Protocol of the Session on January 28, 2015

Meine Damen und Herren, Sie hören es heraus, für mich steckt in dieser Bilanz mehr Licht als Schatten. Das heißt aber nicht, dass ich die Hartzreformen als Allheilmittel sehe. Einen Schatten auf den Arbeitsmarkt wirft für mich nicht nur die Langzeitarbeitslosigkeit, sondern auch die Arbeitslosigkeit in Familien, vor allem deshalb, weil sie sich immer besonders auf die Kinder auswirken. Deshalb sind solche Zusatzleistungen, wie sie das Bildungs- und Teilhabepaket seit 2011 bietet, eine echte und lebensnahe Hilfe, zumal sie sich nicht nur auf die Kinder im SGBII-Bezug beschränkt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Hilfsmaßnahmen.)

Klassenfahrten, Musikschule, Lernförderung, Fußballtraining, Mittagessen in der Schule – für solche Chancen auf

Teilhabe gibt es das Bildung- und Teilhabepaket. Und bei allen Startschwierigkeiten, die es gab, inzwischen können wir feststellen, dass die Leistungen angenommen werden und ankommen. 2011 haben die Kommunen in unserem Land noch 7,9 Millionen Euro für BuTLeistungen ausgegeben, 2014 waren es nach vorläufigen Angaben schon etwa 12,4 Millionen Euro.

Vonseiten des Landes ist der schon viel zitierte Familiencoach ein weiterer Ansatz. Diese Coaches beraten nicht den oder die einzelnen Arbeitslose(n), sondern nehmen die gesamte Familie in den Blick. Wir wollen verhindern, dass sich Arbeitslosigkeit durch Nachahmung und erlerntes Verhalten in der nächsten Generation fortsetzt. Wir wollen die Chancen auf Bildung, Beruf und Teilhabe erhalten. Das Projekt ist auf regionaler Ebene gut angelaufen, sodass wir es nun landesweit etablieren wollen.

Daran, dass wir solch zusätzliche Wege beschreiten, lässt sich ablesen, dass sich Armut, und gerade Kinderarmut, nicht durch rein arbeitsmarktpolitische Instrumente beheben lässt. Am Ende brauchen wir Arbeitsplätze, und zwar gute Arbeitsplätze, da stimme ich Ihnen zu, die fair bezahlt werden. Hier ist der gesetzliche Mindestlohn ein wichtiger Schritt, der hoffentlich dazu führen wird, dass für mehr Menschen ihr Einkommen auch ein Auskommen ist und sie in der Folge nicht mehr aufstocken müssen.

Sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, Sie konnten es vielleicht schon an meiner Wortwahl ablesen, ich sehe Hartz IV als Teil des Reformpakets, das unter dem Namen „Agenda 2010“ bekannt ist. Unter den anderen römischen Ziffern ging es etwa um die Förderung der Weiterbildung, Arbeitnehmerüberlassung und die Einführung von Mini- und Midijobs. Ich verstehe aber, dass Sie sich besonders für die Bilanz von zehn Jahren Hartz IV interessieren, schließlich wurde das entsprechende Ausführungsgesetz durch den damaligen Arbeitsminister Helmut Holter eingebracht

(Torsten Renz, CDU: Hört, hört!)

und mit den Stimmen der PDS beschlossen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: So stark waren wir nicht, Frau Hesse.)

Meine kritische Bilanz lautet,

(Jochen Schulte, SPD: Nicht das Licht unter den Scheffel stellen!)

meine kritische Bilanz lautet:

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wenn die SPD dagegen gesprochen hätte, hätten wir es nie umsetzen können.)

Im vergangenen Jahrzehnt hat uns

(Heinz Müller, SPD: Ein ganz kleines Stückchen seid ihr auch dabei gewesen.)

diese Reform ein gutes Stück nach vorne gebracht. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Peter Ritter, DIE LINKE: Der Schuss ging nach hinten los.)

