Aber ich hätte jedenfalls damals jede Wette angenommen, dass aus der Opposition dann folgende Kritik mich erreicht hätte: Aha, der Bildungsminister bekommt objektiv bestehende Schwierigkeiten im Schulsystem nicht in den Griff und anstatt die Probleme zu lösen, werden die Leistungsansprüche abgesenkt,
um die Abiturientenquoten erhöhen zu können und in Pressekonferenzen mehr Abiturienten zu bekommen. Insofern ist das eine spannende Debatte, wie ich finde.
Im Rahmen dieses Artikels sind allerdings auch ein paar, wie mir scheint, Fehlinterpretationen der Datenlage in die Öffentlichkeit geraten. Allerdings sind diese hier auch wieder vorgetragen worden von Abgeordneten der Opposition, mit Bezug auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Berger.
Die erste These, die aufgestellt wird: Seit 2008 hätten sich die durchschnittlichen Mathematiknoten der Abiturienten deutlich verschlechtert. Das ist so nicht richtig.
Wenn man sich die Angaben, die wir veröffentlicht haben, genau ansieht, dann stellt man etwas sehr Interessantes fest, nämlich dass sich die Noten im Mathematikleistungskurs trotz Einführung des G-8-Abiturs im Hauptfach ohne CAS deutlich verbessert haben, während sich umgekehrt im Grundkurs Mathematik beziehungsweise bei der Prüfung auf Grundkursniveau Mathematik die Leistungen verschlechtert haben.
(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Davon sprach ich auch. – Zuruf von Simone Oldenburg, DIE LINKE)
Eine nächste These, die im Moment vertreten wird, ist, dass, seitdem es das G-8-Abitur gibt, die Zahl von Schülern ständig oder sogar rapide gestiegen sei, die Klassen wiederholen würden. Auch dies ist nicht richtig.
Ich habe mir mal die Mühe gemacht, aus der Kleinen Anfrage einfach die Gesamtwiederholungsquoten in den Klassenstufen 10 bis 13 beziehungsweise 10 bis 12 zu addieren, da ergibt sich folgendes Bild: Im Schuljahr 2004/05
waren es noch 6,9 Prozent, 2005/06 waren es 9,4 Pro- zent, 2006/07 8,5 Prozent, dann steigt die Quote deutlich an auf einen Spitzenwert von 16,1 Prozent zum Schul- jahr 2008/09 und seitdem sinkt sie kontinuierlich und liegt im Schuljahr 2011/12 bei 10,8 Prozent. Wo wir im Moment liegen, weiß gar keiner.
(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie können das nicht addieren, sondern Sie müssen das in Relation zur Gesamtschülerzahl setzen.)
Man könnte aus diesem Datenmaterial auch eine ganz andere Schlussfolgerung ziehen, nämlich dass die Umstellung des Abiturs offenbar am Anfang Schwierigkeiten bereitet hat und sich diese Schwierigkeiten langsam auswachsen. Auch solch eine Interpretation wäre möglich. Wie fundiert sie sachlich wäre, kann ich nicht einmal sagen. Ich möchte darauf hinweisen, dass das Datenmaterial die in der Öffentlichkeit vertretenen Thesen nicht hergibt.
Und es gibt auch nicht die These her, dass insgesamt durch die Einführung des G 8 die Noten im Abitur schlechter würden. Das ist nicht der Fall.
Das Gesamtprädikat im Abitur, im dreizehnjährigen Abitur im Schuljahr 2005 war 2,41 und das Gesamtprädikat im zwölfjährigen Abitur war im Schuljahr 2011 2,42. Es hat sich also um 0,01 Notenpunkte verschlechtert. Das heißt, es gibt in der Tat im Mathematikgrundkurs insbesondere ein Problem, aber es gibt nicht das, worüber gestritten wird, dass es angeblich durch die Veränderungen der Jahre, der Abiturjahre eine Verschlechterung der Noten insgesamt gibt. Das ist nicht der Fall.
