Protocol of the Session on October 16, 2014

„um sie nach Gefühl und Wellenschlag mit Ja oder Nein beantworten zu können.“ Das Zitat stammt natürlich nicht von mir und auch nicht von einem Christdemokraten, sondern es stammt von Helmut Schmidt,

(Stefan Köster, NPD: Das macht es auch nicht besser.)

einem Sozialdemokraten,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

wie vielleicht auch Sie wissen, Herr Pastörs. Dieses Zitat stammt aus einer Veröffentlichung aus der „Zeit“, also aus der „Zeit“ – die Zeitung –, am 10. November 2010.

(Udo Pastörs, NPD: Die heißt „Die Zeit“, glaube ich.)

Gestatten Sie mir an dieser Stelle auch noch ein zweites Zitat. Dieses Zitat stammt aus der „Welt“ vom 12.08.2012. Im Kommentar unter dem Titel „Den ‚wah

ren‘ Volkswillen gibt es nicht“ steht Folgendes zu lesen: „‚Nur als repräsentatives Volk weiß ein Volk, was es will‘,“

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

„schrieb der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel. Er fügte an: Ein Volk, das seinem Parlament nicht die Gabe zur politischen Repräsentation zutraut, leide an einem demokratischen Minderwertigkeitskomplex.“

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der NPD – Stefan Köster, NPD: Was für ein großer Philosoph!)

„Recht hat er darin – bis heute.“ Zitatende. Man könnte meinen …

(Stefan Köster, NPD: Angst vor dem eigenen Volk ist das.)

Meine Damen und Herren, nicht alles lässt sich, wie gesagt, mit Ja oder Nein auf ein einfaches SchwarzWeiß-Denken reduzieren, dafür sind viele Sachverhalte zu komplex und haben zu große Auswirkungen.

(Stefan Köster, NPD: Geben Sie dem Volk endlich die Macht!)

Werte Kolleginnen und Kollegen, bei der Diskussion um Volksabstimmungen auf Bundesebene wurde ein wesentlicher Punkt in den Raum gestellt, ohne ihn zu hinterfragen. Es ist die Frage, wer denn hier gestärkt wird: Ist es das Volk als Gesamtheit oder doch nur ein Teil?

Die Wissenschaft hat an vielen Stellen betrachtet, welche Bevölkerungsschichten an basisdemokratischen Verfahren beteiligt sind. Dabei, meine Damen und Herren, wird deutlich, dass es die mittleren und oberen Schichten sind, die sich dort im Wesentlichen engagieren und ihre Interessen vertreten. Volksentscheide werden nicht von dem Volk oder von einem repräsentativen Querschnitt initiiert, sondern regelmäßig von den ohnehin schon politisch engagierten Personen, von meinungsstarken politisierten Mittelschichten, von Interessengruppen oder NGOs. Es würden also nur Teile unserer Bevölkerung gestärkt werden, nicht das Volk als Ganzes.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Das ist nicht eine konservative Sicht der Dinge, sondern das ist vor allem die Sicht des unteren Drittels unserer Gesellschaft. In der Konsequenz würde sich die demokratische Entscheidungskraft ungleich auf die Bevölkerung verteilen. Professor Dr. Wolfgang Merkel, das ist ein Politikwissenschaftler

(Udo Pastörs, NPD: Die gibts wie Sand am Meer.)

der Humboldt-Universität zu Berlin, fasste es mit den Worten zusammen: Volksabstimmungen sind im Kern ein Instrument der mittleren und oberen Schichten unserer Gesellschaft. Nicht mehr, meine Damen und Herren, sondern weniger Demokratie würde gewagt werden.

Ich möchte nochmals auf das eingangs erwähnte Problem zurückkommen, …

(Stefan Köster, NPD: Schlaumeier.)

Sie können sich auch mal ein bisschen zurückhalten, Oberschlaumeier!