Das Wort hat nun der Abgeordnete Herr Renz von der Fraktion der CDU.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich glaube, Herr Renz hat eine Stunde Redezeit. – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh, bitte nicht!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! „10 Jahre Hartz IV und die Folgen für Mecklenburg-Vorpommern kritisch bilanzieren“ – Frau Ministerin hat es gesagt, diese Auffassung teile ich, wenn ich eine Bilanz ziehe, dann können Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, davon ausgehen, dass wir das auch kritisch tun müssen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sachlich, kritisch, optimistisch.)

Für mich signalisiert aber der Begriff „kritisch bilanzieren“ in der Formulierung des Themas bereits, dass Sie uns auffordern, sprich, nur negativ zu bilanzieren.

Und wenn ich der Einführung von Herrn Koplin hier gefolgt bin, dann hat er meine Vermutung noch mal anhand von Fakten untersetzt, indem er sagt, entweder ist das Ganze erfolgreich oder es ist ein Misserfolg. Das heißt, Sie wollen uns hier eine Schwarz-Weiß-Diskussion aufdrängen. Sie sagen schon im Vorfeld, jetzt auch in Richtung Frau Ministerin, die die Zahlen zu Recht hier noch mal wiedergegeben hat, Sie sagen schon im Vorfeld, diese Zahlen, die akzeptieren Sie nicht – sinkende Arbeitslosigkeit, steigende Beschäftigungsverhältnisse. Sie sagen, die Folgen stehen fest: Armut.

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Per Gesetz.)

Damit begannen Sie mit Punkt 1 und endeten mit Punkt 3 mit dem Ein-Euro-Job, und eine differenzierte Betrachtung wollen Sie nicht zulassen. Das werden Sie natürlich hier in diesem Parlament nicht erleben. Sie werden sehen, dass wir, so, wie wir es begonnen haben eben mit Frau Ministerin, mit unseren Rednern hier auch differenziert auf Ihre Argumente eingehen werden.

Es wäre vielleicht auch noch mal interessant, Herr Koplin, wenn Sie sich dazu äußern, wie Sie sich damals in Zeiten der Regierungsverantwortung im Parlament verhalten haben, als es um die Umsetzung der Hartz-IV-Gesetze ging, das, was hier angesprochen wurde.

Was ich Ihnen zugestehen muss, ist, Sie haben das taktisch sehr klug erst mal eingespielt hier als Fraktion. Das ist auch legitim. Aber ich glaube, es ist auch legitim, wenn Sie sagen, Sie kommen jetzt mit drei, vier Fachpolitikern, die die einzelnen Themen abarbeiten, wie Rente et cetera, dass wir abwarten, was der Antragsteller weiterhin an Dingen hier vorträgt. Ich glaube, es ist auch im Sinne der Kulturdebatte hier im Landtag, dass wir dann so ein bisschen abwarten, damit wir uns auch mit Ihren Argumenten auseinandersetzen, das will ich sehr gerne tun nach den drei angekündigten Rednern Ihrer Fraktion, die hier als Fachpolitiker auftreten sollen, damit wir Dinge im Nachgang hier ausräumen können.

Wenn Sie sich hinstellen und sagen, wir haben ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, dann sage ich Ihnen jetzt schon ganz deutlich: Ich werde mit Ihnen nachher diskutieren über die soziale Marktwirtschaft. Und wenn Sie

einen Herrn Olaf Henkel ansprechen, dann sage ich Ihnen, von solchen Leuten müssen wir uns distanzieren. Wir, die CDU, spricht von einer sozialen Marktwirtschaft und das wollen wir mit Ihnen diskutieren, und keinen Raubtierkapitalismus, sondern eine soziale Marktwirtschaft, wo es auch darauf ankommt, etwas zu erwirtschaften und einen Zusammenhang zu sehen zwischen Wirtschaften und Verteilen, sprich zwischen Wirtschaft und sozialen Aspekten. Eine einseitige, und das habe ich tatsächlich schon in vielen Debatten vorher gesagt, eine einseitige Überdimensionierung, nur schauend auf den sozialen Aspekt unter dem Motto „Die Wirtschaft interessiert uns nicht“, führt zum Untergang von Systemen. Das haben Sie selbst erlebt.

