Protocol of the Session on November 12, 2014

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir möchten anfangen. Bitte nehmen Sie Platz.

Ich begrüße Sie zur 80. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 80., 81. und 82. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 80., 81. und 82. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich unserer Justizministerin Uta-Maria Kuder zu ihrem heutigen Geburtstag ganz herzlich gratulieren.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gratulationen)

Gemäß Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die 80., 81. und 82. Sitzung die Abgeordneten Dietmar Eifler, Andreas Texter, Dr. Ursula Karlowski und Johann-Georg Jaeger zu Schriftführern.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion DIE LINKE hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „NSU-Mordserie – Handlungsempfehlungen auch in Mecklenburg-Vorpommern umsetzen“ beantragt.

Aktuelle Stunde NSU-Mordserie – Handlungsempfehlungen auch in Mecklenburg-Vorpommern umsetzen

Das Wort hat für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Ritter.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 4. November jährte sich die Aufdeckung der Verbrechen des sogenannten NSU zum dritten Mal. Am 5. November, also vor einer Woche, hat sich der Deutsche Bundestag mit diesem Thema beschäftigt. Im Vorfeld hatte die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer des NSU, Frau Barbara John, auch bei ihrem jüngsten Besuch in Rostock scharf kritisiert, dass bisher kaum eine der 47 Empfehlungen umgesetzt worden ist, die der Abschlussbericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses auflistet. DIE LINKE im Bund und im Land sieht das ebenso. Dies als Profilierungssucht darzustellen, ist absurd.

Auch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sah sich genötigt, öffentlich auf eine lückenlose Umsetzung dieser Empfehlung zu drängen. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen wir auch.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Dies als Profilierungssucht abzutun, ist absurd und wird den berechtigten Interessen der Familien und Freunde der NSU-Opfer in keinster Weise gerecht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wollen Sie sagen, dass wir daran nicht interessiert sind, oder was?)

Die ehemalige Obfrau der SPD-Bundestagsfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss, Eva Högl, mahnte letzte Woche, der Bundestag – der Bundestag und nicht die Innenministerkonferenz –, der Bundestag, also das Parlament, müsse, Zitat, „alles dafür tun, dass so etwas … nie wieder passiert“. Sie kündigte an, dass die Abgeordneten auch künftig nicht lockerlassen und die Aufklärung weitergehe. Högl, ich zitiere: „Vieles hat uns in der Ausschussarbeit nicht überzeugt.“ Zitatende.

Die Obfrau der LINKEN im NSU-Untersuchungsaus- schuss, Petra Pau, stellte zum bisherigen Verfahrensstand fest, ich zitiere: „Mein Fazit seither: Die Fragezeichen sind nicht weniger, sondern mehr geworden. Der Aufklärungswille der Behörden verharrt weiterhin nahe Null – … von den beschlossenen Veränderungen ist so gut wie nichts … umgesetzt.“ Zitatende. Und wer angesichts – ich wieder- hole das – dieser partei- und fraktionsübergreifenden Reaktionen von Profilierungssucht spricht, der hat den Ernst der Stunde nicht erkannt.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ach, Herr Ritter!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Debatten auf Bundesebene haben eins verdeutlicht: Der Staat beziehungsweise die Ermittlungsbehörden stehen weiterhin tief in der Schuld der NSU-Opfer und ihrer Angehörigen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Geht es doch, geht es doch um die Konsequenzen für die Behörden, dann macht sich ein ungutes Gefühl breit, dann ist mehr und mehr eine allgemeine Unzufriedenheit zu spüren. In der Bundestagsdebatte wurde die Problematik auf den Punkt gebracht, es wurde nämlich die Frage gestellt, wer hier eigentlich Herr des Verfahrens sei: der Sicherheitsapparat oder das Parlament? Klar herausgestellt wurde, das Parlament ist zuständig, keine IMK, der Verfassungsschutz schon gar nicht.

Diese Parlamentszuständigkeit soll und muss auch für uns gelten, meine sehr verehrten Damen und Herren,

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

denn auch auf Landesebene zeigen sich eine zunehmende Ungeduld und ein anwachsendes Misstrauen. Am 14. November 2013 haben in diesem Landtag SPD, CDU, LINKE und Bündnisgrüne einen Beschluss in puncto Reform der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern gefasst. Nach der zentralen Feststellung dieses Beschlusses, dass auch die Behörden in unserem Land verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen müssen, wird die Landesregierung beauftragt, die Empfehlungen des Bundestags-NSU-Untersuchungsausschusses landesspezifisch zu analysieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben Polizei und Justiz handelt unser Landtagsbeschluss vor allem von einer Neuausrichtung des Verfassungsschutzes, von einer Öffnung des Verfassungsschutzes, von einer Erweiterung des Informationsangebotes des Verfassungsschutzes. Und genau an dieser Stellte sind Zweifel angebracht. DIE LINKE hatte im Innenausschuss beantragt, den jüngsten Verfassungsschutzbericht in öffentlicher Sitzung zu behandeln, denn dieser Bericht ist ja wohl von öffentlichem Interesse. Die Koalition lehnte diesen Antrag

