Protocol of the Session on January 30, 2014

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/2624. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/2624 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und CDU, bei Zustimmung der Fraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und NPD abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 26: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Mecklenburg-Vor- pommern stützt Bundesfamilienministerin bei Abschaffung der Extremismusklausel, Drucksache 6/2625.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Mecklenburg-Vorpommern stützt Bundesfamilienministerin bei Abschaffung der Extremismusklausel – Drucksache 6/2625 –

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oh ja, das ist ein schöner Antrag.)

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Ritter.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden uns sicherlich alle noch an die Abschiedsworte erinnern, die Frau Schwesig von dieser Bühne aus an uns gerichtet hat mit der Botschaft, dass sie sich auch in ihrem neuen Amt in Berlin für die Stärkung von Demokratie und Toleranz einsetzen wird.

(David Petereit, NPD: Da geht Ihnen einer ab, ne?)

Wir haben alle das mit Beifall quittiert bis auf die wenig verbliebenen Ewiggestrigen an der Fensterfront, und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, greift meine Fraktion mit dem vorliegenden Antrag auch eine Ankündigung der Bundesfamilienministerin auf. Es handelt sich hierbei um die sogenannte Extremismusklausel, eine politische und juristisch höchst umstrittene Problematik, und uns erscheint es sinnvoll, dass sich der Landtag zu dieser Frage positioniert, um die neue Bundesfamilienministerin, die ihre Wurzeln in unserem Bundesland hat, bei ihrem Vorhaben zu unterstützen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf die Frage nach der Beibehaltung der Extremismusklausel antwortet Ministerin Schwesig in einem „Spiegel“-Interview, ich zitiere: „Nein, ich werde die Extremismusklausel abschaffen. Viele Organisationen empfinden das als Angriff gegen ihren Einsatz für ziviles Engagement. … Ich werde das Thema Demokratie und Toleranz zu einem Hauptthema meiner Amtszeit machen. Dafür sollten wir diese Organisationen fördern und sie nicht unter Generalverdacht stellen und ihnen mißtrauen.“ Zitatende.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese Zielstellung gebührt der Ministerin Respekt. Sie setzt damit ein überfälliges, richtiges Signal, wie ich meine. Laut „OstseeZeitung“ ist dies allerdings für den CDU-Vorsitzenden in unserem Land und Sprecher der Unionsinnenminister, den hiesigen Innenminister Lorenz Caffier, ein falsches Signal.

(Minister Lorenz Caffier: Ja.)

Und unser Innenminister mahnt seine frühere Kabinettskollegin zu Besonnenheit statt Aktionismus.

Sehr geehrter Herr Innenminister, ich glaube, an dieser Stelle hätten Ihnen und auch unserem Bundesland eher mehr Besonnenheit und ein Innehalten besser zu Gesicht gestanden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bestätigungserklärung beziehungsweise Extremismusklausel als Nebenbestimmung von Zuwendungsbescheiden im Rahmen der Bewilligung von Bundesfördermitteln haben Landesregierung und Landtag bereits in der letzten Wahlperiode Anfang 2011 beschäftigt. Während das Sozialministerium das Verfahren um diese Klausel grundsätzlich ablehnte, waren für die Landesregierung die Sätze 2 und 3 der damaligen Einverständniserklärung nicht hilfreich für das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Trägern und Partnern von Maßnahmen zur Förderung von Demokratie und Toleranz, und hinsichtlich dieses Bestimmtheitsgebotes stießen diese Regelungen bei unserer Landesregierung auf verfassungsrechtliche Bedenken. Dennoch meinte die Große Koalition damals, unserem Antrag aus zwei Gründen nicht zustimmen zu können, wovon einer für unsere heutige Debatte Relevanz besitzt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich zitiere die damaligen Ausführungen des Kollegen Brodkorb. Er sagte in der Debatte: „Der eine Grund überrascht Sie nicht, die Tatsache, dass die SPD zusammen mit der CDU koaliert und die CDU natürlich nicht bereit ist, einen Antrag zu unterstützen, der einen Frontalangriff auf eine ihrer Bundesministerinnen darstellt. Dafür, glaube ich, können auch alle Verständnis haben.“ Zitatende.

Lieber Kollege Brodkorb! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dafür können wir alle selbstverständlich nur so lange Verständnis aufbringen, solange Sie in einer Ablehnung des heutigen Antrages einen Frontalangriff auf Ihre Bundesministerin zu erkennen fähig sind. Das aber ist nicht der Fall, denn es ist kein Angriff auf Frau Schwesig, sondern eine Unterstützung für ihre Position.

