Herr Holter, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede sinngemäß – ich kriege es jetzt nicht ganz wörtlich zusammen, aber sinngemäß – ausgeführt, dass Sie davon ausgehen, dass alle demokratischen Fraktionen diese Gedenktage zum Anlass nehmen, sich zu einer Friedenspolitik zu bekennen, Krieg als Mittel der Politik abzulehnen und sich insbesondere gegen Geschichtsrevisionismus von rechts außen zu wenden. Ja, ich glaube, diese Annahme ist richtig. Ich kann dies für die SPDFraktion auf jeden Fall sagen. Die anderen Fraktionen werden ja noch reden.
Aber wenn dem so ist, sehr geehrter Herr Holter, dann frage ich mich, warum Ihre Fraktion nicht den Versuch gemacht hat, zu einem solch wichtigen, ja, man kann sagen, existenziellen Thema, einen gemeinsamen Antrag der demokratischen Fraktionen herbeizuführen. Es wäre doch ein relativ einfacher Schritt gewesen, den Kontakt zu den anderen Fraktionen aufzunehmen, diese Jahrestage zum Anlass zu nehmen zu sagen, lasst uns hier einen gemeinsamen friedenspolitischen Appell dieses Landtages erarbeiten.
Wir haben es auch, das haben wir heute schon gesehen, an einem anderen Punkt – dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken – hinbekommen, einen gemeinsamen Antrag aller demokratischen Fraktionen zusammenzubekommen. Warum nicht hier? Ich wäre dankbar, wenn ich in der Debattenrede von der Fraktion DIE LINKE darauf eine Antwort bekommen würde. Ich habe es jedenfalls als sehr befremdlich empfunden.
(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Aber das ist doch kein Grund, ihn abzulehnen, Herr Müller. – Peter Ritter, DIE LINKE: So ist es.)
Woher wissen Sie denn, dass ich ihn ablehne, Frau Berger? Vielleicht hören Sie mir doch einfach zu, statt Ihre eigenen Vorurteile hier schon vor aller Welt zu präsentieren. Das kommt nicht so gut.
(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Dann stimmen Sie jetzt zu, Herr Müller! – Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das sind keine Vorurteile, das sind Erfahrungswerte. – Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)
jedenfalls fand ich es nicht gut, dass wir hier nicht den Versuch gemacht haben, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen.
Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich irgendwie etwas vermisst. Ich habe nämlich eine Begründung vermisst.
Nein, das ist nicht zwingend vorgeschrieben, Herr Ritter. Der Antrag ist ja auch nicht zurückgewiesen worden. Aber ich hätte es schon sinnvoll gefunden, wenn gerade zu einem solch bedeutsamen Thema dem Antragstext wenigstens eine Begründung beigefügt worden wäre. Diese habe ich vermisst.
Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, gehen wir mal in den Text, Punkt für Punkt, wenn Sie gestatten.
Punkt 1. Punkt 1 nennt uns drei Jahrestage, die in der Tat an furchtbare Menschheitsereignisse erinnern und die uns mahnen zu einer friedlichen Politik. Das ist zweifellos richtig und Sie haben dies in Ihrer Einbringung auch ausgeführt, Herr Holter. Ich habe mir allerdings, als ich diese drei Jahrestage gesehen habe, gedacht, ob man aus einem solchen Jahrestag nicht eigentlich viel mehr machen kann, als ihn mit anderen zusammenzuschieben, um daraus dann so einen allgemeinen friedenspolitischen Appell zu machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will das vielleicht nur an dem ersten dieser Jahrestage, dem Gasangriff in Ypern, deutlich machen. Fritz Haber war ein genialer Chemiker. Fritz Haber hat 1919 rückwirkend für das Jahr 1918 den Chemienobelpreis bekommen. Er hat mit der Haber-Bosch-Synthese von Ammoniak bahnbrechende chemische Entwicklungen in Gang gesetzt, die zum Segen der Menschheit waren, und er hat viele andere Dinge positiv gemacht.
