Protocol of the Session on May 30, 2013

Sie werden sich, lieber Kollege Dachner, wenn Sie mal aufmerksam meinen Reden folgen würden, daran erinnern,

(Manfred Dachner, SPD: Richtig.)

dass ich in meinen Redebeiträgen im Zusammenhang mit den NSU-Verbrechen bereits mehrfach darauf aufmerksam gemacht habe, dass es seit Jahren eine Differenz gibt zwischen der offiziellen Statistik und den Recherchen zum Beispiel von Medien.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir brauchen eine gesellschaftliche Atmosphäre, die ermutigt, gegen politischen Extremismus und Gewalt das Wort zu erheben“,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

so nachzulesen im einstimmig angenommenen Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages vom 22. November 2011 in der Debatte zur Mordserie der Neonazibande und Arbeit der Sicherheitsbehörden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich die Entstehung des vorliegenden Antrages vor Augen führt, wird erkennbar, dass wir hier im Landtag von einer derartigen Atmosphäre noch ein Stück weit entfernt sind. Da wird eine Kleine Anfrage der GRÜNEN von der Landesregierung in einer Art und Weise beantwortet, welche die SPD-Fraktion veranlasst, eine Berichterstattung des Innenministers im Innenausschuss zu fordern. Und ich füge ein als ehemaliger Koalitionspolitiker, das finde ich schon erstaunlich, dass eine Fraktion der Koalition eigenständig einen Antrag stellt, um einen Minister der eigenen Koalition zur Berichterstattung im Ausschuss aufzufordern.

(Minister Lorenz Caffier: Das ist doch kein Problem.)

Dieser – lieber Kollege Innenminister, das war deutlich zu spüren – war sehr verschnupft ob dieser Herangehensweise der SPD-Fraktion und will letztendlich aber doch nicht als der Dumme dastehen. Der SPD-Fraktionschef wollte das Ganze, wie zu lesen war, nicht auf dem Marktplatz austragen, sodass die Presse vermutet, die SPD will die Öffentlichkeit ausschließen, eine Vermutung, die ich nach dem Redebeitrag des Kollegen Müller doch sehr deutlich bejahen möchte.

(Heinz Müller, SPD: Oooch! Dann haben Sie mir aber nicht zugehört. – Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bleibe dabei,

(Heinz Müller, SPD: Dann haben Sie mir nicht zugehört.)

und ich bleibe deshalb dabei: Das ist eine unwürdige Debatte,

(Manfred Dachner, SPD: Das sind aber nur Unterstellungen.)

auch und vor allem – und auch da wiederhole ich mich –,

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

weil das Problem keinesfalls neu ist und sich die Zahlen und Angaben über Opfer von rechtsextremer Gewalt von den zuständigen Behörden einerseits sowie von Verbänden oder der Medienöffentlichkeit andererseits unterscheiden. Und dies hat doch Ursachen außerhalb von einfachen Rechenarten, Herr Müller! Als ehemaliger Lehrer müssten Sie das wissen und darüber müssen wir sprechen.

Dabei ist es für mich zweitrangig, wer unter welchen politischen Konstellationen bei Anlegen welcher Kriterien zu welcher Opferzahl gelangt. Mir geht es darum, der Öffentlichkeit, die ein berechtigtes Interesse hat, glaubhaft versichern zu können, dass die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden des Landes Mecklenburg-Vorpommern eben nicht zum sogenannten Kartell der Verharmloser gehören. Ich will verlässlich davon ausgehen können,

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

genauso wie die Öffentlichkeit, dass Sicherheits- und Ermittlungsbehörden den rechtsextremen Alltagsterror in unserem Land nicht bagatellisieren. Dabei darf es nicht

den geringsten Anschein von Vertuschen oder Geheimniskrämerei geben und dabei geht es überhaupt nicht darum, irgendetwas auf irgendeinen Marktplatz zu tragen. Die Probleme und Fragen sind doch längst öffentlich und verlangen nach öffentlicher Aufklärung und Verantwortung. Und darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte ich mir auch gewünscht, dass sich der Innenminister hier und heute an der Debatte beteiligt.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren …

Herr Dachner, das können Sie dann gerne noch mal laut am Pult sagen, damit es auch alle mitbekommen, wo Sie Ihre Schwerpunktsetzung sehen.

