Protocol of the Session on September 5, 2013

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit jetzt eineinhalb Jahren wird das Thema Gerichtsstrukturreform schon diskutiert und allein in den Plenarsitzungen dieses Landtages haben wir heute das siebte Mal diesen Tagesordnungspunkt auf der Tagesordnung. Dennoch habe ich immer den Eindruck, und der hat sich gerade erneut bestätigt, dass vieles bewusst falsch dargestellt, nicht verstanden oder einfach ignoriert wird. Deshalb will ich Ihnen erneut die Gründe für die Gerichtsstrukturreform wiederholen. Und jetzt, Frau Borchardt, hören Sie mal hin!

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ich höre immer zu, wenn Sie reden. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Ziel – ich wiederhole es –, Ziel dieser Reform ist es, für die Justiz im Land dauerhaft tragfähige Strukturen zu schaffen und damit die Justiz im Land langfristig zukunftsfähig zu machen. Und das habe ich von Anfang an auch so betont. Wir wollen damit Strukturen schaffen, die auch in 10 oder 15 Jahren noch effizient und bedarfsgerecht sind. Anders als im Bereich von Wirtschaft oder Verwaltung können wir nämlich nicht flexibel und kurzfristig auf veränderte Rahmenbedingungen und Anforderungen reagieren. Richter können eben nicht nach aktuellem Bedarf einem Gericht zugewiesen werden. Gerichte können nicht durch Entscheidungen meines Ministeriums eröffnet, geschlossen oder zusammengelegt werden. Und deswegen ist es Aufgabe der Landesregierung und auch des Parlaments, vorausschauend und langfristig zu denken und zu handeln.

Bereits heute müssen wir die Weichen stellen, um die Justiz im Interesse der Bürger fit zu machen für die Anforderungen von morgen und übermorgen. Wenn wir heute nicht handeln und uns gegen eine Neuordnung stellen, gefährden wir die Zukunft unserer Rechtspflege. Und nur um die geht es, meine sehr geehrten Damen und Herren,

(Zuruf von Helmut Holter, DIE LINKE)

es geht um die Zukunft der Rechtspflege in diesem Land. Größere Gerichtseinheiten sind überlebenswichtig für die Justiz in unserem Land.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist doch Quatsch! Reden Sie mit den Fachleuten! Die ist nicht einmal belegt, diese These.)

Fakt ist, die Geschäftsentwicklung an den Amtsgerichten ist rückläufig und dieser Trend hat sich auch im Jahr 2012 fortgesetzt. Und vor diesen Tatsachen können wir nicht einfach die Augen verschließen. Wo heute noch vier Richter tätig sind, werden es im Jahr 2025 dann nur noch einer oder zwei sein. Bedenken Sie auch, schon heute ist es an den kleineren Amtsgerichten unseres Landes in

Urlaubszeiten oder bei Krankheitsfällen schwierig, eine ausreichende Vertretung zu gewährleisten. Und ich werde nicht warten, bis ein Schild an der Tür hängt: „Bis auf Weiteres wegen Krankheit geschlossen.“ Der Rechtsuchende hat nicht die Möglichkeit, sich ein anderes Amtsgericht zu suchen,

(Michael Andrejewski, NPD: Land der Generationen.)

denn eine Vertretung durch ein anderes Amtsgericht ist nicht möglich, eine Vertretungsregelung zwischen Haupt- und Zweigstelle dagegen schon. Größere Einheiten ermöglichen zudem eine Spezialisierung, die unbestreitbar zu einer effizienteren Verfahrenserledigung beitragen kann.

Warum, meine Damen und Herren, meinen Sie, dass sich Rechtsanwälte auch immer mehr spezialisieren? Und ich meine, unsere Richter sollten auch gegenüber diesen spezialisierten Rechtsanwälten nicht im Nachteil sein. Auch die Betroffenen selbst haben dies in den Anhörungen bestätigt. Das können Sie nachlesen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um die Frage, wie wir die Justiz zukunftsfest machen können und dabei bürgerfreundlich bleiben. Ich bin überzeugt davon, dass uns mit unserem Vorschlag, 16 Standorte vorzuhalten, genau dies gelingen wird. Und ich bin überzeugt, dass gegenüber einem von Urlaub oder Krankheit gelähmten Amtsgericht schnelle und qualitativ hochwertige Entscheidungen in jedem Fall bürgerfreundlicher sind. Man kann natürlich, wie Sie es zum Teil bei den Anhörungen gehört haben, als Ausgleich mehr Personal für die kleinen Gerichte fordern. Dies würde aber letztlich dazu führen, dass wir mehr Personal beschäftigen müssen, als nach der Geschäftsbelastung erforderlich wäre.

(Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Vielleicht immer noch besser, als das Geld in Pferde zu stecken.)

Die Forderung, kleinere Gerichte von Einsparmaßnahmen generell und damit unabhängig vom Personalbedarf auszunehmen, belegt doch ganz deutlich, dass diese nicht in gleicher Weise in der Lage sind, ihren Personaleinsatz so effizient zu gestalten wie große Gerichte.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Der Schimmelreiter. – Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Und noch mal, meine sehr geehrten Damen und Herren, trotz dieses Zwanges zur Bildung größerer Einheiten zieht sich die Justiz auch künftig nicht aus der Fläche zurück.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Nein, natürlich nicht. Wir schließen bloß die Hälfte der Standorte, aber wir ziehen uns nicht aus der Fläche zurück.)

Alle für den Bürger wichtigen amtsgerichtlichen Aufgaben, wie Rechtsantragstelle, Beratungshilfe oder Betreuungssachen, werden auch weiterhin an 16 Standorten im ganzen Land erledigt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Reduzierung von 21 auf 16 ist weder eine Halbierung noch ein Kahlschlag, sie führt nicht zur Unerreichbarkeit der Gerichte und gefährdet auch nicht den Rechtsgewährungsanspruch.

Machen Sie sich doch bitte noch einmal deutlich, wie oft man zu Gericht muss! Ein Gericht gehört nun mal nicht zu den Einrichtungen des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel Einkaufseinrichtungen oder ein Arzt. Und eben – ich habe es sehr interessiert verfolgt, Herr Holter – haben Sie selbst die Gerichte nicht einmal erwähnt, als Sie über die Bedürfnisse der Bürger in unserem Land gesprochen haben bei Ihrer wirklich langen Aufzählung, was wichtig ist. Die Gerichte kamen bei Ihnen auch nicht mehr vor.

(Zurufe von Barbara Borchardt, DIE LINKE, und Peter Ritter, DIE LINKE)

Und noch eins, meine Damen und Herren von der Opposition und insbesondere von den LINKEN! Hartz-IVBezieher, Menschen mit Behinderungen, Rentner oder Kranke – all denen muten wir seit Langem den Weg zu den vier Sozialgerichten im Land zu, und das auch während Ihrer Regierungszeit. Da sind Sie nie auf die Idee gekommen, dass das unzumutbar für die Bürger im Lande ist. Und den Klägern an den Amtsgerichten soll das bei einer vierfach höheren Standortzahl nicht zumutbar sein?

Meine Damen und Herren, hartnäckig wird auch immer wieder behauptet, Zweigstellen bedeuten den Tod auf Raten, das hätten bundesweit alle Zweigstellen gezeigt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dann gucken Sie mal nach Malchin!)

Ja, meine Damen und Herren, das war ja auch bisher richtig so. Das war ja auch bisher richtig so.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Solange Martin Brick noch da war, hat sich keiner getraut, aber dann, klick.)

Warten Sie mal ab, Herr Ritter!

Das war bisher so und das war sogar bundesweit richtig so. Und warum? Weil bundesweit alle Zweigstellen mit dem Ziel, ich wiederhole, mit dem Ziel etabliert wurden, diese zu schließen, sobald eine Aufnahme der Mitarbeiter am Hauptstandort möglich war. Sie waren von Anfang an auf Schließung ausgelegt. Und nehmen Sie bitte endlich zur Kenntnis, wir beschreiten hier neue Wege!

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, die Erde ist eine Scheibe. – Jochen Schulte, SPD: Ich hab das immer schon gewusst, Herr Ritter.)

Als dauerhaft zu erhaltende Zweigstellen soll deren Existenz bundesweit erstmalig durch Gesetz gesichert werden.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das glauben auch bloß Sie.)

Nur Sie, meine Damen und Herren, können zukünftig über die Existenz von Zweigstellen entscheiden. Es bedarf einer Gesetzesänderung, eines neuen Gesetzgebungsverfahrens, wenn eine Zweigstelle geschlossen werden soll. Sie sind damit genauso sicher wie Amtsgerichte. Richtig ist allerdings, Zweigstellen haben nicht nur Vorteile, das ist auch in den Anhörungen deutlich geworden, aber sie sind ein tragfähiger Kompromiss zwischen der notwendigen Gesamtgröße eines Gerichts und dem größtmöglichen Erhalt der Gerichtsstandorte in der Fläche.