Mit fachlichen Gründen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat also weder das eine noch das andere zu tun. Und auch die Pirouetten um Sätze 1, 2 und 3 der damaligen Erklärung konnten nicht vernebeln, dass unsere Sozialministerin damals von der eigenen Fraktion so ziemlich im Regen stehen gelassen wurde. Das muss ich nicht wiederholen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Hierbei helfen uns letztlich aber weder Gutachten von Battis, Ossenbühl oder des Deutschen Bundestages und auch keine Entscheidungen von Verwaltungsgerichten oder Berufungen dagegen.

Im Kern geht es um den Extremismusansatz, wie er auf Bundesebene verstärkt vertreten und selbst zur Grundlage der Arbeit gegen Rechtsextremismus gemacht wurde. Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Logik einer ideologischen Mobilmachung, die an düsterste Abschnitte der DDR-Geschichte und an andere Orte der Welt erinnert. Beispielsweise mussten Hobbyangler, die ihre Lizenz zum Fischen in regionalen Gewässern beantragten, eine Treueerklärung auf die Verfassung unterschreiben und damit vermeintlich dokumentieren, dass sie nicht vorhatten, die Brunnen zum Zweck des gesellschaftlichen Umsturzes zu vergiften.

Nun betrifft dieses Beispiel zwar den Staat New York Mitte der 1950er-Jahre und es geht heute nicht um Brunnenvergiftung, heute geht es aber um ein vergiftetes Klima beziehungsweise die Schaffung einer allgemeinen Verdachtskultur.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Innenminister Caffier wirft Bundesministerin Schwesig Aktionismus beziehungsweise falsche Zielsetzung vor und bemüht dazu die „autonomen Chaoten“ in Hamburg. Gewalt, das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Insoweit sind wir uns einig. Als ehemaliger G8-Innenminister würde ich aber an Ihrer Stelle, Herr Innenminister, nicht ganz so laut und nicht ganz so vorschnell in jedes Mikrofon rufen, Stichpunkt: staatlich bezahlte Provokateure in und um Heiligendamm.

(Beifall Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und beim Thema „Förderung von Initiativen gegen Extremismus“ ist ein Verweis auf schwarze Blöcke und autonome Kräfte völlig daneben, denn diese Kräfte würden staatliche Zuwendungsformulare bestenfalls für den Toilettenbereich nutzbar machen.

(Heiterkeit bei Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE)

Und wenn Sie, Herr Innenminister, im Zuge der Diskussion um die Einführung eines Demokratiebekenntnisses im Rahmen der deutschen Sportförderung – Sie werden sich an den Zusammenhang erinnern – von einem System der Gesinnungsschnüffelei gesprochen haben, dann lässt das zumindest für die heutige Debatte hoffen. Ich merke aber, Ihre Position ist nicht ganz frei von Widersprüchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere heutige Debatte kann im Grunde nahtlos an die Diskussion dieses Landtages vom Frühjahr 2011 anknüpfen. Allerdings sollten wir aus meiner Sicht drei Punkte beachten:

Erstens hat die Extremismusklausel seit dem Septem- ber 2012 im zweiten Teil einen geänderten Wortlaut, allerdings wird auch gegen diese Klausel geklagt.

Zweitens, und das finde ich beachtenswert, hat der NSUUntersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages im letzten Jahr seine Empfehlungen ausgesprochen, die wir uns in unserer gemeinsamen Beschlussfassung zu eigen gemacht haben. Da geht es unter anderem um die kontinuierliche Unterstützung der Demokratieförderung. Hier geht es also zusammengefasst a) um ein deutlich höheres Fördervolumen, b) eine Neuordnung der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus und c) um eine gleichberechtigte Einbeziehung dieser Initiativen in die organisatorische und inhaltliche Ausgestaltung zukünftiger Förderung. Von einer Fortführung einer Extremismusklausel findet sich in diesen einstimmig beschlossenen Empfehlungen des Deutschen Bundestages keine Silbe.

Drittens schließlich haben wir eine veränderte bundespolitische Konstellation zu beachten, denn die Extremismusklausel ist kein Bestandteil der Koalitionsvereinbarung, auf die Sie sich ja so gern berufen.

(Zuruf von David Petereit, NPD)

Das ist meines Erachtens folgerichtig, denn bei allen Diskussionspunkten im Einzelnen ist diese Klausel auch politisch verbrannt. Ein Bekenntnis zum Grundgesetz oder dessen Kernbereich, also der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, muss sich weniger ideologisch und streitbeladen umsetzen lassen. Erste Ansätze hierfür sind von der Bundesebene zu vernehmen. Es gäbe einen Kompromiss zwischen Bundesfamilien- und Bundesinnenministerium, so meldeten Tageszeitungen am 28. Januar. Es gäbe einen Kompromiss. Von der Zielstellung der Abschaffung sind wir also scheinbar noch ein Stück weit entfernt. Das verwaltungspolitische Prüfverfahren solle auf die schon früher übliche allgemeine Form der Demokratieerklärung reduziert werden. Es gibt also eine Absichtserklärung zu einer ideologischen Entschlackung, zu einer Ersetzung der sogenannten Extremismusklausel durch eine rationale Demokratieerklärung, eine Absichtserklärung, nicht mehr und nicht weniger, die wir aber mit unserer Beschlussfassung unterstützen sollten.