Genau dieser Mann hat sich nicht etwa zwanghaft, sondern begeistert – begeistert! – in den Dienst des Militärs gestellt und hat das Giftgas für den Angriff in Ypern zur Verfügung gestellt durch sein Können, durch sein Wissen – technisch kam es von der BASF – und
hat diesen Gasangriff wissenschaftlich begleitet, fand es ganz toll, dass mehrere Tausend französische Soldaten ums Leben gekommen sind. Und dieser Haber hat auch in den nächsten Jahren den Gaskrieg der deutschen Armee maßgeblich wissenschaftlich unterstützt. Wäre es nicht ein guter Gedanke gewesen, anlässlich eines solchen Jahrestages auf das Thema „gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft“ zu reflektieren, eine solch zwielichtige, im wahrsten Sinne des Wortes, zwielichtige Figur wie Fritz Haber zum Anlass zu nehmen, den Bezug zu heute herzustellen und die Frage zu stellen, wie gehen wir eigentlich heute mit dem um, was Wissenschaft kann und welche Verantwortung Wissenschaft hat?
Ich glaube, man kann aus diesen Jahrestagen, lieber Herr Holter, die Sie hier völlig zu Recht nennen, weitaus mehr machen und wir könnten zu einer tiefen und inhaltsstarken Auseinandersetzung zum Thema Frieden und zu vielen Themen, die mit Frieden zu tun haben, kommen. Diese Chance lassen Sie schlicht und einfach aus. Da werden drei Jahrestage genannt und dann sind wir auf dem Niveau, Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Ja, meine Damen und Herren, wer wollte diesen Satz nicht unterschreiben, Krieg darf kein Mittel der Politik sein? Aber auf der anderen Seite frage ich mich auch, wenn wir auf dieser Abstraktionsebene diskutieren, was uns diese Diskussion dann bringt.
Deshalb lassen Sie mich zum Punkt 2 Ihres Antrages kommen. Hier werden diese sehr oberflächlichen, ich muss fast sagen, Parolen, die alle in sich richtig sind – natürlich darf Krieg kein Mittel der Politik sein –, weitergeführt. Es gibt keine Analyse, es gibt kein Nennen von Ross und Reiter, es gibt keinen konkreten Bezug zur derzeitigen Weltlage, es gibt keinen konkreten Bezug zur Situation in Mecklenburg-Vorpommern, es gibt überhaupt nichts Konkretes, sondern nur sehr abstrakte, sicherlich sehr wohlklingende Bekenntnisse zum Frieden.
Lieber Herr Holter, das ist mir für einen friedenspolitischen Antrag dieses Landtages einfach zu wenig.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Wenn Sie so ein Interesse an dem Thema haben, wo ist der Antrag der Koalition?)
Wir sehen doch gerade, dass wir eine Welt haben, in der ganz viel zählt, aber nicht unbedingt die Vernunft. Was habe ich dann davon, hier mit einem schlichten, rein appellativen Satz umzugehen?
Dann kommen wir zu Punkt 3. Ich zitiere sinngemäß, das Friedensgebot der Landesverfassung ist heute aktueller denn je. Ja, toll! Und was habe ich jetzt davon? Ist das wirklich so? Ist das auf Basis einer Analyse, dass heute dieses Gebot wirklich aktueller und drängender ist als vielleicht in einer anderen weltpolitischen Situation, die wir in den letzten Jahren erlebt haben?
(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist die peinlichste Rede, die Sie seit langer Zeit halten, Herr Müller. Das muss ich schon sagen.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier eine Aneinanderreihung von jeweils richtigen Sätzen, aber in ihrer Gesamtsumme doch nur einen Allgemeinplatz ausmachenden Text.
