Protocol of the Session on December 16, 2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 7. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Umsetzung der „Selbstständigen Schule“ evaluieren, Drucksache 6/160.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Umsetzung der „Selbstständigen Schule“ evaluieren – Drucksache 6/160 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Oldenburg für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Präambel des Koalitionsvertrages ist in Ziffer 193 formuliert: „Schule in MecklenburgVorpommern braucht Kontinuität und Verlässlichkeit. Die Organisation von Schule im Land steht vor großen Aufgaben (Integration, Inklusion, Attraktivität des Lehrerbe- rufes, Ganztagsschule, weitere Ausgestaltung Selbst- ständige Schule), deren Umsetzung in der nächsten Legislaturperiode Priorität genießen. Die Umsetzung die- ser Aufgabe erfolgt in einem engen Schuldialog mit allen Betroffenen …“

(Udo Pastörs, NPD: Jawohl, das ist gut.)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, lassen Sie mich Ihnen versichern, ich bin betroffen.

(Udo Pastörs, NPD: Ich auch.)

Ich bin sogar in mehrfacher Hinsicht betroffen: als Mutter eines Grundschülers, als Lehrerin, als Schulleiterin sowie als Abgeordnete.

(Udo Pastörs, NPD: Das betrifft Sie, aber Sie sind doch nicht betroffen.)

Nicht nur ich, sondern auch die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer werden die Ankündigung nach Kontinuität, Verlässlichkeit und Ruhe gern hören. Allein es fehlt in den Schulen der Glaube,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

denn dieser ist erschüttert,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

hat man uns doch auch in der vergangenen Legislaturperiode versprochen, Ruhe, Verlässlichkeit und Kontinuität an den Schulen. Davon war allerdings in den letzten Jahren nicht die Rede. Unmengen neuer Erlasse, Verordnungen, Richtlinien, die Einführung der schülerbezogenen Stundenzuweisung, die Einführung der Kontingentstundentafel, die Pflicht der Förderpläne, die unzureichende Vorbereitung der Budgetierung oder die gesetzlich vorgeschriebene individuelle Förderung, ohne eine einzige Stunde dafür zusätzlich zu gewähren, dies alles hat in den vergangenen Jahren verlässlich und kontinuierlich für Unruhe gesorgt.

Aus den momentanen Verhältnissen an unseren Schulen ergeben sich zwei Fragen: Warum knirscht es im Getriebe der Selbstständigen Schule? Warum ist diese Unzufriedenheit bei Schülerinnen, Schülern, Eltern, Lehrkräften, Vereinen und Verbänden zu spüren und zu hören, obwohl es doch vor der Einführung der Selbstständigen Schule einen Schulversuch gab?

Dieser Modellversuch „Mehr Selbstständigkeit in Mecklenburg-Vorpommern“ startete im Jahr 2003. 20 Schulen fanden sich, die die Elemente der Selbstständigkeit erproben sollten. Eine tolle Idee, die dann auch noch von einem Expertenteam unter Leitung von Professor Prüß begleitet wurde. Die Ergebnisse wurden nach einer wirklich ausgewogenen Laufzeit von vier Jahren in einem 400 Seiten umfassenden Bericht mit umfangreichen Haupterkenntnissen und Empfehlungen im Dezember 2007 vorgelegt. Aber bereits drei Monate vor, ich betone, vor der Veröffentlichung dieses Berichts legte der damalige Bildungsminister ein neues, ein anderes Konzept mit dem Titel „Auf dem Weg zur Selbstständigen Schule in Mecklenburg-Vorpom- mern“ vor –

(Peter Ritter, DIE LINKE: So war er, der Herr Tesch.)

drei Monate vor dem Erscheinen der Forschungsergebnisse. Somit fanden die Erkenntnisse der Studie keine Berücksichtigung bei diesem neuen Konzept.

Warum wurde dieser Bericht nicht Grundlage für die Ausdehnung der Selbstständigkeit auf alle Schulen des Landes? Warum setzte man diese Empfehlungen nicht um? Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer.

(Udo Pastörs, NPD: Oh!)

Modellversuche, ich erinnere an den Versuch der In- klusion auf Rügen, werden durchgeführt, wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Aber bevor die Erkenntnisse der Versuche vorliegen, gibt es ein neues Konzept, das nichts von dem berücksichtigt, was unsere Schülerinnen und Schüler beim gelingenden Lernen unterstützen könnte. So kam der erste Sand in das Getriebe der Selbstständigen Schule, Fehlzündungen bereits beim Start.

Aber das wäre noch zu heilen gewesen, wenn es sich bei den anschließenden Reparaturversuchen nicht um Eingriffe am laufenden Motor gehandelt hätte, wenn es nicht Reparaturen auf dem Rücken unserer Kinder gewesen wären. Dadurch wurde die sehr gute Idee der Selbstständigen Schule bereits am Beginn dem Zorn aller Beteiligten ausgesetzt.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Aus diesen vielfältigen Sorgen müssen wir gemeinsam Schlussfolgerungen für einen anderen, einen besseren Weg ziehen. Wir müssen parteiübergreifend agieren, um den Motor der Selbstständigen Schule zum Laufen zu bringen, damit tatsächlich Selbstständigkeit und Eigenverantwortung im pädagogischen Handeln möglich sind.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir haben eine neue Legislaturperiode, wir haben einen neuen Bildungsminister.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Wir wollen mit unserem Antrag den geplanten Schuldialog aktiv unterstützen und gehen davon aus, dass Sie uns in die künftige Arbeit einbeziehen.