Ein anderer Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die wiederholt geäußerte Befürchtung – und ich habe es gerade eben wieder gehört – eines Rückgangs des ehrenamtlichen Engagements, sei es bei den Schöffen oder den Betreuern. Hierzu möchte ich Folgendes klarstellen: Wesentliche Aufgabe eines rechtlichen Betreuers ist es nicht, den Betreuten vor Gericht zu vertreten. Ein direkter Kontakt zwischen Betreuer und Gericht ist im Regelfall nur bei der erstmaligen Bestellung zwingend notwendig. Informationen und Beratung kann der Betreuer auch bei einem der 31 Betreuungsvereine im Land erhalten, deren vom Land geförderte Aufgabe die Unterstützung der ehrenamtlichen Betreuer ist.

Und nun noch kurz ein Wort zu den Schöffen. Hier möchte ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass Schöffensachen schon jetzt nur bei einem Teil der 21 Amtsgerichte konzentriert sind. Beispielsweise werden bereits heute in Wolgast, in Ueckermünde, in Anklam oder Grevesmühlen keine Schöffensachen verhandelt. Und das wird nur allzu gern in der Diskussion unterschlagen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Ihrem Antrag und auch eben sprechen Sie weiterhin die finanziellen Auswirkungen der Reform an. Anders als Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, suggerieren, wurden diese bereits dargestellt, und zwar nicht nur im Gesetzentwurf, sondern auch schon im vorangegangenen Konzept vom August 2012.

Dabei habe ich aber stets unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, Einsparungen stehen nicht im Vordergrund der Reform. Es geht, ich wiederhole es, vielmehr um eine effiziente und zukunftsfähige Justiz. Dieser positive Effekt, der lässt sich überhaupt nicht in Euro und Cent berechnen. Dennoch wird die Strukturveränderung auch zu ganz handfesten Einsparungen führen, trotz des Mehraufwandes, der am Anfang einer jeden solchen Reform anfällt.

Und die Einsparungen ergeben sich vor allem bei den Unterbringungskosten für die Justizdienststellen. Es ist auch richtig, dass wir an einigen Standorten, insbesondere Greifswald und eventuell Stralsund, investieren müssen, um die Reform umzusetzen. Dafür sparen wir durch die Reform aber an anderen Standorten erhebliche Kosten.

Also auch wenn wir an einigen Standorten investieren müssen, führt die Reform in der Gesamtrechnung über einen Zeitraum von 25 Jahren nach dem aktuellsten Stand immer noch zu Einsparungen von rund 33 Millionen Euro. Ich wiederhole: Sie führt zu Einsparungen. Und damit ist die Reform auch wirtschaftlich sinnvoll.

(Vizepräsidentin Beate Schlupp übernimmt den Vorsitz.)

Und zwar führt sie auch zu Einsparungen unter Beachtung aller Mehr- oder Minderausgaben, Einsparungen von 33 Millionen Euro im Saldo.

Eine Selbstverständlichkeit ist es, dass die Einsparungen heute noch nicht ganz konkret auf Heller und Pfennig oder besser Cent berechnet werden können. Die Berechnungen sind vielmehr ständig fortzuschreiben, so, wie es die Landeshaushaltsordnung vorsieht. Und der Betrieb für Bau und Liegenschaften konkretisiert laufend und in enger Abstimmung mit dem Justizministerium und

der gerichtlichen Praxis seine Planungen für die zukünftige Unterbringung der Gerichte.

Ein weiterer, vielfach angesprochener Punkt und auch eben wieder angesprochener Punkt ist die Entwicklung der Verfahrenskosten. Diese lässt sich nun mal schwer einschätzen, da sie von vielen Variablen abhängig ist. Sie wissen heute nicht, von wo ein Rechtsanwalt kommt, der ein Verfahren an einem Amtsgericht führt.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Die Landesregierung weiß das aber.)

Wir sind hier verschiedenen Berechnungsansätzen,

(Helmut Holter, DIE LINKE: Ihre Anwälte kommen aus guten Kanzleien.)

wir sind hier verschiedenen Berechnungsansätzen nachgegangen und haben schließlich einen Betrag von 250.000 Euro pro Jahr über 25 Jahre in die Berechnung eingestellt. Auch wenn dabei vieles unsicher ist, eines steht jedoch fest: Die in der Anhörung angesprochenen Berechnungsversuche der Anwaltschaft oder einzelner Gerichtsdirektoren, die können nicht zugrunde gelegt werden.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Warum nicht?)

Meine Damen und Herren, das ist dem Finanzausschuss ganz deutlich dargelegt worden. Diesen mangelt es nämlich an Plausibilität. Sie haben hier Mehrkosten genannt, die ein Direktor eines Amtsgerichts nennt,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Habe ich nicht gesagt.)