(Marc Reinhardt, CDU: Was will der denn jetzt noch? – Torsten Renz, CDU: Brauchst nicht mehr. – Andreas Butzki, SPD: Nee, ich brauche nicht mehr zu reden, ist fast alles weg.)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Über diesen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, über den wir jetzt gerade diskutieren, war ich sehr verwundert und, wie wir in der beeindruckenden Rede von Frau Oldenburg eben gehört haben,
auch die andere Oppositionspartei. Deswegen habe ich jetzt meine Rede schon massiv gekürzt, um hier nicht zu viele Wiederholungen vorzunehmen.
Warum war ich so verwundert? Im letzten Jahr haben sich die demokratischen Fraktionen dieses Landtages darauf geeinigt, dass wir alle Punkte, die die Inklusion betreffen, gemeinsam beraten und gemeinsam auf den Weg bringen wollen. So waren alle demokratischen Fraktionen durch die Bildungsexperten in der Begleitgruppe „Inklusive Bildung in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020“ vertreten. Aus meiner Sicht ist das ein guter Weg und der richtige Weg.
Inklusion wird in unserem Bundesland aber nur gut funktionieren – und da stehe ich mit meiner Meinung nicht allein –, wenn wir diese vor uns liegende Aufgabe gemeinsam in Angriff nehmen. Versucht eine Fraktion irgendwelche Alleingänge, ist nicht nur der Inklusionsfrieden gestört, sondern die Schulen verlieren das Vertrauen in den Landtag und die Einführung der Inklusion ist gefährdet.
Ich vermute aber, Frau Berger, dass Sie mit diesem Antrag auch zum Wohle unserer Kinder auf Rügen handeln wollten. Ob dieser Alleingang zielführend ist, bezweifle ich aber. Eine intensive Diskussion im Bildungsausschuss ist aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion der wesentlich bessere Weg, denn viele Fragen – und wir haben es ja eben gerade gehört – sind noch offen und das sollten Sie als Ausschussvorsitzende wissen. Man kann mit solchen Einzelprofilierungsversuchen mehr schaden als nützen. Das muss ich hier auch so deutlich noch mal sagen.
Und in der Ausschusssitzung der letzten Woche wurde uns durch den Bildungsminister Mathias Brodkorb der Abschlussbericht der Expertenkommission, der unter Leitung von Frau Professorin Koch erarbeitet wurde, vorgestellt. Insbesondere die weiteren Schritte bis zum Jahr 2020 sind detailliert dargestellt. Das Ministerium arbeitet an Vorschlägen zur Umsetzung der Inklusion in unserem Bundesland und der Minister hat uns an- geboten, im Ausschuss über die gesamte Einführung der Inklusion beziehungsweise über Teillösungen zu
sprechen. Ich weiß, dass Sie sich an dieser Diskus- sion im Sinne des Schulfriedens auch beteiligen wer- den.
Die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte aller Schularten ist eine zentrale Maßnahme beim Einführen der Inklusion. Und wenn Sie das Protokoll richtig gelesen haben, war das auch eine Forderung von mir. Das kann man im Bericht der Expertenkommission nachlesen. Das Konzept muss durch das IQ M-V tiefgründig erarbeitet und durch das Bildungsministerium auch materiell abgesichert werden. Sicherlich wird es dann auch Möglichkeiten geben, die Rügener Lehrerinnen und Lehrer der weiterführenden Schulen als die ersten Lehrkräfte in unserem Bundesland im Bereich der Inklusion fort- und weiterzubilden. Dafür sollten wir uns, denke ich, auch alle einsetzen.
Und eins muss ich jetzt auch noch mal hier ganz deutlich sagen: Es ist noch nicht geklärt, wie soll es mit dem Schulversuch auf Rügen weitergehen. Bisher liegen uns nur Zwischenergebnisse – wenn auch teilweise, wir haben es heute gehört, sehr vielversprechende – vor. Eine genaue Evaluation und das Aufstellen eines exakten Ergebnisberichtes können aber erst erfolgen, wenn die kompletten vier Jahre abgeschlossen sind. Professor Hartke hat auf dem 2. Inklusionskongress geäußert, und das muss ich hier auch noch mal betonen, dass bei diesem Modellversuch noch einige Anpassungen notwendig sind, damit die Leistungen der Rügener Schülerinnen und Schüler noch besser werden. Auch sagte er, dass es schwierig ist, diesen Schulversuch auf die Orientierungsstufe zu übertragen.
