Protocol of the Session on April 22, 2015

Dort ist mit den Beratungen bereits begonnen worden. Der mitberatende Finanzausschuss hat dem federführenden Europa- und Rechtsausschuss seine Stellungnahme schon übermittelt. Der Rechtsausschuss hat erneut eine Anhörung durchgeführt.

Ein Volksentscheid wird nach Lage der Dinge aller Voraussicht nach bereits im September dieses Jahres stattfinden können. Völlig unverständlich ist vor diesem Hintergrund die Aussage von Herrn Suhr, die ich heute in der „Schweriner Volkszeitung“ gelesen habe. Darin sagen Sie, Herr Suhr, Sie hätten, Zitat, „einen späteren Zeitpunkt favorisiert“.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ach so?)

Vor einigen Monaten haben Sie hier noch die Befürchtung geäußert, die Koalitionsfraktionen würden die Behandlung des Volksbegehrens verzögern. Das tun wir nun bei Weitem nicht. Dann kritisieren Sie eben, dass es Ihnen jetzt zu schnell geht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das kann ja wohl nicht wahr sein! – Heinz Müller, SPD: Ja, was denn nun?)

Das kann doch keiner mehr ernst nehmen. Es wäre daher redlicher gewesen, wenn die Antragsteller den Gesetzentwurf vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung zurückgenommen hätten.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Genau.)

Die SPD-Fraktion wird den vorliegenden Gesetzentwurf einschließlich der Änderungen, die Sie zu Ihrem Gesetzentwurf heute vorgelegt haben, erneut ablehnen.

Und erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung: Insbesondere eine Mehrheitsentscheidung ist demokratisch, Herr Suhr. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Vielen Dank, Frau Drese.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Borchardt für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte eben den Eindruck, Frau Drese, als ob Sie schon die Rede für die Ablehnung des Volksbegehrens hier vorgetragen haben.

(Heinz Müller, SPD: Warten Sie’s ab!)

Denn wenn Sie den Gesetzentwurf richtig gelesen haben, wenn Sie den Gesetzentwurf, der heute diskutiert wird, richtig gelesen haben,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Hat sie.)

dann hätten Sie feststellen müssen, dass wir nicht von Umkehr sprechen, das heißt, alles wieder auf null zurück, das, was das Volksbegehren will, sondern wir sagen, stoppen bis zur Entscheidung des Volksbegehrens

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das hat sie gesagt.)

und damit auch des Volksentscheides. Das ist etwas anderes,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

und das sagen auch unsere Änderungsanträge. Also möchte ich doch darum bitten, dass Sie die Gesetzentwürfe, die wir hier vorlegen, sozusagen auch richtig lesen.

Und ein Beispiel dafür, dass es geht, was wir hier erwarten, hat Nordrhein-Westfalen gezeigt in der Anhörung, das haben Sie gehört. Da hat uns der Anzuhörende mitgeteilt, dass in Nordrhein-Westfalen eine große Gerichtsstrukturreform bereits vom Landtag beschlossen worden ist und im Nachhinein aufgrund von Erkenntnissen durch Experten, durch Diskussionen, durch die finanzielle Situation dann dieser Gesetzentwurf vom eigenen Landtag wieder ad acta gelegt worden ist.

(Zuruf von Stefanie Drese, SPD)

Also der von uns eingeschlagene Weg wäre machbar gewesen, wenn wir es nur wollten.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Wir diskutieren hier heute die Zweite Lesung eines Gesetzentwurfes, der die Gerichtsstrukturreform aussetzen soll, bis das Volksgesetzgebungsverfahren zu diesem Thema abgeschlossen ist. Nicht mehr und nicht weniger erwarten wir von Ihnen.

Dieser Gesetzentwurf ist bereits der dritte Versuch, zu verhindern, dass in der Justiz in Mecklenburg-Vorpom- mern angesichts eines erfolgreichen Volksbegehrens und eines bevorstehenden Volksentscheides Tatsachen geschaffen werden. Ich hoffe, dass es nun endlich unstrittig ist, dass das Volksbegehren erfolgreich war. Die Erste Lesung dazu hat stattgefunden, das Volksbegehren befindet sich im Verfahren und wird voraussichtlich im Juni mit der Zweiten Lesung zur Entscheidung vorgelegt.

(Stefanie Drese, SPD: Genau. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: So ist es.)

Ich sage es hier ganz bewusst, denn in der Ersten Lesung haben Sie uns ja zum wiederholten Mal vorgehalten, dass dieses Volksbegehren noch nicht auf dem Tisch liegt, mehr als 120.000 gültige Unterschriften brachte es zusammen, aber das hebt Sie nicht an, Sie setzen weiter um. Es wird nun weiterhin unnütz Geld ausgegeben, „investieren“ möchte ich es nicht nennen. Das würde voraussetzen, dass sich dieses Geld irgendwann amortisieren würde. Genau das ist eben nicht erkennbar.

