„sagen die deutschen Behörden. Dass ihn ein Leben im Elend in Italien erwartet, interessiert sie nicht.“
Und damit sind wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Dublin-II-Verordnung. Dabei handelt es sich um eine Verordnung der Europäischen Union, nach der der Mitgliedsstaat bestimmt wird, der für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist.
Diese Verordnung trat im März 2003 in Kraft und ersetzte das Dubliner Übereinkommen, weshalb sie kurz Dublin-IIVerordnung genannt wird.
Welcher Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, wird durch die in der Verordnung genannten Kriterien bestimmt. Diese Kriterien folgen im Wesentlichen dem Grundgedanken, dass der Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein soll, der die Einreise veranlasst hat oder nicht verhindert hat. Danach ist ein Staat zuständig, wenn der Asylsuchende mit einem von diesem Staat ausgestellten Visum in den Geltungsbereich der Dublin-II-Verordnung gelangt ist oder wenn er über die Grenzen eines Mitgliedsstaates illegal eingereist ist. Stellt der Asylsuchende in einem anderen Mitgliedsstaat einen Asylantrag, wird kein Asylverfahren mehr durchgeführt, sondern der Asylsuchende an den zuständigen Staat überstellt.
Der erste besteht darin, dass das Zuständigkeitskriterium der illegalen Einreise in seiner praktischen Auswirkung die grenznahen Mitgliedsstaaten übermäßig belastet.
Zweitens werden weder einheitliche Standards im Verfahren noch bei der Schutzgewährung vorausgesetzt. So klaffen die Anerkennungsquoten für Asylsuchende aus dem Irak, Afghanistan oder Somalia in den verschiedenen Mitgliedsstaaten weit auseinander. Dasselbe gilt für die Aufnahmebedingungen.
Und drittens beruht das Dubliner System letztlich auf dem Verursacherprinzip. Den grenznahen Staaten wird die Verantwortung für die Asylverfahren aufgedrängt, was zu immer schärferen Grenzkontrollen führt. Das aber wiederum hat zur Folge, dass die Flüchtlinge auf immer gefährlichere Fluchtrouten ausweichen, wie Yussuf.
In ihrem Memorandum „Flüchtlingsaufnahme in der Europäischen Union: Für ein gerechtes und solidarisches System der Verantwortlichkeit“ fordern die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Anwaltverein, die Diakonie, der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, die Neue Richtervereinigung, der Paritätische Wohlfahrtsverband und Pro Asyl, dass das Zuständigkeitskriterium der illegalen Einreise aufgegeben und an seiner Stelle das Prinzip der freien Wahl des Mitgliedsstaates eingeführt wird. Als Konsequenz wäre dann der Mitgliedsstaat zuständig, in dem als erstes der Asylantrag gestellt wurde, wenn keines der anderen Zuständigkeitskriterien greife, wie beispielsweise Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen oder Familienzusammenführung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN greift diese Forderung in dem Ihnen vorliegenden Antrag auf, weil wir der Überzeugung sind, dass nach der Tragödie von Lampedusa nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kann.
Aus Mecklenburg-Vorpommern erfolgten im Jahr 2012 nach Angaben des Landesamtes für Innere Verwaltung 44 Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung. Der Innenminister wird uns gleich erklären, dass diese vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angeordnet wurden. Leider berücksichtigen die Abschiebungsanord
nungen des BAMF nur in unzureichendem Maße, dass nicht nur die Asylverfahren in Griechenland, sondern auch die in Italien, in Malta und in Ungarn systematische Mängel aufweisen. Dorthin abgeschobene Flüchtlinge laufen Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Das ergibt sich unter anderem aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Schwerin.
Das Dubliner System kracht aus den Fugen. Im Koalitionsvertrag – dem zukünftig abzuschließenden – zwischen CDU, CSU und SPD liest sich das so, ich zitiere: „Die Länder an den Außengrenzen der EU sind mit einer großen Zahl von Flüchtlingen konfrontiert. Bei der EUFlüchtlingspolitik fordern wir mehr Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten.“ Zitatende.
Tja, meine sehr geehrten Damen und Herren, nehmen Sie diese Forderung ernst und stimmen Sie für unseren Antrag! – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Vizepräsidentin, erstens hat es keine Geburtsfehler, sondern es ist ein sehr gut funktionierendes System.
Zweitens bestimmen Sie als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Mecklenburg-Vorpommern nicht die Europapolitik, sondern sind für Landespolitik zuständig. Drittens kann ich kaum verstehen, wieso man die Ereignisse von Lampedusa mit der Frage von Dublin II verknüpft, und viertens wäre ich auch mal interessiert an Ihrem persönlichen Engagement bei der Unterbringung ganz persönlich von den Fällen, über die wir reden. Auch das gehört dann der Ehrlichkeit halber dazu.