… dass sich komplexe Sachverhalte nicht auf ein einfaches Ja oder Nein reduzieren lassen.

Sie haben in Ihrem Antrag die Zuwanderungsabstimmung in der Schweiz angesprochen. Das ist fürwahr ein gutes Beispiel dafür, wie durch Schlagworte und Stammtischparolen politische Entscheidungen erzwungen werden,

(Udo Pastörs, NPD: Ist ein bisschen dünn, was da kommt.)

deren Auswirkungen für die Bürger nicht erkennbar waren.

So mancher Eidgenosse wird sich an dem Schweizer Zuwanderungssystem Änderungen gewünscht haben, sicher. Er konnte allerdings nur mit Ja oder Nein antworten.

(Stefan Köster, NPD: Das können wir hier im Landtag leider auch.)

Viele werden auch aus Frust, weniger aus fremdenfeindlicher Absicht in der Volksabstimmung abgestimmt haben. Die Konsequenzen daraus waren aber erheblich. Es drohte ein Bruch mit der EU, weil das Votum das vereinbarte Prinzip des freien Personenverkehrs zwischen der Europäischen Union und der Schweiz verletzen würde. Es war letztlich Aufgabe des Schweizer Parlaments, hier Schadensbegrenzung zu betreiben. Diese Abstimmung hat vielen Schweizern die Schamesröte auf die Wangen getrieben, wenn sie darauf angesprochen wurden – eine Abstimmung, die durch Schlagworte, Plattitüden und eine Ja-oder-Nein-Frage gekennzeichnet war.

Werte Kolleginnen und Kollegen, mit Stammtischparolen lässt sich leicht Stimmung machen. Mit Abstimmungen könnten dann aber auch ganz leicht sinnvolle Projekte verhindert werden, die weit über die Kommunal- und Landespolitik hinausgehen und deren Wirkungen und Vorteile erst viele Jahre oder Jahrzehnte später greifbar werden. Wovon ich rede, dürfte klar sein, zum Beispiel von der Europäischen Union.

Der Gedanke eines vereinten Europas war mehr eine Vision als der Zeitgeist der 50er- und 60er-Jahre. Hätte man seinerzeit die Bevölkerung befragt, wäre es nicht zur Europäischen Union gekommen,...

(Udo Pastörs, NPD: Das wäre auch vernünftig gewesen.)

Das ist nun Ihre Auffassung,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Das ist wirklich nur seine Auffassung. Das ist wirklich nur seine Auffassung.)

damit stehen Sie ziemlich alleine, Herr Pastörs.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD: Ganz alleine.)

… das ist zu dominant. Zu dominant war seinerzeit der Kalte Krieg, zu groß war das europäische Projekt, zu

unvorstellbar die kommende Entwicklung. Wenn man die geschichtliche Entwicklung betrachtet,

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

so hat sich die europäische Idee als Erfolg erwiesen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja. – Udo Pastörs, NPD: Oh wei!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die NPD bezweckt mit dem vorliegenden Antrag keine Stärkung demokratischer Rechte, es geht ihr allein darum, in demagogischer Absicht Unruhe zu stiften,

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

in der Hoffnung, den einen oder anderen Bürger mit dumpfen Plattitüden zu erreichen.

(Udo Pastörs, NPD: Jaja. Jaja, Plattitüden. – Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Ganz klar wird es, wenn man sich den letzten Satz der Antragsbegründung der NPD noch mal vor Augen führt.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Hier geht es doch ganz eindeutig darum, dass man den Eindruck erwecken will, mit einer Volksabstimmung, mit einer Volksbefragung beispielsweise zur Zuwanderung – da wird eindeutig darauf hingewiesen in der Antragsbegründung – ihre fremdenfeindliche und ausländerfeindliche Haltung zu präsentieren. Das ist mit den demokratischen Fraktionen dieses Hauses nicht zu machen. Wir werden den Antrag selbstverständlich ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)