(Manfred Dachner, SPD: Jaja, das tun wir auch.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Befassung des Innenausschusses mit dieser Thematik Anfang Juni macht den vorliegenden Antrag nicht überflüssig,

(Udo Pastörs, NPD: Herr Ritter, ich weiß, dass der Minister gleich noch reden wird.)

sonst würden wir seine Abarbeitung einleiten.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Zum anderen zielt unser Antrag darauf, die anstehenden Debatten öffentlich zu führen, darum geht es uns. Sollte, und das ist ja angekündigt, der Antrag heute keine Mehrheit finden, kündige ich an, dass wir im Innenausschuss Mittel und Wege finden werden und beantragen, diese Debatte auch im Ausschuss öffentlich zu führen. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat nun der Abgeordnete Herr Silkeit von der Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Fraktion DIE LINKE die Landesregierung auf, fünf Tötungsdelikte aus den Jahren 1996 bis 2001 auf einen möglichen rechtsextremen Hintergrund zu überprüfen. Hinsichtlich Ihrer Forderungen nach Aufklärung von Straftaten und der Aufdeckung möglicher extremistischer Motive stimme ich mit Ihnen vollkommen überein. Diese Einigkeit ist allerdings nur grundsätzlicher Natur, denn schon bei der Bewertung Ihres Antrages werden unsere Meinungen wieder auseinandergehen. Gestatten Sie mir jedoch zunächst einige Anmerkungen zur Vorgeschichte.

Dem vorliegenden Antrag ging eine Kleine Anfrage, Kollege Müller hat es erwähnt, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN voraus, in der sie auf die Berichterstattung im „Tagesspiegel“ und in der „Zeit“ vom 21.03.2013 abstellt. In beiden Zeitungen wurde eine Diskrepanz zwischen eigener Recherche und offiziellen Statistiken festgestellt. So gingen die Medienvertreter von 152 getöteten Menschen aus und die Bundesregierung lediglich von 63.

Das von den Bündnisgrünen aufgeworfene Thema erfährt aber schon viel länger mediale Aufmerksamkeit,

das haben Sie zu Recht festgestellt, Herr Ritter. So veröffentlichten die „Frankfurter Rundschau“ und „Der Tagesspiegel“ bereits am 14. September 2000 eine Chronik, in der 93 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 aufgeführt waren. Die Liste wurde von beiden Zeitungen am 5. Oktober 2001, am 6. März 2003, am 16. September 2010 und letztmalig am 21. März 2013 aktualisiert und allen Berichterstattungen folgten entsprechende inhaltlich

identische Anträge der PDS-Bundestagsfraktion beziehungsweise der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.

Ich habe mal exemplarisch eine Antwort der Bundesregierung herausgezogen. Diese antwortete am 12. Mai 2006 auf eine Kleine Anfrage der linken Abgeordneten Ulla Jelpke: „Die Bewertung und Erfassung von Straftatsachverhalten als politisch motivierte Kriminalität erfolgt nach Maßgabe des Definitionssystems ‚Politisch motivierte Kriminalität‘ und obliegt den jeweils sachlich und örtlich zuständigen Polizeidienststellen der Länder. Erkenntnisse, die eine Veränderung der Bewertung und Erfassung angezeigt erscheinen lassen, finden selbst nach Abschluss der jeweiligen Ermittlungen Berücksichtigung. Dieser Prozess wird seitens der Bundesregierung aktiv begleitet.“ Es gibt unzählige Antworten der Bundesregierung, wo in der Tat dann auf Einzelfalländerungen hingewiesen wurde. Es ist also alles hervorragend archiviert im Archiv des Deutsches Bundestages.

Mit der Antwort der Bundesregierung wissen wir zumindest, wie seit dem 01.01.2001 verfahren wird. Kleine Erinnerung, dort fand nämlich einer der entscheidenden Paradigmenwechsel statt. Otto Schily setzte nämlich im Grunde genommen, wie soll ich sagen, einen Punkt hinter eine der möglichen Diskrepanzen bei der Deutung dieser Straftaten. Denn eine Diskrepanz ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass politisch motivierte Kriminalität bis zu dem Tag anders erfasst wurde. Bis zum Jahr 2000 wurden unter dem Begriff der politisch motivierten Kriminalität Straftaten erfasst, die sich gegen die demokratische Grundordnung, insbesondere den Staatsaufbau wendeten. „Systemüberwindung“ war damals das Stichwort.

Die neue Definition der politisch motivierten Kriminalität weicht oberflächlich nicht so sehr von ihrer Vorgängerin ab. Den maßgeblichen Unterschied macht aber der Verzicht auf die „Systemüberwindung“ aus und es werden neben den klassischen Staatsschutzdelikten auch andere politisch motivierte Straftaten erfasst, die ebenso in der allgemeinen Kriminalität begangen werden können.

