Mehrere Monate lang hatten die beiden Zeitungen Gerichtsurteile ausgewertet und Staatsanwaltschaften, Polizeibehörden, Nebenklagevertreter sowie Hinterbliebene befragt.
In zahlreichen Fällen hätten Polizei und Justiz ein rechtes Motiv nicht oder nur unzureichend wahrgenommen, darunter auch in fünf Fällen aus Mecklenburg-Vorpommern.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Landesregierung in Form einer Kleinen Anfrage gefragt, warum in diesen fünf Fällen ein rechtes Motiv verneint wurde. Die Antwort lautete, ich zitiere: „Zu den in den Fragen 1 bis 5 dargestellten Fällen konnten keine Anhaltspunkte beziehungsweise Tatsachen festgestellt werden, die eine rechtsgerichtete Tatmotivation begründet hätten.“
Sehr geehrte Damen und Herren, diese Antwort ist aus unserer Sicht zumindest oberflächlich. Ich persönlich glaube, dass diese Antwort unrichtig ist.
Wie die Dokumentation „152 Schicksale. Sie starben, weil sie anders waren“ von „Tagesspiegel“ und „Zeit“ zeigt, gab es in jedem einzelnen der fünf Fälle – es gibt ja noch mehr Fälle, die untersucht worden sind, bei denen man zunächst nicht zu diesem Ergebnis gekommen ist –, aber in diesen fünf Fällen gab es in jedem Einzelfall Anhaltspunkte für eine rechtsgerichtete Tatmotivation.
Es stellt sich daher die Frage, warum Polizei und Justiz diese nicht als solche erkannt und benannt haben.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD- und der CDU-Fraktion! Sehr geehrter Herr Innenminister! Manchmal kann Politik eigentlich ganz einfach sein.
Einfach wäre etwa, wenn man nach Bekanntwerden des Rechercheergebnisses ebenso selbstbewusst wie selbstverständlich eine Überprüfung der einzelnen Fälle eingeleitet hätte und sich ebenso selbstverständlich und selbstbewusst den Fragen der Öffentlichkeit gestellt hätte.
Und wenn Sie diese Prüfung eingeleitet hätten, dann hätte diese vielleicht ergeben, dass im Fall des 26jährigen Boris M. aus Wolgast, der von zwei Skinheads mit Springerstiefeln und Faustschlägen malträtiert worden ist, allein dies genug Grund war, um genauer zu untersuchen, ob hier eine rechtsextremistisch motivierte Straftat vorliegt.
Vielleicht hätte diese Prüfung auch ergeben, dass es sehr wohl ein ernst zu nehmender Hinweis auf eine rechtsextremistisch motivierte Straftat ist, wenn die Täter, wie im Fall des Mordes an Horst G. am 22. April 1997 in Sassnitz gegenüber der Staatsanwaltschaft äußerten, sie wollten, Zitat, „Assis klatschen“.
Vielleicht hätte diese Überprüfung auch ergeben, dass der Obdachlose Klaus-Dieter G. in der Nacht zum 24. Juni 2000 in Greifswald von drei Tätern umgebracht wurde, von denen bekannt war, dass sie aus der rechten Szene stammen. Und allein dieses war Grund genug, hier in eine detailliertere Überprüfung einzutreten.
Und vielleicht hätte diese Überprüfung auch ergeben, dass der Obdachlose Jürgen S. am 9. Juli 2000 in Wismar mit Schlägen und Tritten so schwer misshandelt wurde, dass er kurze Zeit später seinen Verletzungen erlag und dass es sich laut Aussagen der Polizei bei den geständigen Tätern um Rechtsextremisten handelte.
Und auch im letzten Fall hätte die Prüfung möglicherweise ergeben, Herr Pastörs, dass die Täter, die den 31jährigen Asylbewerber Mohammed B. in der Nacht zum 22. April 2001 nahe Jarmen erschlugen, nach der Tat äußerten, man solle sich, Zitat, „nicht so fertig machen, es sei doch nur ein Scheißausländer“.
Sehr geehrte Damen und Herren, diese Untersuchungen wären allein deshalb notwendig gewesen, und zwar in jedem dieser einzelnen Fälle, weil bekanntlich die Innenministerkonferenz im Jahre 2001 eine Erfassung der Systematik für die Einordnung zu rechtsmotivierten Straftaten vorgenommen hat. Und alleine zu diesem Zeitpunkt hätte eine Überprüfung erfolgen müssen. Es wäre ein Einfaches gewesen, auch noch nach der Kleinen Anfrage, viele, viele Jahre später, die wir kürzlich gestellt haben, sehr einfach zu reagieren und zu erklären, dass man die fünf bis dato noch nicht überprüften Fälle nun einer Überprüfung unterziehen würde und das Ergebnis mitteilen werde. Es wäre übrigens auch ein ganz Einfaches gewesen, dies der Öffentlichkeit schlicht und ergreifend mitzuteilen.