Um hier den Worten auf Bundesebene Taten folgen zu lassen, sollte also dieser Landtag ein klares Signal nach Berlin senden: Weg mit der Extremismusklausel! Wir nehmen auch damit die Abschiedsworte der ehemaligen Ministerin und Landtagskollegin Schwesig an uns gerichtet ernst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun bin ich gespannt auf Ihre Argumente zur Ablehnung unseres Antrages. Eins will ich Ihnen aber sagen: Sie können sich an dieser Stelle nicht damit herausreden, dass wir vielleicht mehr Geld fordern würden. Sie können auch nicht behaupten, dass man schon auf dem Weg sei oder dass alles geregelt ist. Nein, es gibt nur die Absicht. Dieser Absicht sollten wir folgen. Ich bitte Sie um Unterstützung unseres Antrages. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Herr Abgeordneter Petereit, Ihren Zwischenruf zu Beginn der Rede von Herrn Ritter weise ich als unparlamentarisch zurück.

(Zuruf von David Petereit, NPD)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Barlen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Zunächst einmal, Herr Ritter, handelt es sich um keine Absichtserklärung. Bundesministerin Schwesig hat in aller Deutlichkeit angekündigt, dass sie die von ihrer Vorgängerin Kristina Schröder als, ich nenne das mal, konservativen Marketinggag eingeführte sogenannte Extremismusklausel streichen wird.

(Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)

Und dabei bleibt es und so wird es kommen. Damals noch als Landesministerin hat Manuela Schwesig schon

2011 die ablehnende Haltung öffentlich gemacht und daran hat sich nichts geändert, außer dass sie jetzt selbst etwas ändern kann, und genau das wird Manuela Schwesig auch tun.

Noch mal zum Ursprung zurück: Die Beschreibung der Klausel als Marketinggag ist natürlich nur ein Teil der Wahrheit. Um eine zum Zeitpunkt der Einführung durch Kristina Schröder 2011 übrigens sachgrundlose Maßnahme handelt es sich tatsächlich, allerdings um eine Maßnahme mit so erheblichen Folgen für die Administration und Förderung von Demokratieprojekten, dass mittlerweile sehr vielen Beteiligten das Lachen im Halse sprichwörtlich steckengeblieben ist, und das allen voran wahrscheinlich der Ex-Extremistenjägerin Schröder

selbst, die ja nach einer glücklosen Amtszeit von der Ministerbürde entbunden wurde oder sich selbst hat entbinden lassen.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oder beides. – Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder beides.

Meine Damen und Herren, was völlig außer Frage steht bei der teilweise sehr und, ich gebe auch offen zu, in meinen Augen zu emotional geführten Debatte um die Extremismusklausel, fest steht eine ganz grundlegende Sache: Es gibt Menschen und Gruppen von Menschen in unserer Gesellschaft, die das politisch religiös oder, so nenne ich es, psychotisch motivierte Ziel verfolgen, unsere, so sagt es das Grundgesetz, freiheitlich-demo- kratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Und genau deshalb, weil es diese Menschen und diese Gruppen von Menschen gibt, ist es unsere gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, die Frieden und Demokratie sichernden Werte unserer Grundordnung gegen politische oder gegen religiöse Angriffe zu verteidigen und durch Prävention und Förderung das Bewusstsein über deren Wert und vor allen Dingen auch über deren Schutzwürdigkeit nachhaltig zu unterstützen.

Dabei treten Angriffe auf unsere Grundwerte in sehr vielfältiger Gestalt auf, neben Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Behindertenfeindlichkeit, Islamophobie, Sexismus und einigem mehr eben auch in der grundlegenden und verwerflichen Bereitschaft, Gewalt gegen andere Menschen, Gewalt gegen staatliche Institutionen und Gewalt gegen fremdes Eigentum für die Erreichung der eigenen politischen oder religiösen Ziele einzusetzen. So vielfältig die Gestalt der Angriffe auf unsere Grundsätze ist, so klar ist auch, dass es hinsichtlich der Häufigkeit und hinsichtlich der Schwere der Attacken genau eine Gruppe gibt, wo sich Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus, Homophobie, Islamophobie, Sexismus und vor allen Dingen auch die Bereitschaft zur Gewalt besonders verdichten.

(Michael Andrejewski, NPD: Welche mag das wohl sein?)

Welche mag das wohl sein? Und genau das ist das rechtsextreme Spektrum in Deutschland und in unserem Bundesland inklusive NPD, inklusive Kameradschaften und inklusive Autonomgruppierungen.