Das schreckliche Schiffsunglück von Lampedusa mit weit über 300 Todesopfern hat die Menschen in ganz Europa erschüttert. Die Flüchtlinge hatten sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben kriminellen Schleusern in die Hände gegeben. Nach dem Kentern des völlig überladenen und ohne Rettungswesten und sonstigen -mitteln ausgestatteten Bootes konnten von circa 550 Flüchtlingen nur 155 Menschen gerettet werden.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, dieses Unglück und viele weitere, die gar nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden, verdeutlichen immer wieder, dass sich hinter dem Begriff des „Asylrechtes“ Menschen verbergen, die in ihrem Herkunftsland zumeist schweren Schicksals
schlägen ausgesetzt sind. Dem muss sich die Politik stellen, und zwar dort, wo sie auch die Zuständigkeiten hat, in der Diskussion, in der Lösung. Der heutige Antrag allerdings wird dem Anliegen der Flüchtlinge nicht gerecht, denn Sie schüren aus Mecklenburg-Vorpommern Hoffnungen in der Frage, die wir an der Stelle nicht erfüllen können und auch nicht erfüllen werden, und er würde im Ergebnis des Gesamten zu keiner Verbesserung der Lage führen.
Asylrecht wird und wird auch in Zukunft zu großen Teilen auf europäischer Ebene geschaffen. Sie selbst sind ja auf die Dublin-III-Verfahren eingegangen, die ab Januar 2014 anzuwenden sind. Sie wurden durch die euro- päischen Innenminister beschlossen und regeln Fragen der Zuständigkeit für das Asylverfahren, für das Asylantragsverfahren. In der Verordnung wird, wie wir meinen – die Innenminister der Länder, und zwar alle, egal, ob A oder B –, mit gutem Grund, an dem Grundsatz festgehalten, dass diejenigen Mitgliedsstaaten, über die ein Flüchtling aus einem Drittstaat einreist, auch die Verantwortung für das Asylrecht und für das Asylverfahren übernehmen. Von diesem Grundsatz kann in mehreren Fällen abgewichen werden, zum Beispiel zum Schutz der Familien und unbegleiteter Minderjähriger, aber auch zum Schutz der Asylbewerber vor Verfahren in Staaten, in denen systematisch Schwachstellen bei den Aufnahmebedingungen in der Gestaltung des Asylverfahrens vorliegen.
Dass die Praxis entgegen Ihrer Auffassung nicht zu einer Überlastung – und das, Frau Vizepräsidentin Gajek, würde ich Ihnen noch mal ganz deutlich darstellen wollen –, dass die Praxis entgegen Ihrer persönlichen Auffassung nicht zu einer Überlastung von EUGrenzstaaten führt, ist anhand der allgemein zugänglichen Zahlen einfach belegbar. Während in Deutschland als Mitgliedsstaat ohne Außengrenze auf 1 Million Einwohner 946 Flüchtlinge kommen, sind es in Italien – und darauf haben Sie abgehoben – beispielsweise eben nur 260. In Deutschland 946, in Italien 260.
Wenn es um einen Vergleich der absoluten Asylbe- werberzahlen in der EU geht, kann Deutschland für sich sogar verbuchen, die meisten Schutzsuchenden aufzunehmen. So wurden im vergangenen Jahr rund 330.000 Asylanträge in der EU gestellt, davon alleine 77.500 in Deutschland. Das sind rund 23,3 Prozent der Asylsuchenden in Europa, über die wir reden, wo wir 28 Mitgliedsstaaten haben, die aufnahmeberechtigt sind. Davon nimmt Deutschland 23,3 Prozent auf. Die Zahlen zeigen also, dass Deutschland sowohl seiner Mitverantwortung für das Menschenrecht auf Asyl als auch seiner solidarischen Verantwortung gegenüber den europäischen Mitgliedsstaaten in einem hohen Maße gerecht wird, und dazu leistet das Bundesland MecklenburgVorpommern seinen Beitrag.
Hingegen ist festzustellen, dass zwar ganz sicher die Insel Lampedusa wegen der großen Zahl der dort anlandenden Flüchtlinge mit großen Herausforderungen zu kämpfen hat, Italien insgesamt hat jedoch deutlich weniger Antragsteller als der EU-Durchschnitt.
Das von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nun geforderte Prinzip der freien Wahl des Mitgliedsstaates
wurde weder von dem Europäischen Parlament, in dem auch die GRÜNEN sitzen, im Oktober 2013 gefordert, noch wird es auf Bundesebene befürwortet. Auch ich lehne es ab, da es zu Sogwirkungen und der Konzentration von Flüchtlingsströmen führen würde. Sie selber sehen ja schon die dadurch entstehenden ungleichmäßigen Belastungen voraus.
Eine gerechtere Verteilung der Asylbewerbungsverfahren in den EU-Mitgliedsstaaten ist danach von vornherein dann nicht mehr umzusetzen.
Befürworten kann ich lediglich Ihre Forderung nach einer Verbesserung der Lebensrettungsmaßnahmen für Flüchtlinge. Seenotrettung ist eine internationale Verpflichtung. Dieser Hilfeleistung für Flüchtlinge muss Vorrang eingeräumt werden vor nationalen Vorschriften, die hierzu eventuell im Widerspruch stehen. Leider bin ich nicht zuständig für die Änderung nationaler Vorschriften anderer Mitgliedsstaaten. Was ich als Innenminister des Landes dazu tun kann, ist bereits getan.
