Protocol of the Session on October 25, 2012

feststellen, dass hier niemand meiner Vorrednerinnen und Vorredner ernsthaft bestritten hat, dass wir es beim Thema „Zunahme psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz“ mit einem ernstzunehmenden Problem zu tun haben. Aber erwartungsgemäß sind die Bewertungen der vorliegenden Daten und vor allem natürlich die daraus abzuleitenden Handlungsnotwendigkeiten unterschiedlich ausgefallen.

Frau Ministerin Schwesig hat natürlich recht, wenn sie darauf hinweist, dass viel mehr zu diesem ganzen Themenkomplex gehört als der Erlass einer Rechtsverordnung. Dazu gehört auch betriebliches Eingliederungsmanagement, dazu gehören selbstverständlich auch präventive Gesundheitsmaßnahmen. Allerdings werde ich im Laufe meiner Rede noch darauf hinweisen, warum dezidiert diese Rechtsverordnung …

(Vincent Kokert, CDU: Was, heute noch?)

Ja, heute noch,

(allgemeine Heiterkeit und Unruhe)

das verspreche ich Ihnen, Herr Kokert.

(Vincent Kokert, CDU: Ach, Herr Foerster! Sie reden hier von psychischer Belastung, wissen Sie?!)

Ich sehe schon, Sie sind sehr psychisch gestresst, aber darauf kann ich jetzt im Moment keine Rücksicht nehmen.

(Jochen Schulte, SPD: Das ist genau das Problem. – Vincent Kokert, CDU: Jawoll! – Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Problem, genau.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

So, Frau Kollegin Friemann-Jennert, wenn Sie sich natürlich jetzt ausgerechnet VW und Airbus herauspicken, um zu argumentieren, wir brauchen keine rechtlichen Regelungen,

(Vincent Kokert, CDU: Das sind mittelständische Unternehmen.)

sondern da hat man das sehr schön auf der betrieblichen Ebene geregelt, dann hätten Sie allerdings auch darauf Bezug nehmen müssen, wie gut Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Vorzeigeunternehmen organisiert sind und wie es um ihre Durchsetzungskraft bestellt ist.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Maika Friemann-Jennert, CDU: Ich habe darauf gewartet, dass Sie das tun.)

Genau die haben sie nämlich anderenorts nicht, und deswegen gibt es viele, die auf eine gesetzliche Regelung angewiesen sind.

Ich unterstelle keinem Unternehmen und auch keinem Unternehmer, dass er oder es seine Beschäftigten vorsätzlich psychischen Gefährdungen aussetzt,

(Egbert Liskow, CDU: Aha!)

ich weiß aber aus der eigenen betrieblichen Erfahrung um zwei wesentliche Problemstellungen:

Erstens, und das hatte ich im Rahmen der Einbringung bereits erwähnt, tun sich die Arbeitgeber sehr schwer mit der Bewertung dessen, was alles unter den Begriff der psychischen Belastung am Arbeitsplatz zu fassen ist.

Und zweitens ist es mir öfter begegnet, dass zwar die grundsätzliche Problematik durchaus auch dort gesehen wird, man jedoch darauf verweist, dass entsprechende gesetzliche Regelungen fehlen. In Worte gegossen klang das dann so, Zitat: „Wenn man an dieser Stelle etwas ändern will, dann muss die Politik entsprechende Regelungen treffen.“ Zitatende.

Diese Ansicht ist offensichtlich weit verbreitet. In einer von der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz durchgeführten Befragung im Management deutscher Unternehmen war die Hauptmotivation, sich in Sachen Sicherheit, Arbeits- und Gesundheitsschutz zu engagieren, die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Kannst du das noch mal wiederholen? Die hören hier nicht zu! – Heiterkeit und Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

90 Prozent der Befragten äußerten sich entsprechend. An zweiter Stelle gaben sie den Druck von Arbeitsinspektion und Arbeitsaufsicht an, und an dritter Stelle folgten Forderungen der Beschäftigten oder ihrer gewählten Vertretungen.

