Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle 16 Landesinnenminister haben im NPD-Verbotsvorverfahren gegenüber dem Bundesverfassungsgericht ihre gesamte und geballte Glaubwürdigkeit in die Waagschale geworfen. Das war allerdings nicht viel, insbesondere nicht im Fall von Herrn Caffier. Da helfen Ihnen Ihre Hassausbrüche auch nichts, Herr Innenminister, die übrigens, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, ein klein wenig nach Verzweiflung klingen.
So klingt jedenfalls kein souveräner Sieger. Dass sie, die Landesinnenminister, bei allem, was ihnen heilig war, versicherten, mit dem Beginn der Materialsammlung am 2. April 2012 würden die sogenannten Quellen, also Spitzel auf gut Deutsch, auf der Führungsebene der NPD abgeschaltet und seit dem 6. Dezember 2012 werde auch keine Nachsorge für diese Spitzel mehr betrieben, reichte dem Gericht nicht aus. Das Wort der Minister war nicht genug: gewogen und zu leicht befunden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Glaubwürdigkeit der Herren gering eingeschätzt und verlangt, dass diese Abschaltungen in geeigneter Weise belegt werden. Das kommt einem Misstrauensvotum gleich und einem Schlag ins Gesicht, der mehr als verdient war.
Das ist auch das Hauptproblem der Verfassungsschutzämter und der Innenminister, dass man ihnen nicht über den Weg trauen kann, dass man nichts von dem glauben kann, was sie von sich geben.
Wer soll denn zum Beispiel der Hessischen Landesregierung ihre Beteuerung, sie habe ihre V-Leute abgeschaltet, abnehmen, wenn sie gleichzeitig alles tut, um eine Aufklärung der zweifelhaften Rolle des Verfassungsschützers Andreas Temme im Mordfall Yozgat aus dem Jahre 2006 zu behindern?
Immer noch steht dessen Version im Raum, er sei am Tatabend rein zufällig in dem Internetcafé gewesen und habe, abgelenkt von einer Flirthotline – da tummeln sich Verfassungsschützer wohl mit Vorliebe –, nichts davon mitbekommen, dass in seiner unmittelbaren Nähe jemand erschossen wurde
und sich das tödlich verletzte Opfer hinter dem Tresen befand, auf den er dann seine Münzen legte, bevor er fröhlich in die Nacht verschwand.
Für die Hessische Landesregierung ist das die historische Wahrheit, genauso wahr – in Anführungsstrichen – wie die Abschaltung der V-Männer. Ansonsten glaubt das niemand, der noch über ein halbwegs funktionsfähiges Gehirn verfügt.
Das gilt auch und besonders für die Angehörigen der Toten der ganzen NSU-Serie, die dem BRD-Staat nichts mehr glauben. Misstrauen ist ebenfalls angebracht gegenüber den abenteuerlichen Begründungen der Verfassungsschutzämter zu ihrer Aktenschredderei im Rahmen des NSU-Komplexes und auch gegenüber all den eigenartigen Todesfällen bei V-Männern und Zeugen im NSU-Prozess, die übrigens kürzlich nicht auf irgendwelchen Verschwörungssendern im Internet dargestellt wurden, sondern bei der guten alten Tante ARD in einer Dokumentation.
Der eine verbrennt kurz vor einer Aussage in seinem Auto, Diagnose: Selbstmord. Der andere wird tot in seiner Wohnung aufgefunden, auch kurz vor einer Aussage, Grund: ein nicht erkannter Diabetes. Eine 20-jährige Zeugin, die vorher Angst um ihr Leben äußerte, verunfallt und stirbt schließlich an einer Prellung, wie das so üblich ist bei 20-Jährigen, da eine tödliche Thrombose ausgelöst wurde. Also von wem geht hier überhaupt Gewalt aus und vor wem müssen die Leute eigentlich Angst haben? Sicher nicht vor uns, sondern eher vor gewissen Stellen in dem Staat.
Was für eine Anhäufung von Seltsamkeiten! Ganz offenkundig haben wir es hier mit einer Praxis des systematischen Lügens zu tun, und das liegt nun einmal in der Natur eines Spitzelsystems.
Was soll man sich eigentlich unter Abschalten eines Zuträgers vorstellen? Der V-Mann-Führer, so heißt das ja wohl, teilt ihm mit, dass er nicht mehr gebraucht werde, und das war es – keine Nachsorge für den Spitzel, kein Schnitzel für den Spitzel. Was ist, wenn so ein Spitzel dem Verfassungsschutzamt weiterhin interessante Informationen zukommen lässt, die der NPD etwa beim Wahlkampf schaden könnten? Die werden dann ignoriert, dann sagt man: Nein, danke? Es wird so getan, als hätte man nichts gehört? Man verzichtet auf den Vorteil, den man daraus schlagen könnte? Sicherlich!
Und wie steht es mit V-Leuten, die zwar nicht selbst Führungsleute der NPD sind, aber deren Vertraute, gute Bekannte, Verwandte? Geheimdienste, das dürfte der Innenminister wissen, rekrutieren solche Leute gern, um die eigentlichen Zielpersonen abzuschöpfen. Es werden auch gerne Leute herangespielt an die Zielpersonen,
sogar Freundinnen und Ehefrauen. Das hat es bei der Stasi schon gegeben und das gibt es beim Verfassungsschutz sicher auch.