ab. Der Verfassungsschutzbericht selbst hebt jedoch die stärkere Öffnung des Verfassungsschutzes nach außen hervor, indem er häufiger als bisher Informationen über den politischen Extremismus in der Öffentlichkeit vermitteln will (siehe Seite 23 des Verfassungsschutzbe- richtes) – in der Praxis, in der Praxis allerdings alles nur Schall und Rauch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dem Verfassungsschutzbericht ist darüber hinaus einige gewisse Erleichterung zu entnehmen, dass es in MecklenburgVorpommern keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU gibt (vergleiche Seite 24). Zu wünschen wäre nun allerdings, dass die Landesregierung aus diesem Umstand heraus eine besonders akribische Berichtspflicht gegenüber dem Landtag ableiten würde.

Mein Eindruck ist jedoch ein anderer. Auf den jährlichen umfassenden Bericht – so der Landtagsbeschluss – an den Landtag angesprochen, reagierte das Innenministerium nämlich im Innenausschuss wie ein Schüler, der seine Hausaufgaben vergessen hat und dabei erwischt wurde. Dabei hat doch die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage des Kollegen Suhr, Drucksache 6/2657, selbst angekündigt, dass Ende Oktober 2014 über den erreichten Stand informiert würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grund habe ich große Erwartungen – Erwartungen in die heutige Rede des Innenministers und Erwartungen in den zeitnah vorliegenden Bericht der Landesregierung, der laut Kollegen Kokert ja nunmehr in der Ressortabstimmung sein soll,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja, genau.)

vor allem aber Erwartungen in konkrete praktische Reformmaßnahmen auf Landesebene. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann mir durchaus vorstellen, diese Thematik in unserer Dezembersitzung umfassend zu diskutieren, denn die rechtsextremen Gefahren werden hierzulande offiziell immer noch unterschätzt oder heruntergespielt. So dürfen auch die aktuellen Ausschreitungen von Hooligans und Nazis gegen Salafisten nicht nur als Orgien unter Gewalttätern gebrandmarkt werden, hier geht es um militanten Nationalismus und Rassismus und Missbrauch von Religionen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Helmut Holter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Bundesjustizminister Maas sagte letzte Woche im Bundestag dazu, ich zitiere: „Rechte Gewalt ist aktuell.“ Er sprach von Kampfansagen an den Rechtsstaat, und will der Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Auseinandersetzung nicht wieder verlieren, sind aus einem NSU-Versagen auch endlich die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Ums Wort gebeten hat nun der Innenminister Herr Lorenz Caffier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Lieber Kollege Ritter, ob ich Ihre Erwartungen im vollen Umfang erfüllen kann, weiß ich nicht,

(Vincent Kokert, CDU: Das wird auch schwer.)

aber richtig ist, dass wir den Bericht zugesagt haben,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Muss man auch nicht in der Aktuellen Stunde.)

dass wir den Bericht zugesagt haben

(Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

und dass er in Tat in der Ressortabstimmung ist, am 2. Dezember, wenn alles weiterhin planmäßig läuft, das Kabinett erreichen wird, verabschiedet wird und dann natürlich umgehend, so, wie sich das auch gehört, dem Parlament zugeleitet wird.

Ich bin ehrlich gesagt schon etwas verwundert, dass die Fraktion DIE LINKE das Thema NSU auf die Tagesordnung der heutigen Aktuellen Stunde hat setzen lassen,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Da bist du nicht der Einzige.)

aber das ist eine Entscheidung jeder einzelnen Fraktion und Sie haben Ihre Ausführungen gemacht, welche Gründe Sie dazu gebracht haben.

Um gleich einem möglichen Missverständnis entgegenzutreten: Natürlich muss und wird die Thematik NSU eingehend aufgearbeitet werden, auch weiterhin – in den nächsten Monaten, möglicherweise auch in den nächsten Jahren. Das haben wir, das habe ich hier wiederholt sehr deutlich gemacht und ausgeführt und das ist auch im Innenausschuss, in der Parlamentarischen Kontrollkommission, in den Gremien, wo es aufgearbeitet werden muss, immer wieder Gespräch. Das ist auch richtig so und das ist wichtig.

Und das will ich Ihnen auch deutlich sagen: Für eine politische Instrumentalisierung

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

ist das Thema aus meiner Sicht völlig ungeeignet.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Viel zu wichtig.)

In der Tat, es ist ein ganz, ganz wichtiges Thema, und wir haben immer gesagt, dass Fehler gemacht worden sind. Fehler dienen dazu, dass sie aufgearbeitet werden, dass sie möglicherweise verändert werden oder dass Veränderungen eintreten. Aber das Thema zu instrumentalisieren, halte ich für falsch, weil es eben ein ganz wichtiges Thema ist.

(Zurufe von Dr. Norbert Nieszery, SPD, und Udo Pastörs, NPD)