Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/3892. Wer dem zuzustimmen wünscht, die oder den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke. Die Gegenprobe. – Danke. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/3892 abgelehnt, bei Zustimmung der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Gegenstimmen der Fraktionen der SPD und CDU und der Fraktion der NPD und bei keinen Stimmenthaltungen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alternativen in der Milchwirtschaft – Wege aus der Wachstumsfalle, Drucksache 6/3906.
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alternativen in der Milchwirtschaft – Wege aus der Wachstumsfalle – Drucksache 6/3906 –
Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Dr. Karlowski von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Milchindustrie ist die umsatzstärkste Branche in der Ernährungsindustrie, doch trotzdem können viele Milchbauern von den Erlösen ihrer an die Molkerei gelieferten Milch nicht leben. Wie kann das sein? Angeblich gibt es doch einen riesigen Weltmarkt, der nur darauf wartet, den deutschen Landwirten Milch abzukaufen.
Schauen wir uns das einmal genauer an. Der Hauptabsatzmarkt für europäische Milch ist der EU-Binnenmarkt. Dieser Markt gilt als ausgeschöpft. Stattdessen setzt man jetzt auf den Export ins außereuropäische Ausland. Hier ist vor allem immer wieder von Russland und China die Rede. Leider haben wir nun aber seit Herbst 2014 einen Importstopp in Russland und auch China hat nicht in dem Maß Milch aus Europa nachgefragt, wie das prognosti
Der Preis für Milch auf dem Weltmarkt kann nicht allein mit Angebot und Nachfrage erklärt werden. Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten spielen wie bei den meisten anderen Agrarprodukten auch hier eine zunehmende Rolle. Auch die Spekulationen spielen hier herein. Das bedeutet in der Wirkung, starke Preisschwankungen werden auch in Zukunft den europäischen Milchmarkt bestimmen. Die viel beschworene Freiheit des Milchmarktes ist eben nur eine Freiheit des Wettbewerbes auf den Weltmärkten. Die Stellung der Milcherzeuger in der Wertschöpfungskette ist dagegen fatal. Immer weniger Molkereien teilen sich den Markt untereinander auf. Die Erzeuger haben meist kaum eine Wahl, wem und zu welchen Konditionen sie ihre Milch liefern. Und die allgemein übliche Art der Bezahlung der Milchproduzenten, bei der der Preis erst nach der Auslieferung berechnet wird, also nachdem die Molkerei alle Kosten der Verarbeitung und des Verkaufs abgezogen hat, drängt die Milchproduzenten in eine Schuldenfalle.
Kaum einer weiß, wie Milch gewonnen wird, oder er bezieht sein vermeintliches Wissen eher aus Bilderbüchern der Kindheit und auch aus aktuellen Werbespots, in denen adrett beschürzte Landfrauen die Milch aus Holzeimern in Porzellanschüsseln schütten und cremig rühren. Dass unsere Milch aber fast ausschließlich von Hochleistungskühen stammt, die ihr Leben komplett im Stall verbringen und nicht einmal im Leben einen frischen Grashalm fressen, das ist kaum bekannt. Dabei wird immer wieder beschworen, wie gut es den Kühen doch heute ginge: luftige Ställe, rotierende Bürsten, an denen sich die Kühe schubbern können, ja, spezielle Kuhmatratzen, sogar Wasserbetten. Man spricht euphemistisch von Kuh-Wellness, als wolle man es den Tieren so nett wie möglich machen. Dass diese ach so gehätschelten Tiere in Wahrheit reine Milchmaschinen mit einer unfassbar kurzen durchschnittlichen Lebenserwartung sind, wird tunlichst verschwiegen.
wir haben aber etwas dagegen, dass man so tut, als sei es das Normalste und Beste für das Tier, sich auf eine Latexmatratze zu legen statt auf eine Wiese.
Heute wird in Mecklenburg-Vorpommern 20 Prozent mehr Milch produziert als noch vor 15 Jahren. In Deutschland hat die Steigerung im Vergleich mit vor 20 Jahren um 13 Prozent zugenommen. Dieses Wachstum der Milchproduktion beruht in erster Linie auf der steigenden Milchleistung je Kuh. Es kommt aber auch seit 2010 eine steigende Anzahl von Tieren hinzu, die diese Milchleistungssteigerung verursacht.