Zu solchen V-Leuten haben sich die Innenminister nicht geäußert, sie haben immer nur von V-Leuten in Führungspositionen geredet. Aber was ist mit Leuten, die diese Führungspersonen abschöpfen? Und was ist mit Spitzeln des BND, des MAD, der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes? Die haben sich alle im NSU-Umfeld getummelt und sind sich da gegenseitig auf die Füße getreten.
Wie steht es mit elektronischer Überwachung? Seit Snowden ist bekannt, dass die NSA Deutschland flächendeckend abhört, auch das Handy der Kanzlerin, und die deutschen Dienste an der Datenbeute teilhaben lässt. Deswegen forderte das Bundesverfassungsgericht, der Bundesrat möge belegen, in welcher Weise sichergestellt ist, dass keinerlei nachrichtendienstlich erlangte Informationen über die Prozessstrategie der NPD entgegengenommen würden, dass also nichts, etwa von ausländischen Geheimdiensten, die die Computer abgeschöpft haben, entgegengenommen wird. Und das beweisen Sie mal! Das dürfte nicht leicht werden, das müsste zumindest an Eides statt versichert werden.
Die NSU-Affäre hat gezeigt, dass die Geheimdienste längst außer Kontrolle geraten sind. Weder Innenminister noch Verfassungsschutzpräsidenten sind vor Überraschungen aus ihren eigenen Apparaten sicher. Keiner kann guten Gewissens beteuern, dass auf noch so verschlungenen Wegen nicht doch noch Einflussagenten in der NPD operieren. Solange dieser Spitzel- und V-MannSumpf besteht, ist es unmöglich, den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes gerecht zu werden. „V-MannLand“, so nannte sich die schon genannte Dokumentation am Montagabend in der ARD. Im „V-Mann-Land“ ist ein faires Verfahren nicht machbar und man benötigt im „V-Mann-Land“ auch kein Parteiverbot, zum Schutz der Herrschaftsverhältnisse hat man ja überall seine Leute aus der Firma „Horch und Guck“.
Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur eine Aufklärung des V-Mann-Einflusses in der NPD gefordert, sondern in einem Hinweis auch klargemacht, dass die Behauptung des Bundesrates, die NPD kontrolliere besonders in Mecklenburg-Vorpommern öffentliche Räume, in denen eine Atmosphäre der Angst herrsche und die Einschränkung demokratischen Handelns nachweisbar sei, nicht genügend belegt sei. In der Tat habe ich in Anklam noch keine CDU- und SPD-Leute gesehen, die sich aus Angst vor mir unterm Tisch verstecken.
dem Verbotsantrag war seinerzeit ein Gutachten des Politologen Dierk Borstel beigefügt worden, der versuchte, die Behauptung, die NPD beeinträchtige demokratische Prozesse, wie folgt zu begründen, ich zitiere,
Grundinteressen für die jeweilige Gemeinde- oder Stadtentwicklung. Mit dem Auftreten der NPD werden eingeübte Verfahrensweisen der Kooperation und Absprachen infrage gestellt oder erschwert.“ Noch mal: „Mit dem Auftreten der NPD werden eingeübte Verfahrensweisen der Kooperation und Absprachen infrage gestellt oder erschwert.“ Übersetzt: Da die NPD bei Hinterzimmerdeals nicht mitmacht, ist sie gefährlich. Sie stört bei dubiosen Machenschaften hinter den Kulissen, deswegen muss sie verboten werden.
Dann führt er noch eine Schlägerei bei einer Karnevalsfeier in Lassan auf. Das Verfahren wurde gegen eine Geldauflage von 1.000 Euro eingestellt, eine gebrochene Nase, und das ist dann die Atmosphäre der Angst, die über Anklam wabert. Kein Wunder, dass dieser Vortrag in Karlsruhe keinen großen Eindruck hinterließ. Und wenn das wahr wäre, von der NPD beherrschte Zonen der Angst: Wieso tut die Polizei nichts dagegen? Das kann ja kaum an mangelnder Präsenz der Polizei liegen.
Gerade eben wurde vor dem Nationalen Begegnungszentrum in Anklam ein Schlüsselbund gefunden, auf dem Schlüsselanhänger stand „Gewerkschaft der Polizei“. Der Schlüsselbund lag genau vor unserer Tür. Als wir das meldeten, kamen Leute der MAEX, Spezialeinheit gegen rechts, zum Abholen und haben das auch brav quittiert.
Zwar passten die Schlüssel zu keinem unserer Schlös- ser – das haben wir natürlich ausprobiert, das wäre der Hammer gewesen –, deuteten aber darauf hin, dass wir, nicht viel anders als die Systemgegner in der DDR, einer ständigen Überwachung unterliegen. Zufall war das wohl kaum. Wie sollen wir denn da mit irgendwelchen herbeifantasierten rechten Kameradschaften und Gangstertruppen eine Atmosphäre der Angst erzeugen, wenn wir von morgens bis abends überwacht werden?
Wenn in Anklam eine demokratiefreie Zone der Angst bestünde, gäbe es zwei mögliche Erklärungen: Erstens, die Polizei ist zu schwach, Caffier kann nichts machen, dann soll er zurücktreten wegen Unfähigkeit, oder zweitens, die Polizei duldet die Angstzonen, dann müsste man sich fragen, wer hier eigentlich verboten gehört.