Es tut mir leid, Sie müssen sich schon anhören, dass ich mir den Text genau angucke. Da heißt es dann, dass diese Friedensverpflichtung der Landesverfassung Maßstab staatlichen Handelns und für die Auslegung von Rechtsvorschriften sein muss, aller Rechtsvorschriften. Auch das, meine sehr verehrten Damen und Herren, hört sich auf den ersten Blick gut an.
Ich kann Ihnen sagen, ich habe vor einigen Tagen mit einer Bürgerinitiative und dem Verband Deutscher Grundstücksnutzer zusammengesessen und wir haben uns sehr intensiv über Fragen des Kommunalabgabengesetzes unterhalten. Das ist Kommunalpolitik im Land Mecklenburg-Vorpommern, das ist Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern. Da ging es um Beitragsrecht und um Gebührenrecht. Wenn ich das noch mal Revue passieren lasse, was wir dort diskutiert haben, dann stelle ich mir in der Tat die Frage, welche Hilfestellung mir denn eine Orientierung an der Friedenspflicht und am Gewaltverbot in einer solchen politisch für unser Land sehr relevanten Diskussion gegeben hätte. Und wenn wir uns an das erinnern, was wir in diesem Hause diskutieren, ob das die Gerichtsstrukturreform ist oder ob das erneuerbare Energien sind, ob das der Haushalt ist, den wir demnächst zu beraten haben, oder, oder, oder, meine sehr verehrten Damen und Herren – das sind unsere Aufgaben, die wir hier haben.
Wenn Sie postulieren, dass die Verpflichtung zum Frieden und zur gewaltfreien Konfliktlösung der Maßstab sein muss, um hier Handlungsperspektiven zu finden, dann weiß ich nicht, wie dies geschehen soll. Ein solcher Satz, so klug er auf den ersten Blick klingt, geht an den Realitäten des Politikmachens in diesem Landtag vorbei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn hier vieles gut klingt, ich werde mit diesem Antrag nicht warm. Wenn es dann weiter heißt, der Staat muss die Bedingungen für gewaltfreie Konfliktlösungen schaffen, dann stellen wir uns doch bitte mal die Frage, ob wir in dieser Bundesrepublik Deutschland und in diesem Mecklenburg-Vor- pommern keine Bedingungen für gewaltfreie Konfliktlösungen haben, wenn der Staat sie erst schaffen muss. Ich denke, wir haben sie. Man kann sicherlich an der einen oder anderen Ecke an der Art und Weise unserer Regularien oder unserer Praktik Kritik üben, aber dass wir erst die
Bedingungen für gewaltfreie Konfliktlösungen schaffen müssen, das kann doch wohl nicht wahr sein. Und am Ende sollen wir den Verfassungstext beschließen, der nicht als Verfassungstext kenntlich gemacht wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, ich frage mich, wem das eigentlich dient. Wie bringt es uns vorwärts, wenn wir diesen Antrag nach dem Maßstab „Wir sind doch alle für den Weltfrieden“ hier in diesem Hause beschließen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie in den Fraktionsraum der SPD kommen, die meisten von Ihnen waren schon mal drinnen, dann sehen Sie an der Wand ein sehr großes Porträt von Willy Brandt. Willy Brandt war Friedensnobelpreisträger und die SPD sieht sich in der Tradition dieses Mannes und sieht sich in der Tradition der Friedenspolitik.
Wir sind gerne bereit, mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, und mit allen anderen Demokraten, darüber zu reden, wie man sich hier sinnvoll zum Frieden bekennt und gemeinsam etwas erarbeitet. Dieses Angebot mache ich ausdrücklich. Wir stehen zur Friedensverpflichtung unserer Landesverfassung. Aber wozu wir nicht stehen möchten, ist ein Antrag, der eigentlich in seiner – ich will mich vorsichtig ausdrücken – Schlichtheit eher ärgerlich ist. Wir lehnen diesen Antrag ab. – Vielen Dank.