Protocol of the Session on March 13, 2014

Und deswegen haben wir als LINKE heute den „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit …“ aufgesetzt, und das sehr wohl bewusst, um nicht erst zu den Jahrestagen den Stand, die Entwicklung

in Ost und West zu diskutieren, sondern bereits mit diesem Bericht. Ist das Thema „Ost und West“ – weil dort eine Schulklasse sitzt – überhaupt noch ein Thema? Ist die Einteilung Deutschlands in alte und neue Bundesländer überhaupt noch zeitgemäß?

Es ist doch ganz klar, dass die jungen Leute, die nach der Jahrtausendwende geboren wurden, diese Fragen ganz anders beurteilen als diejenigen, die in die alten Zeiten hineingeboren wurden. Das sind Fragen, wie sie dann auch zwischen den Großeltern, den Eltern und den Kindern debattiert werden und wie sie in den jeweiligen Generationen diskutiert werden. Und dennoch behaupte ich, dass auch bei den jungen Leuten das Thema „Ost und West“ präsent ist, weil es immer um die Frage geht: Wie steht es denn um den Stand der deutschen Einheit nach einem Vierteljahrhundert? Und dort, Herr Schulte – in Bezug auf die Debatte, die wir eben zu den Existenzgründungen geführt haben –, geht es jetzt aus meiner Sicht nicht um einen Blick auf das Glas, das halb leer oder halb voll ist. Also aus meiner Sicht ist sogar das Glas, was die Einheit betrifft, mehr als halb voll, damit das gleich klargestellt wird.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Oh, das ist schon mal schön.)

Ja, und um das auch klarzustellen, Herr Ringguth, ich habe die Einheit immer als Chance begriffen und ich sehe sie auch als Gewinn. Also das ist für mich keine politische Debatte, sondern es ist für mich...

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Wirklich immer?)

Immer, von Anfang an. Da hättest du 1990 schon nach Neubrandenburg kommen können, da hätten wir uns darüber unterhalten können.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sehen aber nicht alle Genossinnen und Genossen so.)

Aber ich spreche hier als Vorsitzender, um mal ein Wort meines Kollegen Gregor Gysi aufzugreifen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Okay.)

Also das ist eine andere Debatte, die ich jetzt hier nicht führen will.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die ich schon schwierig finde. – Zuruf von Jochen Schulte, SPD – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU)

Wir sind uns da in meiner Fraktion einig.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Meine Damen und Herren, warum ist es nach fast 25 Jahren überhaupt noch der Fall, dass wir über Ost und West diskutieren? Denn es muss ja dafür einen Grund geben, dass wir uns nach wie vor einordnen in Ost- und Westdeutsche, dass wir über ostdeutsche und westdeutsche Bundesländer reden. Ich weiß zum Beispiel aber auch, dass es selbst bei uns, bei den LINKEN, eine norddeutsche Verständigung zwischen den LINKEN-Fraktionen und den Landesparteien gibt, so, wie es

auch – Herr Kokert ist nicht da – jüngst die CDU gemacht hat. Es gab ja wohl am Montag in Glückstadt ein Treffen der CDU-Fraktionsvorsitzenden hier in Norddeutschland.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das finde ich übrigens gut so, dass man über diese Grenzen zwischen Ost und West dann auch einen norddeutschen Zusammenhang herstellt. Aber es gibt eben nach wie vor nicht nur gefühlte, sondern auch nachweisbare reale Unterschiede: bei den Renten, bei den Löhnen, bei der Arbeitslosigkeit, bei der Vermögensverteilung und bei der wirtschaftlichen Entwicklung.

Und, meine Damen und Herren, solange es noch objektive Unterschiede gibt, solange wird das Thema „Deutsche Einheit – Ost und West“ auch eine Rolle spielen und weiterhin sowohl von den Menschen im Land diskutiert werden, aber auch zwischen uns politischen Parteien beziehungsweise hier im Landtag von den Fraktionen zu diskutieren sein.