Eigentlich möchte ich hier nicht die Zweite Lesung zum Volksbegehren vorwegnehmen, allerdings scheint es mir nötig zu sein, auf ein paar Dinge im Zusammenhang mit der Behandlung des Volksbegehrens einzugehen, macht es doch einiges deutlich. Bereits eine Woche vor der Anhörung stand das Ergebnis für Sie fest, denn da überreichten Sie dem mitberatenden Finanzausschuss Ihren Antrag, den Inhalt, auf den Sie sich wohl schon ohne Ausschussberatung, ohne Stellungnahmen der Anzuhörenden geeinigt hatten. Sie haben also zu dem Zeitpunkt schon gewusst, dass die Reform weiter umgesetzt werden müsse, da keine neuen Erkenntnisse vorliegen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Was für hellseherische Fähigkeiten, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen! Aber Spaß beiseite: Das zeigt natürlich deutlich, wie auch schon in anderen Verfahren zu diesem Inhalt, dass Sie die formelle Abarbeitung auf der Basis der bestehenden Gesetze über sich ergehen lassen, ein ernsthaftes Nachdenken über die Einschätzung der Experten in keiner Weise erfolgt. Man kann es aber auch anders sehen: Sie wussten vorher um die katastrophalen Umstände in den Amtsgerichten, die von der Reform bereits betroffen waren, und nehmen sie willentlich und sehenden Auges in Kauf.

Mir klingen da noch genau die Worte von Herrn Burgdorf im Ohr, dem Gerichtsdirektor von Pasewalk. Dieser musste das Amtsgericht Ueckermünde aufnehmen und muss zudem Anklam als Zweigstelle verwalten. Leider ist das Wortprotokoll der Anhörung noch nicht verfügbar, aber was Herr Burgdorf sagte, war erschütternd. Die Mitarbeiter sind völlig überlastet. Der Krankenstand war noch nie so hoch, noch nie war die Zahl der nicht bearbeiteten Verfügungen so hoch, und Herr Burgdorf wendet pro Tag mindestens eine Stunde Arbeitszeit auf, um Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern gegen das Gericht und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bearbeiten. Also wenn man bisher noch leichtgläubig war und dem Ministerpräsidenten geglaubt hat, dass Bürgernähe nichts mit der Entfernung zum Gericht, sondern mit effizienter Justiz zu tun haben soll, dann muss die Frage erlaubt sein, ob das mit einer effizienten Justiz gemeint war.

Meine Damen und Herren, das ist keine Übergangserscheinung. Ich habe Herrn Burgdorf gefragt, ob diese Zustände eine Übergangserscheinung sein könnten und sich das nach einer bestimmten Zeit legen wird. Das hat er klar verneint. Diese Reform läuft bereits seit einem halben Jahr und die Zustände sind kein bisschen besser geworden. Geändert werden könnten sie nur durch den Einsatz von mehr Personal. Da wird sich die Finanzministerin aber freuen, kann ich mir nur denken.

Auch Herr Meerlein vom Amtsgericht Wismar, der zu dieser Reform steht,

(Stefanie Drese, SPD: Meermann.)

machte darauf aufmerksam, dass die Ziele, also Ihre Eckpunkte nur durch mehr Personal erreicht werden könnten. Und, Herr Krüger, Sie können sich doch bestimmt noch an die Antwort auf Ihre Frage bezüglich der Gerichtstage erinnern.

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Sie werden dort, wo sie angeboten werden, schlecht und gar nicht angenommen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass etwa Betreuungssachen regelmäßig als eine Art Notfall erscheinen, anfallen und nicht geplant werden können. Da muss immer jemand erreichbar sein, und nicht nur dann, wenn zufällig Gerichtstag ist. Außerdem fragen sich auch die Betreuungsrichter, warum sie zum Gerichtstag ins Büro fahren sollen. Wenn sie schon im Taxi sitzen, können sie auch gleich zu den Betreuten nach Hause fahren, wie es ja eigentlich sein sollte.

Diese Gerichtstage sind Augenwischerei und nur eine Beruhigungspille für die Menschen in den ehemaligen Gerichtsorten. Einen praktischen Nutzen haben sie sicherlich nicht. Auch das ständig vorgebrachte Argument der besseren Spezialisierung in den größeren Gerichten kommt nicht zum Tragen. Wir haben schon in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass, wenn die Spezialisierung denn wirklich sinnvoll und nötig wäre, man diese auch in den jetzt schon größeren Gerichten bereits eingesetzt hätte, hat man aber nicht. In keinem der großen Amtsgerichte gibt es Spezialisierungen, die über das hinausgehen, wie es sie auch bei kleinen Gerichten gibt, im Gegenteil.