Und was auch noch ganz wichtig ist: Bisher sind uns nur Meinungen und Voten der Rügener Grundschulen bekannt. Aber wie entscheiden sich die Schulkonferenzen der weiterführenden Schulen? Und das, denke ich, sollten wir auch abwarten. Oder wollen Sie, Frau Berger, mit Ihrer Fraktion über die Köpfe hinweg entscheiden?
Was werden wir tun, wenn ein Teil der weiterführenden Schulen sich für eine Fortsetzung der Inklusion entscheidet und der andere Teil möchte daran nicht weiterarbeiten? Also Sie sehen, das ist alles sehr vielschichtig und wir müssen Lösungen finden.
Es sollte uns bewusst sein, dass dieser Schulversuch, wenn wir es weiter so machen wollen, auch mit der 6. Klasse nicht enden kann, also nach der Orientierungsstufe, sondern wir müssen dann auch Wege aufzeichnen bis zum Erreichen eines Schulabschlusses. Auch hier muss das Bildungsministerium gemeinsam mit den Schulämtern und den weiterführenden Schulen für zielführende Lösungen sorgen.
Zusammenfassend muss man ganz deutlich feststellen, der Antrag der Bündnisgrünen ist vorschnell eingebracht und nicht im Sinne des Inklusionsfriedens gemeinsam erarbeitet. Da zu viele Fragen offen sind, müssen erst noch die Voten der Schulkonferenzen der weiterführenden Schulen auf der Insel Rügen zur Fortführung dieses Schulversuchs abgewartet werden, um gezielt die Fort- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer vorzunehmen.
Ebenfalls, das haben wir auch auf der letzten Bildungsausschusssitzung besprochen, muss das Konzept der Fort- und Weiterbildung durch das IQ M-V entwickelt werden. Wer wie viel fort- und weitergebildet wird, muss nach der letzten Bildungsausschusssitzung neu bewertet werden. Dieser Aufgabe sollten sich die demokratischen Fraktionen gemeinsam stellen und Beschlüsse im Sinne der Kinder auf Rügen fassen.
Dieser Antrag sollte von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zurückgezogen werden, um Irritationen bei den Beteiligten auf Rügen zu vermeiden. Wenn Sie den Antrag nicht zurückziehen, wird die SPD-Fraktion aus den von mir genannten Gründen diesen Antrag ablehnen. – Danke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten drei Rednerinnen haben aus meiner Sicht fachlich sehr fundiert begründet, warum dieser Antrag abzulehnen ist. Ich bin dennoch sehr dankbar dafür, dass er gestellt wurde, weil anhand dieses Antrages eine Frage in der Tat diskutiert werden kann, die diskutiert werden muss: Wie soll In- klusion in Mecklenburg-Vorpommern mit welchem Ziel eigentlich betrieben werden? Geht es darum, sich in pädagogische Wunschvorstellungen zu verlieren, aus guter Absicht zwar, aber eher eben Wunschvorstellungen, oder geht es darum, ganz konkret verantwortungsvoll Entscheidungen zu treffen in dem Bewusstsein, dass sich für Schülerinnen und Schüler die Schule auch verbessern kann und für Lehrerinnen und Lehrer dies auch zu bewältigen ist?
Und je nachdem, von welcher dieser Grundmotivationen man ausgeht, kommt man zu unterschiedlichen Inter- pretationen vorliegender Daten. Lässt man sich von Wunschvorstellungen leiten, dann wird vielleicht für nicht so wichtig gehalten, dass der Wissenschaftler, der dieses Modellvorhaben auf Rügen begleitet, Professor Hartke, selbst davor warnt, jetzt vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Wenn man versucht, sich an effektiven Verbesserungen von Schule für Schülerinnen und Schüler zu orientieren, wird das anders sein.
Und ein anderes Beispiel für diese unterschiedlichen Wahrnehmungen sind, Frau Abgeordnete Berger, die Zahlen, die Sie zitiert haben, mit den abweichenden Schulkarrieren. Das erinnert mich an den Zauberer, der erst das Kaninchen in den Hut steckt, um das Kaninchen dann aus dem Hut hervorzuholen und darüber erstaunt zu sein, dass ein Kaninchen aus dem Hut hervorge- zaubert werden konnte.