Was ist eigentlich das Ziel der Debatte, habe ich mich gefragt. Worum geht es? Und wenn auch nur ein Funken davon wahr sein soll, was der „Nordkurier“ erwartet, dass es darum gehen soll, dass Abiturienten es einfacher haben sollen, dann muss es ja auch um die Frage gehen: Wie viele Abiturienten soll es denn geben, soll es mehr geben und wie schaffen wir das?
Werte Frau Berger, ich beziehe mich gerade auf Ihre Anträge. Dass Sie sich dabei auf den Koalitionsvertrag der Koalitionsfraktionen oder -parteien beziehen, ehrt uns.
Was ist also das Ziel der Debatte und der Anträge? Es muss um die Frage gehen, wie man die Abiturientenquote erhöht. Die Frage, die kaum gestellt wird – was mich verwundert –, ist: Zu welchen Bedingungen denn? Kann es denn ein Weg sein, in Mecklenburg-Vorpommern die Abiturientenquote dadurch zu erhöhen, dass man die Leistungsanforderungen absenkt?
Wir könnten dieselbe Debatte dann zum Beispiel auch bei den Schülerinnen und Schülern ohne Berufsreife
führen. Wir haben eine hohe Quote von Schülerinnen und Schülern, die die Berufsreife nicht erwerben. Dafür gibt es viele Gründe, auch durchaus Fehler im System. Frau Oldenburg weist ja bisweilen darauf hin, und auch zu Recht. Ich sage nur: Vorlaufklassen. Aber es gibt auch Gründe, die an einer völlig anderen Stelle liegen.
Wussten Sie denn – oder wahrscheinlich wissen es viele von Ihnen –, dass man in Bayern die Berufsreife selbstverständlich mit einer Sechs auf dem Zeugnis bekommt und in Mecklenburg-Vorpommern nicht? Bayern hat dann natürlich weniger, die die Berufsreife nicht schaffen, und Mecklenburg-Vorpommern mehr. Und jetzt können wir uns alle als Parlament die Frage stellen: Wollen wir denn, dass, wie in Bayern, in Zukunft in diesem Land ein Schüler mit einer Sechs auf dem Zeugnis seine Berufsreife erhält?
Ich muss Ihnen sagen, das ist nicht mein Weg, und ich glaube auch nicht, dass die Koalitionsfraktionen ihn unterstützen würden, wenn ich ihn vorschlagen würde.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Hat Uli Hoeneß Abitur? – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Was ist das denn für eine Frage?!)
Und ich möchte vielleicht nur auf ein paar Beispielländer, die unser Vorbild sein könnten, verweisen. Exorbitante Abiturientenquoten haben zum Beispiel Bremen und Hamburg – Bremen mit 40,7 Prozent und Hamburg mit 44 Prozent. Fast die Hälfte der Schüler macht das Abitur. Ich erlaube mir nur am Rande den Hinweis, dass es insbesondere diese Stadtstaaten sind, die bei bundesweiten Bildungsvergleichen ganz, ganz unten abschneiden. Und da muss man sich die Frage stellen: Wie passt das eigentlich zusammen?
Ich möchte einen Beispielfall vorlesen – mit Genehmigung der Präsidentin –, woran es liegen könnte. Ich zitiere einen Artikel und ich hoffe, es ist für Sie interessant, einen Artikel beziehungsweise Aufsatz von Herrn Professor Hans Peter Klein, Fachdidaktiker für Biologie an der Universität Frankfurt am Main. Herr Klein hat einfach mal folgenden Versuch gestartet, und jetzt wird es interessant, hoffe ich, für Sie, Zitat: „Eine erste Ernüchterung über die vermeintliche Lösung aller Bildungsprobleme durch ‚Kompetenzorientierung‘ ergab sich nach der an dieser Stelle vorgestellten Untersuchung zum Zentralabitur im Fach Biologie in Nordrhein-Westfalen.“
Was hat Herr Klein als Professor gemacht? Folgendes: „Unvorbereitete Neuntklässler hatten eine LeistungskursAbiturklausur in Biologie problemlos bestanden. Das Geheimnis der ungeahnten Qualitätsexplosion? Alle Lösungen standen im Aufgabentext, man brauchte nur
‚Lesekompetenz‘, um sie ab- oder umzuschreiben. Fachwissen? …methodisches Können? Fehlanzeige.“ Zitatende.