Das Amtsgericht Ludwigslust hat mittlerweile das Amtsgericht Hagenow aufgenommen. Im neuen Gericht belaufen sich die Familiensachen auf genau ein Pensum. Jetzt könnte man ja annehmen, es wäre sinnvoll, einen Richter nur mit Familiensachen zu beschäftigen. Das tut man aber nicht. Jeder der zehn Richter macht Familiensachen zu je einem Zehntel. So viel zum Thema Spezialisierung.

Es wird auch immer wieder auf die demografische Entwicklung verwiesen und die daraus resultierenden Rückgänge der Geschäftseingänge. Im „Strategiebericht der IMAG Demografischer Wandel der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern“ von 2011 ging man bis 2030 von einem Bevölkerungsrückgang von zwölf Prozent aus. Heute sind wir ein wenig schlauer und wissen zwei Dinge:

Erstens. Der Bevölkerungsrückgang wird nicht so drastisch sein wie damals noch prognostiziert.

Und zweitens. Die Geschäftseingänge bei den Amtsgerichten sind von der demografischen Entwicklung unabhängig relativ konstant und stabil.

Ich stelle hier noch einmal klar, dass es für die Bemessung des Gerichtspersonals nur auf Zweiteres ankommt. Einzig die Geschäftseingänge bestimmen über die Zahl der Stellen in den Gerichten.

Ich habe erst kürzlich eine Kleine Anfrage zu der Entwicklung in den letzten drei Jahren gemacht. Das Ergebnis ist, dass es zwar Schwankungen gibt, die Zahlen tendenziell aber gleichbleibend sind. Wenn man sich dort bemerkenswerte Zahlen herausgreifen wollte, dann vielleicht, dass es im nur zur Zweigstelle degradierten Amtsgericht Anklam im Jahr 2013 einen Anstieg der Geschäftseingänge um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr gab. Inwieweit es die Justiz nun zukunftsfähig macht, wenn ein solches Gericht geschlossen wird, bleibt das Geheimnis der Landesregierung, zumal in der Anhörung letzte Woche auch deutlich wurde, dass derartige Zahlen unberechenbar sind.

Nun kommen wir dazu, warum es auch finanziell sinnvoll ist, diese Reform auszusetzen. Ich nehme mir hier einmal

die Investitionskosten in den Gerichtsgebäuden heraus. Vor einer Weile war ja die Justizministerin bei uns im Europa- und Rechtsausschuss und berichtete über den Fortgang der Reform. Unter anderem stellte sie auch aktuelle Zahlen hinsichtlich der Investitionen vor. Genau genommen waren es nicht die Investitionskosten, sondern die angeblichen Einsparungen. Die hypothetischen Investitionskosten für den Fall, dass die Reform durchgeführt worden wäre, wurden also gegengerechnet, wobei ich etwas skeptisch bin, was die hypothetischen Investitionskosten angeht.

Ich denke da an diesen ominösen Außenfahrstuhl für 400.000 Euro, der mal in Wolgast geplant war. Wegen des Denkmalschutzes durfte er aber nie gebaut werden und nun taucht er trotzdem in den hypothetischen Investitionskosten auf. Man tut also einfach so, als wäre tatsächlich irgendwann dieser Fahrstuhl gebaut worden. Was diese hypothetischen Investitionskosten angeht, bin ich aber auch deshalb skeptisch, weil sie interessanterweise nicht konkret dargelegt werden können und die Kosten für die Nachnutzung nicht einbezogen sind. Interessant sind da für mich die tatsächlichen Investitionskosten aufgrund der Reform.

In Anklam sollte es ursprünglich am Gebäude keine Investitionen geben. Nun sind wir bei fast 200.000 Euro. Auch in Neustrelitz und in Parchim waren keine Umbaumaßnahmen geplant. Nun sollen es jeweils 400.000 Euro sein. Das sind fast 1 Million Mehrkosten nur für diese drei Standorte. In Greifswald ging man ursprünglich von gut einer Million Baukosten aus, nun sind es über 3 Millionen. Damit sind wir bei 3 Millionen Mehrkosten für vier Standorte.

Und dann finde ich es bemerkenswert, dass Kosten wie für den Umzug der Polizei in Demmin überhaupt nicht auftauchen. Das sind Kosten in Höhe von 4,7 Millionen Euro, die der Steuerzahler aufbringen muss, die es ohne die Gerichtsstrukturreform nicht gegeben hätte, die aber trotzdem nicht bei den Kosten der Reform auftauchen. Den Menschen ist es doch egal, ob die Kosten vom Justiz- oder Innenministerium auferlegt werden. Zahlen muss es am Ende der Steuerzahler.