Protocol of the Session on April 24, 2013

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, mach ich auch, Frau Borchardt.)

Das wissen wir.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, immer schön weitermachen, Frau Borchardt! Immer schön weiter vorlesen!)

Ja, vielleicht wollen Sie die Selbstkritik von mir nicht hören, aber ich werde sie trotzdem sagen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Lesen Sie mal weiter vor! Es ist interessant. Es ist interessant, was Sie da vorlesen)

Bei genauerem Hinsehen wurde aber offensichtlich, dass diese Pflicht nur im Rahmen der Sozialtherapie besteht. Während der Anhörung wurde mir klar, dass Arbeit einen wichtigen Stellenwert im Rahmen der Resozialisierung darstellt, also nicht nur im Rahmen der Sozialtherapie. Allerdings muss dann auch für eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gesorgt werden. Und genau hier liegt das Problem. Wir haben leider in den Haftanstalten nicht genügend Maßnahmen. Hier ist offensichtlich Handlungsbedarf nicht nur für die Beteiligten im Rahmen der Sozialtherapie. Ziel sollte es doch sein, um einer Subkul

tur in den Haftanstalten entgegenzuwirken, eine Vollbeschäftigung erreichen zu wollen. Auch hier wurde der entsprechende Vorschlag im Ausschuss abgelehnt.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Kommen wir zur Entlohnung. Die Entlohnung der Gefangenen für geleistete Arbeit Paragraf 55 Absatz 2 des Entwurfes sieht hier eine Vergütung vor, die neun Prozent des Durchschnittsentgeltes der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt. Professor Dr. Dünkel, dem ich an dieser Stelle, wie auch allen anderen Anzuhörenden, noch einmal deutlich für seine Ausführungen in der Anhörung danken möchte, stellte ganz klar heraus, dass diese Regelung verfassungswidrig sein dürfte und demnach auf fünf Prozent anzuheben sei. Verfassungswidrig!

Meine Damen und Herren, lassen Sie sich das bitte auf der Zunge zergehen! Diese Auffassung ist auch eindeutig nachvollziehbar. Schließlich hat das Bundesverfassungs- gericht im Jahre 2002 zwar die 9-Prozent-Regelung für gerade noch verfassungsgemäß erklärt, aber darauf hingewiesen, dass zeitnah und unbedingt eine Erhöhung zu erfolgen habe. Und mit dieser Erhöhung waren sichtlich nicht nur Anpassungen an die Inflation gemeint.

Abgesehen davon schafft eine höhere Vergütung auch die Chance für Wiedergutmachung bei den Opfern. Für Verfahrenskosten trifft das Gleiche zu. Wenn die Gefangenen nur für einen Hungerlohn arbeiten sollen, werden sie natürlich keinerlei Möglichkeiten für irgendwelche Kompensationen ermöglichen. Da stellt sich dann die Frage, wie so etwas der Resozialisierung zuträglich sein soll. Die entlassenen Gefangenen mit einem Haufen Schulden und Opfern, die kaum oder keine Gutmachung erfahren haben – schlechter kann ein Straftäter, der gewillt ist, ein neues Leben zu beginnen, gar nicht in seine neue Zukunft starten.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oh Gott!)

Und in dem Zusammenhang weiß ich gar nicht, was mich mehr ärgert, die Tatsache, dass hier von den Koalitionären im Ausschuss vernünftige Argumente einfach so ohne jegliche Diskussion vom Tisch gewischt worden sind, oder die Tatsache, dass man hier kraft seiner Wassersuppe die Beurteilung eines Universitätsprofessors und eines der geachtetsten Kriminologen des Landes einfach ignoriert.

Ich muss sagen, manchmal habe ich den Eindruck, man betrachtet unsere Verfassung nicht als die bedeutende Werteordnung, als die sie eigentlich gedacht ist, sondern als Limbostange, die man versucht, mit allerlei Tricksereien nicht zu reißen, während man darunter durchtanzt.