Und ich will an dieser Stelle anmerken, es ging uns, weil der Eindruck konnte aus der öffentlichen Berichterstattung entstehen, dezidiert nicht darum, in allererster Linie die Verantwortlichkeit der seinerzeit tätigen Innenminister zu klären, und es ging auch nicht darum, in irgendeiner Form Innenminister Caffier zur Verantwortung zu ziehen, sondern – ich finde das auch überhaupt nicht gerechtfertigt – es geht für uns darum, hier an dieser Stelle, wie das übrigens andernorts auch geschieht, ganz normal zu
einer Überprüfung zu gelangen und festzustellen: Handelte es sich seinerzeit um rechtsmotivierte Straftaten? Dies gerade vor dem Hintergrund, dass wir eine leidige Historie haben zu der Frage der Geschehnisse um den Nationalsozialistischen Untergrund.
Sie wissen, dass wir uns nach der von uns als völlig unzureichend empfundenen Antwort der Landesregierung auf unsere Kleine Anfrage dazu entschieden haben, dieses Thema über diesen Antrag in dieses Hohe Haus, in den Landtag zu bringen. Kaum war dies den demokratischen Fraktionen bekannt, da wurde das Thema durch die SPD auf die Tagesordnung des, wie wir alle wissen, nicht öffentlich tagenden Innenausschusses geholt.
Sehr geehrte Damen und Herren, ganz einfach nachvollziehbare Politik wäre, diesen Antrag hier in diesem öffentlich tagenden Gremium wieder mit aller Selbstverständlichkeit zu debattieren, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und sich auf eine geeignete Form der Prüfung und der Aufarbeitung zu einigen – ganz selbstverständlich und ohne den Eindruck zu erwecken, man habe etwas in der Nichtöffentlichkeit zu verbergen oder man ignoriere die ernst zu nehmenden Recherchen mehrerer renommierter Journalisten.
Sehr geehrte Damen und Herren, genau das ist der Grund, warum wir der Auffassung sind, dass diese Debatte hier in den Landtag gehört und nicht in den nicht öffentlich tagenden Innenausschuss.
Sehr geehrte Damen und Herren, immerhin haben inzwischen drei Bundesländer auf die Diskrepanz zwischen der offiziellen Statistik und der Dokumentation von „Tagesspiegel“ und „Zeit“ reagiert.
Sachsen erkannte im vergangenen Jahr rückwirkend zwei Todesfälle aus den Jahren 1996 und 1999 an. Sachsen-Anhalt meldete drei Gewalttaten aus den Jahren 1993 und 1999 für die offizielle Statistik nach.
In Brandenburg wurde eine unabhängige Untersuchung von mehr als 30 Altfällen gestartet. Partner bei der Durchsicht und möglichen Neubewertung der Opferlisten ist das Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam. Neben Polizei und Justiz arbeiten auch Vertreter der mobilen Beratungsteams sowie die Integrationsbeauftragte des Landes an dem Verfahren mit.
Dies, sehr geehrte Damen und Herren, ist eine geeignete Form der Aufarbeitung. Sie ist geeignet, weil sie öffent
lich ist, weil sie offensiv ist, weil sie die Zivilgesellschaft mit einbezieht, und sie bemüht sich um die Antwort auf die berechtigten Fragen der Angehörigen der Opfer.
Und diese Art der Aufarbeitung ist auch geeignet, das zu erreichen, was die Journalisten von „Zeit“ und „Tagesspiegel“ seinerzeit als wesentliche Motivation ihrer Recherchen deklariert haben. Ich darf zitieren: „Mit der Veröffentlichung dieser Liste soll versucht werden, den vielen kaum bekannten Opfern ein Gesicht zu geben und öffentlich anzuerkennen, dass sie nicht Opfer eines ‚normalen‘ Gewaltverbrechens wurden.“
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat in seiner Einbringungsrede hier bereits die zugrunde liegenden Tatbestände geschildert. Es gibt Presseberichterstattungen über Morde in Deutschland und es gibt bei diesen Presseberichterstattungen eine ganz andere Zahl von Morden, bei denen die Journalisten, die hier gearbeitet haben, einen rechtsextremistischen Hintergrund annehmen, als dies in den offiziellen Statistiken der Fall ist.
Fünf dieser Delikte, fünf dieser Morde – Delikt hört sich so verharmlosend an –, fünf dieser Morde haben in Mecklenburg-Vorpommern stattgefunden in den Jahren 1996 bis 2001. Und nun, so der Antrag, sollen diese Morde nachträglich betrachtet werden, ob nicht doch, anders als bislang angegeben, hier ein rechtsextremistischer Hintergrund vorliegt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst einmal grundsätzlich sagen, unabhängig von diesen fünf Taten, dass es für mich nicht ganz so einfach ist, zu sagen, wann eine Tat einen rechtsextremistischen Hintergrund hat.