Protocol of the Session on January 30, 2014

Sehr geehrte Abgeordnete, Fakt ist, Mecklenburg-Vor- pommern hat nach wie vor bundesweit das geringste Nettoeinkommen bei den privaten Haushalten. Dass wir bei den Armutsgefährdungsquoten einen der hinteren Plätze einnehmen, kann daher nicht überraschen. Deswegen wird Mecklenburg-Vorpommern in erheblichem Maße vom Mindestlohn profitieren. Rund 265.000 Menschen werden bis zu 2.667 Euro zusätzliches Einkommen pro Jahr nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes erhalten. Das zeigt, entscheidend

ist, wie wir mit konkreten Maßnahmen den Menschen helfen können, dass es ihnen tatsächlich besser geht. Oberstes Ziel muss dabei immer die Verhinderung von Armut sein.

Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen, wie wir bereits jetzt den Menschen konkret helfen. Die Eltern von unter dreijährigen Kindern und die Eltern von Kindern im letzten Jahr vor dem voraussichtlichen Eintritt in die Schule haben wir bei den Elternbeiträgen entlastet. Außerdem werden die Elternbeiträge bei bedürftigen Kindern in Gänze übernommen. Und auch die Verpflegung erfolgt kostenfrei, soweit den Eltern eine Kostenbeteiligung nicht oder nur anteilig zuzumuten ist.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

In den Produktionsschulen werden jährlich rund 500 junge Menschen im Alter von 14 bis 25 Jahren eine Berufsbildung und eine Beschäftigung beziehungsweise das Nachholen eines Schulabschlusses ermöglicht. Zugleich soll dadurch die soziale Integration unterstützt und es soll so- mit langfristig vor Beschäftigungslosigkeit bewahrt werden.

Für Alleinerziehende ist es immer noch eine große Herausforderung, die Erziehung von Kindern mit einer Erwerbstätigkeit, die den Lebensunterhalt sichert, zu verbinden. Circa jede vierte Familie mit minderjährigen Kindern in Mecklenburg-Vorpommern hat einen alleinerziehenden Haushaltsvorstand, dessen Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich verringert sind.

Unser Modellprojekt AQuA (Alleinerziehende in Qualifi- zierung und Arbeit) bietet einen an den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgerichteten Qualifizierungs- und Berufswegeplan, der mit dem Jobcenter abgestimmt wird. Das Projekt wurde im Januar 2012 in Schwerin gestartet und dann aufgrund der sehr erfolgreichen Arbeit auf Wismar, Grevesmühlen, Gadebusch, Ludwigslust, Parchim, Boizenburg und Hagenow ausgeweitet. Im Jahr 2013 nahmen am Projekt 315 langzeitarbeitslose alleinerziehende Mütter und Väter teil. Ziel war es, 20 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, in eine Ausbildung oder in eine geringfügige Beschäftigung zu vermitteln. Dieses Ziel wurde deutlich übertroffen.

Sehr geehrte Abgeordnete, ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich mit aller Deutlichkeit darauf hinweise, dass sich das derzeit noch akzeptable allgemeine Rentenniveau ohne wirksame und nachhaltige Maß- nahmen nicht halten lassen wird. Die in den vergangenen 23 Jahren, gerade in Mecklenburg-Vorpommern, häufig unterbrochenen Erwerbsbiografien und die Niedriglöhne hinterlassen sehr deutlich ihre Spuren. Wir müssen schon heute über das Thema Altersarmut nicht nur reden, sondern wir müssen auch handeln. Was die ren- tenpolitischen Forderungen meiner Vorgänger im Amt, Erwin Sellering und Manuela Schwesig, angeht, freue ich mich, dass sich das SPD-Rentenkonzept in dem neuen Entwurf eines Rentenversicherungsleistungsverbesserungsgesetzes, das am 14. März in den Bundestag eingebracht werden wird, ganz wesentlich wiederfindet.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das gilt für die bessere rentenrechtliche Anerkennung von Erziehungsleistungen, die sogenannte Mütterrente

für Mütter und auch Väter von vor dem 1. Januar 1992 geborenen Kindern, für die Besserstellung zukünftiger Erwerbsminderungsrentner durch die Anerkennung von zwei zusätzlichen Jahren als Zurechnungszeit und das gilt auch für die Anerkennung der Leistung der langjährig Versicherten, indem die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren eingeführt wird.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Tolle Sache. Wer zahlt das?)

Das alles bringt uns große Schritte voran. Wir werden im Bundesrat alles dafür tun, dass die gesetzlichen Neuregelungen schon zum ersten Juli 2014 in Kraft treten können.

Sehr geehrte Abgeordnete, trotz der enormen Kosten, die durch die aktuelle Rentengesetzgebung entstehen, brauchen wir auch Maßnahmen, die besonders den Rentnern in den ostdeutschen Bundesländern zugute kommen.

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig.)