Sie haben darauf verwiesen, dass es in Stralsund 11,2 Prozent sogenannte abweichende Schulkarrieren gibt und auf Rügen nur 1,8 Prozent. Was ist mit abweichenden Schulkarrieren gemeint? Das sind Grund- schüler, die nicht in der normalen Grundschulklasse beschult werden. Ja, wen kann denn das überraschen,
dass die Quote in Stralsund größer ist als in Rügen, weil das ist ja gerade der Sinn des Versuches, herauszufinden, was passiert, wenn man das so macht.
Das heißt, das ist kein Erfolgskriterium des Projektes, sondern es ist eine Voraussetzung, um dieses Schulmodell überhaupt erproben zu können. Und insofern, glaube ich, sollten wir uns sehr davor hüten, aus diesem Motiv, möglichst wünschbare pädagogische Welten zu erreichen, die Fakten entsprechend zu interpretieren.
Frau Abgeordnete Oldenburg hat schon umfassend erklärt, warum es eben nicht geht, ein Modell, das in der Grundschule funktioniert, auf die weiterführende Schule zu übertragen. Der Hauptgrund ist, wir treten ein in eine sehr differenzierte Welt des Fachunterrichts über Geografie, später Astronomie, Physik, Mathematik, Biologie, Chemie – Sie kennen das alle –, Geschichte, Sozialkunde, AWT und so weiter. Und wir treten außerdem ein bei den Schülerinnen und Schülern in die Welt der Pubertät, und das bedeutet für pädagogische Prozesse erhebliche Herausforderungen.
Und es ist eben etwas anderes, ob ich zum Beispiel den Physikunterricht auf drei oder vier verschiedenen Anforderungsniveaus didaktisch beherrschen muss oder in Mathematik den Satz des Pythagoras zu erklären habe oder ob man gemeinsam Sportunterricht in der Grundschule macht – das sind ganz andere Dinge, erhebliche Herausforderungen, die sich da stellen, auch in der Konzeption, in der wissenschaftlichen Begleitung solcher Prozesse, von den pädagogischen Herausforderungen ganz zu schweigen.
Frau Oldenburg hat es gesagt, ich möchte es noch mal zuspitzen: PISaR ist nicht die Inklusion. PISaR ist ein didaktisches Modell innerhalb der inklusiven Welt. Man kann auch andere didaktische Modelle verwenden. Ich darf das vielleicht noch mal kurz erklären.
Das Modellprojekt auf Rügen besteht aus drei Elementen. Es gibt drei Präventionsebenen, das heißt, je nachdem, welche Leistung ein Schüler hat, wird er mehr oder weniger intensiv gefördert. Wir haben curriculumbasierte Messverfahren, das heißt, die Schüler werden regelmäßig in ihrem Leistungsstand überprüft, und je nachdem, wo sie stehen, erreichen sie die Förderebenen 1 und 3. Und wir haben evidenzbasierte Schulmaterialien, völlig neue Schulbücher, zum Beispiel im Bereich Deutsch, im Zusammenhang mit dem lückenschließenden Lernen.
Diese drei Elemente zusammen machen PISaR aus. Wenn man diese drei Elemente weglassen würde, hätte man mitnichten ein nicht inklusives Schulsystem. Es lassen sich natürlich inklusive pädagogische Modelle auch jenseits dieser didaktischen Konstruktion finden. Und deswegen ist es völlig unangemessen, auch fachlich, dieses Modell mit Inklusion quasi gleichzusetzen.
Warum jetzt die Schlussfolgerungen aus dem Modellprojekt noch gar nicht möglich sind, hat Frau Oldenburg gesagt, Herr Butzki, Herr Reinhardt auch, aber ich bringe es noch einmal auf den Punkt: Es ging bei Rügen nie nur um Inklusion. Wir sind mal gestartet mit diesem Modellprojekt deshalb, weil wir so viele Schüler ohne Berufsreife haben. Das war der eigentliche Punkt. Der Punkt war, wir haben zu viele lernschwache Schüler. Und die Erwar
tung war, dass das Modellprojekt dazu führen wird, nicht, dass alle gemeinsam lernen, sondern dass von dem gemeinsamen Lernen insbesondere die lernschwächsten Schüler deutliche Leistungszuwächse zu verzeichnen haben. Das war der eigentliche Sinn des Ganzen.
