Protocol of the Session on December 7, 2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 33. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratung vereinbarungsgemäß fort.

Gemäß Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die heutige Sitzung den Abgeordneten Andreas Texter zum Schriftführer.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 34: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) – ein Jahr Aufklärung in Mecklenburg-Vorpommern öffentlich bilanzieren, Drucksache 6/1387.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) – ein Jahr Aufklärung in Mecklenburg- Vorpommern öffentlich bilanzieren – Drucksache 6/1387 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Ritter für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von den inhaltlich bemerkenswerten und emotional bewegenden Reden gestern ist mir ein Satz besonders in Erinnerung geblieben: Lernen und Schlüsse ziehen. Um dies zu können, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedarf es vor allen Dingen der Öffentlichkeit.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Dass die Bildung einer“ NSU-„Gruppierung den Sicherheitsbehörden trotz zahlreicher schwerster Straftaten und intensiver Beobachtung der rechtsextremistischen Szene verborgen geblieben ist, wirft zahlreiche Fragen auf, deren Beantwortung zu Recht eingefordert wird.“ Zitatende.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese eingangs zitierte Feststellung aus dem Verfassungsschutzbericht 2011 unterschreibe ich ohne Wenn und Aber.

(Udo Pastörs, NPD: Toll!)

Der NSU-Komplex wirft nämlich auch in MecklenburgVorpommern Fragen auf, deren Beantwortung eingefordert wird – zu Recht. Die weiteren Ausführungen hätte sich der Verfassungsschutzbericht besser gespart. Sie entsprechen weder dem berechtigten Interesse nach öffentlicher Aufklärung noch der notwendigen Kontrolle durch unseren Landtag.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Wenn sich unser Verfassungsschutz in Sachen NSU nach über einem Jahr hinter Ermittlungen des Generalbundesanwaltes und hinter der parlamentarischen Aufklärung anderer Bundesländer sowie der Bundesebene verstecken möchte, dann ist das ganz einfach nicht hinnehmbar. Hieran ändern weder die PKK noch die um

fangreiche Pressemitteilung des Verfassungsschutzes vom 9. Juli etwas – darauf komme ich zurück.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich kurz in drei Punkten darlegen, welche Aspekte aus unserer Sicht dafür sprechen, Landtag und Öffentlichkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern über den NSU-Komplex zu unterrichten.

Erstens meine ich, dass gegen Angst und Unsicherheit vor allem Offenheit und Wahrheit helfen.

(Udo Pastörs, NPD: Ha! Das aus Ihrem Munde!)

Das stellt an ein Bundesland, welches bisher auf einen NSU-Untersuchungsausschuss verzichtet und die damit verbundene öffentliche Diskussion noch nicht hergestellt hat, besondere Anforderungen.

(David Petereit, NPD: Beantragen Sie den doch!)

Hinzu kommt, dass die Sicherheitsbehörden gegenwärtig bundesweit von der Gefahr weiterer rechtsextremistischer Anschläge ausgehen. Der Anschlag auf den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses im Bundestag spricht Bände.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Und wenn Umfragen zu dem Ergebnis kommen, dass die Angst vor Naziterror bundesweit in unserem Land am größten ist, so spricht auch dies für und nicht gegen öffentliche Aufklärung.

Zweitens, meine sehr verehrten Damen und Herren: Öffentlichkeit beugt Verdächtigungen und Vertuschungsgefahren gleichermaßen vor.

(Gelächter von Udo Pastörs, NPD)

Weder die NSU-Täter noch die NSU-Taten in Mecklenburg-Vorpommern sind vom Himmel gefallen. Ich könnte an dieser Stelle aus dem Stand ein Dutzend NSU-M-VBezüge aufzählen. Daneben gibt es Mutmaßungen, Fakten, Wahrheiten oder Halbwahrheiten in den Medien, und damit öffentlich.

(Udo Pastörs, NPD: Und Lügen!)

Hierauf müssen wir als Politikerinnen und Politiker dieses Landes auch öffentlich antworten können, und zwar wahrheitsgemäß, fundiert und sachlich. Dieses ist zurzeit nur sehr bedingt möglich. Wenn Mecklenburg-Vorpom- mern bundesweit NSU-Schlagzeilen macht, dann so, dass man sich eher schämen möchte.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Und wenn dann Innenministerium und Verfassungsschutz von, ich zitiere, „reißerischer Berichterstattung mit erheblichen Webfehlern in Sachen NSU“ sprechen, trägt auch dies kaum zur Versachlichung bei. Auch dieser Sachstand spricht nicht gegen, sondern für eine öffentliche Berichterstattung vor diesem Landtag.

