Protocol of the Session on October 16, 2014

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 6/3389 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Koplin für die Fraktion DIE LINKE.

(Torsten Renz, CDU: Mal sehen, ob das besser wird als gestern.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mitte der 90er-Jahre kam es am Theaterstandort Neustrelitz zu einem unerhörten, bis

dahin nicht gekannten Ereignis. Das komplette Orchester wurde aufgelöst, auch wurden Sängerinnen und Sänger ihrer Arbeitsstätte verwiesen.

Im Rahmen eines ungewöhnlichen Projektes zwischen der Beschäftigungsgesellschaft IPSE und der Volkshochschule Neustrelitz wurde ich als Externer gebeten, mit dafür zu sorgen, dass es einen beruflichen Neustart für die Betroffenen geben kann. Die Zusammenarbeit mit diesen klugen, exzellent ausgebildeten, hoch motivierten und warmherzigen Menschen gehört für mich zu den prägendsten Lebenserfahrungen. Einige von ihnen gingen später in den Ruhestand, einigen wenigen gelang vor Ort die Selbstständigkeit und für die meisten war eine berufliche Perspektive nur außerhalb des Landes zu erreichen.

Was war geschehen? Knapper werdende öffentliche Kassen veranlassten die politischen Entscheidungsträ- ger – zumindest in mehrheitlichen Entscheidungen – zur Spartenschließung und zum Abbau von Arbeitsplätzen.

Nur wenige Jahre später: Aus dem Theater Neustrelitz, der Neubrandenburger Philharmonie und dem Schauspielhaus wird die Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz.

Was war geschehen? Die unverändert miserable Haushaltslage der Kommunen führte zur Fusion und zum Abbau von Arbeitsplätzen.

Wieder einige Jahre später, dieses Jahr 2014: Eine groß angelegte Fusion der Theater und Orchester im östlichen Landesteil wird angeschoben, von der Regierung durch entsprechende Gutachten eines beauftragten Unternehmens gestützt. An der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz sollen von 135 nur noch 74 Stellen bleiben, betriebsbedingte Kündigung inklusive.

Was ist geschehen? Einer dramatischen Haushaltslage – der Landkreis hat ein Defizit in zweistelliger Millionenhöhe und eine Kreditbelastung von 160 Millionen – soll mit Fusion und Arbeitsplatzabbau bei Kulturakteuren begegnet werden.

Und jetzt stellt sich die Frage, ob sich aus dem Gesagten ein Muster ergibt. Ich sage, ja.

Erstens. Eine schlechte Haushaltslage führt reflexartig und zuerst in diesem Land zu Kulturabbau, insbesondere auch zum Arbeitsplatzabbau von Künstlerinnen und Künstlern, von Kulturakteuren auch in Theatern und Orchestern.

Zweitens. Ein Stellenabbau in der Kultur führt in keinem der Fälle zur Verbesserung der Haushaltslagen.

Drittens. Mit fortschreitendem Arbeitsplatzabbau in der Kultur und den Theatern und Orchestern und damit verbundenem Kulturabbau schreitet auch der Niedergang der Finanzkraft öffentlicher Haushalte einher.

Viertens. An jede Stufe neuerlichen Kulturabbaus schließt sich bereits nach kurzer Zeit eine Phase noch dramatischerer Haushaltssituation an.

An diese Erkenntnisse wiederum schließen sich zwei denkmögliche Konsequenzen an, und die sind mir sehr wichtig, hier noch mal deutlich zu machen:

A, es gibt keinerlei Zusammenhang zwischen Kulturabbau und Haushaltslage. Dann verschlechtert sich die Haushaltslage aus anderen Gründen, der Kulturabbau ist eine reine Dummheit und dient lediglich als öffentlich verabreichtes Placebo, indem deutlich gemacht wird, zum Beispiel von der Regierung, wir machen was, wir sanieren den Haushalt und schaut mal, ein wenig Kultur bleibt auch noch über.