Nachdem das Schulgesetz 2009 die rechtlichen Grundlagen der Selbstständigen Schule geschaffen hat, es somit zwei Jahre praxiserprobt ist, ist es an der Zeit zu analysieren. Eine Arbeitsgruppe, die die am Lernen und Lehren Beteiligten umfasst, muss klären, welche Elemente sich bewährt haben und unbedingt beibehalten werden müssen, aber auch, an welchen Stellen die Umsetzung in der schulischen Praxis momentan noch hapert. Aus dieser Evaluation ist anschließend abzuleiten, welche Änderungen und Anpassungen für die Schulen unseres Landes vorgenommen werden müssen. Und diese Ergebnisse dürfen dann nicht die Schicksale des Berichtes von Professor Prüß sowie der Stellungnahme der Expertenkommission zur Novelle des Schulgesetzes teilen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Die Anregungen, Vorschläge und Hinweise der Arbeitsgruppe müssen ernst genommen werden, denn nur damit können wir beweisen, dass wir auch unsere Kinder ernst nehmen und ihre Zukunft, die wir gestalten. Wir brauchen Veränderungen, die das Kind in den Mittelpunkt stellen, die von seinen tatsächlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten ausgehen. Unsere Schulen brauchen ein Konzept, das eine nachhaltige Qualitätsverbesserung der schulischen Arbeit gewährleistet und wirklich an die individuellen Lernvoraussetzungen der Kinder anknüpft. Unsere Schulen brauchen ein Konzept, das es den Lehrerinnen und Lehrern ermöglicht, ihre erste und wichtigste Aufgabe zu realisieren, nämlich unsere Jungen und Mädchen zu unterrichten, ihnen Mut zu machen und bei ihnen die Bereitschaft zu entwickeln, gerne zu lernen. Unsere Schulen brauchen ein Konzept, das die überbordende Verwaltungsarbeit reduziert und die Anregungen von Professor Prüß nicht außer Acht lässt. Und unsere Schulen brauchen ein Konzept, das die Schulträger einbezieht, denn die Einheit von innerer und äußerer Schulverwaltung ist zwingend erforderlich.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das System der Selbstständigen Schule muss ein lernendes System sein. Es muss sich an den Erfordernissen der Praxis orientieren, muss für notwendige Veränderungen offen sein, wenn Schule funktionieren soll. Die Schwerpunkte dieser Evaluation sind in unserem Antrag beispielhaft aufgeführt. Damit wäre eine einheitliche Ausgangsbasis für den Dialog gewährleistet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag auf Einrichtung einer Arbeitsgruppe unterbreiten wir ein Angebot für einen gemeinsamen Ausgangspunkt,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

um mehr Eigenverantwortung und erhöhte pädagogische Kompetenzen der Selbstständigen Schule in unserem Land zu ermöglichen. Dann kann sich auch unser Handeln an den Zielen der Bildungspolitik messen lassen. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen, weil, wie Sie es formulierten, „die Organisation von Schule … vor großen Aufgaben (steht) …, deren Umsetzung in der nächsten Legislaturperiode Priorität genießen.“

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Oldenburg.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Bildungsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Brodkorb.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Frau Abgeordnete Oldenburg! Ich bitte Sie alle um Verständnis dafür, dass meine Rede nicht sehr lang sein wird. Das hat bestimmte Gründe. Ich glaube, dem Anliegen, das Sie vorgetragen haben, kann man sich nicht sinnvoll entziehen.

(Udo Pastörs, NPD: Sinnvoll entziehen, ha!)

Nicht sinnvollerweise, ja, ohne Sinn.

(Udo Pastörs, NPD: Ohne Sinn ist Ihre Rede, ja. – Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Und das will auch niemand.

(Udo Pastörs, NPD: Ja, hoffentlich ist sie kurz. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Sie zielen darauf ab, die Selbstständige Schule zu evaluieren. Nun, was Sie in Ihrem Antrag dazu aufführen, hat nun allerdings zu einem erheblichen Teil gar nicht unmittelbar etwas mit Selbstständiger Schule, sondern mit Schule insgesamt zu tun,

(Udo Pastörs, NPD: Das ist immer so.)

also zum Beispiel der Punkt, dass die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte in Augenschein genommen werden sollen. Das würden wir wohl machen, auch dann, wenn es keine Selbstständige Schule gäbe. Das hat also damit unmittelbar nichts zu tun. Wir evaluieren hier in Mecklenburg-Vorpommern schon heute Schulen. Da gibt es zwei Instrumente: Das sind Vergleichsarbeiten, die an unseren Schulen durchgeführt werden, und es sind externe Evaluationen, die das Institut für Qualitätsentwicklung durchführt.

(Udo Pastörs, NPD: Sagen Sie mal, wie Sie das Chaos beseitigen wollen!)

Das heißt, unsere Schulen werden evaluiert. Am Ende geht es um die Frage: Erreichen Schulen bestimmte Leistungsstandards? Das ist das, worum es geht. Und diese Dinge finden statt. Insofern habe ich Skepsis, neben diesen bereits bestehenden Systemen, an Vergleichsarbeiten an den Schulen teilnehmen und der externen Evaluation, die wir aufgebaut haben, jetzt noch einen großen Evaluationsaufwand zu betreiben, gleichwohl Sie natürlich recht haben, dass es Probleme gibt in unseren Schulen, die wir auch ernst nehmen müssen.