Drittens schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann eine öffentliche Berichterstattung auch in

Mecklenburg-Vorpommern helfen, die Diskussion um den Verfassungsschutz selbst zu fundieren. Vor fast einem Jahr hat Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ die Frage aufgeworfen: „Wer schützt die Verfassung vor dem Verfassungsschutz?“

(Michael Andrejewski, NPD: Ja, sehr gut.)

Und in Bezug zum damals hochaktuellen NSU-Komplex lieferte er ein Resümee, welches auch unsere Verfassungsschutzbehörde förmlich um öffentliche Bericht- erstattung vor diesem Landtag bitten lassen müsste. „Hat der Verfassungsschutz von den Neonazi-Morden wirklich nichts gehört und gesehen?“, so Prantl. „Dann ist er … überflüssig. Und wenn er nichts hören und sehen wollte? Dann ist er … eine Gefahr für die Verfassung. Ein überflüssiger Verfassungsschutz ist zu teuer. Und wenn er gar gefährlich ist, dann muss man nicht nur seine VLeute abschalten“, so Prantl schließlich, „sondern den ganzen Verfassungsschutz.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem Spannungsbogen entgeht unsere Verfassungsschutzabteilung nicht durch Abtauchen, Wegducken und Aussitzen, denn das erhöht das Misstrauen. Hier helfen öffentlich ausgesprochene Wahrheiten – und ein Schuss Selbstkritik, das wissen wir alle, ist durchaus förderlich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend kurz darlegen, welche Auskünfte ich in der von uns geforderten Berichterstattung vor dem Landtag unter anderem erwarte.

Erstens einen gegenwärtigen und auf MecklenburgVorpommern bezogenen Sachstand zu den NSU-Taten, dem NSU-Umfeld und den NSU-Unterstützern –

(Stefan Köster, NPD: Das Umfeld befindet sich doch in den Behörden.)

obwohl wir da ja nicht weit schauen müssen in diesem Haus. Welche Informationen lagen hierzu wann wem vor – auch wenn man sie damals naturgemäß nicht mit einem NSU in Verbindung bringen konnte – und wie wurden diese Erkenntnisse bewertet und behandelt.

Dann zum Thema „V-Leute aus Mecklenburg-Vorpom- mern, V-Leute in Mecklenburg-Vorpommern“, wobei ich ausdrücklich auf unseren Verfassungsschutzskandal von 1999 aufmerksam mache, der bekanntlich auch Bezüge in andere Bundesländer aufweist.

(Stefan Köster, NPD: Da waren Sie doch auch in der Regierung drin!)

Schließlich erwarte ich Aussagen zur Vernichtung von Beweismitteln beziehungsweise ob die im Einklang mit einschlägigen Vorschriften erfolgte.

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Stefan Köster, NPD)

Zweitens, meine sehr verehrten Damen und Herren, erwarte ich erste, aber konkrete Aussagen zu gezogenen Schlussfolgerungen, zu Struktur, Zusammenarbeit, Befugnissen und Qualifizierungen der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden. Und damit meine ich unsere Landesbehörden von Verfassungsschutz, Polizei und Staats- anwaltschaft,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

und nicht den Bund oder andere Bundesländer. Woher wissen wir, woher weiß die Öffentlichkeit in MecklenburgVorpommern, ob hier nicht letztlich alles so weiterläuft wie gehabt?

Drittens schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, und auch das muss nach über einem Jahr möglich sein, erwarte ich Auskunft darüber, welche Schlussfolgerungen mit Blick auf den Rechtsextremismus für unsere Sicherheits- und Ermittlungsbehörden gezogen und umgesetzt wurden. Diese öffentliche Berichterstattung, das sage ich ausdrücklich, muss sich nicht auf die letzte Kommastelle beziehen, das kann notfalls auch der PKK vorbehalten bleiben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im August bekannten sich die Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern zur Notwendigkeit einer Neuausrichtung des Verfassungsschutzes und einigten sich auf zehn Eckpunkte, die auf der IMK bestätigt worden sind. Punkt 3 dieser Eckpunkte lautet folgendermaßen, ich zitiere: „Die Innenminister und -senatoren der Länder begrüßen und unterstützen alle Maßnahmen, die die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes stärken.“ Zitatende. Wie gesagt, diese Eckpunkte wurden in Warnemünde bestätigt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es eine stärkere und glaubhaftere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes als eine wahrheitsgemäße Unterrichtung an den Landtag? Für den NSU-Komplex gilt dies allemal.

Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ritter.