Eine Erfassung solcher Straftaten erfolgt, „wenn“, ich zitiere, „in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass sie sich insbesondere gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten“.

Es sollen also Straftaten mit linksextremistischer, rechtsextremistischer oder auch religiöser Motivation erfasst werden. Die Fallzahlen werden von den Polizeibehörden der Länder erhoben und über die Landeskriminalämter dem Bundeskriminalamt zur bundesweiten Erfassung und Auswertung übermittelt. Ob eine Gewalttat nun eine rechtsmotivierte Tat ist, ist aber eine Frage der Interpretation. Diese wird grundsätzlich zuerst durch die Polizei vorgenommen. Auf mögliche politische Tathintergründe

geht dann die Justiz mittels der Staatsanwaltschaften und der Gerichte ein, soweit dies für die Urteilsfindung erheblich ist. Die Berücksichtigung eines politischen Tatmotivs im Urteil begegnet jedoch dem praktischen Problem, dass sich der Täter regelmäßig nicht eindeutig zu seinem Tatmotiv geäußert hat.

Meine Damen und Herren, dem Rechtsstaat ist mit einer Verurteilung wegen Totschlags, Mordes oder Körperverletzung mit Todesfolge hinreichend Genüge getan. Viele Rechtswissenschaftler – und diese Warnung finden Sie beileibe nicht nur aufseiten von Wissenschaftlern, die mit der CDU sympathisieren, sondern ich habe mir da auch ein Zitat rausgesucht von einer türkischen Homepage, die sich mit solchen gesellschaftspolitischen Problemen beschäftigt –, viele Rechtswissenschaftler warnen vor einer leichtfertigen Annahme eines politischen Tatmotivs. Im schlimmsten Fall würde ein Revisionsgrund geschaffen werden, der den Bestand des gerichtlichen Urteils in Gänze gefährdet. Das muss man sich einfach immer wieder vor Augen führen!

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist jetzt aber weit hergeholt.)

Ich habe gerade gesagt, das ist nicht meine Meinung, sondern das ist die Meinung vieler Rechtswissenschaftler, Herr Suhr. Das können Sie alles gerne nachlesen.

Damit wäre keinem geholfen, das müssen wir uns vor Augen führen. Aus diesem Grund wird sich eine solche Feststellung in den Urteilsgründen auch nur dann finden, wenn die politische Motivation zweifelsfrei festgestellt werden kann und für die Verurteilung notwendig war. Das ist ein Rechtsgrundsatz.

Sehr geehrter Herr Suhr, ich komme nun auf Ihre Kleine Anfrage zurück. Sie fragten die Landesregierung, warum in diesen fünf Tötungsdelikten ein rechtes Motiv verneint worden ist. Die Antwort der Landesregierung auf Ihre Frage war klar und deutlich. Dort heißt es, ich zitiere: „… in den … dargestellten Fällen konnten keine Anhaltspunkte beziehungsweise Tatsachen festgestellt werden, die eine rechtsgerichtete Tatmotivation begründet hätten.“ Diese Antwort ist, und das will ich gerne zugeben, kurz, aber dennoch prägnant. Es gab keine Anhaltspunkte, um von einem rechten Hintergrund auszugehen.

Damit Ihnen diese Antwort genau erläutert werden kann, haben der Innenminister sowie der Generalstaatsanwalt – Herr Müller hat es bereits angekündigt – zugesagt, im Innenausschuss im Juno Rede und Antwort zu stehen. Ich denke, wir können dem Innenausschuss durchaus eine entsprechende Aufarbeitung zutrauen. Im Ausschuss haben alle Fraktionen die Möglichkeit, konkrete Fragen zu stellen. Dass über die Ergebnisse dieser Befragung des Innenausschusses die Öffentlichkeit ausführlich informiert wird, versteht sich von selbst, auch das ist Ihnen bekannt, Herr Suhr, dafür sorgen wir ja selber schon als Abgeordnete.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, mir macht ein anderer Aspekt Ihres Antrages viel größere Sorgen. Am Dienstag bezeichnete unser Bundespräsident staatliche Institutionen als sichere Anker der Demokratie hier von dieser Stelle aus. Ich bin mir sicher, dass er damit auch Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte in Mecklenburg-Vorpommern meinte. Ich hoffe nicht, dass Ihr Antrag Ausdruck eines generellen