Wir alle wissen, dass es jährlich diesen Bericht gibt, der erarbeitet wird. Im November 2013 hat die Bundesregierung ihren „Jahresbericht … zum Stand der Deutschen Einheit 2013“ vorgelegt und am 21. Februar 2014 wurde über diesen Bericht zwei Stunden im Deutschen Bundestag debattiert. Wir haben es zum Anlass genommen, das hier aufzugreifen. Nun möchte ich die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke von der SPD, zitieren, die zu diesem Bericht Folgendes sagte, Zitat: „Wir haben … viel erreicht“, aber es bleibt noch viel zu tun. „Wir brauchen … keinen Schlussstrich unter die deutsche Einheit als solche, weil sie eben noch nicht vollendet ist“, Ende des Zitats. Ich denke, dieser Aussage können wir uns alle anschließen. Ich zumindest und meine Fraktion tun es.

Natürlich können wir alle hier in Mecklenburg-Vorpom- mern stolz sein auf das, was erreicht wurde. Ausdrücklich sollten wir hier auch erneut den Menschen dafür danken, dass sie diese Umbrüche gemeistert haben und dass sie diese Aufbauarbeit geleistet haben. Darauf kann man auch stolz sein und darauf müssen wir auch stolz sein. Was denn sonst? Aber wir müssen auch feststellen, was noch zu tun ist und dass noch unwahrscheinlich viel getan werden muss, um dem Grundsatz des Grundgesetzes zu folgen, dass es um gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland geht.

Der Bericht der Bundesregierung zeigt Entwicklungen auf, aber er bietet eben keine Strategie an, was in den kommenden Jahren noch angepackt werden muss. Da ist auch der Koalitionsvertrag auf Bundesebene wenig hilfreich. Er wirft mehr Fragen auf, als er Antworten gibt, wenn es um die Angleichung der Lebensverhältnisse geht.

Im Übrigen haben wir bei dem vorhergehenden Antrag den Punkten I und II nicht zugestimmt, weil das bedeutet hätte, dass wir den Koalitionsvertrag auf Bundesebene unterstützen, und das wollen wir als LINKE nun ausdrücklich nicht, weil wir ihn kritisieren.

(Egbert Liskow, CDU: Warum?)

Was muss denn unternommen werden, um die nach wie vor doppelt so hohe Arbeitslosigkeit im Osten zu senken? Seit 1992 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen

Arbeitsplätze in Ostdeutschland um 17,5 Prozent und damit um 1,2 Millionen gesunken. In den alten Ländern dagegen ist die Zahl dieser Beschäftigungsverhältnisse im gleichen Zeitraum um 5 Prozent gestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen mit Arbeitsort in Mecklenburg-Vor- pommern hat im Jahr 2012 um 0,5 Prozent abgenommen, während sie in allen anderen Bundesländern stabil blieb oder sogar zunahm. Im Jahr 2013 sank die Zahl der Beschäftigten dann um 1,1 Prozent oder um 7.700 und das ist mit Abstand der höchste Wert aller Länder. Das sind die Realitäten für Mecklenburg-Vorpommern.

Bei diesem Thema, meine Damen und Herren, werden Sie wie so oft Ihre Statistiken zücken und verkünden, dass es in Mecklenburg-Vorpommern noch nie eine so geringe Arbeitslosigkeit gegeben hat.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Richtig. – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber 200.000 Menschen sind weniger. – Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Stimmt! Stimmt, sage ich doch auch. Die Statistiken können wir nicht verändern. Die andere Zahl, die ich genannt hatte, stimmt aber auch, dass die Beschäftigtenzahl zurückgegangen ist und dass die Arbeitslosen- quote sowohl im Rechtskreis SGB II als auch im SGB III, also die Kurzzeitarbeitslosen – für die jungen Leute da hinten – und die Langzeitarbeitslosen, sich verfestigt hat und von 2011 zu 2013 zugenommen hat. Auch das können Sie nicht kleinreden. Das sind die Herausforderungen, über die wir sprechen müssen.

Der Anteil der langzeitarbeitslosen Frauen und Männer steigt und 16 Monate hintereinander lag die offizielle Zahl der Arbeitslosen über 55 Jahre über dem Wert des Vorjahres.

(Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Über Jahre hinweg sind das bis zu 5.000 – 5.000! – arbeitslose Akademikerinnen und Akademiker, die in Mecklenburg-Vorpommern keine Arbeit gefunden haben. Da frage ich mich, wo sind Ihre Konzepte, um diese Menschen in Arbeit zu bringen. Die werden verwaltet und das Potenzial bleibt ungenutzt.

Das Gleiche gilt für „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Das ist ein von allen Parteien gern verwendeter Slogan. Doch wann wird aus ihm Realität? Die Löhne im Osten sind nach wie vor deutlich niedriger als im Westen, 82 Prozent. 82 Prozent des verfügbaren Einkommens haben die Menschen im Osten Deutschlands und daran hat sich in den vergangenen 20 Jahren so gut wie nichts verändert. Im Gegenteil, der Abstand zum Bundesdurchschnitt beträgt 3.616 Euro jährlich und hat sich gegenüber 2010 sogar um 330 Euro vergrößert. Die Angleichung lag weit unter den Vorjahren und nur 0,4 Prozent über dem Wert des Jahres 2000. In der Wirtschaft liegt der durchschnittliche Lohn in Mecklenburg-Vorpommern bei 72 Prozent des Bundesdurchschnittes – und wir reden über Fachkräfte. Wir wollen junge Leute, auch Sie, die Sie dahinten sitzen, euch wollen wir hier in Mecklenburg-Vorpommern halten,

(Dietmar Eifler, CDU: Das wollen wir alle.)

und das hat etwas mit dem Lohn zu tun. Ich komme gleich zur Mindestlohndebatte, im Einzelnen werde ich darauf eingehen.

In Mecklenburg-Vorpommern wurden auch 2013 90 Stun- den mehr gearbeitet als im Rest der gesamten Bundesrepublik. Meine Damen und Herren, das heißt doch im Klartext, die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten länger für weniger Lohn.

(Manfred Dachner, SPD: Das ist eine Schande.)

Bei dem Thema Lohnangleichung treten wir also auf der Stelle. Das Gleiche gilt für die Vermögensentwicklung. Haushalte im Osten verfügen im Schnitt lediglich über 42 Prozent des Vermögens der Haushalte im Westen.

Wir fordern seit Jahren einen flächendeckenden Mindestlohn. Endlich ist die Einsicht gereift, wir haben das auf der Bundesebene. Wir haben gehört, dass es in dem Koalitionsvertrag mit den Einführungsschritten vereinbart ist. Wie das aber im Einzelnen aussehen soll, wer weiß es denn genau? Und es wird schon wieder über Ausnahmen geredet. Was ist mit Berufseinsteigern, was mit Studenten, mit Rentnern und Rentnerinnen,

(Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Minijobbern, Zeitungsausträgern, Saisonarbeitern, Taxifahrerinnen und Taxifahrern, Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeitern, Langzeitarbeitslosen und all den anderen, die im Niedriglohnbereich tätig sind? Der Mindestlohn ist noch gar nicht da und praktisch schon wieder abgeschafft?! Zugleich wird der Niedriglohnsektor zementiert.

Wir haben gestern hier über Minijobs gesprochen. Frau Hesse als Arbeitsministerin hat dazu gesprochen und ihre Position formuliert, hat dann aber gleich eine Klatsche der CDU bekommen für ihre Position. Das will ich hier bloß mal feststellen.

(Torsten Renz, CDU: Das war doch keine Klatsche!)

Rund 40 Prozent derer, die bereits jetzt weniger als 8,50 Euro verdienen,

(Torsten Renz, CDU: Das war ein Austausch von Argumenten im Interesse der Arbeitnehmer dieses Landes. – Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

sollen vom Mindestlohn ausgeschlossen werden.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU – Heiterkeit bei Wolfgang Waldmüller, CDU)

Das hat der Kollege Renz im Einzelnen genau getan.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich halte eine Diskussion über diesen Bericht für notwendig und ich bitte Sie, unseren Antrag, der ein sehr komplexer Antrag ist, dann im Einzelnen in den Ausschüssen weiter zu beraten, und beantrage hiermit die Überweisung in alle Ausschüsse außer dem Petitionsausschuss. – Danke schön.