Herr Professor Klein hat dasselbe dann mit einer Mathematikabiturklausur in der 11. Klasse versucht, Thema Analysis. Die Schüler hatten diese Aufgabenbereiche noch gar nicht und auch dort haben fast alle die Prüfungen bestanden, weil die Prüfungsformate so konstruiert sind, dass die Lösungen bereits in der Aufgabe enthalten sind.
Und, meine Damen und Herren, das scheint eine Entwicklung in Deutschland zu sein, die kein Einzelfall ist. Umso wichtiger ist es, Frau Oldenburg, dass wir zu den Ländern gehören, die mit aller Kraft darauf dringen, dass es in Deutschland ein Zentralabitur gibt,
wo diese Spielchen aufhören und wo sich die Bürgerinnen und Bürger und die Schülerinnen und Schüler darauf verlassen können,
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Simone Oldenburg, DIE LINKE: Sehr richtig, aber mit zentralen Inhalten. – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)
dass dort, wo Abitur draufsteht, auch Abitur drin ist. Dann werden sich vielleicht auch ganz andere Debatten über Abiturientenquoten ergeben und dann werden andere Länder vielleicht auch nicht mehr 44 Prozent Abiturienten haben.
Es könnte auch einen Zusammenhang geben zu den Leistungsproblemen im Bereich Mathematik. Warum? Sie bereiten sich auf Ihre Reden vor, ich auch. Ich habe mich gewandt an Professor Elsbeth Stern von der ETH Zürich,
eine ganz bekannte Intelligenzforscherin in Europa, eine der renommiertesten. Ich habe ihr folgende Fragen gestellt:
Erste Frage. Wie ist eigentlich die Intelligenz in der Bevölkerung verteilt? Da sagt die Intelligenzforscherin: normal verteilt, wie alles.
Zweitens. Wie sehr kann man dies durch Pädagogik beeinflussen? Da sagt sie: Nun, da gibt es große Grenzen, weil ein erheblicher Anteil der Intelligenzverteilung biologisch sozusagen mit beeinflusst wird. Es gibt hier also Grenzen, es sind nicht 100 Prozent. Ich will das gar nicht beurteilen, weil ich kein Intelligenzforscher bin. Ich nehme nur zur Kenntnis, dass die das so sehen.
Und dann habe ich ihr die Frage gestellt: Aber wie ist denn das, wenn es Normalverteilung gibt und nur begrenzt beeinflussbar ist, warum steigen dann die Abiturientenquoten so rapide in kurzer Zeit? Wie geht denn das? Könnte es daran liegen, dass wir systematisch das Anspruchsniveau der Aufgaben absenken, um die Quoten zu erhöhen? Da sagt sie: Vorsicht, die Schlussfolgerung ist vielleicht ein bisschen vorschnell, weil wir im gegliederten Schulsystem natürlich das Problem haben, dass nicht alle, die eigentlich das Abitur machen sollten, auch am Gymnasium oder an Schulen sind, wo man das
Abitur erwerben kann. Das ist eine Folge des gegliederten Schulsystems, das es nicht schafft, die Schüler wirklich leistungsgerecht an den Ort zu bringen, wo sie hin sollen. Da gibt es also an der regionalen Schule viele, die das Abitur schaffen könnten und aus welchen Gründen auch immer nicht an das Gymnasium gehen –