und das war für mich in der Vorbereitung auf diese Rede ein Aha-Effekt trauriger Natur –, die durchschnittliche Bezugsdauer für Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger ist mittlerweile auf 46 Monate angestiegen.
Bei der Arbeitslosenhilfe, die es mal gab, gab es im Jahr 2003 eine durchschnittliche Bezugsdauer von 48 Wochen.
Und manche werden redlicherweise – Herr Heydorn, Sie können sich noch äußern –, manche werden redlicherweise bemerken,
dass Hartz IV für die Interessen weniger in dieser Gesellschaft ein großer Erfolg war und für viele schlicht eine Katastrophe ist.
Unsere Fraktion will ihre Sicht auf Hartz IV darlegen, und es ist eine zutiefst kritische Sicht, wie ich schon begonnen habe darzulegen, eine, die bei allen, die sich Fakten und Argumenten nicht verschließen und die sich den Menschen in diesem Land verpflichtet fühlen, zu der Erkenntnis führen soll, dass wir die unseligen Hartzgesetze, insbesondere Hartz IV, überwinden müssen.
Mein Kollege Henning Foerster wird beispielsweise mit Hartz-IV-Mythen aufräumen, etwa mit der, dass in Mecklenburg-Vorpommern Hartz IV ein arbeitsmarktpolitisches Erfolgsmodell sei. Meine Kollegin Jacqueline Bernhardt wird deutlich machen, welch verheerende Wirkung Hartz IV auf die Zukunftschancen junger Menschen in Mecklenburg-Vorpommern hat, wobei Kinderarmut die Geißel schlechthin ist. Und meine Kollegin Karen Stramm wird Ihnen aufzeigen, wie belastend sich die galoppierende Altersarmut auf die soziale Situation in Mecklenburg-Vorpommern auswirkt. Zuvor möchte ich mich zu Grundsätzlichem äußern. Das ist angebracht, meine ich, denn Hartz IV ist keine Sozialreform und kein Arbeitsmarktprogramm und war das zu keiner Zeit. Tatsächlich ist es ein Projekt von Eliten zum Umbau der Gesellschaft und zum Abbau des Sozialstaates.
Wer sich näher mit der Entstehungsgeschichte der Hartzgesetze und mit Hartz IV insbesondere befasst, wird feststellen, dass deren Substanz maßgeblich von neoliberalen Denkfabriken, insbesondere der Bertelsmann Stiftung, erarbeitet und in Gesetzentwurfsform gegossen wurde. Interessant ist auch, wer in Persona geistige Wegbereiter von Hartz IV waren. Nennen möchte ich einen, der ist allseits bekannt:
Hans-Olaf Henkel, seinerzeit Präsident des BDI. Er sagte, Sozialpolitik müsse mit marktwirtschaftlichen Instrumenten renoviert werden. Eigenverantwortung und Wettbewerb müssten Grundlagen aller Bereiche des Gemeinwesens sein.
Im Klartext, Herr Dahlemann, heißt das nichts anderes, da werden Sie mir sicherlich recht geben, als Ökonomisierung der Sozialpolitik und Aufkündigung des Solidargedankens.
Und nicht nur nebenbei sei vermerkt, Herr Renz, HansOlaf Henkel ist jemand, der im ideologischen Spektrum der heutigen AfD angesiedelt ist. Er steht dafür, dass Stichwortgeber von Hartz IV vom rechtskonservativen Rand kamen. Er gehört zu den Leuten, die aktuell Schnittmengen zu Pegida ausloten und an der Politik beklagen, was sie selbst inszeniert haben. Was für eine Heuchelei, möchte man sagen, aber es ist keine Heuchelei, sondern Teil eines gezielten Vorhabens, das Koordinatensystem dieses Landes nach rechts zu verschieben.
Wer das nicht sieht, versteht nichts von Wirkmechanismen der Politik. Apropos Wirkmechanismen: Zu den Wirkungen, besser gesagt, den Auswirkungen von Hartz IV gehört ein Glaubwürdigkeitsverlust von Politik. Der wird zum Beispiel dadurch erzeugt, dass Begriffe verdreht werden, etwa der Begriff „Kunde“. Mit den Hartzgesetzen, wie Sie wissen, wurden aus arbeitssuchenden Menschen Kunden.
Die Kunden eines Jobcenters suchen selbiges im Gegensatz zu Kunden eines Warenhauses weder aus freien Stücken auf, noch werden sie dort wie Könige behandelt.
Die Kunden eines Jobcenters können auch nicht, wie in der Geschäftswelt üblich, mit Kaufkraft einem Verkäufer oder wie hier einem Leistungsanbieter den eigenen Willen aufzwingen. Vor allem verschleiert der Kundenbegriff die entscheidende Tatsache, dass sich Adressaten der BA nicht auf einem Markt bewegen, wo ihnen als nachfragende Konsumenten jederzeit mehrere Entscheidungs- und Handlungsalternativen zur Verfügung stünden, sondern durch gesetzliche Bestimmungen ein juristisches Zwangsverhältnis begegnet.
Sehr geehrte Damen und Herren, nicht weniger irreführend ist die hier auch häufig gebrauchte rhetorische Floskel „Fördern und Fordern“. Hinter dem Begriff „Fördern“ verbirgt sich nämlich ein Maßnahmenbündel, mit dem Eigenverantwortlichkeit kollektive gesellschaftliche Solidarität ersetzen soll. Und hinter dem Begriff „Fordern“ stehen nichts als erhöhter Druck und harte Sanktionen. So werden Opfer eines kapitalistischen Wirtschaftssystems zu Schuldigen des Arbeitsmarktes gestempelt.