Es gab ein System, das hat immer propagiert die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Sozialpolitik wurde dort über die Maßen strapaziert mit dem Ergebnis, das wir kennen: Es funktioniert dann auch keine Wirtschaftspolitik. Insofern möchte ich nachher sehr gerne auf Ihre weiteren vorgetragenen Argumente eingehen, aber nicht in einer Schwarz-Weiß-Diskussion, sondern differenziert, so, wie Sie das sicherlich von mir erwartet haben. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Herr Suhr von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Sieben gute Gründe für das Hartz-IV-Reformpaket“, das ist nicht meine Aussage, sondern das war die Überschrift der „Welt“ vom 15. August 2004, also vor etwas mehr als zehn Jahren, unmittelbar vor Inkrafttreten der sogenannten Hartzgesetzgebung. Ich will einmal aus diesem Artikel den ersten Absatz zitieren, weil das ein Bild darauf wirft, wie die Situation seinerzeit, vor etwas mehr als zehn Jahren, sich in Deutschland dargestellt hat:

„Demonstrationen in Ostdeutschland, Krisensitzungen im Kanzleramt und ein Richtungsstreit bei den Gewerkschaften. Selten hat ein Gesetz die Gemüter in Deutschland so erhitzt wie die so genannte Hartz-IV-Reform für den Arbeitsmarkt. Von Januar 2005 an werden Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammengelegt. Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, erhält dann das neue Arbeitslosengeld II. Die Empfänger sollen besser betreut und in Arbeit vermittelt werden. Sie müssen aber auch mehr Leistungen bringen. … Ökonomen … halten die Reform für dringend nötig, um den Arbeitsmarkt endlich zu beleben.“

Sie wissen, dass diese intensiven Diskussionen seinerzeit in der rot-grünen Koalition zu intensivsten Diskussionen geführt haben. Es stellte sich die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und es stellte sich auch die Frage, inwieweit kann man dieses Reformpaket, die Agenda 2010, sozial gerecht ausgestalten. Ich erzähle auch kein Geheimnis, wenn ich hier sage, dass wir uns damals an einer ganzen Reihe von Stellen mehr gewünscht hätten, uns aber seinerzeit auch nicht durchsetzen konnten. Ich will mich aber jetzt nicht wegducken,

(Jörg Heydorn, SPD: Aber kurz davor.)

sondern sage eindeutig, wir haben im Bundestag dieses Paket getragen und haben damit auch Verantwortung übernommen.

(Torsten Renz, CDU: Was heißt denn „mehr gewünscht“?)

Ich will aber noch einmal in Erinnerung rufen, in welcher ökonomischen Situation wir waren, wie sich seinerzeit der Arbeitsmarkt darstellte. Im Jahre 2004 hatten wir in Deutschland eine Arbeitslosenquote von 10,5 Prozent. 4,4 Millionen Menschen waren arbeitslos. Im darauffolgenden Jahr 2005, als die Reformen seinerzeit noch nicht griffen, waren 11,7 Prozent der deutschen Erwerbs- tätigen arbeitslos und 4,9 Erwerbsfähigen, Entschuldigung, und 4,9, das entsprach einer Arbeitslosenquote von 4, das entsprach einer Größenordnung 4,9 Menschen, die ohne Arbeit waren.

(Minister Harry Glawe: Also 5 Millionen Arbeitslose. Das können Sie auch auf den Punkt bringen.)

Die Ministerin hat gerade schon ausgeführt, dass man mit Fug und Recht darüber spekulieren kann, welchen Anteil die Agenda 2010 oder die Hartzpakete tatsächlich daran hatten, dass eine Entwicklung eintrat, die heute zu den deutlich besseren Werten und dem deutlich geringen Anteil von Arbeitslosen geführt hat. Ohne Zweifel spielen Dinge wie die demografische Entwicklung in diesem Zusammenhang auch eine zentrale Rolle.

(Andreas Butzki, SPD: Aber 3/4 Millionen Arbeitsplätze.)