Auch wenn es nach dem Koalitionsvertrag des Bundes noch bis 2017 dauern soll, eine solidarische Lebensleistungsrente wird kommen. Wer zunächst einmal 35 Jahre und ab 2023 40 Jahre Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat und trotzdem im Alter weniger als 30 Rentenentgeltpunkte erreicht, dessen Leistung soll auf die lange geforderte Mindestrente aufgewertet werden.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Und schließlich – in der Vergangenheit von dieser Regierung aufs Deutlichste eingefordert und im Berliner Koalitionsvertrag steht es schwarz auf weiß –: Spätestens zum Ende des Solidarpaktes 2030 soll auch die Angleichung der Rentenwerte Ost/West vollendet sein.

(Torsten Renz, CDU: So spät, ja? 2030 erst?)

Dieser Angleichungsprozess, der ganz wesentlich von der Lohn- und Gehaltsentwicklung bis zum Juli 2016 abhängig sein wird, hat bereits begonnen.

Last, but not least, sehr geehrte Abgeordnete, möchte ich verweisen – es ist heute schon mal kurz angeklungen – auf den aktuellen Arbeitsmarktbericht. Die Ergebnisse, die wir dort wiederfinden, sind aus meiner Sicht ausgesprochen erfreulich und positiv und sind auch Ausdruck der guten Arbeit der Landesregierung in den letzten Jahren. Die aktuelle Lage ist wie folgt: Wir haben 3.900 Arbeitslose weniger in Mecklenburg-Vorpommern als im Jahresvorvergleich, die niedrigsten Arbeitslosenzahlen in einem Januar seit der Wende.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich denke, diese Zahlen sprechen für sich. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Danke, Frau Hesse.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau FriemannJennert von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem Sie von den LINKEN im Frühjahr des letzten Jahres den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung als Aufhänger genutzt haben, ist es heute der Bericht zur regionalen Armutsentwicklung 2013 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, um, ich denke, politische Stimmung zu erzeugen. Insofern danke ich für die Erläuterungen von Frau Hesse. Die Beispiele werde ich dann jetzt in meiner Rede auch weglassen.

Was ich an dem Bericht nicht ganz verstehe, ist der Titelzusatz „Deutschland vor der Zerreißprobe“.

(Zuruf aus dem Plenum: Dann haben Sie es nicht verstanden.)

Er suggeriert meines Erachtens, dass Deutschland förmlich in Armut versinkt. Dabei zeigt die Armutsgefährdungsquote erst einmal nur die Einkommensspreizung in der Gesellschaft an. 869 Euro Einkommen für Singlehaushalte, 1.826 Euro für Familien – zwei Erwachsene, zwei Kinder – gelten, so steht es da drin, als quasi amtliche Armutsgefährdungsschwelle. Ich wiederhole mich auf diesem Wege gern, wenn es der Versachlichung der Diskussion dient, die Ihrerseits immer auf schwierige Art und Weise emotionalisiert wird: Wir reden von Armut in einer Wohlstandsgesellschaft.

In einer Onlineveröffentlichung von Statista finden sich Antworten in Tausenden statistischen Auswertungen. Auf die Frage „Auf welche der folgenden Bereiche sollte sich die nationale Regierung Ihrer Ansicht nach zuerst konzentrieren, um Menschen aus der Armut zu verhelfen?“ antworteten 58 Prozent der Befragten durch die „Schaffung von Jobchancen“ sowie 48 Prozent durch die „Schaffung von Aus- und Fortbildungsangeboten“.

Erzähle mir bitte keiner, in Mecklenburg-Vorpommern gäbe es keine Jobchancen! Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Wenn ich mir den Mittelstandsbericht Mecklenburg-Vorpommerns von 2013 vornehme, kann ich nur sagen, dass dieser die – es sei mir verziehen – dürftigen Aussagen für unser Land im Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nicht untermauert. Im Mittelstandsbericht ist die Rede von guter wirtschaftlicher Entwicklung und entsprechendem Wachstum in 2011 und 2012. Die Bruttolöhne steigen kontinuierlich. Die Arbeitslosigkeit ist rückläufig. Die Rede ist von der niedrigsten Arbeitslosenzahl seit 1991. Es gab mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und einen Rückgang von geförderten Arbeitsgelegen- heiten.

Arbeit ist und bleibt das beste Mittel gegen Armut. Arbeit verbessert die Teilhabechancen für alle Haushaltsmitglieder, gerade auch für Kinder. Ob Kinder arm sind, hängt vor allem davon ab, ob ihre Eltern Arbeit haben.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Deshalb profitieren besonders Kinder von der positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt. Der Armutsbericht spricht nur von Armutszuwächsen, Abwärtsspiralen, von Mecklenburg-Vorpommern als problematischem Land be- ziehungsweise von der Armutsregion Mecklenburg-Vor- pommern –

(allgemeine Unruhe)

sehr einladend für alle, die nach Mecklenburg-Vor- pommern kommen wollen, ob Arbeitskräfte oder Investoren. Klar, die brauchen vernünftige Rahmenbedingungen und schade, dass sich BMW nicht hier in Schwerin angesiedelt hat oder der Transrapid jetzt in China fährt.