Die Innenministerkonferenz in der vergangenen Wo- che hat gegenüber der Bundesregierung die Erwartung geäußert, sich in enger Abstimmung mit den anderen Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission für die Stärkung der Aktivitäten von Frontex im Mittelmeer und an den südöstlichen Grenzen der EU einzusetzen und die entsprechenden Bedingungen dafür auch ein- zufordern. Bei dieser Maßnahme muss konsequent auf die Einhaltung menschenrechtlicher und humanitärer Standards geachtet werden. Dazu gehört selbstverständlich auch die Maßnahme der Seenotrettung. Ähnliches ist übrigens auch – und Sie haben das ja teilweise schon zitiert – auf Seite 109, je nachdem, welche Fassung des Koalitionsvertrages der eine oder andere hat, auf Seite 109 des Koalitionsvertrages der zu erwartenden Bundesregierung und der Großen Koalition in Berlin zu lesen.
Die umfassende Wahrung des völkerrechtlichen Grundsatzes der Nichtzurückweisung ist ebenso zwingend. Menschen dürfen nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. So steht es in der Genfer Flüchtlingskonvention und so müssen wir es auch handhaben. Die Fragen der Sicherung der Außengrenze sind aber – da können wir uns die Welt nicht schönreden – auch vor dem Hintergrund des SchengenAbkommens zu beurteilen. Dass die Umsetzung dieses Abkommens nicht zu menschenrechtsverletzenden
Handlungen der Grenzschützer einzelner Mitgliedsstaaten führen darf, steht für alle Beteiligten außer Frage.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, der Antrag zu Ziffer II verkennt die fehlenden Zuständigkeiten. Eine Aufforderung an die Landesregierung ist hier fehl am Platze, denn die Einstufung von Mitgliedsstaaten als solche mit systematischen Mängeln im Asylbewerbungsverfahren obliegt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es entscheidet hierüber durch rechtsmittelfähige Bescheide, die einer gerichtlichen Überprüfung standhalten müssen, und nicht aufgrund einer im Parlament beschlossenen Empfehlung oder Sonstigem. Das entscheiden Gerichte und das ist auch richtig und gut so.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, das gemeinsame europäische Asylsystem sieht hohe Schutzstandards vor und gewährleistet wirksame – und manchmal wünschen wir uns auch schnellere – Verfahren, mit denen auch Missbrauch verhindert werden kann und verhindert werden soll. Es kommt nunmehr darauf an, dass alle Mitgliedsstaaten die festgelegten Regelungen im Verfahren zügig und möglichst einheitlich umsetzen. Die großen Unterschiede, die in der Europäischen Union bei der Aufnahme von Schutzsuchenden in der Praxis bestehen, müssen konsequent abgebaut werden. Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge ist dabei in besonderem Maße gefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und für die Einhaltung der Regelungen in der Praxis zu sorgen.
Der Antrag Ihrer Fraktion, liebe Frau Gajek, trägt dazu nicht bei, und es ist auch nicht Aufgabe des Parlaments. Deswegen kann ich Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich selbst fühle mich als EU-Bürgerin und die Idee der EU wird von mir voll unterstützt. Ich persönlich bin auch sehr daran interessiert, dass wir dieses erfolgreiche Modell weiter ausbauen. Ich bin also stolz auf die EU als Konstrukt, von der Flüchtlingspolitik der EU kann ich das leider nicht behaupten. Und wie schon häufig von dieser Stelle zu beobachten war, tun sich da doch so einige Differenzen in der Betrachtungsweise der Dinge zwischen dem geschätzten Herrn Innenminister und mir und der SPD-Fraktion insgesamt auf, aber ich möchte trotz alledem auch noch mal einen etwas kritischeren Blick auf die EU-Politik an dieser Stelle werfen.
Also die Katastrophe, die Schiffskatastrophe vor Lampedusa hat natürlich die Medien aufgescheucht, hat weithin für Entsetzen gesorgt, aber bereits acht Tage später versank vor der italienischen Insel wieder ein Schiff und wieder waren über 250 Menschen betroffen. Dieses Mal kamen sie allerdings nicht aus Afrika, sondern in der Hauptsache aus Syrien. Also wieder über 250 Menschen, die hier ihr Leben verloren. Das wurde in der Öffentlichkeit schon viel weniger wahrgenommen und auch medial viel weniger bewegt. Erschütternd ist dabei ganz besonders, dass die Recherchen eines italienischen Journalisten belegen, dass die Opfer dieser zweiten Katastrophe eigentlich hätten vermieden werden können. Was ist der Grund? Die Zuständigkeiten waren nicht klar und Italien schob die Zuständigkeiten einfach an Malta ab. Durch diesen Zeitablauf trat der Beginn der Hilfsaktion erst wesentliche Stunden später ein, als es eigentlich hätte sein können. Somit kam es, dass vielen Menschen halt nicht mehr zu helfen war.