(Michael Andrejewski, NPD: Das ist ja eine ganz neue Erkenntnis. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Meine Damen und Herren, natürlich ist uns bewusst, dass jede Forderung, die Mehrausgaben bedeutet, für Stirnrunzeln bei der Regierung sorgt. Aber eine gute Resozialisierung gibt es nicht zum Nulltarif. Zu einer Erhöhung der Vergütung konnte man sich also nicht durchringen, wohl aber zur Kompensation im nicht monetären Bereich. Hier haben SPD und CDU sogar einen Änderungsantrag eingebracht, der über die Regelung im Regierungsentwurf noch hinausgeht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Na, sehen Sie mal!)

Und zwar sollen Gefangene, die drei Monate in der JVA gearbeitet haben, eine Freistellung von zwei Tagen erhalten. Sie dürfen also früher raus.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, okay.)

Aus finanzpolitischer Sicht hört sich das zunächst ganz gut an. Die Gefangenen müssen für wenig Geld arbeiten und kosten das Land am Ende noch weniger Geld, da sie früher entlassen werden. Nur wäre es sicherlich besser, wenn wirklich für alle Arbeit da wäre.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wer soll das bezahlen, Frau Borchardt? Machen Sie mal einen Vorschlag! Machen Sie mal einen Vorschlag!)

So muss man die Befürchtung haben, dass die schweren Jungens, die zu Therapiezwecken arbeiten müssen, für die auch Arbeit vorgesehen ist, früher entlassen werden und die an sich Sozialisierten, die vielleicht nur aus Leichtsinn über die Stränge geschlagen sind

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Welche soziale Maßnahme sollte man dafür eindampfen?)

und deshalb nicht in den Genuss sozialtherapeutischer Arbeit kommen, in diesen Genuss nicht kommen. Chancengleichheit sieht anders aus.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oh, ich halt das nicht aus! Über welches Thema reden wir denn gerade?)

Nun gut, nun wussten wir ja alle, die Regierung möchte die Umsetzung des Gesetzes kostenneutral gestalten. Insofern war ein gewisser Widerstand gegen die gerade genannten Punkte zu erwarten. Was doch dann etwas irritierend war, war die Tatsache, dass sich aus der Anhörung Änderungsbedarf ergeben hat, der kein Geld kosten würde, und die entsprechenden Änderungsanträge trotzdem nicht übernommen wurden. Wie kann man das erklären?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, weil das politisch vorher nicht gewollt war.)

Da wäre zum Beispiel die Gleichstellung von Müttern und Vätern im Paragrafen 14. Warum hat man diese nicht übernommen? Uns wurde ja im Ausschuss dazu erklärt, dass es bisher noch keine Fälle gab, wo ein Kind gemeinsam mit seinem Vater untergebracht werden sollte, und man deshalb keine Notwendigkeit sah. Das ist natürlich einerseits falsch, da Gesetze ja abstrakte generelle Regelungen sind, die prinzipiell jeden erdenklichen Fall regeln sollen.

Man nimmt hier also bewusst eine Regelungslücke in Kauf. Anderseits frage ich mich, was denn dagegengesprochen hätte, diese Änderung in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Warum hat man unserem Änderungsvorschlag zu Paragraf 17 nicht zugestimmt? Der Anzuhörende Dr. Papenfuß hatte darum geworben, dem Wort „Sozialtherapie“ zur Klarstellung das Wort „integrative“ voranzustellen. Was sprach dagegen, diese Änderung zu übernehmen?

Das trifft auch auf sämtliche Regelungen zu, die sich mit dem Umgang mit Berufsgeheimnisträgern befassen. Ich muss ja zugeben, dass auch mir diese Problematik beim ersten Lesen des Gesetzentwurfes nicht in vollem Umfang bewusst war.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, aber wenn Herr Papenfuß das sagt, dann stimmt das ja auch.)

