage mich: Wo leben wir denn eigentlich?!
Nach Grundgesetz ist das Streikrecht verbrieft und die Erzieherinnen und Erzieher haben das gleiche Recht wie alle anderen Berufsgruppen, für ihre Rechte zu streiken.
Und die Parteifreunde derjenigen, die uns hier regelmäßig einseitige Sichtweisen vorweisen, wenn wir Anträge einbringen, die auf eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten zielen, finden sich nun in vorderster Front, wenn es darum geht, das Streikrecht einzudampfen. So forderte der Wirtschaftsflügel der CDU im Vorfeld der Beratungen zum sogenannten Tarifeinheitsgesetz in einem Eckpunktepapier die Beschränkung des Streikrechts in Bereichen wie Luft- und Bahnverkehr, Energie- und Wasserversorgung, medizinische Versorgung sowie Kinderbetreuung und -erziehung. Diesen Sektoren solle ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vorgeschrieben werden, wenn die Tarifverhandlungen gescheitert sind. Obendrein müssten die Streiks vier Tage vorher angekündigt werden.
Das, meine Damen und Herren, ist nicht weniger als ein Angriff auf das Grundgesetz und die Grundrechte der Menschen in diesem Land, besonders der abhängig Beschäftigten, und dieses ist mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen.
Insgesamt wird in der Öffentlichkeit von einzelnen Verbänden und Politikern der Eindruck erweckt, Deutschland würde unter den permanenten Streiks ächzen und die deutsche Wirtschaft würde durch die Egoismen kleiner und großer Gewerkschaften stark in Mitleidenschaft gezogen. Zwar ist seit etwa zehn Jahren ein Anstieg der Arbeitskämpfe zu beobachten, aber das, meine Damen und Herren, ist auch die Folge einer zunehmend zersplitterten Tariflandschaft infolge von Ausgründung und verschlechterten Arbeitsbedingungen und hat auch etwas mit der Lohnzurückhaltung zu tun, die vorher immer wieder eingefordert wurde.
Im internationalen Vergleich gesehen wird in Deutschland relativ wenig gestreikt. Auf 1.000 Beschäftigte entfielen hierzulande nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung zwischen 2005 und 2013 im Jahresdurchschnitt rechnerisch 16 Ausfalltage. Damit gehört die Bundesrepublik weiterhin zu den streikärmsten Ländern in Europa.
Ich will Ihnen kurz sagen, wie das in anderen Ländern aussieht: Großbritannien liegt bei 23 Tagen, Irland bei 28, Norwegen bei 53, Spanien bei 66, Finnland bei 76 und Belgien bei 77 Tagen. Spitzenreiter sind Kanada mit 102, Dänemark mit 135 und Frankreich mit 139 Ausfalltagen pro Beschäftigten. Ich wünsche mir, dass die Ar
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland viel mehr Mut haben, auf die Straße zu gehen und zu streiken,
Deswegen geht es darum, sich solidarisch zu erklären. Anstatt, meine Damen und Herren, die Tarifbindung und die Mitbestimmung in den Betrieben zu stärken, wurde ausgerechnet unter Federführung der SPD mit dem sogenannten Tarifeinheitsgesetz ein Gesetz verabschiedet, mit dem Arbeiternehmerrechte faktisch eingeschränkt werden. Bei einer Veranstaltung des DGB wurde von einem SPD-Vertreter gesagt, die SPD sei der natürliche Partner der Gewerkschaften. Dieses Gesetz spricht genau dem Hohn und Spott.
(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das gilt auch für die LINKEN! Das gilt auch für die LINKEN, Herr Holter!)
Wer tatsächlich etwas für die Tarifeinheit im Betrieb tun will, der muss Leiharbeit und Werksverträge anders regeln und die Mitbestimmung der Betriebsräte ausweiten, damit sie Einfluss ausüben können, wenn Betriebe verlagert werden und Tarifverträge ausgehebelt werden sollen.
Das Gesetz zielt nach Inhalt und Begründung unübersehbar auf die Aktivität streikfähiger und streikbereiter Berufsverbände. Sie sollen rechtlich diszipliniert und in ihrer Wirksamkeit begrenzt werden, was letztendlich ihre Existenzberechtigung infrage stellt.