Aber es lohnt sich durchaus, noch einmal hineinzuschauen in diesen „Welt“-Artikel und einmal Revue passieren zu lassen, was waren denn seinerzeit eigentlich die Ziele und Erwartungen.

Ich will ein paar von diesen sieben Gründen – Sie erinnern sich an die Überschrift – einmal benennen. Es ging seinerzeit darum, dass dringend eine Reaktion auf die ökonomische Situation und auch auf die Situation am Arbeitsmarkt erforderlich war und auch erwartet wurde. Es ging darum, dass Hartz IV, so war seinerzeit zumindest das Ziel, die Betreuung der Arbeitslosen verbessern sollte, den Arbeitsanreiz steigern sollte, aber es ging auch darum, den Zwang zur Arbeit zu steigern. Ökonomisch, wenn man die Zahlen zu heute vergleicht, ist der Effekt, dass wir von den damaligen 11,7 Prozent herunter sind auf 6,4 Prozent oder 2,8 Millionen Arbeitslosen von 4,9 im Jahre 2005. Ich sage jetzt hier nicht, das ist alles Hartz IV, das ist alles Agenda 2010, aber zumindest war es ein Beitrag.

Ich glaube, dass es auch unstrittig ist, das geben die Zahlen her, dass aufgrund der Reform die verdeckte Armut gesunken ist. Es entspricht auch der Wahrheit, dass die dringende Reform zur Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe sinnvoll und erforderlich war, und – das darf man nicht vergessen, da kann man dazu stehen und das kann man bewerten – ich selber bewerte das überaus kritisch, dass das seinerzeit auch der Einstieg war in ein wie auch immer zu bewertendes Grundsicherungssystem.

Aber es gibt auch die andere – Herr Renz hat gesagt, er wünscht sich die differenzierte Aussage dazu –, die bedrückende Seite von Hartz IV und auch diese steht aus meiner Sicht unmissverständlich im Raum. Die Armut ist gestiegen. Mecklenburg-Vorpommern ist in besonderem Maße betroffen. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich

verfestigt und auch hier ist Mecklenburg-Vorpommern in besonderem Maße betroffen. Die Existenzängste vieler Menschen haben zugenommen. Auch das ist ein Ergebnis von Hartz IV.

Hartz IV hat ein wesentliches und aus meiner Sicht bedeutendes Ziel verfehlt, denn seinerzeit war einer der zentralen Punkte, dass das Ziel war, Teilhabe und Aufstiegsmöglichkeiten zu erleichtern. Dieses Versprechen ist nicht erfüllt worden. Hartz IV hat diesem Anspruch bis heute nicht genügt.

Die Reform hat auch nicht, und das war uns seinerzeit im Gesetzgebungsverfahren überaus wichtig, das Versprechen erfüllt, dass arbeitslose Menschen in stärkerem Maße gefördert denn gefordert werden sollten. Hartz IV hat dazu geführt, dass die Druckszenarien sich aus meiner Sicht ausgeweitet haben, und – das bedauere ich außerordentlich, und ich glaube, dass das ein wesentlicher Grund ist, weshalb wir über Reformen nachdenken und sie auch anpacken müssen – Hartz IV war ein wesentlicher Beitrag dazu, dass Menschen in stärkerem Maße ausgegrenzt worden sind.

Und wenn wir heute nach zehn Jahren bilanzieren, dann müssen wir feststellen: Hartz IV muss tatsächlich grundlegend reformiert werden. Meine frühere Kollegin, Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, heute Mitglied des DGB-Bundesvor- standes, hat das vor Kurzem in einem, wie ich finde, sehr treffenden Satz zusammengefasst. Sie hat nämlich gesagt: „Hartz IV ist kein Vorzeigemodell für Europa, sondern bleibt eine große Baustelle.“ Und wenn man sich seinerzeit die Reformen der Agenda 2010 und die Hartzreform anschaut und das einmal versucht, in den Kontext hineinzustellen zu der Frage oder zu der Tatsache, dass die Schere zwischen Arm und Reich auch in Deutschland immer stärker auseinandergeht, dann wird deutlich, wie stark der Reformbedarf an den Hartzgesetzen ist.