Tatsache ist aber, dass die Überwachung von Besuchern und Gesprächen nur bei Verteidigern unbeaufsichtigt stattfinden soll. Was ist aber mit Anwälten und Notaren? Hegt die Regierung etwa ein gesteigertes Misstrauen gegen diese Berufsgruppen oder wie soll man diese Ungleichbehandlung verstehen? Und auch hier ist die Frage zu stellen, ob diese Regelung nicht verfassungswidrig sei. Warum nimmt man die Differenzierung von Verteidigern und Rechtsanwälten vor? Wenn man im Gesetz festschreibt, dass eine Überprüfung der von den Verteidigern mitgeführten Schriftstücke nicht zulässig sei, dann heißt dies im Umkehrschluss, diese Anwälte und Notare können geprüft werden. Eine sachliche Begründung konnte uns im Ausschuss nicht gegeben werden.

Das Gleiche trifft für die Überwachung der Besuche und des Schriftverkehrs zu, nachvollziehbare Änderungsbedarfe, die kein Geld kosten, aber ohne Begründung abgelehnt wurden.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Und, meine Damen und Herren, es ist doch ein armes Zeugnis für Sie, wenn Sie Hinweise der Vertreter der katholischen Kirche und der evangelisch-lutherischen Nordkirche nicht ernst nehmen, hier insbesondere im Hinblick auf die Frage der Seelsorgerinnen und Seelsorger. Was ist mit ihrer Schweigepflicht, Überwachung und Kontrollen von Schriftstücken, der Festschreibung von Qualifikationsmerkmalen?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das hat doch die Ministerin eben ausgeführt.)

Das Gesetz kollidiert mit diesen doch deutlich. Und ob die nun festgeschriebenen Regelungen eine geeignete Maßnahme zur Resozialisierung darstellen, wage ich zu bezweifeln. Denn es ist doch klar: Wenn die Gefangenen befürchten müssen, dass die Vertrauenspersonen, wie Anwälte und Seelsorger, nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und nur in Ausnahmefällen diese Verschwiegenheit brechen dürfen, wie sollen sie diesen dann Vertrauen entgegenbringen? Und Vertrauen ist doch wohl eine Voraussetzung, um sich zu öffnen und an seinen Problemen zielgerichtet zu arbeiten.

Die Liste der Kritikpunkte ließe sich sehr beliebig fortsetzen. Auf einen Schwerpunkt möchte ich am Ende meiner Rede noch hinweisen: Wir haben im Gesetzentwurf keine Festschreibung von Standards, weder in Bezug auf die Größe der Hafträume noch auf die Personalausstattung. Das ist bedauerlich.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Denn auch das ist klar: Ohne ausreichendes Personal, sowohl Sozialarbeiter, Psychologen, Pädagogen und Beschäftigte des allgemeinen Vollzugs, ist eine erfolgrei

che Resozialisierung nicht zu bewerkstelligen. Und schauen wir uns die Situation im Strafvollzug an. Der Krankenstand bei den allgemeinen Vollzugsbediensteten ist unverändert hoch.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Die vorhandenen Psychologen sind überbelastet und eine Besserung ist nicht in Sicht. Auch hier ist uns bewusst, dass im Zusammenhang mit dem Personalkonzept zurzeit keine Aufstockung möglich ist. Deshalb fordern wir diesbezüglich die Evaluierung bis 2014!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, leider haben wir es nicht geschafft, einen fraktionsübergreifenden Konsens für ein modernes Strafvollzugsgesetz hinzubekommen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist doch ein modernes Strafvollzugsgesetz.)

Das vorliegende Ergebnis ist unzureichend,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Aus Ihrer Sicht, Frau Borchardt.)

in der Zielstellung zu begrüßen, aber die Umsetzung unzureichend. Meine Fraktion bittet um die Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nö.)

Meine Damen und Herren, ich muss sagen, dass das Ergebnis der Anhörung im Rechtsausschuss eine Enttäuschung war. Kein wesentlicher Punkt, der von den Anzuhörenden kritisiert worden ist, wurde letztlich übernommen. Da fragt man sich, in welchem Sinne derartige Anhörungen dann noch durchgeführt werden sollen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)