(Zurufe vonseiten der Fraktion der SPD: Oooh! – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Aber – das ist nicht witzig – wenn so ein Bericht meint, entstehende regionale Armutsspiralen können von den Akteuren vor Ort ohne massive Unterstützung von Bund und Ländern nicht gestoppt oder umgekehrt werden, dann ist das eine starke Aussage. Dem noch bis 2019 geltenden Länderfinanzausgleich wird ein anderes Modell folgen. Die Schuldenbremse hat dabei eine nicht unbedeutende Aufgabe. Und besonders problematische Regionen werden angemessene Unterstützung erfahren. Etwas anderes ist gar nicht vorstellbar. Aber es gibt immer noch etwas, was man schneller und besser machen kann.

Wir sollen entsprechend dem Thema dieser Aussprache umgehend wirksame Maßnahmen zur Armutsbekämpfung in Mecklenburg-Vorpommern initiieren. Damit wird wiederum suggeriert, dass in Mecklenburg-Vorpommern bis dato nichts getan wurde beziehungsweise wird für Menschen, die an der Armutsgefährdungsschwelle stehen. Nicht die Regierung hat versagt, Sie von den LINKEN reden das Land schlecht.

(Beifall Marc Reinhardt, CDU, und Peter Ritter, DIE LINKE – Zurufe vonseiten der Fraktion DIE LINKE: Oooh!)

Nach Angaben des Staatssekretärs im Sozialministerium in der SVZ vom 09.01. zu einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in Düsseldorf wird der Mindeststundensatz von 8,50 Euro rund 265.000 Menschen im Land bis zu 2.667 Euro zusätzliches Einkommen im Jahr bringen.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Noch haben wir ihn aber nicht, den Mindestlohn. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Kommt aber.)

Das Bildungs- und Teilhabepaket hilft zudem vielen Kindern und Jugendlichen, für die so unter anderem die Mittagsverpflegung gesichert werden könnte.

Oder schauen Sie sich die Arbeit der Enquetekommission an. Sie beschäftigt sich mit der Situation der älteren Menschen und investiert in intensive Ermittlungsarbeiten, um ungewollte Entwicklungen abzumildern oder auch zu verhindern, um gegenzusteuern.

Es gibt Programme: Wir haben die Möglichkeiten für die Betreuung, also für frühkindliche Bildung, ausgebaut, das System der zweiten Chance, das Berufsvorbereitungsjahr, die Einstiegsbegleitungen stehen weiter zur Verfügung. Sagen Sie bitte nicht, es würde nichts getan. Es stimmt einfach nicht. Wie im Kleinen, ist es auch im Großen. Es geht leider nicht alles auf einmal.

Und ich sage es gern noch mal: In Deutschland ist es seit nunmehr über 60 Jahren gelungen, wirtschaftliche Dynamik mit wirksamen Teilhabechancen für die große Mehrheit der Bevölkerung zu verbinden. Der soziale Friede, der gesellschaftliche Zusammenhalt und eine

lebendige Demokratie sind dadurch aufgebaut und gesichert worden. Grundlage hierfür war und ist das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Und es wird sich hier ja wohl niemand trauen, das infrage zu stellen.

(Gelächter von Michael Andrejewski, NPD: Traut sich keiner, vielen Dank.)

Armut wird beschrieben, indem unter den Gesichtspunkten relativer Einkommensarmut und kritischer familiärer Lebensereignisse das Leben in sozialen Brennpunkten, in Großstädten, Obdachlosigkeit oder Überschuldung betrachtet wird. Ein Mensch gilt dann als von Armut bedroht, wenn er mit weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens der Gesamtbevölkerung auskommen muss.

Wir stehen im internationalen Vergleich, auch wenn Sie das nicht gerne hören wollen, gut da. Wir gehören nämlich zu den Staaten, die am stärksten die Ungleichheit der Einkommen durch Steuern und Sozialtransferleistungen ausgleichen. Es bleiben aber Aspekte, die ein Bild von Armut ergeben, und damit müssen wir umgehen.

Zweifelsfrei gibt es regionale Aspekte. Wenn ich mir beispielsweise die Sozialraumanalyse unseres Landkreises anschaue, sehe ich sehr wohl die Brennpunkte und muss mir überlegen, was können wir im Spannungsfeld von sozialer Verantwortung und dem Finanzrahmen tun. Entschuldung, die Entwicklung des Arbeitsmarktes, Stärkung des Mittelstandes, Vermeidung der Altersarmut, ökonomische und soziale Teilhabe – alles Themen, an denen das Land und auch der Bund unablässig arbeiten.