Und jetzt kommt aber eine Tatsache, die man nicht ignorieren kann. Genau diese Schülerinnen und Schüler, deren Berufsreife gefährdet ist, die Lernprobleme haben, sind im Moment noch gar nicht Gegenstand der Studie, aus nachvollziehbaren methodischen Gründen. Das heißt, gerade über die entscheidende Schülergruppe wissen wir bisher nichts. Und deswegen hat Frau Oldenburg, haben Herr Butzki und Herr Reinhardt da sehr recht, dass wir bei der Interpretation der Daten sehr, sehr vorsichtig sein müssen.
mit einem Missverständnis aufräumen. Worum geht es auf Rügen? Und was waren die Voraussetzungen dafür, dass das auf Rügen in der Grundschule überhaupt möglich war? Die Voraussetzung war, dass alle Grundschulen auf Rügen sich entschlossen haben, sich diesem Modellprojekt anzuschließen. Erst dieser Schritt hat dazu geführt, dass man dann auch die entsprechenden Klassen in der Förderschule auflösen und die Sonderpädagogen mit ihren Stunden in die Grundschule bringen konnte.
Hätten sich die Grundschulen auf Rügen zu diesem Schritt nicht entschlossen, hätten wir ein Riesenproblem gehabt, genau mit dem Punkt c) in dem Antrag, der angemessenen Zuweisung von entsprechenden Förderstunden.
Und die Frage, die wir am Ende im Landtag zu beantworten haben, ist: Nehmen wir eine solche, auf Rügen freiwillig vorgenommene Operation, eine solche Systemumstellung, nehmen wir die zwangsweise für das gesamte Schulsystem vor, weil es funktioniert, oder nicht? Und genau diese Frage muss man sich jetzt auch für die weiterführenden Schulen auf Rügen stellen. Soll heißen: Zunächst einmal haben die Regionalen Schulen auf Rügen die Frage zu beantworten, und zwar die Kollegen auch in den Kollegien, nicht nur die Schulleitungen, ob sie es sich zutrauen, es zu versuchen, diesen Weg fortzusetzen.
(Andreas Butzki, SPD: Die Schulkonferenz mit den Eltern. – Dr. Margret Seemann, SPD: Aber das haben wir doch schon in der Ausschusssitzung erklärt.)
Und wenn sie dies bereit sind zu tun, dann hätten wir auch systemisch die Möglichkeit, dem Punkt c) zu entsprechen, die entsprechenden pädagogischen Ausstattungen aus der Förderschule in die Regionalen Schulen zu geben und die Arbeit einzurichten.
Das heißt, wenn Sie mal einen Blick werfen in das Schulgesetz Paragraf 34 Absatz 5 und 35 Absatz 1, dann
ist die heutige Rechtslage bereits so, dass die Regionalen Schulen selbstverständlich in den Jahrgangstufen 5 und 6 den gemeinsamen Unterricht fortsetzen können. Es gibt gar kein schulrechtliches Problem zu lösen. Es gibt nur ein Ressourcenproblem zu lösen, ob es gelingt, die Förderstunden in die Schulen zu bringen. Und dafür ist die Voraussetzung, dass die Schulen selber sagen, ja, wir wollen diesen Weg gehen und wir gehen den geschlossen.
Und jetzt wird es Sie nicht überraschen, ich hatte vor geraumer Zeit eine Dienstberatung im Schulamt Greifswald und habe den Schulräten genau diesen Auftrag gegeben, mit den Regionalen Schulen zu sprechen. Ich hatte selber in der Lehrersprechstunde in Greifswald vor ein paar Wochen zwei Regionalschulleiter von der Insel Rügen. Und ich habe denen das genau dargelegt und gesagt, da würde ich sie jetzt drum bitten, dass sie das tun, dass sie miteinander sprechen, ob sie bereit sind, diesen Weg zu gehen. Wenn sie ihn gehen wollen, dann müssen sie bitte sagen, wie sie sich das vorstellen ungefähr, denn sie müssten das auch einigermaßen einheitlich machen. Und wenn sie das machen, dann können wir gerne über die Frage diskutieren, ob wir eine solche Systemumstellung in der Freiwilligkeit wie beim Grundschulbereich vornehmen, denn das gibt unser Schulgesetz her.