Ähnlich sehen die Trends für das Spezialthema „Psychosoziale Risiken in Unternehmen“ aus, freilich auf viel niedrigerem Niveau. 55 Prozent der befragten Manager nannten hier die gesetzliche Verpflichtung als Hauptmotiv für ein entsprechendes Engagement.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Hört, hört!)

Und, meine Damen und Herren, was ist dann die logische Konsequenz daraus?

(Vincent Kokert, CDU: Die bösen Unternehmer!)

Nicht die bösen Unternehmen, sondern erst, wenn das Management durch das Vorliegen gesetzlicher Vorschriften zur Durchführung von Maßnahmen verpflichtet und deren Umsetzung auch von der Arbeitsschutzaufsicht kontrolliert wird, entsteht arbeitgeberseitig ein wirksames Handlungsmotiv. Das ist die Essenz.

Der Entwurf einer Antistressverordnung im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes, so, wie ihn die IG-Metall vorgeschlagen hat, schafft eben genau dieses Motiv und definiert dabei auch ziemlich genau, welche Faktoren im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung eine Rolle spielen sollen. Das Entscheidende ist, er zwingt die Betriebs- parteien überhaupt erst mal dazu, sich offensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen, Handlungsmöglichkeiten gemeinsam zu suchen, diese zu dokumentieren und dann Maßnahmen einzuleiten. Und dabei schließt er alle relevanten Bereiche ein: Arbeitszeit,

Arbeitsrhythmus, Arbeitsorganisation, Arbeitsplatz und soziale Beziehungen.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Und er schafft eben auch die Möglichkeit, schwarze Schafe zu identifizieren und wenn nötig zu belangen.

Dabei sollte es aus meiner Sicht auch im natürlichen Interesse der Unternehmen liegen, der Zunahme psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Warum? Der krankheitsbedingte Ausfall von Beschäftigten führt in den Unternehmen ja nicht nur zu Kosten im Rahmen der Lohnfortzahlung. Er ist hinsichtlich der Länge der Ausfallzeit kaum kalkulierbar und erschwert daher Entscheidungen zu vorübergehenden Stellenbesetzungen. Gleiches gilt für aus dem Fehlen der betroffenen Beschäftigten resultierende vorübergehende oder gar dauerhafte Änderungen im Arbeitsablauf.

Zudem können sich im Zusammenhang mit der Reintegration nach Überwindung der Krankheit Probleme ergeben, da die vorherige Tätigkeit möglicherweise nicht mehr vollumfänglich oder auch gar nicht mehr ausgeübt werden kann. Ein Drittel der chronisch psychisch Kranken schafft die Rückkehr auf den alten Arbeitsplatz. Rehamaßnahmen dauern bis zu zwei Jahre und viele Betroffene verlieren eben während dieser Zeit ihren Arbeitsplatz.

Ursächlich für die Ausweitung von psychischen Erkrankungen ist zum einen eine steigende Sensibilität für das Thema, zum anderen ein tatsächlicher Anstieg der psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz. Experten sprechen davon, dass psychische Störungen auf dem Weg zur neuen Volkskrankheit Nummer eins sind. Dabei spielt es offenbar nicht die entscheidende Rolle, in welcher Branche der Arbeitnehmer beschäftigt ist. Laut IGMetall, die eine Umfrage unter ihren Betriebsräten gemacht hat, sind psychische Erkrankungen im Büro genauso anzutreffen wie in der Werkhalle.

86 Prozent der Befragten sehen den Anstieg als dau- erhaftes ernstzunehmendes Problem, und immerhin 69 Prozent sagen, es gibt gar keine oder zumindest viel zu wenige Hilfsangebote. Das zeigt sich auch an der Anzahl der Frühinvalidisierungen. Im Jahr 2010 waren laut Deutscher Rentenversicherung 39,3 Prozent davon psychisch bedingt. Zum Vergleich: Als 1993 überhaupt das erste Mal eine Statistik zu diesem Betroffenenkreis erhoben wurde, zählte man für das gesamte Bundesgebiet 41.000 Betroffene, 2010 waren es schon 71.000, also satte 18 Prozent mehr.