Sehr geehrte Damen und Herren, Hartz IV wie die Hartzgesetze insgesamt haben zu einer Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens beigetragen. Man denke nur an solche Konstrukte wie Ich-AG, Job-Floater, FamilienAG, PSA. Sie haben sich allesamt zwischenzeitlich als Rohrkrepierer entpuppt, aber das gesellschaftliche Leben schon geprägt. Krönend in dieser Reihe ist die Refeudalisierung der Arbeitswelt durch Ein-Euro-Jobs.
Ein dritter und letzter Generalkritikpunkt, den ich anbringen möchte: Hartz IV hat die soziale Spaltung im Land vorangetrieben. Waren im Jahr 2005 knapp 50 Prozent der Erwerbslosen von Armut bedroht, so sind es heute 60 Pro- zent. Der Niedriglohnsektor hat seither Blüten entfaltet und Lohndumping wurde mit Steuergeldern subventioniert. All das, sage ich Ihnen, sagt Ihnen unsere Fraktion, ist nicht länger hinnehmbar! Es bedarf einer grundlegenden politischen Neuausrichtung hin zu einer Politik realer Armutsbekämpfung und der Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums. In dieser Hinsicht muss sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine auf drei Grundsätzen beruhende Strategie einsetzen.
Erstens erwarten wir von der Landesregierung, dass sie sich einsetzt für existenzsichernde und sozial abgesicherte gute Arbeit.
Erwerbslosigkeit, Dumping und Niedriglöhnen sowie prekärer Beschäftigung muss entgegengetreten werden.
Zweitens, Herr Glawe, das Hartzsystem muss weg, stattdessen sollen mittelfristige, bedarfsgerechte, sanktionsfreie Mindestsicherungen eingeführt werden.
Und drittens, die mit der Einführung von Hartz IV betriebene Entrechtung von Grundsicherungsbeziehern ist rückgängig zu machen und sofort zu stoppen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sie fordern eine kritische Bilanz, nachdem die Hartzreformen seit nun zehn Jahren greifen. Ich finde, eine Bilanz sollte man immer kritisch ziehen. Wenn wir also auf unser Bundesland schauen, fallen aus meiner Sicht sowohl die Bilanz als auch die Kritik zum ganz überwiegenden Teil positiv aus. Seit Mitte des letzten Jahrzehnts haben wir hier auf dem
Arbeitsmarkt gute Ergebnisse erreicht. Fakten, die ich gleich nennen werde, sind doch immer besser als Thesen.
Die Fakten sehen wie folgt aus: Seit 2005 steigt die Zahl der Erwerbstätigen kontinuierlich. Seit 2005 nimmt die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ständig zu. Seit 2005 konnten wir die Arbeitslosigkeit halbieren. Im Oktober 2014 lag die Arbeitslosenquote erstmals sogar unter 10 Prozent.
Seit 2005 sank die Jugendarbeitslosigkeit um fast 70 Prozent. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen konnte seit 2005 halbiert werden.
Seit 2007 – aus der Zeit davor liegen keine validen Zahlen vor – ging die Zahl der sogenannten Bedarfsgemeinschaften um ein Viertel zurück. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verringerte sich im gleichen Zeitraum sogar um ein Drittel. In beiden Fällen sind das deutlich bessere Entwicklungen als im Durchschnitt der ostdeutschen Länder oder im Bund insgesamt.
Auch die Zahl der Kinder unter 15 Jahren in Bedarfsgemeinschaften ist seit 2006 um 20 Prozent zurückgegangen. War 2006 noch jedes dritte Kind von Hartz IV betroffen, war es 2014 noch jedes vierte Kind. Und ja, da gebe ich Ihnen recht, das sind immer noch zu viele, aber auch hier hat sich etwas getan, und diese Entwicklung fällt zumindest günstiger aus als im Bund und in den ostdeutschen Ländern insgesamt.
Welchen Anteil genau die Agenda 2010 an all diesen Entwicklungen hatte, ist zwar nicht genau messbar, es ist aber Konsens, dass die Hartzgesetze einen entscheidenden Beitrag geleistet haben.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung etwa spricht von verlässlichen Indikatoren für den günstigen Einfluss der Grundsicherung auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Ebenfalls positiv ist, dass wir durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nun ein einheitliches System und eine einheitliche Leistung für alle Erwerbsfähigen haben. Das schafft zum einen Transparenz, zum anderen erleichtert es, Jobsuchende und offene Stellen zusammenzubringen. Das gelingt auch deshalb besser, weil die Kommunen nun auf Augenhöhe mit den Arbeitsagenturen agieren.
Meine Damen und Herren, Sie hören es heraus, für mich steckt in dieser Bilanz mehr Licht als Schatten. Das heißt aber nicht, dass ich die Hartzreformen als Allheilmittel sehe. Einen Schatten auf den Arbeitsmarkt wirft für mich nicht nur die Langzeitarbeitslosigkeit, sondern auch die Arbeitslosigkeit in Familien, vor allem deshalb, weil sie sich immer besonders auf die Kinder auswirken. Deshalb sind solche Zusatzleistungen, wie sie das Bildungs- und Teilhabepaket seit 2011 bietet, eine echte und lebensnahe Hilfe, zumal sie sich nicht nur auf die Kinder im SGBII-Bezug beschränkt.