Mit Ausnahme weniger Regionen in Deutschland – wie zum Beispiel dem Voralpenland mit seinen traditionellen Fleckviehkuhbeständen – beherrscht in der konventionellen Landwirtschaft eine Milchkuhrasse das Bild, Sie kennen sie alle: die Holstein-Kuh, die schwarz-weiße Kuh mit dem dürren Gestell, eine auf Milchleistung hochgezüchtete Rasse.
Diese Kühe haben aber zunehmend mit Krankheiten zu kämpfen, vor allem mit Stoffwechselkrankheiten, Fruchtbarkeitsstörungen, und haben auch Probleme mit den Klauen. Diese Gesundheitsprobleme führen nicht nur zu steigenden Tierarztkosten, sondern auch zu einer dramatischen Verkürzung der durchschnittlichen Lebenszeit der Kühe.
Die hiesige Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern hat in den Jahren von 2002 bis 2006 erforscht, worin die Ursachen für diese dramatisch geringe Lebenserwartung der Milchkühe im Land liegen.
Ich zitiere aus dem Forschungsbericht, Zitat: „Derzeit werden die Milchkühe des Landes im Durchschnitt lediglich über 2,6 Laktationen genutzt. 47,7 % aller MLP-Kühe in M-V werden nicht einmal 4 Jahre alt … Bei einem Erstkalbealter von derzeit 28 Monaten bedeutet das, dass die Hälfte aller Tiere bereits in der ersten und zweiten Laktation gemerzt wird oder verendet. Damit erreichen diese Tiere nicht das Alter, zu dem ihre maximale Leistung erwartet wird, denn der physiologische Leistungshöhepunkt der Rasse Deutsche Holstein liegt in der 4. Laktation.“
Weiter heißt es: „Der größte Teil der abgegangenen Kühe (38,8 %) wurde bereits in der 1. Laktation gemerzt... Das ist dramatisch,“ – das ist immer noch das Zitat – „denn zum einen hat eine Jungkuh die hohen Kosten ihrer Aufzucht … noch nicht amortisiert und zum anderen sind diese Kühe noch nicht ausgewachsen und stellen ihr volles Leistungspotential erst später unter Beweis. … Entscheidend scheint vor allem eine ungenügende Möglichkeit zur ökonomischen Bewertung der Selektion in der Praxis zu sein. … Sie“, also die Jungkühe, „müssen aufgrund momentaner gesundheitlicher Depressionen jungen Färsen weichen, an die aus züchterischer Sicht eine sehr hohe Erwartungshaltung seitens des Herdenmanagers geknüpft ist.“ Zitatende.
Meine Damen und Herren, wenn man das einmal zusammenfasst, diese Ergebnisse der Landesforschungsanstalt: Wir haben es hier also mit verfrühten Schlachtungen zu tun, mit deutlich verfrühten Schlachtungen, die vor dem Leistungsoptimum der Kühe liegen. Sie passieren aber nun nicht, weil die Kühe tatsächlich so krank sind. Sie werden nicht deswegen geschlachtet, nein, der Fehler liegt im System. Kühe, die vorübergehend mal keine Höchstleistungen bringen, kommen zum Schlachter, auch wenn das betriebswirtschaftlicher Unsinn ist. Hier liegt doch der Hase im Pfeffer, in einer mangelhaften Ausbildung und Beratung,
… als Fehler interpretiert, die dann im Schlachthaus endet. Was nützt die neuerdings immer wieder betonte Zucht auf Lebensleistung, wenn man schon nach dem ersten Kalb das Leben der Kuh beendet?
Auch die EU-Kommission hat sich mit dem Thema beschäftigt und hat 2009 eine Studie in Auftrag gegeben, die die Auswirkungen des Endes der Milchquote untersuchen sollte und zu folgendem Ergebnis gekommen ist: Die Milchindustrie könnte mit dem Ende der Milchquote mit einem Zusatzgewinn von 278 Millionen Euro rechnen, aber dem gegenüber stehen Verluste der Landwirte in einer Höhe von 4,7 Milliarden Euro. Wenn man das jetzt noch anders rechnen und nur die Einkommen der spezialisierten Milchviehbetriebe betrachten würde, die wir ja hier in Mecklenburg-Vorpommern überwiegend haben, so seien die prognostizierten Verluste noch sehr viel höher. Die Quelle kann ich gerne dem Sekretariat hereinreichen.