Nicht alles ist natürlich der Arbeitswelt zuzurechnen, das stimmt auch, und natürlich haben sich auch Diagnoseverfahren und Sensibilitäten weiterentwickelt. In den 70erJahren galten Betroffene beispielsweise schlicht als schwermütig, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild blieb oftmals aus.

(Beifall Vincent Kokert, CDU)

Allerdings hat die Wissenschaft nachgewiesen,

(Vincent Kokert, CDU: Oh, Entschuldigung! Ich dachte, Sie sind fertig.)

dass von chronischem Arbeitsstress betroffene Beschäftigte doppelt so häufig Gefahr laufen, von psychischen

Erkrankungen betroffen zu sein, und der Tenor lautet: Je höher die Arbeitsdichte, je geringer der Spielraum für eigene Entscheidungen, je unausgeprägter soziale Beziehungen am Arbeitsplatz und je seltener Wertschätzung und Anerkennung im Unternehmen anzutreffen sind, desto häufiger treten Depressionen oder depressive Verstimmungen auf.

Was verbirgt sich nun hinter abstrakten Begrifflichkeiten wie Stress und so weiter? Die Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet mittlerweile in atypischen Arbeitszeitlagen. Normale Bürozeiten sind auf dem Rückzug, stattdessen gibt es Schicht- und Nachtarbeit sowie Teil- und Wochenenddienste. Zudem fehlt es oft an einer wertschätzenden Unternehmenskultur, die auf kollegiale Unterstützung und Zusammenarbeit bei der Erfüllung der unternehmerischen Ziele setzt.

Wie es eigentlich gehen müsste, beschrieb eine langjährige Kollegin von mir einmal so, Zitat: „Mein Motto lautet, erwische jemanden dabei, wenn er etwas gut gemacht hat. Im Callcenter brauchen wir beides, den Topverkäufer genauso wie den Topberater. Die Kunst besteht darin, die individuellen Stärken des einzelnen herauszuarbeiten und diese zielgerichtet einzusetzen. Dabei muss der Teamgedanke gefördert werden. Die Leute sollen sich fachlich helfen, austauschen und auch gegenseitig motivieren.“ Zitatende.

Daraus wird schon deutlich, wie komplex das Thema ist und dass sich ein Gegensteuern nicht darauf beschränken kann, Stressbewältigungsseminare im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder von Gesundheitstagen der Krankenkassen anzubieten, so wichtig und richtig diese auch sind. Wenn Arbeitgeberverbände glauben, dass man schwerpunktmäßig mit Coaching der Beschäftigten zu Verbesserungen kommt, dann reden sie ein Stück am Problem vorbei. Es muss nämlich zuvorderst darum gehen, die betrieblichen Gegebenheiten im positiven Sinne zu verändern, und daher geht es jetzt um das Schließen der bestehenden Regelungslücke im deutschen Arbeitsschutzgesetz und um ein neues Bewusstsein bei den Betriebsparteien.

Während in anderen Gefährdungsbereichen zahlrei- che untergesetzliche Verordnungen existieren, sind psychische Belastungen nahezu nicht reguliert. Wir kennen Gefahrgutverordnungen, Arbeitsstättenverordnungen oder Lärmschutzverordnungen, aber eben keine Antistressverordnungen. Und vielleicht hilft Ihnen bei der Entscheidungsfindung, dass derzeit ein Umdenken auf allen Ebenen stattfindet,

(Stefan Köster, NPD: Machen Sie uns eine Freude und hören Sie auf!)

einschließlich der EU. Deren Arbeitsschutzinspektoren haben das Thema bereits 2010 zum Schwerpunkt erklärt und Mecklenburg-Vorpommern befände sich mit einer Initiative zu diesem Thema in guter Gesellschaft.

Nun habe ich Sie genug gestresst,

(Vincent Kokert, CDU: Überhaupt nicht! Wir haben Zeit.)