Oder es gibt einen Zusammenhang zwischen Kulturabbau und Haushaltslage. Dann aber ist Kulturabbau nicht heilsam, sondern das reine Gift für die Finanzkraft der öffentlichen Hand.

Der logische Schluss ist: Wir brauchen in diesem Land nicht weniger Kultur, sondern wir brauchen mehr Kultur, sehr geehrte Damen und Herren.

Unverkennbar haben wir es jedoch mit einer Problemlage zu tun. Zu Problemen hat Albert Einstein mal gesagt: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Ein Lösungsansatz liegt nach unserer Auffassung in einer veränderten Sicht auf Arbeitsplätze im Kulturabbau, insbesondere auch bei den Theatern und Orchestern. Es handelt sich hier um hoch qualifizierte, enorm kreative Arbeit mit beachtlichen materiellen wie immateriellen Wertschöpfungspotenzialen. Die 1.279 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Theatern und Orchestern sichern die Existenz von circa 2.600 Personen in ihrem familiären Umfeld. Darüber hinaus sichern sie weitere Arbeitsplätze in Unternehmen, die auf die Aufträge der Theater und Orchester angewiesen sind.

Wie aberwitzig die volkswirtschaftlichen Effekte des für das Volkstheater Rostock verordneten Arbeitsplatzabbaus sind, will ich kurz vorrechnen. Die Streichung von 81,5 Stellen, davon 60 betriebsbedingte Kündigungen, soll 2,6 Millionen Euro einsparen. Die Betroffenen, die Entlassenen, wechseln sozusagen vom Kunst- und Kulturmarkt auf den Arbeitslosenmarkt. Das Arbeitslosengeld macht, so wurde vor Ort errechnet, circa 1,3 Millionen Euro aus. Hinzu kommen 1,55 Millionen Euro Kosten der Restrukturierung des Volkstheaters Rostock. Das sind bereits an dieser Stelle 2,85 Millionen Euro, nicht gerechnet die Sozialleistungen nach Hartz-IV für die diejenigen, die eh schon wenig verdienen und im Fall der Arbeitslosigkeit dann auch noch entsprechende Hilfen nach den Hartz-Gesetzen bekommen.

(Torsten Renz, CDU: Aber erst mal sind sie ja immer ein Jahr arbeitslos, ne?!)

Und hinzu kommt, Herr Renz, dass mehrere 100.000 Euro Kaufkraftverlust in der Region zu verzeichnen ist. Das Fazit: Die Kosten der Einsparung von 2,6 Millionen Euro betragen beim Volkstheater Rostock gerechnet mehr als 3 Millionen Euro.

(Torsten Renz, CDU: Rechnen Sie doch mal gleich weiter, wenn jetzt noch ein Jahr Arbeitslosigkeit kommt, wie sich das dann rechnet!)

Das habe ich Ihnen gerade mal vorgerechnet und ich sage Ihnen dann: Na prächtig, Herr Renz, prächtig haben Sie das! Wundert es da noch, dass es der öffentlichen Hand nach Kulturabbau noch schlechter geht als zuvor?