Die Frage, die man sich angesichts solcher Zahlen stellen muss, lautet: Ist aus der Milcherzeugung noch ein ausreichendes Einkommen zu erzielen und, wenn ja, unter welchen Bedingungen? Für die meisten und vor allem für die Berater scheint die Antwort klar auf der Hand zu liegen: Wer in ausreichend große Milchviehhaltungen investiert und aus jeder einzelnen Kuh so viel Milch herauspresst wie möglich, wird überleben, alle kleineren müssen weichen. Viele Betriebe haben sich darauf eingelassen, haben Millionensummen in Milchviehanlagen gesteckt und haben den Milchviehbestand erheblich aufgestockt.
(Burkhard Lenz, CDU: Nee, bitte nicht! – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Och nee! – Zuruf von Jochen Schulte, SPD – Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)
Sehr geehrte Damen und Herren, das kontinuierliche Wachsen führt aber nicht zwangsläufig zu höheren Einnahmen oder Gewinnen, denn mit dem Wachstum entstehen auch laufend neue Kosten, die unter Umständen niemals erwirtschaftet werden können.
Die Zeitschrift „top agrar“ berechnete anhand von Modellbetrieben, welche Schwelle der Milchpreis kurzfris- tig nicht unterschreiten dürfe, damit die Betriebe weiterhin liquide blieben. Bei kleinen Betrieben mit nur 40 Kühen lag diese Schwelle bei 22 Cent, bei Betrieben mit 127 Kühen bei 27,7 Cent und bei Betrieben mit 665 Kühen bei 34,4 Cent. Wer jetzt aufgepasst hat, hat gemerkt, je größer die Anzahl der Kühe, desto höher lag die Schwelle der Wirtschaftlichkeit.
Das ist erst mal überraschend. Das finde ich schon überraschend. Je größer der Betrieb, desto weniger dürfen die Erzeugerpreise auch nur kurzfristig sinken, damit die laufenden Kosten weiterhin bezahlt werden können.
Der erste Erfolg versprechende Pfad nennt sich „Geld verdienen mit weniger Milchleistung“. Bei steigenden Futterpreisen, insbesondere für Kraftfutter, ohne das Hochleistungskühe ihre enormen Milchmengen nicht mehr produzieren können – das zeigen auch Untersuchungen der Universität Kassel –, ist es wesentlich effizienter, Milch auf Grundfutterbasis, also mit Futter von der Wiese oder Weide zu produzieren. Die Tiere werden auch deutlich seltener krank. Man muss hier aber eine andere Rasse verwenden, das ist ein Zweinutzungsrind, also eine Rasse, die sowohl Milch als auch Fleisch liefert.
Der zweite Pfad ist die Produktion von Biomilch – die nach wie vor in viel zu geringen Mengen produziert wird –, um die bestehende Nachfrage zu decken.
Biomilch unterliegt weit weniger den Preisschwankungen auf dem Weltmarkt und ist viel besser in der Lage, ein stabiles Einkommen zu gewährleisten.
Der dritte Pfad, den auch schon manche Betriebe beschreiten, ist der, Rohmilch ab Hof zu verkaufen oder aber die eigene Milch selber weiterzuverarbeiten und zu vermarkten.
Milch ist wirklich ein klassisches regionales Produkt. Frische Milch kann ich nicht über große Entfernungen transportieren, dann verliert sie ihre Frische. Wir hätten also hier wirklich die einmalige gute Chance, die ja auch schon oft genutzt wird – das gilt es zu verbessern –, eine Steigerung der regionalen Wertschöpfung zu betreiben. Mit Käse, Quark und Joghurt vom eigenen Betrieb lässt sich ein guter Gewinn erzielen.
(Heiterkeit bei Vincent Kokert, CDU: Wir können ja alle Ziegenmilch trinken, da können sie die Kühe abschaffen. – Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)
Natürlich kann man nicht sein betriebswirtschaftliches Konzept der Milcherzeugung von heute auf morgen über den Haufen werfen, wenn man schon Millionen in den Betrieb hineingesteckt hat, wenn man sich verschuldet hat, um neue Stallgebäude, Melkroboter, ein neues Herdenmanagement und noch anderes anzuschaffen, aber wir sollten wirklich nicht tatenlos zusehen, wie weitere Betriebe in diese Wachstumsfalle geraten,
und wir sollten nicht so tun, als ob es keine Alternativen gäbe. Diese gibt es, die sind sinnvoll, wir haben sie in dem Antrag vorgestellt. Ich bin gespannt auf die Debatte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.