Der Ministerpräsident hat auf dem Empfang anläss- lich 20 Jahre Landesförderinstitut in diesem Jahr gesagt: „Wir sind ein hoch attraktives Bundesland. Unsere Städte erstrahlen in neuem Glanz.“ Zu diesem Glanz gehören auch glänzende Kulturstätten. Und Anteil an diesem Glanz haben auch Kulturakteurinnen und Kulturakteure. Die Art und Weise, wie in diesem Land mit den Kulturakteuren, mit den Theaterleuten, mit den Orchestermusikern, mit denjenigen, die an Theatern und Orchestern tätig sind, umgegangen wird, ist einfach schäbig und widerspricht dem, was in Sonntagsreden und zu Festreden hier getönt wird seitens der Regierung.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Wir sagen, keine betriebsbedingten Kündigungen an den Theatern und Orchestern. Alternativen sind möglich. LINKE und GRÜNE haben Alternativen vorgestellt. Ich verweise auf das Konzept der LINKEN, das bereits vor zweieinhalb Jahren vorgelegt wurde. Ich habe es gestern Abend noch mal durchgeblättert. Es ist in allen Punkten immer noch aktuell. Es gibt Möglichkeiten einer Umstrukturierung, eines Fitmachens der Theaterstandorte für die Zukunft ohne betriebsbedingte Kündigungen und, im Gegenteil, sogar eine Möglichkeit des Erstarkens der kulturellen Infrastruktur in diesem Land ohne betriebsbedingte Kündigungen. Dafür sprechen wir uns aus.

Insofern bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Und im Übrigen: Der Änderungsantrag von den GRÜNEN, der sicherlich noch vorgestellt wird, ist uns hochwillkommen. Da gibt es ein paar Hinweise, die runden sozusagen die Intention unseres Antrages noch ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Koplin.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herr Brodkorb.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Koplin, ich würde gern am Ende Ihrer Rede einsteigen. Sie haben auch ein Theaterkonzept vorgelegt. Sie haben selber darauf hingewiesen. Es ist schon über zwei Jahre her, deswegen bitte ich Sie um Entschuldigung, dass ich mich nicht mehr an jedes Detail erinnere, weil dieses Konzept auch nicht mehr diskutiert wird seit zwei Jahren. Aber irre ich mich, dass Sie in Ihrem Konzept auch einen Stellenabbau vorgesehen hatten?

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Keine betriebsbedingten Kündigungen.)

Ob Sie einen Stellenabbau vorgesehen hatten? Das war meine Erinnerung. Sie haben jetzt nicht widersprochen, so wird es sein.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Keine betriebsbedingten Kündigungen.)

Haben Sie Stellenabbau vorgesehen?

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Keine betriebsbedingten Kündigungen. – Unruhe vonseiten der Fraktion der CDU)

Das würde ich als ein ausweichendes Ja interpretieren.

Das Konzept der GRÜNEN, das jetzt vorliegt, sieht auch Stellenabbau vor.

(Heiterkeit bei Marc Reinhardt, CDU, und Torsten Renz, CDU: Aha!)

Doch, wenn ich das sehe, oder ich habe es falsch verstanden. Und das ist der entscheidende Punkt.

Herr Koplin, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, der Abbau von Stellen ist Kulturabbau und Kulturabbau ist schäbig, dann haben Sie das eben gerade selbst für Ihr eigenes Konzept gesagt. Und daran sieht man, Herr Koplin, dass die Diskussion, die Sie im Moment führen, wieder mal etwas zu einfach ist. Denn die Frage des Kulturabbaus entscheidet sich zunächst nicht anhand der Personalstellen, sondern entscheidet sich anhand der Angebote, die für Zuschauerinnen und Zuschauer unterbreitet werden.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Auf Kosten der Mitarbeiter.)

Und wenn Sie sich zum Beispiel mal die Konzeption von METRUM angucken, auch die Spielpläne, dann werden Sie feststellen, dass durch einen effizienteren Betrieb selbstverständlich die Zuschauerinnen und Zuschauer gut mit Veranstaltungen versorgt werden können. Und dann kann man dazwischenrufen, auf Kosten der Theater oder der Mitarbeiter.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Der Mitarbeiter. – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Und da, würde ich sagen, Frau Borchardt, empfehle ich Ihnen noch mal die Lektüre des Konzeptes, denn das sieht vor als Gegenleistung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Rückkehr zum Flächentarifvertrag und damit zehn Prozent mehr Lohn. Und wenn das zu viel verlangt ist, dass man für zehn Prozent mehr Lohn auch mal in eine andere Stadt fährt

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Mal?!)